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Aktion und Reaktion der Kriegsführung

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Gast829627

Guest
Kriegsführung der Moderne ist ein ständiges Wechselspiel auf technologischer und taktischer Ebene.
Lasst uns doch mal gemeinsam die drei Ebenen der Kriegsführung untersuchen.
Im Bereich der See- und der Landkriegsführung nehme ich jeweils ein Beispiel einer Waffengattung, in der Luftkriegsführung soll die gesamte Kampagne des Luftkriegs über Deutschland im 2. WK geprüft werden.


Seekrieg

Im späten 19. Jahrhundert wurde das Torpedoboot erfunden und sofort zum Schrecken der einst unbesiegbaren Schlachtschiffe.
In der Herstellung vielfach billiger als die Königin der Meere.

Überstürzt läutete man das Ende der Schlachtschiff-Ära ein, die Franzosen trieben es am weitesten.
Um der ständigen Unterlegenheit gegenüber der Royal Navy zu entgehen baute man zwischen 1877 und 1903 nicht weniger als 390 "Torpilleurs".
Die Japaner feierten durch Torpedoboote einen glänzenden Erfolg gegen die russische Flotte bei Port Arthur, 1904.

Dennoch spielten Torpedoboote im 1. WK keine Rolle mehr, sie hatten ihren Kulminationspunkt längst überschritten.

Gerade durch ihre Effizienz wurden sie schnell neutralisiert.
Hochgradig effiziente, weil spezialisierte Waffensysteme können vor breit angelegten Gegenmaßnahmen nicht geschützt werden.

Die Gegenmaßnahmen des weit vielseitigeren Schlachtschiffes waren:
- Suchscheinwerfer in Kombination mit Schnellfeuerkanonen
- Metallplatten zur Dämpfung des Aufschlages
- Stahlnetze seitlich des Ankers, um Torpedos in sicherer Entferung zur Detonation zu bringen

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Landkrieg

Von einer Revolution des Bodenkriegs wurde gesprochen, als die ägyptische Infanterie in den Anfangstagen des Oktoberkrieges von 1973 sehr effektive Panzerabwehrraketen gegen israelische Panzer einsetzte.
Die Ablösung der Panzer wurde propagiert. Wie sollten Panzer im Wert von ein paar Millionen Dollar ihre Kosten rechtfertigen, wenn sie leicht durch Raketen zerstört werden konnten, die nur ein paar Tausend kosten?

Es handelte sich im Grunde um die selbe chemische Hafthohlladung, die im 2. WK eingesetzt wurde. Statt die Panzerung mit hoher kinetischer Energie zu durchschlagen, stoßen Hafthohlraumsprengköpfe einen Hochgeschwindigkeitsstrahl von eingedampftem Metall aus, der sich durch die dickste Panzerung brennt.

Im Frieden hätte sich der Glaube an eine Allzweckwaffe Infanterie vielleicht durchgesetzt, doch im Krieg zeigte sich bald, daß sie lediglich zur Hebung der Moral taugten.

Gegenmaßnahmen zur Neutralisierung der Panzerabwehrrakete:
- Panzergruppen
- vorbereitendes Artilleriefeuer
- begleitende mechanisierte Infanterie
- Mörsernebelbomben
- Hochexplosive Geschosse oder Flechette-Munition für Panzer (zur Infanteriebekämpfung)

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Luftkrieg

Der Luftkrieg über Deutschland ist wohl ein Paradebeispiel.

Als der Luftkrieg 1940 begann, waren die Deutschen überzeugt, mit ihrer Kombination aus Jagdfliegern und Luftabwehr, feindliche Bomber abwehren zu können.
Das war ein Irrtum, da die Briten auf Nachtbombardements umstellten, denen die Deutschen nichts entgegen zu setzen hatten. Allein die geringe Effektivität dieser Angriffe bewahrte Deutschland vor einem Debakel.

In England gelangte man nun der linearen Logik folgend zu der Ansicht, man müsse nur genügend Flugzeuge produzieren, um die mangelnde Treffergenauigkeit auszugleichen.
Im Sommer 1942 hatte man es aber wiederum weit schwerer in den deutschen Luftraum einzudringen. Man wurde mit der verspäteten Reaktion auf seine früheren Erfolge konfrontiert.

Inzwischen war die deutsche Flugabwehr entscheidend verbessert worden:
- mehr und besserer Warn- und Ortungsradar
- mehr Flak

Den Briten wurden nicht kompensierbare Verluste zugefügt.
Mai 1942: 114 von 2702 Einsätzen, 256 stark beschädigt.
Juni: 199 von 4801 Einsätzen, 442 beschädigt.
Juli: 171 von 3914, 315 beschädigt.
August: 142 von 2454, 233 beschädigt.
(Alfred Price, "Instruments of Darkness", S. 55 ff.)

Die Deutschen wiederum waren hochzufrieden mit ihren Erfolgen und sahen fortan keinen Grund, mehr Soldaten zur Luftsicherung von den anderen Schauplätzen abzuziehen und Ressourcen zu Verlagern.

Die britische Reaktion traf sie daher natürlich unvorbereitet.
Die Einführung wirksamer elektronischer Gegenmaßnahmen gegen die Radarvorrichtungen am Boden und in der Luft.
Bombenlast Dezember 1942: 2714 t.
Januar 1943: 4345 t
Februar 1943: 10.959
August 1943: 20.149 t

Die deutschen Jagdflieger musste somit wieder auf Sichtaufklärung zurückgreifen. Man konnte nur noch zusehen, als "Windows" (metallische Streifen, die Radarstrahlen reflektieren, heute "chaff" genannt) das deutsche Radar ausschaltete.
Durch die bündelweise abgeworfenen Streifen wurden ganze Bomberformationen simuliert.
Windows ebnete übrigens den Weg zum Feuersturm über Hamburg, der andernfalls kaum durchführbar gewesen wäre.

Im November 1943 glaubten die Briten nur noch an eine ansteigende Erfolgskurve ihrer Luftwaffe als sie Berlin angriffen, daß wie zuvor Hamburg zerstört werden sollte.
Doch die Deutschen hatten Hochfrequenzradargeräte entwickelt als Reaktion auf die vorangehenden Erfolge der Briten.
Diese konnten nicht mehr gestört werden. Ausserdem gingen die Tagflieger mit einer neuen Taktik vor, die das Bodenlicht ausnutzte, man hatte bessere Radars installiert und eine stark verbesserte Methode zur Zielführung für die Abfangjäger.
Die deutsche Flugabwehr war so effektiv geworden, daß nur noch die Frankreich als Operationsgebiet zur Vorbereitung auf D-Day übrig blieb.
 
Das Bombardement Deutschlands durch die Briten wurde provoziert durch die anfänglichen Erfolge der dt. Truppen im Mai 1940. Dt. erntete die ersten paradoxen Früchte seiner schnellen Erfolge, die den Kulminationspunkt noch nicht erreicht hatten, in Form von Luftangriffen. Ab Juni 1940 konnte England nur noch Krieg aus der Luft führen. Die dt. Luftabwehr brachte aber den Bomberverbänden verheerende Verluste bei. Daher musste das Bomber Command nachts fliegen lassen, was zunächst nur Großstädte als Ziele auszuwählen erlaubte.
Der paradoxe Lohn, den die Dt. für den Sieg ihrer Armee und die Effektivität ihrer Jagdflugzeuge und Flak bei Tage erhielten, war die beginnende Zerstörung ihrer Städte.

Die ansteigende Kurve britischer Erfolge in der längsten aller Schlachten des 2. WK. setzte am Tiefpunkt nationalen Scheiterns an. Die Royal Navy hatte sich bis Scapa Flow verkrochen, Armee geschlagen, RAF sogar froh über die versehentliche Bombardierung Londons am 24. August.
In der folgenden Nacht wurde somit Berlin bombardiert.

Da die Dt. zunächst kaum effektiv reagierten und ein Kulminationspunkt weiterhin nicht in Sicht war, legte Charles Portal (Stabschef der RAF) einen Plan zum direkten Sieg allein durch Bombardierung vor.
43 ausgewählte dt. Städte mit mehr als 15 Mio. Menschen sollten mit 6 aufeinanderfolgenden Luftschlägen vernichtet werden.
4000 Flugzeuge sollten dies innerhalb von 6 Monaten bewirken.
Der Zerstörungsgrad wurde nach dem "Aktivitätsindex" festgelegt, den man aufgrund der Statistiken dt. Angriffe auf England festgelegt hatte.
Nach jedem Bombenangriff wurde die Industrieproduktion durch Unterbrechungen in der Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung zurückgeworfen.
Arbeiter blieben aus Angst, Müdigkeit Hunger oder durch die Unterbrechung des öffentlichen Nahverkehrs den Fabriken fern. Eine bestimmte Menge an Bomben pro Bevölkerungseinheit sollte den Aktivitätsindex um einen bestimmten Prozentsatz herunterdrücken (in Coventry fiel er z.B. auf 63 %).
Folge: Erholung, nächster Angriff, Erholung startet von niedrigerem Level usw. bis Index bei 0 angelangt ist.
Eine Tonne Bombenladung auf 800 Einwohner, Toleranzspielraum für Ausfälle und Störfeuer wurde großzügig berechnet (man plante nur mit 25 % Treffern).
Jedes Geschwader (16 Flugzeuge) 100 Starts pro Monat, 3 Tonnen pro Flugzeug. 250 Geschwader für 6 Monate = 4.000 Bomber.

Als klassischer Fall linear-logischen Denkens ging der Plan implizit davon aus, daß die Dt. weder ihre bescheidenen Anstrengungen in der Flugabwehr verstärken noch die Kriegsindustrie verlagern und verteilen würden, obwohl sie systematisch zerstört werden sollte.

Diese Strategie war aus der Verzweiflung geboren. Churchill's Ablehnung des von Hitler angebotenen Friedens 1940 führte zu 93.000 zivilen Opfern Englands. Russland stand kurz vor dem Fall und England drohte zu folgen.
Das Bomberkommando erreichte so auch nie die angepeilten 4.000 Maschinen (auf dem Höhepunkt April 1945 gab es 1609 Bomber).


Die Flaschenhals-Strategie:

Die Bombardierung ab 1943 sah als Ziel nur einen einzigen Industrie-Sektor vor, z.B. Kugellager.
Die US-B17 Bomber wurden als so stark angesehen, daß sie selbst ohne Begleitung bei Tage die Missionen durchführen könnten.
Am 14. Oktober 1943 wurden denn auch die Schweinfurter Kugellagerfabriken angegriffen. Trotz der elf Maschinengewehre der fliegenden Festungen wurden 60 von 376 US-Bomber abgeschossen, 77 von 291 beim zweiten.
Arthur Harris schlug witzelnd vor, man solle doch auch alle Schnürsenkelfabriken bombardieren und die Dt. würden kapitulieren, weil sie ständig ihre Stiefel verlieren.
Die angerichteten Schäden waren zwar beträchtlich, doch die Lagerbestände waren ausreichend groß, um die Schäden unwirksam zu machen.

Die Antwort der Dt. war die Dezentralisierung und Substitution. Langfristig strukturierte man die Wirtschaft zur totalen Kriegswirtschaft um.
Das konnten die Alliierten 1942 unmöglich wissen, da sie diesen Zustand bereits seit 1939 zu haben glaubten. Es schien einfach nicht möglich, daß bis Mitte 1943 die meisten dt. Frauen zu Hause blieben und es noch über eine Million häuslicher Dienstboten gab. Erst nach Stalingrad wurde das allmählich geändert.

Den zunehmenden Bombenabwürfen über Dt. im Jahre 1944 stand daher ein stetig wachsender Umfang der dt. Rüstunsproduktion entgegen.
Und das nicht zufällig: in gewisser Weise trugen die Luftangriffe selbst zur wachsenden Rüstungsproduktion bei, indem sie das soziale Gefüge der ruhigen Friedenstage zerstörten. Restaurants wurden ausgebombt und sehr viel effizientere Kantinen zur einzigen Alternative. Häuser zerstört und Bewohner evakuiert, womit auch die Dienstboten in die Rüstungsproduktion gehen mußten.

Es ist der klassische Fall einer scheinbar entscheidenden, systematisch zum Ziel führenden "linearen" Aktion, die aber durch das Wesen der Strategie nicht nur behindert, sondern teilweise kontraproduktiv wurde.


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Quelle: Edward Luttwak "Strategy"
 
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