Krajisnik
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11. März 2005, Neue Zürcher Zeitung
Aus eins mach fünf
Das Filmschaffen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien
Jugoslawien hatte eine beachtenswerte Filmproduktion. Der Krieg zerstörte das meiste, was einer Kultur Leben und Boden gibt. Heute finden sich am gleichen Ort fünf Staaten. Sie versuchen auf jeweils andere Art, ihrer Filmproduktion auf die Beine zu helfen. Eine knappe Standortbestimmung, zehn Jahre nach dem Dayton-Abkommen.
Spätestens mit «No Man's Land» von Danis Tanovic, einer slowenisch-bosnischen Koproduktion, wurde 2001 der westlichen Welt ins Bewusstsein gerufen, dass sich im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ein neues Filmschaffen herausgebildet hat. Der spezifische Wahnsinn eines modernen Krieges auf Balkanart, den die schwarze Komödie vorführt, kam zu Festivalehren und gelangte in die Kinos Europas. Seither ist jedoch wenig aus dieser Ecke der Welt zu hören, nicht weil dort keine Filme produziert würden, sondern weil sich in einer um Aufmerksamkeit konkurrierenden Medienöffentlichkeit mit dem Krieg auch das Skandalpotenzial verbraucht hat.
Slowenien, der Koproduktionspartner
Slowenien, dem eine Mentalität nachgesagt wird, die eher zu seinen nördlichen als zu seinen südlichen Nachbarn passt, hatte sich rechtzeitig abgesetzt. Es wurde als einziger der ehemaligen Gliedstaaten Jugoslawiens nicht in den Krieg hineingezogen. Iztok Polanc von der Slowenischen Filmförderung betont im Gespräch, dass die Filmsituation in Slowenien nicht anders aussehe als sonst in Europa. Es gebe keine politische Einflussnahme, nur eine finanzielle. Obwohl man sich der Kraft der filmischen Bilder im Kulturministerium durchaus bewusst sei, werde in alle andern kulturellen Bereiche mehr Geld investiert als in den Film. Dennoch steht der slowenische Film finanziell besser da als derjenige der meisten Nachbarstaaten. Die Filmstudios wurden nicht zerstört, so dass sie heute an Filmschaffende der angrenzenden Länder vermietet werden können.
Slowenien ist vor allem als Koproduktionspartner aktiv, indem es Infrastruktur zur Verfügung stellt. Ein typisches Beispiel ist die 2003 entstandene Komödie «Käse und Marmelade» («Kajmak i marmelada») von Branko Djuric. Der populäre Bosnier wurde vor allem durch Filme aus Serbien-Montenegro bekannt. Wegen seiner slowenischen Frau kam er nach Slowenien. In seinem Film thematisiert er die unterschiedliche Mentalität von Bosniern und Slowenen, die etwa so gut zusammenpassen wie Käse und Marmelade. Trotz seiner beissenden Kritik schlug der Film beim Publikum ein und gilt heute als der erfolgreichste slowenische Film. Dominierend an den Kinokassen ist jedoch Hollywood.
In Kroatien gibt es Geld vom Staat
Solche Bedürfnisse des Publikums kümmerten die Ministerien in Kroatien, die das Geld für Filme bereitstellen, kaum, sagt der Regisseur Arsen Anton Ostojic. Kroatien ist das einzige Land des ehemaligen Jugoslawien, das seine Filme allein mit staatlicher Unterstützung finanzieren kann. Die Produktion hat seit 1995 angezogen. Zuvor wurden hauptsächlich historische Filme mit Bildungsanspruch produziert, die niemand sehen wollte. Die junge Generation wandte sich prompt dem amerikanischen Kino zu, und der kroatische Film hatte das Nachsehen. In den letzten Jahren hat man versucht, den Zug, der bereits abgefahren schien, einzuholen. Jährlich werden fünf bis sieben Filme produziert, die mindestens 10 000 Kinoeintritte erzielen. Vinko Bresans Kriegskomödien «Wie der Krieg auf meiner Insel begann» («Kako je poceo rat na mom otoku», 1996) und «Marschall Titos Geist» («Marsal», 1999) wurden auf internationalen Festivals mit Preisen ausgezeichnet und kamen auch beim Kinopublikum recht gut an.
Teenagerkomödien in Serbien-Montenegro
Mag bei Kroatiens Filmproduktion die staatliche Unterstützung im Vordergrund stehen, in Serbien-Montenegro ist das Gegenteil der Fall. Hier gibt es kaum Geld vom Staat, meint der junge Filmemacher Boris Mitic, vielmehr erhofft man sich dieses von der Mitgliedschaft bei Eurimage. Zurzeit werden in Belgrad mit Hilfe von Sponsoring und in Koproduktion mit dem Fernsehen vor allem Teenagerkomödien produziert, die sämtliche Zuschauerrekorde brechen. Sie figurieren auf der Beliebtheitsskala noch vor den US- Produktionen. Sie werden auch nach allen Regeln amerikanischer Werbekunst vermarktet. Daneben gibt es viele junge Regisseure, die schon einige beachtenswerte Kurzfilme realisiert haben, aber das Geld für ihren ersten Spielfilm nicht auftreiben können. Ein Staatsfonds gibt maximal 10 000 Euro für Dokumentarfilme, Spielfilme können nur ältere, gestandene Regisseure realisieren. Es fehlt nicht nur an Geld für die Produktion, sondern auch für die Promotion der Filme, sagt Mitic, der kulturelle Administrationsapparat verschlucke einfach zu viel. Mitic selbst hat 2003 seinen Dokumentarfilm «Schöne Dyana» («Ljepa Dyana») aus eigenen Mitteln finanziert. Darin porträtiert er Sinti und Roma aus der Nachbarschaft, die am Rande Belgrads alte Citroëns ausweiden, daraus kleine Laster basteln, mit denen sie die wiederverwertbaren Abfälle einsammeln, und sich so ihren Lebensunterhalt verdienen.
Bosnien-Herzegowina - es fehlt an vielem
Auch in Bosnien-Herzegowina werden die einheimischen Filme gegenüber den ausländischen bevorzugt. Laut Amer Berbegovic zieht das Publikum selbst Filme aus den Nachbarstaaten denjenigen aus Hollywood vor. Darum hat das Filmfestival von Sarajewo die Filme aus der Region zum Hauptprogramm erkoren. Entstanden ist das Festival noch während des Krieges, dank Schweizer Unterstützung. Amer Berbegovic ist einer seiner Initianten. Er will nicht nur auf die Filme aus der weiteren Region Südosteuropas aufmerksam machen, sondern auch den Filmschaffenden und Geldgebern eine Plattform für Kontakte bieten. Die Produktionsbedingungen sind hier alles andere als rosig. Zwar gibt es einen winzigen Fonds für Kinematographie, doch ist das einheimische Filmschaffen auf die nationalen und regionalen Fernsehsender angewiesen, die Geld, Technik oder Promotion beisteuern. Zurzeit sind zehn Projekte in Vorbereitung. Sie alle suchen noch Koproduktionspartner. Es fehlt nicht nur an Geld, sondern auch an Technik, Equipment, Studios, Postproduktionsmöglichkeiten. Insofern ist jeder gelungene bosnische Film - nicht nur «No Man's Land» - ein kleines Wunder.
Makedonien - bei null anfangen
Makedonien hat noch weniger. Es hat weder Produktionsstätten noch Festivals. Das Kulturministerium stellt jedoch pro Projekt, das zustande kommt, zwischen einer halben und einer Million Euro zur Verfügung. In jüngster Zeit sorgen die Geschwister Mitevski für Aufsehen. Teona Strugar Mitevska besuchte nach ihrer Kunstausbildung in Skopje die Tisch Film School in New York. 2003 realisierte sie ihren ersten Spielfilm «Wie ich den Heiligen tötete» («Kako ubiv svetec»). Die Hauptrolle darin spielt ihre Schwester Labina Mitevska, für die Ausstattung ist der Bruder Vuk Mitevski verantwortlich. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, die aus den USA nach Hause zurückkehrt und ihren Bruder in dubiose Geschäfte verwickelt vorfindet. Er möchte die Welt verändern, weiss aber nicht wie. Die Schwester vermag ihm nicht zu helfen. Der ganze Film strahlt eine bedrückte Stimmung aus, die diffuse Erwartung eines möglichen Kriegs, der nie ausbricht, latent jedoch längst stattfindet.
Sascha Badanjak
Aus eins mach fünf
Das Filmschaffen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien
Jugoslawien hatte eine beachtenswerte Filmproduktion. Der Krieg zerstörte das meiste, was einer Kultur Leben und Boden gibt. Heute finden sich am gleichen Ort fünf Staaten. Sie versuchen auf jeweils andere Art, ihrer Filmproduktion auf die Beine zu helfen. Eine knappe Standortbestimmung, zehn Jahre nach dem Dayton-Abkommen.
Spätestens mit «No Man's Land» von Danis Tanovic, einer slowenisch-bosnischen Koproduktion, wurde 2001 der westlichen Welt ins Bewusstsein gerufen, dass sich im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ein neues Filmschaffen herausgebildet hat. Der spezifische Wahnsinn eines modernen Krieges auf Balkanart, den die schwarze Komödie vorführt, kam zu Festivalehren und gelangte in die Kinos Europas. Seither ist jedoch wenig aus dieser Ecke der Welt zu hören, nicht weil dort keine Filme produziert würden, sondern weil sich in einer um Aufmerksamkeit konkurrierenden Medienöffentlichkeit mit dem Krieg auch das Skandalpotenzial verbraucht hat.
Slowenien, der Koproduktionspartner
Slowenien, dem eine Mentalität nachgesagt wird, die eher zu seinen nördlichen als zu seinen südlichen Nachbarn passt, hatte sich rechtzeitig abgesetzt. Es wurde als einziger der ehemaligen Gliedstaaten Jugoslawiens nicht in den Krieg hineingezogen. Iztok Polanc von der Slowenischen Filmförderung betont im Gespräch, dass die Filmsituation in Slowenien nicht anders aussehe als sonst in Europa. Es gebe keine politische Einflussnahme, nur eine finanzielle. Obwohl man sich der Kraft der filmischen Bilder im Kulturministerium durchaus bewusst sei, werde in alle andern kulturellen Bereiche mehr Geld investiert als in den Film. Dennoch steht der slowenische Film finanziell besser da als derjenige der meisten Nachbarstaaten. Die Filmstudios wurden nicht zerstört, so dass sie heute an Filmschaffende der angrenzenden Länder vermietet werden können.
Slowenien ist vor allem als Koproduktionspartner aktiv, indem es Infrastruktur zur Verfügung stellt. Ein typisches Beispiel ist die 2003 entstandene Komödie «Käse und Marmelade» («Kajmak i marmelada») von Branko Djuric. Der populäre Bosnier wurde vor allem durch Filme aus Serbien-Montenegro bekannt. Wegen seiner slowenischen Frau kam er nach Slowenien. In seinem Film thematisiert er die unterschiedliche Mentalität von Bosniern und Slowenen, die etwa so gut zusammenpassen wie Käse und Marmelade. Trotz seiner beissenden Kritik schlug der Film beim Publikum ein und gilt heute als der erfolgreichste slowenische Film. Dominierend an den Kinokassen ist jedoch Hollywood.
In Kroatien gibt es Geld vom Staat
Solche Bedürfnisse des Publikums kümmerten die Ministerien in Kroatien, die das Geld für Filme bereitstellen, kaum, sagt der Regisseur Arsen Anton Ostojic. Kroatien ist das einzige Land des ehemaligen Jugoslawien, das seine Filme allein mit staatlicher Unterstützung finanzieren kann. Die Produktion hat seit 1995 angezogen. Zuvor wurden hauptsächlich historische Filme mit Bildungsanspruch produziert, die niemand sehen wollte. Die junge Generation wandte sich prompt dem amerikanischen Kino zu, und der kroatische Film hatte das Nachsehen. In den letzten Jahren hat man versucht, den Zug, der bereits abgefahren schien, einzuholen. Jährlich werden fünf bis sieben Filme produziert, die mindestens 10 000 Kinoeintritte erzielen. Vinko Bresans Kriegskomödien «Wie der Krieg auf meiner Insel begann» («Kako je poceo rat na mom otoku», 1996) und «Marschall Titos Geist» («Marsal», 1999) wurden auf internationalen Festivals mit Preisen ausgezeichnet und kamen auch beim Kinopublikum recht gut an.
Teenagerkomödien in Serbien-Montenegro
Mag bei Kroatiens Filmproduktion die staatliche Unterstützung im Vordergrund stehen, in Serbien-Montenegro ist das Gegenteil der Fall. Hier gibt es kaum Geld vom Staat, meint der junge Filmemacher Boris Mitic, vielmehr erhofft man sich dieses von der Mitgliedschaft bei Eurimage. Zurzeit werden in Belgrad mit Hilfe von Sponsoring und in Koproduktion mit dem Fernsehen vor allem Teenagerkomödien produziert, die sämtliche Zuschauerrekorde brechen. Sie figurieren auf der Beliebtheitsskala noch vor den US- Produktionen. Sie werden auch nach allen Regeln amerikanischer Werbekunst vermarktet. Daneben gibt es viele junge Regisseure, die schon einige beachtenswerte Kurzfilme realisiert haben, aber das Geld für ihren ersten Spielfilm nicht auftreiben können. Ein Staatsfonds gibt maximal 10 000 Euro für Dokumentarfilme, Spielfilme können nur ältere, gestandene Regisseure realisieren. Es fehlt nicht nur an Geld für die Produktion, sondern auch für die Promotion der Filme, sagt Mitic, der kulturelle Administrationsapparat verschlucke einfach zu viel. Mitic selbst hat 2003 seinen Dokumentarfilm «Schöne Dyana» («Ljepa Dyana») aus eigenen Mitteln finanziert. Darin porträtiert er Sinti und Roma aus der Nachbarschaft, die am Rande Belgrads alte Citroëns ausweiden, daraus kleine Laster basteln, mit denen sie die wiederverwertbaren Abfälle einsammeln, und sich so ihren Lebensunterhalt verdienen.
Bosnien-Herzegowina - es fehlt an vielem
Auch in Bosnien-Herzegowina werden die einheimischen Filme gegenüber den ausländischen bevorzugt. Laut Amer Berbegovic zieht das Publikum selbst Filme aus den Nachbarstaaten denjenigen aus Hollywood vor. Darum hat das Filmfestival von Sarajewo die Filme aus der Region zum Hauptprogramm erkoren. Entstanden ist das Festival noch während des Krieges, dank Schweizer Unterstützung. Amer Berbegovic ist einer seiner Initianten. Er will nicht nur auf die Filme aus der weiteren Region Südosteuropas aufmerksam machen, sondern auch den Filmschaffenden und Geldgebern eine Plattform für Kontakte bieten. Die Produktionsbedingungen sind hier alles andere als rosig. Zwar gibt es einen winzigen Fonds für Kinematographie, doch ist das einheimische Filmschaffen auf die nationalen und regionalen Fernsehsender angewiesen, die Geld, Technik oder Promotion beisteuern. Zurzeit sind zehn Projekte in Vorbereitung. Sie alle suchen noch Koproduktionspartner. Es fehlt nicht nur an Geld, sondern auch an Technik, Equipment, Studios, Postproduktionsmöglichkeiten. Insofern ist jeder gelungene bosnische Film - nicht nur «No Man's Land» - ein kleines Wunder.
Makedonien - bei null anfangen
Makedonien hat noch weniger. Es hat weder Produktionsstätten noch Festivals. Das Kulturministerium stellt jedoch pro Projekt, das zustande kommt, zwischen einer halben und einer Million Euro zur Verfügung. In jüngster Zeit sorgen die Geschwister Mitevski für Aufsehen. Teona Strugar Mitevska besuchte nach ihrer Kunstausbildung in Skopje die Tisch Film School in New York. 2003 realisierte sie ihren ersten Spielfilm «Wie ich den Heiligen tötete» («Kako ubiv svetec»). Die Hauptrolle darin spielt ihre Schwester Labina Mitevska, für die Ausstattung ist der Bruder Vuk Mitevski verantwortlich. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, die aus den USA nach Hause zurückkehrt und ihren Bruder in dubiose Geschäfte verwickelt vorfindet. Er möchte die Welt verändern, weiss aber nicht wie. Die Schwester vermag ihm nicht zu helfen. Der ganze Film strahlt eine bedrückte Stimmung aus, die diffuse Erwartung eines möglichen Kriegs, der nie ausbricht, latent jedoch längst stattfindet.
Sascha Badanjak