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«Ich habe nie jemanden getötet, der nicht getötet werden musste»
Von Enver Robelli, Zagreb. Aktualisiert am 23.11.2009
Australien weigert sich, einen serbischen Milizenführer auszuliefern. Kroatien ist empört.
Dragan Vasiljkovic, Serbe und mutmasslicher Kriegsverbrecher. (Bild: Keystone)
Er ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Auf Bildern ist Dragan Vasiljkovic entweder mit einem Totenkopf in der Hand zu sehen, oder er beisst in einen Apfel, der im Maul eines Bären steckt. Ein anderes Foto zeigt ihn beim Golfspielen. Er sei eben ein vielseitiger Mensch und kenne keine Angst, hat Vasiljkovic Journalisten oft erzählt. Anfang der Neunzigerjahre verliess dieser Mann seine Wahlheimat Australien, um für ein Grossserbien zu kämpfen.
Seither ist er besser bekannt unter dem Namen «Kapetan Dragan» – und steht unter dem Verdacht, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Bereits 1992 hielt eine Uno-Kommission fest, seine Milizionäre hätten «Terror verbreitet». Kroatiens Justiz wirft Vasiljkovic vor, er habe 1991 und 1993 gefangene kroatische Soldaten und Polizisten foltern und ermorden lassen. Das Bezirksgericht in der Adriastaat Sibenik sucht ihn per Haftbefehl.
Als Golflehrer unterwegs
Vasiljkovic hat sich 2003 wieder in seine zweite Heimat abgesetzt. An der australischen Westküste lebte er als Golflehrer unter dem Namen Daniel Snedden, bis er von einer australischen Journalistin aufgespürt wurde. Sie beschrieb, was er zu den Vorwürfen zu sagen hatte: «Ich habe nie jemanden getötet, der nicht getötet werden musste.» 2006 nahm die australische Justiz Vasiljkovic in Auslieferungshaft. Anfang September dieses Jahres kam er jedoch frei. Ob er nach Kroatien überstellt wird, ist ungewiss.
Das Bundesgericht Australiens hat die Auslieferung abgelehnt mit dem Argument, in Kroatien erwarte den Serben kein fairer Prozess. Das Gericht zitierte einen Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von 2006, wonach Angehörige der serbischen Minderheit in Fällen von Kriegsverbrechen härter angepackt würden als Kroaten. Das Justizministerium in Zagreb hat Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt.
Australien in der Kritik
Die Freilassung von Vasiljkovic hat in Kroatien Empörung ausgelöst. Der Richterspruch schockiere, schrieb der Menschenrechtler Ivan Zvonimir Cicak. Kritisiert wird, dass sich Australien auf einen drei Jahre alten OSZE-Bericht beruft. Im Gespräch sagt Justizminister Ivan Simonovic, sein Land werde den australischen Behörden glaubhaft machen, dass der 54-Jährige mit einem fairen Prozess rechnen könne.
Gewisse Fortschritte der kroatischen Justiz hat auch das Uno-Gericht in Den Haag anerkannt. Schon Ende 2005 hatte das Jugoslawien-Tribunal den Prozess gegen zwei kroatische Generäle an die Justiz in Zagreb abgegeben. Und in diesem Sommer lieferte Grossbritannien einen kroatischen Serben aus, der wegen Kriegsverbrechen gesucht wurde. Seine Menschenrechte seien in Kroatien nicht gefährdet, befand das Gericht in London. Dies bestätigt auch die OSZE in ihren jüngsten Berichten zu Kroatien.
Professor gegen die Korruption
«Deshalb sind wir sehr überrascht über die seltsame Argumentation der australischen Richter», sagte Justizminister Simonovic. Er vermutet, dass die Behörden in Australien sich schlicht nicht die Mühe gemacht hätten, die Fortschritte der kroatischen Justiz zur Kenntnis zu nehmen. Simonovic, ein ehemaliger Diplomat und parteiloser Politiker, übernahm sein Amt erst vor einem Jahr, nachdem in Kroatien die Tochter eines prominenten Anwalts und zwei Journalisten in Mafia-Manier erschossen worden waren.
Seither versucht der Juraprofessor das Gerichtswesen von korrupten Beamten zu säubern. Spezialgerichte und eine Polizeisondereinheit sollen gegen das organisierte Verbrechen vorgehen. Gerichtsverfahren wurden beschleunigt. Simonovic ist zuversichtlich, dass das australische Bundesgericht einer Auslieferung von Vasiljkovic doch noch zustimmen wird, nachdem nun auch die Regierung in Canberra Einspruch gegen die Entscheidung angekündigt hat. «Andernfalls muss Australien die Strafverfolgung übernehmen», meint Simonovic.
Sieg für serbische Diaspora
Zunächst einmal aber triumphiert Vasiljkovic. Gegenüber australischen Medien nannte er seine Freilassung «eine Niederlage für die kroatischen Faschisten» und einen «grossen Sieg» für die serbische Diaspora in Australien. «In Zukunft kann kein einziger Serbe mehr an Kroatien ausgeliefert werden», sagte er. Die kroatischen Behörden haben noch etwa 1000 Personen zur Fahndung ausgeschrieben. Mehr als 600 werden mit einem internationalen Haftbefehl gesucht.
Zu den mutmasslichen Opfern von Vasiljkovic gehörte auch Egon Scotland, der als Reporter der «Süddeutschen Zeitung» am 26. Juli 1991 im kroatischen Jukinac angeschossen wurde und kurz darauf seinen Verletzungen erlag. Unbestritten ist, dass Vasiljkovic an diesem Tag Befehlshaber der serbischen Einheiten in dem Gebiet war. «Gegenstand der Anklage gegen den ehemaligen Milizenchef ist auch der Tod von Scotland», sagte Simonovic. In diesem Zusammenhang wurden 2006 auch in München die Ermittlungen neu aufgenommen. Vasiljkovic ist australischer und serbischer Staatsbürger. Auf Bitten der deutschen Justiz wurde er 1998 in Belgrad von der jugoslawischen Polizei vernommen, doch er stritt alle Vorwürfe ab.
Ein weiteres Opfer von «Kapetan Dragan» soll eine Frau aus Bosnien sein. Sie trat Anfang Mai als Zeugin vor einem Gericht im australischen Bundesstaat New South Wales auf und sagte, Vasiljkovic habe sie 1992 in einem Hotelzimmer im Nordosten Bosniens mehrfach vergewaltigt. Der frühere Milizenchef wies die Beschuldigung zurück und erklärte, er sei kein Folterer, sondern ein «Held».
Geschickt mit dem Wind
Vasiljkovic findet in nationalistischen serbischen Exil-Gruppen bis heute glühende Verehrer. Beim Sturz von Milosevic im Herbst 2000 spürte er, wie der Wind sich drehte, und half kurzzeitig der prowestlichen Opposition, indem er in Belgrad ein Fernsehgebäude einnahm. Das Haager Uno-Tribunal hat ihn nicht angeklagt – trotz aller Vorwürfe. Das Gericht konzentriert sich seit Jahren auf die grossen Fische. Die mutmasslichen Freischärler, Mörder und Folterer müssten von den Justizbehörden der Balkan-Länder gejagt und vor Gericht gestellt werden, fordert das Tribunal.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 23.11.2009, 04:00 Uhr
«Ich habe nie jemanden getötet, der nicht getötet werden musste» - News Ausland: Europa - tagesanzeiger.ch
Von Enver Robelli, Zagreb. Aktualisiert am 23.11.2009
Australien weigert sich, einen serbischen Milizenführer auszuliefern. Kroatien ist empört.
Er ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Auf Bildern ist Dragan Vasiljkovic entweder mit einem Totenkopf in der Hand zu sehen, oder er beisst in einen Apfel, der im Maul eines Bären steckt. Ein anderes Foto zeigt ihn beim Golfspielen. Er sei eben ein vielseitiger Mensch und kenne keine Angst, hat Vasiljkovic Journalisten oft erzählt. Anfang der Neunzigerjahre verliess dieser Mann seine Wahlheimat Australien, um für ein Grossserbien zu kämpfen.
Seither ist er besser bekannt unter dem Namen «Kapetan Dragan» – und steht unter dem Verdacht, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Bereits 1992 hielt eine Uno-Kommission fest, seine Milizionäre hätten «Terror verbreitet». Kroatiens Justiz wirft Vasiljkovic vor, er habe 1991 und 1993 gefangene kroatische Soldaten und Polizisten foltern und ermorden lassen. Das Bezirksgericht in der Adriastaat Sibenik sucht ihn per Haftbefehl.
Als Golflehrer unterwegs
Vasiljkovic hat sich 2003 wieder in seine zweite Heimat abgesetzt. An der australischen Westküste lebte er als Golflehrer unter dem Namen Daniel Snedden, bis er von einer australischen Journalistin aufgespürt wurde. Sie beschrieb, was er zu den Vorwürfen zu sagen hatte: «Ich habe nie jemanden getötet, der nicht getötet werden musste.» 2006 nahm die australische Justiz Vasiljkovic in Auslieferungshaft. Anfang September dieses Jahres kam er jedoch frei. Ob er nach Kroatien überstellt wird, ist ungewiss.
Das Bundesgericht Australiens hat die Auslieferung abgelehnt mit dem Argument, in Kroatien erwarte den Serben kein fairer Prozess. Das Gericht zitierte einen Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von 2006, wonach Angehörige der serbischen Minderheit in Fällen von Kriegsverbrechen härter angepackt würden als Kroaten. Das Justizministerium in Zagreb hat Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt.
Australien in der Kritik
Die Freilassung von Vasiljkovic hat in Kroatien Empörung ausgelöst. Der Richterspruch schockiere, schrieb der Menschenrechtler Ivan Zvonimir Cicak. Kritisiert wird, dass sich Australien auf einen drei Jahre alten OSZE-Bericht beruft. Im Gespräch sagt Justizminister Ivan Simonovic, sein Land werde den australischen Behörden glaubhaft machen, dass der 54-Jährige mit einem fairen Prozess rechnen könne.
Gewisse Fortschritte der kroatischen Justiz hat auch das Uno-Gericht in Den Haag anerkannt. Schon Ende 2005 hatte das Jugoslawien-Tribunal den Prozess gegen zwei kroatische Generäle an die Justiz in Zagreb abgegeben. Und in diesem Sommer lieferte Grossbritannien einen kroatischen Serben aus, der wegen Kriegsverbrechen gesucht wurde. Seine Menschenrechte seien in Kroatien nicht gefährdet, befand das Gericht in London. Dies bestätigt auch die OSZE in ihren jüngsten Berichten zu Kroatien.
Professor gegen die Korruption
«Deshalb sind wir sehr überrascht über die seltsame Argumentation der australischen Richter», sagte Justizminister Simonovic. Er vermutet, dass die Behörden in Australien sich schlicht nicht die Mühe gemacht hätten, die Fortschritte der kroatischen Justiz zur Kenntnis zu nehmen. Simonovic, ein ehemaliger Diplomat und parteiloser Politiker, übernahm sein Amt erst vor einem Jahr, nachdem in Kroatien die Tochter eines prominenten Anwalts und zwei Journalisten in Mafia-Manier erschossen worden waren.
Seither versucht der Juraprofessor das Gerichtswesen von korrupten Beamten zu säubern. Spezialgerichte und eine Polizeisondereinheit sollen gegen das organisierte Verbrechen vorgehen. Gerichtsverfahren wurden beschleunigt. Simonovic ist zuversichtlich, dass das australische Bundesgericht einer Auslieferung von Vasiljkovic doch noch zustimmen wird, nachdem nun auch die Regierung in Canberra Einspruch gegen die Entscheidung angekündigt hat. «Andernfalls muss Australien die Strafverfolgung übernehmen», meint Simonovic.
Sieg für serbische Diaspora
Zunächst einmal aber triumphiert Vasiljkovic. Gegenüber australischen Medien nannte er seine Freilassung «eine Niederlage für die kroatischen Faschisten» und einen «grossen Sieg» für die serbische Diaspora in Australien. «In Zukunft kann kein einziger Serbe mehr an Kroatien ausgeliefert werden», sagte er. Die kroatischen Behörden haben noch etwa 1000 Personen zur Fahndung ausgeschrieben. Mehr als 600 werden mit einem internationalen Haftbefehl gesucht.
Zu den mutmasslichen Opfern von Vasiljkovic gehörte auch Egon Scotland, der als Reporter der «Süddeutschen Zeitung» am 26. Juli 1991 im kroatischen Jukinac angeschossen wurde und kurz darauf seinen Verletzungen erlag. Unbestritten ist, dass Vasiljkovic an diesem Tag Befehlshaber der serbischen Einheiten in dem Gebiet war. «Gegenstand der Anklage gegen den ehemaligen Milizenchef ist auch der Tod von Scotland», sagte Simonovic. In diesem Zusammenhang wurden 2006 auch in München die Ermittlungen neu aufgenommen. Vasiljkovic ist australischer und serbischer Staatsbürger. Auf Bitten der deutschen Justiz wurde er 1998 in Belgrad von der jugoslawischen Polizei vernommen, doch er stritt alle Vorwürfe ab.
Ein weiteres Opfer von «Kapetan Dragan» soll eine Frau aus Bosnien sein. Sie trat Anfang Mai als Zeugin vor einem Gericht im australischen Bundesstaat New South Wales auf und sagte, Vasiljkovic habe sie 1992 in einem Hotelzimmer im Nordosten Bosniens mehrfach vergewaltigt. Der frühere Milizenchef wies die Beschuldigung zurück und erklärte, er sei kein Folterer, sondern ein «Held».
Geschickt mit dem Wind
Vasiljkovic findet in nationalistischen serbischen Exil-Gruppen bis heute glühende Verehrer. Beim Sturz von Milosevic im Herbst 2000 spürte er, wie der Wind sich drehte, und half kurzzeitig der prowestlichen Opposition, indem er in Belgrad ein Fernsehgebäude einnahm. Das Haager Uno-Tribunal hat ihn nicht angeklagt – trotz aller Vorwürfe. Das Gericht konzentriert sich seit Jahren auf die grossen Fische. Die mutmasslichen Freischärler, Mörder und Folterer müssten von den Justizbehörden der Balkan-Länder gejagt und vor Gericht gestellt werden, fordert das Tribunal.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 23.11.2009, 04:00 Uhr
«Ich habe nie jemanden getötet, der nicht getötet werden musste» - News Ausland: Europa - tagesanzeiger.ch