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Grasdackel
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Neues Land aus dem Mittelmeer
Es war eine Vision des Friedens in einer unruhigen Zeit: neuer Lebensraum, futuristische Städte, Energie im Überfluss und dauerhafter Frieden für einen ganzen Kontinent. Die Utopie von "Atlantropa" entstand in den 1920er Jahren und sah vor, dass das Mittelmeer teilweise trocken gelegt werden sollte. Ein gigantischer Staudamm sollte die Meerenge von Gibraltar verschließen und so den Wasserzufluss aus dem Atlantik regulieren. Alle anderen Mittelmeerzuflüsse sollten ebenfalls abgeriegelt werden. Ohne den Wasserzufluss würde das Mittelmeer durch Verdunstung langsam austrocknen. Am Ende wäre es um rund 200 Meter abgesenkt. Insgesamt entstünden rund 500.000 Quadratkilometer Neuland, eine Fläche, die so groß ist wie Frankreich und Belgien zusammen.
Europa und Afrika sollten verschmelzen
Was fantastisch klingt, war der ernsthafte Plan des Münchner Architekten Herman Sörgel, der sich "Atlantropa" Mitte der 1920er Jahre ausdachte. Als Sohn eines Wasserbaubeamten war er schon als Jugendlicher von Staudämmen fasziniert. So entsteht sein Plan, das Mittelmeer teilweise trockenzulegen, um neuen Lebensraum und damit Wohlstand zu schaffen - ein gigantisches, technokratisches Friedensprojekt, denn die gemeinsame Arbeit an den gewaltigen Staudämmen soll die Anrainerstaaten des Mittelmeers zusammenschweißen und so für Frieden sorgen. Das ausgetrocknete Meer würde Europa und Afrika zum neuen Kontinent "Atlantropa" vereinen. Nur dieser könnte auf Dauer gegen Amerika und Asien bestehen, davon ist Sörgel überzeugt. Seine Idee fällt in Deutschland nach dem Ende des ersten Weltkriegs auf fruchtbaren Boden, denn Armut und Arbeitslosigkeit machen die Menschen empfänglich für hoffnungsvolle Zukunftsvisionen.
Auch die Energieprobleme wären gelöst
Gemeinsam mit dem Schweizer Ingenieur Bruno Siegwart beginnt Sörgel Ende der 20er Jahre die konkrete Planung des Staudamms in der Meerenge von Gibraltar: Er soll nicht an der schmalsten Stelle entstehen, sondern etwa 30 Kilometer westlich, wo das Meer weniger tief ist. Rund 2,5 Kilometer breit soll das Fundament sein, der Wall von dort aus etwa 300 Meter in die Höhe ragen. Die beiden Techniker veranschlagen eine Zeit von etwa 10 Jahren für ihren Riesenbau, etwa eine Million Arbeiter planen sie ein. Energieprobleme würde der Damm gleich mit lösen: riesige Wasserkraftwerke sollten die angrenzenden Länder mit Strom versorgen.
Keine Chance bei den Nazis
Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 erfährt das Atlantropa-Projekt einen ersten Dämpfer. Denn die Nazis sind von Sörgels international angelegtem Friedensprojekt wenig begeistert. Sörgel passt seine Pläne daraufhin den neuen politischen Gegebenheiten an: Er rückt die Achse Berlin-Rom ins Zentrum und versucht so, sein Atlantropa zu einem faschistischen Friedensprojekt umzuwandeln. Aber die Nazis stehen seinem Vorhaben weiterhin ablehnend gegenüber. Als Sörgel schließlich öffentlich die Rüstungsanstrengungen kritisiert und vor der Kriegsgefahr warnt, durchsucht die Gestapo seine Wohnung. Aus Rücksicht auf seine Frau Irene, eine Halbjüdin, zieht sich der Architekt weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück. Doch insgeheim arbeitet er auch noch während des Krieges weiter an seinem Lebenstraum.
Wasser für Afrika
Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs bietet sich eine neue Chance
Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs sieht Sörgel eine neue Chance und bietet den Alliierten das Projekt in erweiterter Form an: Zusätzlich zur Trockenlegung des Mittelmeers will er in Afrika künstliche Stauseen schaffen. Sie sollen die Besiedelung Afrikas durch die Alliierten erleichtern und ihnen so neue Rohstoffquellen erschließen. Die Alliierten sind anfangs interessiert, lehnen Atlantropa schließlich aber doch ab.
Atomenergie schlägt Atlantropa
Im Schweizer Schriftsteller John Knittel findet Sörgel schließlich einen begeisterten Befürworter seines Projekts. Knittel unterstützt den Münchner Architekten auch finanziell: Mit seiner Hilfe wird ein Werbefilm finanziert. Atlantropa hält sich so zwar in den Schlagzeilen, aber Erfolge bleiben auch dieses Mal aus. Die Entdeckung der Atomkraft für friedliche Zwecke Anfang der 1950er Jahre ist das endgültige Aus für Atlantropa – es erscheint im Vergleich dazu weder wirtschaftlich noch zeitgemäß. Bis ans Ende seines Lebens kämpft Sörgel für seine Vision, doch er ist ein Einzelgänger, der keinen Nachfolger findet. Am 25. Dezember 1952 stirbt er an den Folgen eines bis heute ungeklärten Autounfalls.
Thomas Kresser
Es war eine Vision des Friedens in einer unruhigen Zeit: neuer Lebensraum, futuristische Städte, Energie im Überfluss und dauerhafter Frieden für einen ganzen Kontinent. Die Utopie von "Atlantropa" entstand in den 1920er Jahren und sah vor, dass das Mittelmeer teilweise trocken gelegt werden sollte. Ein gigantischer Staudamm sollte die Meerenge von Gibraltar verschließen und so den Wasserzufluss aus dem Atlantik regulieren. Alle anderen Mittelmeerzuflüsse sollten ebenfalls abgeriegelt werden. Ohne den Wasserzufluss würde das Mittelmeer durch Verdunstung langsam austrocknen. Am Ende wäre es um rund 200 Meter abgesenkt. Insgesamt entstünden rund 500.000 Quadratkilometer Neuland, eine Fläche, die so groß ist wie Frankreich und Belgien zusammen.
Europa und Afrika sollten verschmelzen
Was fantastisch klingt, war der ernsthafte Plan des Münchner Architekten Herman Sörgel, der sich "Atlantropa" Mitte der 1920er Jahre ausdachte. Als Sohn eines Wasserbaubeamten war er schon als Jugendlicher von Staudämmen fasziniert. So entsteht sein Plan, das Mittelmeer teilweise trockenzulegen, um neuen Lebensraum und damit Wohlstand zu schaffen - ein gigantisches, technokratisches Friedensprojekt, denn die gemeinsame Arbeit an den gewaltigen Staudämmen soll die Anrainerstaaten des Mittelmeers zusammenschweißen und so für Frieden sorgen. Das ausgetrocknete Meer würde Europa und Afrika zum neuen Kontinent "Atlantropa" vereinen. Nur dieser könnte auf Dauer gegen Amerika und Asien bestehen, davon ist Sörgel überzeugt. Seine Idee fällt in Deutschland nach dem Ende des ersten Weltkriegs auf fruchtbaren Boden, denn Armut und Arbeitslosigkeit machen die Menschen empfänglich für hoffnungsvolle Zukunftsvisionen.
Auch die Energieprobleme wären gelöst
Gemeinsam mit dem Schweizer Ingenieur Bruno Siegwart beginnt Sörgel Ende der 20er Jahre die konkrete Planung des Staudamms in der Meerenge von Gibraltar: Er soll nicht an der schmalsten Stelle entstehen, sondern etwa 30 Kilometer westlich, wo das Meer weniger tief ist. Rund 2,5 Kilometer breit soll das Fundament sein, der Wall von dort aus etwa 300 Meter in die Höhe ragen. Die beiden Techniker veranschlagen eine Zeit von etwa 10 Jahren für ihren Riesenbau, etwa eine Million Arbeiter planen sie ein. Energieprobleme würde der Damm gleich mit lösen: riesige Wasserkraftwerke sollten die angrenzenden Länder mit Strom versorgen.
Keine Chance bei den Nazis
Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 erfährt das Atlantropa-Projekt einen ersten Dämpfer. Denn die Nazis sind von Sörgels international angelegtem Friedensprojekt wenig begeistert. Sörgel passt seine Pläne daraufhin den neuen politischen Gegebenheiten an: Er rückt die Achse Berlin-Rom ins Zentrum und versucht so, sein Atlantropa zu einem faschistischen Friedensprojekt umzuwandeln. Aber die Nazis stehen seinem Vorhaben weiterhin ablehnend gegenüber. Als Sörgel schließlich öffentlich die Rüstungsanstrengungen kritisiert und vor der Kriegsgefahr warnt, durchsucht die Gestapo seine Wohnung. Aus Rücksicht auf seine Frau Irene, eine Halbjüdin, zieht sich der Architekt weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück. Doch insgeheim arbeitet er auch noch während des Krieges weiter an seinem Lebenstraum.
Wasser für Afrika
Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs bietet sich eine neue Chance
Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs sieht Sörgel eine neue Chance und bietet den Alliierten das Projekt in erweiterter Form an: Zusätzlich zur Trockenlegung des Mittelmeers will er in Afrika künstliche Stauseen schaffen. Sie sollen die Besiedelung Afrikas durch die Alliierten erleichtern und ihnen so neue Rohstoffquellen erschließen. Die Alliierten sind anfangs interessiert, lehnen Atlantropa schließlich aber doch ab.
Atomenergie schlägt Atlantropa
Im Schweizer Schriftsteller John Knittel findet Sörgel schließlich einen begeisterten Befürworter seines Projekts. Knittel unterstützt den Münchner Architekten auch finanziell: Mit seiner Hilfe wird ein Werbefilm finanziert. Atlantropa hält sich so zwar in den Schlagzeilen, aber Erfolge bleiben auch dieses Mal aus. Die Entdeckung der Atomkraft für friedliche Zwecke Anfang der 1950er Jahre ist das endgültige Aus für Atlantropa – es erscheint im Vergleich dazu weder wirtschaftlich noch zeitgemäß. Bis ans Ende seines Lebens kämpft Sörgel für seine Vision, doch er ist ein Einzelgänger, der keinen Nachfolger findet. Am 25. Dezember 1952 stirbt er an den Folgen eines bis heute ungeklärten Autounfalls.
Thomas Kresser