26.11.1990
SPIEGEL: Herr Präsident, können die Wahlen in den jugoslawischen Republiken die politische Anarchie im Land beenden?
„Unsere Koffer sind gepackt“
KUCAN: Es werden sich zumindest neue Gesprächspartner legitimieren, die auf demokratische Weise gewählt worden sind und die damit berechtigt sind, im Namen ihrer Völker und Republiken zu verhandeln. Eine solche Diskussion hat es bisher überall nicht einmal ansatzweise gegeben.
SPIEGEL: Fast alle am Wahlkampf beteiligten Parteien vertreten nationalistische Programme. Hat sich damit nicht die Gefahr eines Bürgerkriegs verschärft?
KUCAN: Wenn es bei der irrationalen Atmosphäre bleibt, in der sich unsere Republiken als souveräne Nationalstaaten zu verwirklichen suchen, ist ein Bürgerkrieg nicht auszuschließen. Aber den meisten ist wohl auch klar, daß eine solche Auseinandersetzung erst mal das Ende unseres Weges nach Europa bedeuten würde.
SPIEGEL: Die anderen Republiken fürchten, daß Serbien der Auslöser eines solchen Konflikts sein wird.
KUCAN: Öl wird mit Sicherheit dort ins Feuer gegossen werden, wo mehrere Nationalitäten in einem Gebiet, einer Republik leben. Also im Kosovo, im kroatischen Knin oder auch in Bosnien. Die serbische Politik beweist leider, daß es ihr nicht in erster Linie um Verständigung über das gemeinsame Schicksal geht, sondern um die Stellung, die es ihr ermöglichen würde, anderen in Jugoslawien ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen aufzuzwingen.
SPIEGEL: Es wird ein erneuter Aufstand der Albaner im Kosovo befürchtet. Könnte Slowenien, wie erbeten, im Fall eines Bürgerkriegs den Albanern zu Hilfe kommen?
KUCAN: Wir haben nicht die Absicht, uns in irgendwelche bewaffneten Abenteuer einzulassen. Wir haben deshalb auch unsere slowenische Polizei aus den Einheiten der Bundespolizei im Kosovo zurückgezogen.
SPIEGEL: Und wenn trotzdem geschossen wird?
KUCAN: Im Falle eines Bürgerkriegs sähen wir uns genötigt, uns schnellstens von Jugoslawien abzukoppeln. Schließlich haben wir vor allem die Interessen des slowenischen Volkes und Staates zu schützen. Übrigens wäre der Bürgerkrieg nicht durch unsere Politik ausgelöst worden!
SPIEGEL: Die Armee beruft sich auf das Recht zur Intervention, wenn der Staat Jugoslawien durch den Austritt einer Republik in Frage gestellt wird.
KUCAN: Das sehe ich anders. Ausschlaggebend ist doch, ob bei einer Abspaltung die vitalen Interessen anderer Völker gefährdet werden. Und dies ist im Fall Sloweniens nicht gegeben.
SPIEGEL: Slowenien und Kroatien haben inzwischen eigene Territorialeinheiten aufgestellt. Um die Waffenlager der Territorialverteidigung streiten sich die Republiken mit der Bundesarmee.
KUCAN: Die Armee muß begreifen, daß sie nicht mehr die Armee des Kommunistischen Bundes ist und auch nicht mehr die Tito-Armee. Aber anstatt sich den demokratischen Prozessen anzupassen, bestehen bei der Armeeführung noch immer Ambitionen, die Schlüsselrolle des Schiedsrichters in der Politik zu spielen.
SPIEGEL: Auch Serbien scheint auf eine Intervention der Armee zu hoffen.
KUCAN: Die Jugoslawische Volksarmee ist die gemeinsame Streitkraft aller jugoslawischen Völker. Wenn sie gegen eines dieser Völker putscht, dann verstößt sie gegen die Verfassung. Dann wäre sie im Interesse des einen gegen andere Völker eingesetzt. Ein solcher Mißbrauch würde eine endgültige Abwendung der Slowenen von der Armee bewirken.
SPIEGEL: Was können Sie dagegen tun?
KUCAN: In einem solchen Fall sähe sich Slowenien - als letztes Mittel - genötigt, andere Staaten und internationale Organisationen zu Hilfe zu rufen.
SPIEGEL: Die USA und Westeuropa zeigen aber immer weniger Neigung, sich in den jugoslawischen Konflikt einzumischen. Sie unterstützen bisher deutlich ein föderatives, einheitliches Jugoslawien.
KUCAN: Das ist richtig. Die Situation hat sich, genaugenommen, mit dem Sturz der Berliner Mauer verändert. Wir sind mit unseren Ambitionen heute gewissermaßen ein Störfaktor im europäischen Integrationsprozeß. Europa hat Angst vor den scheinbar unkontrollierbaren Vorgängen in Jugoslawien. Sie glauben, der Zerfall unserer Föderation oder die Abtrennung einzelner Republiken könne nur unter den Bedingungen eines Bürgerkriegs vor sich gehen. An der balkanischen Schwelle zum sich vereinenden Europa ist aber kein Kriegsherd wie der Nahe Osten erwünscht.
SPIEGEL: Was also können Sie tun, wenn Europa Jugoslawien nur als Einheit integrieren will?
KUCAN: Ich glaube nicht, daß irgend jemand im Westen die Verantwortung übernehmen will, uns in der jugoslawischen Föderation festzunageln, in der unsere Existenz gefährdet ist. Das widerspräche den demokratischen Prinzipien des Westens. Aber natürlich verstehen wir die Warnungen, daß wir bei der Durchsetzung unserer Ziele auch Verantwortungsbewußtsein gegenüber den anderen jugoslawischen Völkern und der internationalen Gemeinschaft zeigen müssen. Trotzdem bleibt es unsere eigene Entscheidung, was wir tun. Diese Entscheidung soll durch ein Plebiszit über die künftige Stellung von Slowenien überprüft werden.
SPIEGEL: Könnte denn eine einzelne Republik als selbständiger Staat überhaupt überleben? Sie haben gesagt, Slowenien würde allein im ersten Halbjahr nach seinem Austritt eine Milliarde Dollar Finanzhilfe aus dem Ausland benötigen.
KUCAN: Deshalb war unser Ziel auch die schnellstmögliche Einbindung ins europäische System, um unseren zivilisatorischen und auch wirtschaftlichen Rückstand aufzuholen.
SPIEGEL: Flucht aus der jugoslawischen Pleite ins gutgepolsterte Europa?
KUCAN: Wir haben alle Forderungen der EG und des Europarats schon vor einem Jahr erfüllt, als im übrigen Jugoslawien solche Forderungen noch als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten kritisiert wurden. In Serbien weist man noch heute jede Warnung des Auslandes vor einer Verletzung der Menschenrechte im Kosovo zurück. Nur wenn wir unsere Souveränität sichern, können wir die demokratischen Prozesse in Slowenien fortsetzen und auf deren Intensivierung anderswo in Jugoslawien Einfluß nehmen. Nach den Wahlen wird das viel leichter sein.
SPIEGEL: Sie selbst haben der kommunistischen Führung unter Tito angehört. Damals haben Sie gesagt, in Jugoslawien herrsche Brüderlichkeit und Einheit. War das denn gelogen?
KUCAN: Das heutige Jugoslawien entstand im Krieg und als Verteidigungsgemeinschaft, notwendig in der Zeit der Hexenjagd des Kominformbüros und des Kalten Krieges. Solche Integrationsfaktoren haben sich erschöpft. In Europa setzt sich heute die Idee einer Kollektivverteidigung durch, und in Jugoslawien sind nationale und wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund gerückt.
SPIEGEL: Ist das der Grund, von einem Extrem in das andere zu fallen?
KUCAN: Es ist uns nicht gelungen, rechtzeitig neue Integrationsfaktoren zu finden, welche die alten ersetzen konnten. Statt dessen haben wir uns im ideologischen Kleinkrieg verzettelt. Unsere Völker sind nun nicht mehr bereit, ihre nationalen Interessen den gesamtjugoslawischen, also übernationalen, unterzuordnen.
SPIEGEL: Demnächst müssen sich alle Republiken für eine neue Staatsform entscheiden. Slowenien und Kroatien bestehen auf einer Konföderation, zumindest Serbien auf der Föderation. Kann es da Kompromisse geben?
KUCAN: Nein. Es muß zwischen diesen beiden Modellen entschieden werden. Der vom Präsidenten des jugoslawischen Präsidiums Jovic vorgelegte Föderationsentwurf schreibt nur die bisherige Interessenhegemonie Serbiens als der Republik des zahlenstärksten jugoslawischen Volkes fest. Das Konzept ist in seinem Wesen unitaristisch und in einem Vielvölkerstaat undurchführbar. Es hebt sogar die bisherigen Verfassungsgarantien der Gleichberechtigung auf.
SPIEGEL: Sie gehen in Ihrem Konföderationsmodell von einer faktischen Versechsfachung des bisherigen Staatsapparates aus. Sechs Verteidigungsminister, sechs Außenminister - ist eine solche Kleinstaaterei nicht überflüssiger Luxus und antiquiert?
KUCAN: Überhaupt nicht. Auch die EG hat zwölf Außenminister, und die wirken keineswegs lächerlich. Zudem haben sie offensichtlich mehr gemeinsame Interessen - nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische - als die einzelnen jugoslawischen Republiken.
SPIEGEL: Welche Funktion hat dann Jugoslawien überhaupt noch?
KUCAN: Es wäre der Name für die Gemeinschaft der jugoslawischen Völker, ähnlich wie der Name "Europäische Gemeinschaft". Dieses Problem hat im übrigen ja auch die Sowjetunion. Auch dort werden jetzt die Einzelstaaten durch Verträge gebunden, und die Ansichten, was diese Kollektivgemeinschaft noch darstellen soll, gehen ganz weit auseinander.
SPIEGEL: Bis jetzt haben die slowenischen und kroatischen Pläne nur wenig Unterstützung bei den übrigen Republiken gefunden.
KUCAN: Das hat sich schon geändert. Eine Trendwende zeigte sich bereits auf der Sitzung des Bundesparlaments. Ich bin sicher, sie wird sich nach den Wahlen und der Ernennung der neuen Regierungen noch deutlicher zu unseren Gunsten verstärken.
SPIEGEL: Trotzdem liest sich Ihr Konföderationsmodell eher wie ein Abseilversuch der beiden wirtschaftlich besser entwickelten Republiken von den unterentwickelten Gebieten des Staates.
KUCAN: Nach unserem Modell kann es zu lockeren oder auch festeren Verbindungen zwischen den einzelnen Republiken kommen - je nach deren Interessen. Ob das realisierbar ist, hängt nicht nur von unseren Wünschen ab, sondern auch von den Interessen und _(* Im Oktober 1988 besetzten Belgrader ) _(Arbeiter das Bundesparlament und ) _(forderten die Okkupation des Kosovo ) _(durch die Serben. ) Möglichkeiten der anderen. Immerhin liegt der Unterschied im Entwicklungsstandard zwischen Kosovo und Slowenien bei etwa 1:7,5.
SPIEGEL: Und bei einem solchen Gefälle hoffen Sie auf einen Konsensus bei wirtschaftlichen Entscheidungen?
KUCAN: Wir vertrauen auf die Logik des Marktes und die Autonomie der Wirtschaft, ohne politische Einmischung.
SPIEGEL: Hoffen Sie auf eine bessere Verständigung mit Serbien nach den Wahlen am 9. Dezember?
KUCAN: Das ist schwer zu sagen. Denn die alten Krisenherde bleiben. Allen voran das schwierigste aller jugoslawischen Probleme - die Zukunft des Kosovo. Und zu Divergenzen unter uns ist es in erster Linie wegen dieser Politik gekommen.
SPIEGEL: Sie halten das Problem für unlösbar?
KUCAN: Unlösbar auf die Weise, in der Serbien mit Gewalt und Ausnahmezustand seit 20 Jahren das Problem lösen will.
SPIEGEL: Haben Sie denn einen besseren Vorschlag?
KUCAN: Den hatten wir in den vergangenen Jahren oft, aber niemand hat auf uns gehört: Man muß miteinander sprechen. In der Politik verliert derjenige am meisten, der nicht zu Gesprächen bereit ist. Heute könnte es dafür zu spät sein.
SPIEGEL: Glauben Sie, daß eine Mehrheit der Kosovo-Albaner den Anschluß an Albanien will?
KUCAN: Je schlechter die Aussichten der Kosovo-Albaner in Jugoslawien sind, um so mehr wird es sie nach Albanien ziehen. Auch die Ostdeutschen hatten ihren eigenen Staat, trotzdem wollten sie sich mit großer Mehrheit der Bundesrepublik anschließen. Im Kosovo kann es zu einer ähnlichen Entwicklung kommen.
SPIEGEL: Wer ist schuld daran?
KUCAN: Der Kosovo wurde durch die rigorose Politik der heutigen serbischen Führung verloren. Alle ihre Vorgängerinnen hatten noch eine reelle Chance, mit einer diplomatischen Politik den Kosovo in Jugoslawien zu integrieren.
SPIEGEL: Aber vielleicht wird der serbische Präsident Milosevic bei den Wahlen ja von der Opposition abgelöst?
KUCAN: Da machen wir uns wenig Illusionen. Was den Kosovo angeht, ziehen in Serbien alle Parteien an einem Strick. Da gibt es einstweilen wenig Aussichten auf Vernunft und Kompromisse. Deshalb fürchten wir uns auch vor einem Bürgerkrieg. Und deshalb stehen unsere Koffer gepackt vor der Tür. o
*VITA-KASTEN-1 *ÜBERSCHRIFT:
Die Republik Slowenien *
ist die westlichste und wirtschaftlich höchstentwickelte unter den sechs Republiken und zwei autonomen Gebieten Jugoslawiens. Der Kleinstaat mit zwei Millionen Einwohnern gilt als Motor für eine Umwandlung des kommunistischen Vielvölkerstaates in eine Konföderation von Gleichberechtigten. An der Spitze der Republik steht Milan Kucan, 49, ein studierter Jurist, der über zwei Jahrzehnte in Titos Parteibürokratie gearbeitet hat und vier Jahre lang slowenischer KP-Chef war, bevor er sich zur Wende und zu einem Mehrparteiensystem bekannte. Sein schärfster Gegner ist der serbische Präsident Slobodan Milosevic, 49, der mit seiner rigoros nationalistischen Politik die Macht der Belgrader Zentrale erhalten und die von Tito zerschlagene Hegemonie der Serben über ganz Jugoslawien wiederherstellen will.
SPIEGEL: Herr Präsident, können die Wahlen in den jugoslawischen Republiken die politische Anarchie im Land beenden?
„Unsere Koffer sind gepackt“
KUCAN: Es werden sich zumindest neue Gesprächspartner legitimieren, die auf demokratische Weise gewählt worden sind und die damit berechtigt sind, im Namen ihrer Völker und Republiken zu verhandeln. Eine solche Diskussion hat es bisher überall nicht einmal ansatzweise gegeben.
SPIEGEL: Fast alle am Wahlkampf beteiligten Parteien vertreten nationalistische Programme. Hat sich damit nicht die Gefahr eines Bürgerkriegs verschärft?
KUCAN: Wenn es bei der irrationalen Atmosphäre bleibt, in der sich unsere Republiken als souveräne Nationalstaaten zu verwirklichen suchen, ist ein Bürgerkrieg nicht auszuschließen. Aber den meisten ist wohl auch klar, daß eine solche Auseinandersetzung erst mal das Ende unseres Weges nach Europa bedeuten würde.
SPIEGEL: Die anderen Republiken fürchten, daß Serbien der Auslöser eines solchen Konflikts sein wird.
KUCAN: Öl wird mit Sicherheit dort ins Feuer gegossen werden, wo mehrere Nationalitäten in einem Gebiet, einer Republik leben. Also im Kosovo, im kroatischen Knin oder auch in Bosnien. Die serbische Politik beweist leider, daß es ihr nicht in erster Linie um Verständigung über das gemeinsame Schicksal geht, sondern um die Stellung, die es ihr ermöglichen würde, anderen in Jugoslawien ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen aufzuzwingen.
SPIEGEL: Es wird ein erneuter Aufstand der Albaner im Kosovo befürchtet. Könnte Slowenien, wie erbeten, im Fall eines Bürgerkriegs den Albanern zu Hilfe kommen?
KUCAN: Wir haben nicht die Absicht, uns in irgendwelche bewaffneten Abenteuer einzulassen. Wir haben deshalb auch unsere slowenische Polizei aus den Einheiten der Bundespolizei im Kosovo zurückgezogen.
SPIEGEL: Und wenn trotzdem geschossen wird?
KUCAN: Im Falle eines Bürgerkriegs sähen wir uns genötigt, uns schnellstens von Jugoslawien abzukoppeln. Schließlich haben wir vor allem die Interessen des slowenischen Volkes und Staates zu schützen. Übrigens wäre der Bürgerkrieg nicht durch unsere Politik ausgelöst worden!
SPIEGEL: Die Armee beruft sich auf das Recht zur Intervention, wenn der Staat Jugoslawien durch den Austritt einer Republik in Frage gestellt wird.
KUCAN: Das sehe ich anders. Ausschlaggebend ist doch, ob bei einer Abspaltung die vitalen Interessen anderer Völker gefährdet werden. Und dies ist im Fall Sloweniens nicht gegeben.
SPIEGEL: Slowenien und Kroatien haben inzwischen eigene Territorialeinheiten aufgestellt. Um die Waffenlager der Territorialverteidigung streiten sich die Republiken mit der Bundesarmee.
KUCAN: Die Armee muß begreifen, daß sie nicht mehr die Armee des Kommunistischen Bundes ist und auch nicht mehr die Tito-Armee. Aber anstatt sich den demokratischen Prozessen anzupassen, bestehen bei der Armeeführung noch immer Ambitionen, die Schlüsselrolle des Schiedsrichters in der Politik zu spielen.
SPIEGEL: Auch Serbien scheint auf eine Intervention der Armee zu hoffen.
KUCAN: Die Jugoslawische Volksarmee ist die gemeinsame Streitkraft aller jugoslawischen Völker. Wenn sie gegen eines dieser Völker putscht, dann verstößt sie gegen die Verfassung. Dann wäre sie im Interesse des einen gegen andere Völker eingesetzt. Ein solcher Mißbrauch würde eine endgültige Abwendung der Slowenen von der Armee bewirken.
SPIEGEL: Was können Sie dagegen tun?
KUCAN: In einem solchen Fall sähe sich Slowenien - als letztes Mittel - genötigt, andere Staaten und internationale Organisationen zu Hilfe zu rufen.
SPIEGEL: Die USA und Westeuropa zeigen aber immer weniger Neigung, sich in den jugoslawischen Konflikt einzumischen. Sie unterstützen bisher deutlich ein föderatives, einheitliches Jugoslawien.
KUCAN: Das ist richtig. Die Situation hat sich, genaugenommen, mit dem Sturz der Berliner Mauer verändert. Wir sind mit unseren Ambitionen heute gewissermaßen ein Störfaktor im europäischen Integrationsprozeß. Europa hat Angst vor den scheinbar unkontrollierbaren Vorgängen in Jugoslawien. Sie glauben, der Zerfall unserer Föderation oder die Abtrennung einzelner Republiken könne nur unter den Bedingungen eines Bürgerkriegs vor sich gehen. An der balkanischen Schwelle zum sich vereinenden Europa ist aber kein Kriegsherd wie der Nahe Osten erwünscht.
SPIEGEL: Was also können Sie tun, wenn Europa Jugoslawien nur als Einheit integrieren will?
KUCAN: Ich glaube nicht, daß irgend jemand im Westen die Verantwortung übernehmen will, uns in der jugoslawischen Föderation festzunageln, in der unsere Existenz gefährdet ist. Das widerspräche den demokratischen Prinzipien des Westens. Aber natürlich verstehen wir die Warnungen, daß wir bei der Durchsetzung unserer Ziele auch Verantwortungsbewußtsein gegenüber den anderen jugoslawischen Völkern und der internationalen Gemeinschaft zeigen müssen. Trotzdem bleibt es unsere eigene Entscheidung, was wir tun. Diese Entscheidung soll durch ein Plebiszit über die künftige Stellung von Slowenien überprüft werden.
SPIEGEL: Könnte denn eine einzelne Republik als selbständiger Staat überhaupt überleben? Sie haben gesagt, Slowenien würde allein im ersten Halbjahr nach seinem Austritt eine Milliarde Dollar Finanzhilfe aus dem Ausland benötigen.
KUCAN: Deshalb war unser Ziel auch die schnellstmögliche Einbindung ins europäische System, um unseren zivilisatorischen und auch wirtschaftlichen Rückstand aufzuholen.
SPIEGEL: Flucht aus der jugoslawischen Pleite ins gutgepolsterte Europa?
KUCAN: Wir haben alle Forderungen der EG und des Europarats schon vor einem Jahr erfüllt, als im übrigen Jugoslawien solche Forderungen noch als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten kritisiert wurden. In Serbien weist man noch heute jede Warnung des Auslandes vor einer Verletzung der Menschenrechte im Kosovo zurück. Nur wenn wir unsere Souveränität sichern, können wir die demokratischen Prozesse in Slowenien fortsetzen und auf deren Intensivierung anderswo in Jugoslawien Einfluß nehmen. Nach den Wahlen wird das viel leichter sein.
SPIEGEL: Sie selbst haben der kommunistischen Führung unter Tito angehört. Damals haben Sie gesagt, in Jugoslawien herrsche Brüderlichkeit und Einheit. War das denn gelogen?
KUCAN: Das heutige Jugoslawien entstand im Krieg und als Verteidigungsgemeinschaft, notwendig in der Zeit der Hexenjagd des Kominformbüros und des Kalten Krieges. Solche Integrationsfaktoren haben sich erschöpft. In Europa setzt sich heute die Idee einer Kollektivverteidigung durch, und in Jugoslawien sind nationale und wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund gerückt.
SPIEGEL: Ist das der Grund, von einem Extrem in das andere zu fallen?
KUCAN: Es ist uns nicht gelungen, rechtzeitig neue Integrationsfaktoren zu finden, welche die alten ersetzen konnten. Statt dessen haben wir uns im ideologischen Kleinkrieg verzettelt. Unsere Völker sind nun nicht mehr bereit, ihre nationalen Interessen den gesamtjugoslawischen, also übernationalen, unterzuordnen.
SPIEGEL: Demnächst müssen sich alle Republiken für eine neue Staatsform entscheiden. Slowenien und Kroatien bestehen auf einer Konföderation, zumindest Serbien auf der Föderation. Kann es da Kompromisse geben?
KUCAN: Nein. Es muß zwischen diesen beiden Modellen entschieden werden. Der vom Präsidenten des jugoslawischen Präsidiums Jovic vorgelegte Föderationsentwurf schreibt nur die bisherige Interessenhegemonie Serbiens als der Republik des zahlenstärksten jugoslawischen Volkes fest. Das Konzept ist in seinem Wesen unitaristisch und in einem Vielvölkerstaat undurchführbar. Es hebt sogar die bisherigen Verfassungsgarantien der Gleichberechtigung auf.
SPIEGEL: Sie gehen in Ihrem Konföderationsmodell von einer faktischen Versechsfachung des bisherigen Staatsapparates aus. Sechs Verteidigungsminister, sechs Außenminister - ist eine solche Kleinstaaterei nicht überflüssiger Luxus und antiquiert?
KUCAN: Überhaupt nicht. Auch die EG hat zwölf Außenminister, und die wirken keineswegs lächerlich. Zudem haben sie offensichtlich mehr gemeinsame Interessen - nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische - als die einzelnen jugoslawischen Republiken.
SPIEGEL: Welche Funktion hat dann Jugoslawien überhaupt noch?
KUCAN: Es wäre der Name für die Gemeinschaft der jugoslawischen Völker, ähnlich wie der Name "Europäische Gemeinschaft". Dieses Problem hat im übrigen ja auch die Sowjetunion. Auch dort werden jetzt die Einzelstaaten durch Verträge gebunden, und die Ansichten, was diese Kollektivgemeinschaft noch darstellen soll, gehen ganz weit auseinander.
SPIEGEL: Bis jetzt haben die slowenischen und kroatischen Pläne nur wenig Unterstützung bei den übrigen Republiken gefunden.
KUCAN: Das hat sich schon geändert. Eine Trendwende zeigte sich bereits auf der Sitzung des Bundesparlaments. Ich bin sicher, sie wird sich nach den Wahlen und der Ernennung der neuen Regierungen noch deutlicher zu unseren Gunsten verstärken.
SPIEGEL: Trotzdem liest sich Ihr Konföderationsmodell eher wie ein Abseilversuch der beiden wirtschaftlich besser entwickelten Republiken von den unterentwickelten Gebieten des Staates.
KUCAN: Nach unserem Modell kann es zu lockeren oder auch festeren Verbindungen zwischen den einzelnen Republiken kommen - je nach deren Interessen. Ob das realisierbar ist, hängt nicht nur von unseren Wünschen ab, sondern auch von den Interessen und _(* Im Oktober 1988 besetzten Belgrader ) _(Arbeiter das Bundesparlament und ) _(forderten die Okkupation des Kosovo ) _(durch die Serben. ) Möglichkeiten der anderen. Immerhin liegt der Unterschied im Entwicklungsstandard zwischen Kosovo und Slowenien bei etwa 1:7,5.
SPIEGEL: Und bei einem solchen Gefälle hoffen Sie auf einen Konsensus bei wirtschaftlichen Entscheidungen?
KUCAN: Wir vertrauen auf die Logik des Marktes und die Autonomie der Wirtschaft, ohne politische Einmischung.
SPIEGEL: Hoffen Sie auf eine bessere Verständigung mit Serbien nach den Wahlen am 9. Dezember?
KUCAN: Das ist schwer zu sagen. Denn die alten Krisenherde bleiben. Allen voran das schwierigste aller jugoslawischen Probleme - die Zukunft des Kosovo. Und zu Divergenzen unter uns ist es in erster Linie wegen dieser Politik gekommen.
SPIEGEL: Sie halten das Problem für unlösbar?
KUCAN: Unlösbar auf die Weise, in der Serbien mit Gewalt und Ausnahmezustand seit 20 Jahren das Problem lösen will.
SPIEGEL: Haben Sie denn einen besseren Vorschlag?
KUCAN: Den hatten wir in den vergangenen Jahren oft, aber niemand hat auf uns gehört: Man muß miteinander sprechen. In der Politik verliert derjenige am meisten, der nicht zu Gesprächen bereit ist. Heute könnte es dafür zu spät sein.
SPIEGEL: Glauben Sie, daß eine Mehrheit der Kosovo-Albaner den Anschluß an Albanien will?
KUCAN: Je schlechter die Aussichten der Kosovo-Albaner in Jugoslawien sind, um so mehr wird es sie nach Albanien ziehen. Auch die Ostdeutschen hatten ihren eigenen Staat, trotzdem wollten sie sich mit großer Mehrheit der Bundesrepublik anschließen. Im Kosovo kann es zu einer ähnlichen Entwicklung kommen.
SPIEGEL: Wer ist schuld daran?
KUCAN: Der Kosovo wurde durch die rigorose Politik der heutigen serbischen Führung verloren. Alle ihre Vorgängerinnen hatten noch eine reelle Chance, mit einer diplomatischen Politik den Kosovo in Jugoslawien zu integrieren.
SPIEGEL: Aber vielleicht wird der serbische Präsident Milosevic bei den Wahlen ja von der Opposition abgelöst?
KUCAN: Da machen wir uns wenig Illusionen. Was den Kosovo angeht, ziehen in Serbien alle Parteien an einem Strick. Da gibt es einstweilen wenig Aussichten auf Vernunft und Kompromisse. Deshalb fürchten wir uns auch vor einem Bürgerkrieg. Und deshalb stehen unsere Koffer gepackt vor der Tür. o
*VITA-KASTEN-1 *ÜBERSCHRIFT:
Die Republik Slowenien *
ist die westlichste und wirtschaftlich höchstentwickelte unter den sechs Republiken und zwei autonomen Gebieten Jugoslawiens. Der Kleinstaat mit zwei Millionen Einwohnern gilt als Motor für eine Umwandlung des kommunistischen Vielvölkerstaates in eine Konföderation von Gleichberechtigten. An der Spitze der Republik steht Milan Kucan, 49, ein studierter Jurist, der über zwei Jahrzehnte in Titos Parteibürokratie gearbeitet hat und vier Jahre lang slowenischer KP-Chef war, bevor er sich zur Wende und zu einem Mehrparteiensystem bekannte. Sein schärfster Gegner ist der serbische Präsident Slobodan Milosevic, 49, der mit seiner rigoros nationalistischen Politik die Macht der Belgrader Zentrale erhalten und die von Tito zerschlagene Hegemonie der Serben über ganz Jugoslawien wiederherstellen will.
»Unsere Koffer sind gepackt«
SPIEGEL: Herr Präsident, können die Wahlen in den jugoslawischen Republiken die politische Anarchie im Land beenden? KUCAN: Es werden sich zumindest neue Gesprächspartner legitimieren, die auf demokratische Weise gewählt worden sind und die damit berechtigt…
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