Krajisnik
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Antisemitische Schmierereien und Übergriffe verunsichern die jüdische Gemeinde in Serbien. Die serbisch-orthodoxe Kirche und die größte Parlamentsfraktion halten sich mit Verurteilungen zurück. von boris kanzleiter, belgrad
Als der Soziologe Laslo Sekelj 1997 einen Artikel über »Antisemitismus und jüdische Identität in Serbien« schrieb, kam er zu einem beruhigenden Schluss. Antisemitismus spiele in Serbien nur eine »marginale« Rolle, schrieb der mittlerweile verstorbene ausgewiesene Kenner jüdischen Lebens im ehemaligen Jugoslawien.
Im Gegensatz zu Kroatien, wo im Zuge der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung zu Beginn der neunziger Jahre der Antisemitismus hoffähig wurde – auch der damalige Regierungschef Franjo Tudjman tat sich mit derartigen Äußerungen hervor –, galt in Serbien Judenfeindschaft nicht als erwünscht. Intellektuelle gründeten sogar eine serbisch-jüdische Freundschaftsgesellschaft, die in Abgrenzung zum kroatischen Nationalismus auf das gemeinsame Leiden und die Ermordung von Serben und Juden in den von kroatischen Faschisten und deutschen Besatzungstruppen betriebenen Vernichtungslagern im Zweiten Weltkrieg hinwies.
Diese Zeiten sind inzwischen vorbei. Wie Aleksandar Lebl von der jüdischen Gemeinde in Belgrad berichtet, ist die nur 3 000 Mitglieder zählende Gemeinde in Serbien und Montenegro das neue Angriffsziel der nationalistischen Rechten. Bereits im Februar beklagte er auf einer Pressekonferenz, dass sich antisemitische Vorfälle in den vergangenen Monaten häuften. »Neben Geschmiere wie ›Tod den Juden‹ und Ähnlichem, Briefen mit Todesdrohungen und antisemitischen Texten in den Medien wird momentan besonders viel antisemitische Literatur veröffentlicht.«
In Umkehrung des gescheiterten Versuchs am Anfang der neunziger Jahre, Juden für die serbische Sache zu instrumentalisieren, werden sie heute als Fünfte Kolonne der angeblich amerikanisch kontrollierten »Neuen Weltordnung« halluziniert, die aus dem Westen dirigiert werde. Bisheriger Höhepunkt war eine offensichtlich gut organisierte Propagandaaktion in der Nacht vom 21. zum 22. März.
»Wir wollen Freiheit, kein jüdisches Joch«, wurde u.a. an die Mauer des jüdischen Friedhofes in der Belgrader Innenstadt gesprüht. Mit der Parole »Leistet Widerstand gegen die zionistische Okkupation des 5. Oktober!« setzten die Antisemiten die Mitglieder der jüdischen Gemeinde mit den aus dem Westen unterstützten ehemaligen Oppositionskräften gleich, die am 5. Oktober 2000 den Sturz von Präsident Slobodan Milosevic erzwangen.
Zugleich wurde eine Reihe »prowestlicher« Medien, Kultureinrichtungen und Menschenrechtsgruppen als »jüdisch« markiert. So prangten an den Büros des Helsinki-Komitees für Menschenrechte und des Fonds für humanitäres Recht sowie an dem Gebäude des Radio- und Fernsehsenders B92 antisemitische Parolen. Im Zentrum wurden außerdem einige hundert Plakate verklebt, die zum Boykott des Senders aufrufen, der unter anderem bezichtigt wird, »Drogen und Homosexualität« zu propagieren sowie eine »multirassische neue Weltordnung« zu unterstützen. Die Plakate wurden gleichzeitig an zentralen Plätzen angebracht, auch direkt neben einer Polizeiwache und auf dem Platz der Republik.
Vor allem die Reaktionen auf die Schmierereien machten deutlich, wie besorgniserregend die Situation inzwischen ist. Zwar zeigte sich ein erheblicher Teil der Öffentlichkeit schockiert, Präsident Boris Tadic verurteilte die antisemitische Kampagne und nannte die Slogans immerhin einen »indirekten Aufruf zum Lynchen«. Aber zwei der mächtigsten Organisationen im Land hüllten sich in Schweigen, obwohl sie zu Stellungnahmen aufgefordert wurden. Die einflussreiche serbische orthodoxe Kirche benötigte zweieinhalb lange Tage, bis sie eine Verurteilung verbreiten ließ. Die Serbische Radikale Partei (SRS), die bei Umfragen konstant auf Platz eins in der Wählergunst liegt und die größte Parlamentsfraktion stellt, reagierte überhaupt nicht.
Obwohl die Synode der Kirche die Übergriffe schließlich »bedingungslos« und scharf verurteilte, führen Kritiker wie der bekannte Schriftsteller Filip David das lange Zögern auf den erheblichen Einfluss klerikalfaschistischer Kreise zurück. David weist darauf hin, dass in der Kirche in den vergangenen Jahren erfolgreich an der Rehabilitierung des antisemitischen Bischofs Nikolaji Velimirovic gearbeitet wurde. Der 1956 im US-amerikanischen Exil gestorbene Geistliche erklärte in seiner antimodernen Theologie die einfachen serbischen Bauern zu idealen Christen. »Die Juden« dagegen hätten »Demokratie, Streiks, Sozialismus, Atheismus, Toleranz des Glaubens, Pazifismus, Revolution, Kapitalismus und Kommunismus« erfunden, um »die Christen zu vernichten«, verkündete Velimirovic. Die Gebeine des Bischofs wurden 1991 nach Belgrad überführt, wo er vom Klerus der serbisch-orthodoxen Kirche heilig gesprochen wurde. Zum Kreis seiner zahlreichen Verehrer gehören antisemitische Verlage wie »IHTUS – Christliche Bücher« mit Sitz in Belgrad, der gut verkaufte Publikationen wie »Die Serben in den Klauen der Juden« oder »Jüdische Ritualmorde« herausgibt.
Auch das Schweigen der Serbischen Radikalen Partei ist kein Zufall. Mit ihrer ideologischen »Mischung aus Chomsky und Le Pen«, wie die SRS-Bürgermeisterin von Novi Sad, Maja Gojkovic, die politische Ausrichtung der Partei treffend beschreibt, propagiert sie ein krudes antiimperialistisch-ethnonationalistisches Weltbild, das leicht antisemitisch aufladbar ist. In der Propaganda der Partei gilt das »serbische Volk« als Opfer übermächtiger ausländischer Verschwörungen und bezahlter inländischer Verräter. Menschenrechtsorganisationen und B92 werden von der Partei immer wieder als Hauptfeinde im Innern benannt. Bereits vor elf Jahren publizierte die heute von antiimperialistischen Linken umworbene Partei das Pamphlet »Die Protokolle der Weisen von Zion« als Beilage ihrer Zeitschrift Velika Srbija (Großserbien).
Derzeit agieren die radikalen Nationalisten des als Kriegsverbrecher angeklagten Parteichefs Vojislav Seselj zwar nicht offen antisemitisch. Dafür aber sind wohl nicht zuletzt taktische Gründe verantwortlich. Die SRS erhofft sich die Beteiligung an einer Regierungskoalition mit der Demokratischen Partei Serbiens von Premierminister Vojislav Kostunica.
Der Präsident der Jüdischen Gemeinde, Aca Singer, erklärt, die Drohungen hätten vor allem seit dem Nato-Angriff 1999 und dem Sturz Milosevics zugenommen. »Uns wird die Schuld für das Auseinanderbrechen Jugoslawiens, das Nato-Bombardement und den 5. Oktober zugeschoben«, sagt der 82jährige Auschwitz-Überlebende und fügt hinzu: »Dabei hat uns Juden der Zusammenbruch Jugoslawiens sehr getroffen.« Tatsächlich fanden in dem sozialistischen Staat Gedenkveranstaltungen für die ermordeten jugoslawischen Juden statt: Die jüdische Gemeinde war von den deutschen Besatzern und ihren lokalen Hilfstruppen fast vollständig vernichtet worden.
Welchen Stellenwert die Erinnerung an den Holocaust dagegen heute einnimmt, machte der Staatspräsident von Serbien und Montenegro, Svetozar Marovic, deutlich. Er sagte seine Teilnahme an der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz wegen einer »Erkältung« ab. Das hinderte ihn freilich nicht daran, am selben Tag in einer Fernsehtalkshow flache Witzchen zu reißen.
http://www.jungle-world.com/seiten/2005/14/5247.php
Als der Soziologe Laslo Sekelj 1997 einen Artikel über »Antisemitismus und jüdische Identität in Serbien« schrieb, kam er zu einem beruhigenden Schluss. Antisemitismus spiele in Serbien nur eine »marginale« Rolle, schrieb der mittlerweile verstorbene ausgewiesene Kenner jüdischen Lebens im ehemaligen Jugoslawien.
Im Gegensatz zu Kroatien, wo im Zuge der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung zu Beginn der neunziger Jahre der Antisemitismus hoffähig wurde – auch der damalige Regierungschef Franjo Tudjman tat sich mit derartigen Äußerungen hervor –, galt in Serbien Judenfeindschaft nicht als erwünscht. Intellektuelle gründeten sogar eine serbisch-jüdische Freundschaftsgesellschaft, die in Abgrenzung zum kroatischen Nationalismus auf das gemeinsame Leiden und die Ermordung von Serben und Juden in den von kroatischen Faschisten und deutschen Besatzungstruppen betriebenen Vernichtungslagern im Zweiten Weltkrieg hinwies.
Diese Zeiten sind inzwischen vorbei. Wie Aleksandar Lebl von der jüdischen Gemeinde in Belgrad berichtet, ist die nur 3 000 Mitglieder zählende Gemeinde in Serbien und Montenegro das neue Angriffsziel der nationalistischen Rechten. Bereits im Februar beklagte er auf einer Pressekonferenz, dass sich antisemitische Vorfälle in den vergangenen Monaten häuften. »Neben Geschmiere wie ›Tod den Juden‹ und Ähnlichem, Briefen mit Todesdrohungen und antisemitischen Texten in den Medien wird momentan besonders viel antisemitische Literatur veröffentlicht.«
In Umkehrung des gescheiterten Versuchs am Anfang der neunziger Jahre, Juden für die serbische Sache zu instrumentalisieren, werden sie heute als Fünfte Kolonne der angeblich amerikanisch kontrollierten »Neuen Weltordnung« halluziniert, die aus dem Westen dirigiert werde. Bisheriger Höhepunkt war eine offensichtlich gut organisierte Propagandaaktion in der Nacht vom 21. zum 22. März.
»Wir wollen Freiheit, kein jüdisches Joch«, wurde u.a. an die Mauer des jüdischen Friedhofes in der Belgrader Innenstadt gesprüht. Mit der Parole »Leistet Widerstand gegen die zionistische Okkupation des 5. Oktober!« setzten die Antisemiten die Mitglieder der jüdischen Gemeinde mit den aus dem Westen unterstützten ehemaligen Oppositionskräften gleich, die am 5. Oktober 2000 den Sturz von Präsident Slobodan Milosevic erzwangen.
Zugleich wurde eine Reihe »prowestlicher« Medien, Kultureinrichtungen und Menschenrechtsgruppen als »jüdisch« markiert. So prangten an den Büros des Helsinki-Komitees für Menschenrechte und des Fonds für humanitäres Recht sowie an dem Gebäude des Radio- und Fernsehsenders B92 antisemitische Parolen. Im Zentrum wurden außerdem einige hundert Plakate verklebt, die zum Boykott des Senders aufrufen, der unter anderem bezichtigt wird, »Drogen und Homosexualität« zu propagieren sowie eine »multirassische neue Weltordnung« zu unterstützen. Die Plakate wurden gleichzeitig an zentralen Plätzen angebracht, auch direkt neben einer Polizeiwache und auf dem Platz der Republik.
Vor allem die Reaktionen auf die Schmierereien machten deutlich, wie besorgniserregend die Situation inzwischen ist. Zwar zeigte sich ein erheblicher Teil der Öffentlichkeit schockiert, Präsident Boris Tadic verurteilte die antisemitische Kampagne und nannte die Slogans immerhin einen »indirekten Aufruf zum Lynchen«. Aber zwei der mächtigsten Organisationen im Land hüllten sich in Schweigen, obwohl sie zu Stellungnahmen aufgefordert wurden. Die einflussreiche serbische orthodoxe Kirche benötigte zweieinhalb lange Tage, bis sie eine Verurteilung verbreiten ließ. Die Serbische Radikale Partei (SRS), die bei Umfragen konstant auf Platz eins in der Wählergunst liegt und die größte Parlamentsfraktion stellt, reagierte überhaupt nicht.
Obwohl die Synode der Kirche die Übergriffe schließlich »bedingungslos« und scharf verurteilte, führen Kritiker wie der bekannte Schriftsteller Filip David das lange Zögern auf den erheblichen Einfluss klerikalfaschistischer Kreise zurück. David weist darauf hin, dass in der Kirche in den vergangenen Jahren erfolgreich an der Rehabilitierung des antisemitischen Bischofs Nikolaji Velimirovic gearbeitet wurde. Der 1956 im US-amerikanischen Exil gestorbene Geistliche erklärte in seiner antimodernen Theologie die einfachen serbischen Bauern zu idealen Christen. »Die Juden« dagegen hätten »Demokratie, Streiks, Sozialismus, Atheismus, Toleranz des Glaubens, Pazifismus, Revolution, Kapitalismus und Kommunismus« erfunden, um »die Christen zu vernichten«, verkündete Velimirovic. Die Gebeine des Bischofs wurden 1991 nach Belgrad überführt, wo er vom Klerus der serbisch-orthodoxen Kirche heilig gesprochen wurde. Zum Kreis seiner zahlreichen Verehrer gehören antisemitische Verlage wie »IHTUS – Christliche Bücher« mit Sitz in Belgrad, der gut verkaufte Publikationen wie »Die Serben in den Klauen der Juden« oder »Jüdische Ritualmorde« herausgibt.
Auch das Schweigen der Serbischen Radikalen Partei ist kein Zufall. Mit ihrer ideologischen »Mischung aus Chomsky und Le Pen«, wie die SRS-Bürgermeisterin von Novi Sad, Maja Gojkovic, die politische Ausrichtung der Partei treffend beschreibt, propagiert sie ein krudes antiimperialistisch-ethnonationalistisches Weltbild, das leicht antisemitisch aufladbar ist. In der Propaganda der Partei gilt das »serbische Volk« als Opfer übermächtiger ausländischer Verschwörungen und bezahlter inländischer Verräter. Menschenrechtsorganisationen und B92 werden von der Partei immer wieder als Hauptfeinde im Innern benannt. Bereits vor elf Jahren publizierte die heute von antiimperialistischen Linken umworbene Partei das Pamphlet »Die Protokolle der Weisen von Zion« als Beilage ihrer Zeitschrift Velika Srbija (Großserbien).
Derzeit agieren die radikalen Nationalisten des als Kriegsverbrecher angeklagten Parteichefs Vojislav Seselj zwar nicht offen antisemitisch. Dafür aber sind wohl nicht zuletzt taktische Gründe verantwortlich. Die SRS erhofft sich die Beteiligung an einer Regierungskoalition mit der Demokratischen Partei Serbiens von Premierminister Vojislav Kostunica.
Der Präsident der Jüdischen Gemeinde, Aca Singer, erklärt, die Drohungen hätten vor allem seit dem Nato-Angriff 1999 und dem Sturz Milosevics zugenommen. »Uns wird die Schuld für das Auseinanderbrechen Jugoslawiens, das Nato-Bombardement und den 5. Oktober zugeschoben«, sagt der 82jährige Auschwitz-Überlebende und fügt hinzu: »Dabei hat uns Juden der Zusammenbruch Jugoslawiens sehr getroffen.« Tatsächlich fanden in dem sozialistischen Staat Gedenkveranstaltungen für die ermordeten jugoslawischen Juden statt: Die jüdische Gemeinde war von den deutschen Besatzern und ihren lokalen Hilfstruppen fast vollständig vernichtet worden.
Welchen Stellenwert die Erinnerung an den Holocaust dagegen heute einnimmt, machte der Staatspräsident von Serbien und Montenegro, Svetozar Marovic, deutlich. Er sagte seine Teilnahme an der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz wegen einer »Erkältung« ab. Das hinderte ihn freilich nicht daran, am selben Tag in einer Fernsehtalkshow flache Witzchen zu reißen.
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