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1984 Olympia, später Krieg – Eindrücke aus Sarajevo vor dem Uefa-Cup-Besuch des FC Ba

Yutaka

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[h1]Von Bajonetten und Nostalgie[/h1]
[h2]1984 Olympia, später Krieg – Eindrücke aus Sarajevo vor dem Uefa-Cup-Besuch des FC Basel[/h2]

Am Donnerstagabend stehen drei Schweizer Klubs in der ersten Hauptrunde des Uefa-Cups im Einsatz. Der FC Sion empfängt in Genf Galatasaray Istanbul, der FC Zürich spielt in Italien gegen Empoli, der FC Basel gastiert in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo.

bsn. Sarajevo, 19. September

«Es ist nicht so schlimm, wie man denkt», sagt ein bosnischer Journalist, als wisse er, wie sich unsereins Sarajevo vorstellt. Als befürchte er, in den westlichen Phantasien dominierten die Erinnerungen an Bomben, Zerstörung und mehr als 1000 Tage der Belagerung (1992 bis 1996) – und als ahne niemand, welch wunderbare Geheimnisse die über Jahrhunderte entstandene Altstadt (Baarija) berge. Doch es scheint, als seien «schlimme» Vorstellungen nichts Neues. 1984, als der Bosnien-Krieg noch fern und «Die Stadt, die Menschen liebt» der Slogan der Olympischen Winterspiele war, schilderte der NZZ-Korrespondent die mannigfaltigen Sicherheitsvorkehrungen, ehe er mit den Worten schloss: «Nun soll (. . .) nicht die Meinung aufkommen, die Slalomhänge (. . .) seien mit Bajonetten ausgeflaggt.»
[h4]870 Franken mal 3[/h4]
Was vor 23 Jahren für die Skipisten zählte, gilt heute für die Cornerfahnen. Der FC Basel wurde in der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina zwar mit Konsequenz empfangen (zuerst keine Einreise für die ohne Pass angeflogenen Youngsters Cabral und Frei), aber ebenso mit Wohlwollen und Respekt. Die Schweizer gelten am Donnerstag im Uefa-Cup-Hinspiel gegen den Meister FK Sarajevo als Favoriten, was namentlich den Absichten des FCB-Trainers Christian Gross zuwiderläuft, der in der Regel jedes erdenkliche rhetorische Zauberstück anwendet, um dem Gegner die Favoritenrolle zuzuschanzen.





Ein Einheimischer sagt, der FK Sarajevo werde in zwei Wochen in Basel wohl besser spielen, weil der Druck vor eigenem Publikum zu gross sei. Die Fans gelten als launisch, anspruchsvoll und sollen den Matchbesuch überdurchschnittlich stark von den vorhergehenden Leistungen abhängig machen – von den letzten sieben Spielen gewann die Mannschaft keines. Andere statistische Aspekte ersticken die Gross'sche Kommunikations-Magie nicht minder. Dem Vernehmen nach beträgt das Budget Sarajevos 1,5 Millionen Franken; jüngst soll ein Spieler innerhalb des Landes gewechselt haben, weil er am neuen Ort das Dreifache verdient – 2610 statt 870 Franken pro Monat. Aus der Verbandskasse wäre zugunsten der Klubs offenbar der eine oder andere Räppler mehr zu verteilen, doch flössen die Geldströme seit Jahren ungebrochen intransparent – und deshalb wohl eindimensional in Richtung ohnehin gut betuchter Exponenten. Das vermeintlich kleine Budget des FK Sarajevo verunmöglicht auch das Engagement ausländischer Spieler. Im Kader des Trainers Husref Musemic (früher Profi in Belgien) stehen derzeit mit einer Ausnahme bosnische Staatsbürger (Muslime, Serben, Kroaten) – die Ausnahme betrifft einen serbischen Staatsbürger.
Während die FK-Equipe das Abbild der multiethnischen Stadt mit Moscheen, Synagogen, katholischen und orthodoxen Kirchen ist, spiegelt das Niveau der bosnischen Liga den Zerfall des ehemaligen Jugoslawien. In sämtlichen Nachfolgestaaten des sozialistischen Apparates werden Meisterschaften absolviert, was zu einer Provinzialisierung der Ligen geführt und das Niveau gesenkt hat. Die Ideen eines überregionalen Championats (analog der Adria-Liga im Basketball) scheinen unrealistisch, weil der Fussball als Transporteur des Nationalismus weitaus besser dient als alle anderen Sportarten.
[h4]25 Kilometer Autobahn[/h4]
Der FCB-Captain Ivan Ergic, in Jugoslawien aufgewachsen, Anfang der neunziger Jahre geflüchtet und jüngst aus der serbischen Auswahl zurückgetreten, sagte der «NZZ am Sonntag», er streite nicht ab, dass er für Jugoslawien spielen möchte – «wenn es noch existierte». Diese Aussage entspricht der Beobachtung von Südosteuropa-Experten, die eine Tito-Nostalgie orten – wehmütige Erinnerungen an Jugoslawien und dessen ehemaligen Staatspräsidenten (1953 bis 1980). Auch der Handballtrainer Halid Demirovic, ab 1981 in der Schweiz in verschiedenen Vereinen engagiert, momentan Coach des bosnischen Nationalteams, hat schon entsprechende Aussagen gehört – und kann sie nachvollziehen. Es sei schwierig, plötzlich Verantwortung für sich selber zu übernehmen – «früher wurde alles geregelt. Nun muss man umdenken.» Der durchschnittliche Monatslohn der Bosnier soll rund 800 Franken betragen, die Angaben zur Arbeitslosenquote variieren zwischen 25 und 50 Prozent.
Dennoch: Lautstark und mehr oder minder einheitlich wurde die Nostalgie einzig propagiert, als sich Bosnien und Kroatien gemeinsam, aber erfolglos um die Austragung der Euro 2008 bewarben. Sarajevo freilich träumt im Alleingang und immer wieder vom neuerlichen Besuch Olympischer Winterspiele. Als die gelungenen, fürwahr bajonettlosen Spiele 1984 zu Ende waren, schrieb die NZZ: «Ob sie Sarajevo, Bosnien, der Herzegowina und ganz Jugoslawien jene längerfristigen Impulse vermitteln, die man sich erhofft, ist eine andere Frage.»

Die Geschichte hat diese Frage beantwortet. Und gemeinhin heisst es, zum baldigen Wiedersehen mit Olympia gebe es nur dieselbe Antwort: «Nein.» Zu wenig Geld, zu schlechte Infrastruktur. Bosnien-Herzegowina, 51 000 Quadratkilometer gross, hat 25 Autobahnkilometer. Nein, das hätten wir nicht gedacht.
 
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