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Anhaltende Proteste: Putin schlägt erstmals ein eisiger Wind

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Anhaltende Proteste: Putin schlägt erstmals ein eisiger Wind ins Gesicht
Regierung irritiert - Politisches Köpferollen nur noch Frage der Zeit

Protest mit leeren Kochtöpfen gegen die Abschaffung kostenloser sozialer Zuwen- dungen: eine Demonstrantin in St. Petersburg. Eduard Steiner aus Moskau
Die russische Staatsführung sieht sich den größten Protesten seit dem Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin vor fünf Jahren gegenüber. - Und Putin selbst seiner größten Herausforderung neben Tschetschenien. Immerhin betrifft die mit 1. Jänner wirksam gewordene Sozialreform 35 Millionen russische Pensionisten, Kriegsveteranen, Polizisten und Armeeangehörige, somit mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung.


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bezahlte EinschaltungBereits neun Tage hintereinander gingen am Dienstag tausende Menschen in zahlreichen Städten auf die Straße, um gegen die Abschaffung der Naturalprivilegien zu protestieren, die sich seit der Sowjetzeit im Bereich Gesundheit, Verkehr und Kommunalwesen erhalten haben. Laut Regierungsplan sollen die Naturalprivilegien, die als undurchsichtiges System mit ungenauer sozialer Treffsicherheit den Staatshaushalt belasten, in Direktzahlungen umgewandelt werden.

Die Demonstranten empören sich nicht nur über die geringen Geldkompensationen von 200 bis 300 Rubel (5,5 bis acht Euro) monatlich, die sie mancherorts bis dato gar nicht erhalten haben. Sie fordern weiterhin Freifahrten und eine Pensionserhöhung.

Mehr als eine Woche hat sich die Kremladministration nicht zu den Protesten geäußert. Die von der Kremlpartei "Einiges Russland" versuchte Schuldzuweisung an die föderalen Subjekte, in deren Fürsorge drei Fünftel der Anspruchsberechtigten überführt worden sind, brachte keinerlei Entspannung. Vielmehr starteten die Gouverneure zum Teil heftige Gegenattacken auf das Zentrum.

Schließlich brach am Montag Putin sein Schweigen und beschuldigte das Regierungskabinett und die Gouverneure, die Reform "nicht ausreichend genau durchdacht" zu haben. Noch will der Kreml kein politisches Köpferollen. In Wirklichkeit aber liegt die Frage seit Tagen in der Luft. Premier Michail Fradkow soll bereits seinen Rücktritt angeboten haben.

Putin versprach am Montag eine Pensionserhöhung um 200 Rubel und vergünstigte Fahrkarten. Die Proteste hielten trotzdem an. Wie das Wirtschaftsblatt Wedomosti in Erfahrung brachte, überlegt der Kreml, den mit Petrodollars anwachsenden Stabilitätsfonds für soziale Zahlungen anzuzapfen.

Die russische Führung scheint irritiert, den staatlichen TV-Kanälen wurden strenge Beschränkungen für die Übertragung der Proteste auferlegt. Man stellt sich auf eine lange Auseinandersetzung mit den Demonstranten ein. Denn konzentriert sich der Protest derzeit auf die Freifahrten, so werden Ende des Monats die Tariferhöhung bei kommunalen Diensten um bis zu 35 Prozent und nach und nach auch die Verteuerung von Medikamenten wirksam. Zudem könnten sich Studenten den Protesten anschließen, da auch sie Vergünstigungen verlieren und eine Beschränkung der Wehrdienstfreistellungen bevorsteht.

Dass Demonstranten in Petersburg die orange Farbe der ukrainischen Revolution einzusetzen beginnen, geht vorerst über einen Gag nicht hinaus. Dass Putin aber auf den Transparenten als Alten- und Kindermörder beschimpft wird, war vor wenigen Wochen noch undenkbar. Wie das unabhängige Meinungsforschungsinstitut "Lewada" ermittelte, sehen 52 Prozent der Bürger Russland auf dem Holzweg, 35 Prozent goutieren den Kurs. Vor einem Jahr war das Verhältnis noch umgekehrt. Eine neue Protestwelle ist von Donnerstag bis Samstag angekündigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2005)


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Demonstration in St. Petersburg gegen "Heuchler und Pharisäer" Putin. Die anhaltende Protestwelle gegen die Sozialreformen traf Russlands Machthaber unvorbereitet.Eduard Steiner aus Moskau Selbst Offiziellen in Russland kommt schon einmal das Wort von der Staatskrise über die Lippen. Immer mehr Beobachter wähnen gar einen "schleichenden Staatsstreich", der Anfang vom Ende Präsident Wladimir Putins sei angebrochen. Nun hat selbst Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der Sowjetunion, Putin erstmals kritisiert und der sozialen Ungerechtigkeit und eigenen Machtausdehnung bezichtigt.

Und die jüngsten Umfragen müssen die Machthaber alarmieren. Nach Angaben des Fonds "Öffentliche Meinung" ergab die Sonntagsfrage letzte Woche, dass derzeit nur noch 42 Prozent den Präsidenten wiederwählen würden. Das ist der niedrigste Wert seit Putin im Jahr 2000 Staatschef wurde. Damals hatte er 45 Prozent, im März 2004 aber, als Putin für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde, 65 Prozent. Vertrauten ihm Anfang 2004 noch 41 Prozent, sind es jetzt gerade mal 24 Prozent. Andere Umfragen liefern ähnliche Ergebnisse. Laut Institut "Lewada" sehen 52 Prozent der Bürger Russland auf dem Holzweg, 35 Prozent goutieren den Kurs. Vor einem Jahr war das Verhältnis noch umgekehrt.

Ziemlich einhellig sehen die Experten die Ursache des Absturzes in den jüngsten Sozialreformen, konkret der Umwandlung der bisherigen Naturalprivilegien in ein System von Direktzahlungen. Ein Viertel der Bevölkerung ist davon betroffen, während Beamte und Parlamentarier ihre Privilegien behalten.

Die Staatsmacht war in keiner Weise für ein Protestszenario gerüstet. Dabei begann das Vertrauen der Bevölkerung in ihren Präsidenten bereits nach den Terroranschlägen im Herbst einzubrechen. Zuletzt kamen noch die außenpolitischen Niederlagen, allen voran in der Ukraine und in Abchasien, hinzu. Und in Unternehmerkreisen fühlt man sich seit der Causa Yukos brüskiert.

Dass die Situation im Land destabilisiert ist, zeigen nicht nur die anhaltenden Proteste, sondern auch die nervösen Rückzieher bei Reformvorhaben. Ökonomen werten es etwa als beunruhigend, dass zur Finanzierung der unter dem Protest der Straße erhöhten Sozialausgaben der Stabilitätsfonds angezapft wird.

Mehr denn je ist Experteneinschätzungen zufolge der Machtkampf unter den verschiedenen Seilschaften im Kreml im Gang. Putin selbst, so eine inzwischen weit verbreitete Erwartung, könnte einen Befreiungsschlag durch eine größere Regierungsumbildung einschließlich der Ablöse von Ministerpräsident Michail Fradkow versuchen.

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