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Balkan als Teil unserer Europäischen UNION - Gegen die Vorstellung von Bosnien als ei

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bosmix

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Diesen Autor zu lesen bedeutet immer eine Erneuerung an Kopf, Seele und Verstand; Wer kann in Europa noch so fabulieren, so souverän mit der Sprache umgehen? Dieses Buch ist eine einzige Liebeserklärung an die menschliche Fähigkeit, sich zu erinnern und sich seiner Erinnerungen und der Löcher und Defizite eigener Erinnerung bewusst zu werden. Die dunkle Welt ist Bosnien, die er über die letzten Jahrzehnte nicht müde geworden ist, aufzuhellen und die „dunkle Welt“ als Vorurteil zu entlarven.
Der bosnische Schriftsteller Karahasan weiß, dass das Wort „Seele“ schon verdächtig ist für einige unserer Zeitgenossen. Deshalb sagt er an einer Stelle der zweiten Erzählung: In Salzburg im Bahnhofsrestaurant wird ihm bewusst, „dass jede Stadt eine Seele hat, eine Identität und, wie jene sagen würden, die vor dem Wort Seele zurückschrecken, ihren eigenen Stil“.
Es sind vier Erzählungen, in denen es immer um die Erinnerung geht eines Sarajevo Bürgers, der ins Exil gegangen ist, wegen des verblödenden Krieges, der in Sarajevo von Milosevic und seinen Kumpanen in Bosnien vom Zaun gebrochen wurde.
In der dritten Erzählung geht es um das „Prinzip Gabriel“. Karahasan und ein Freund arbeiteten an der Inszenierung eines von beiden hochgeschätzten Komponisten. Der wäre 1998 hundert Jahre alt geworden.
Viktor Ullmann ist am 18. April 1944 in Auschwitz ermordet worden, war vorher im KZ Theresienstadt. Karahasan las eine Notiz dieses Komponisten, in der dieser behauptet, der Aufenthalt im Lager Theresienstadt sei ihm sogar von Nutzen gewesen, insbesondere seit er die technischen Probleme mit dem fehlenden Klavier und dem fehlenden Notenpapier gelöst habe.
Irgendwann kommt Karahasan nach Terezin (wie die Tschechen es nennen) und sucht den Block B4, wo Ullmann untergebracht war, bevor er nach Auschwitz verschleppt wurde zur Vergasung. Ullmann war wohl im Lager frei, „er hatte genug Geist, um den Stoff des Lebens durch die Form zu überwinden. Und die künstlerische Form des Lebens ist nichts anderes als die Freiheit.“
Das erinnert an den berühmten Artikel von Jean-Paul Sartre aus den Jahren der NAZI Okkupation in Frankreich mit dem Titel: „Nie waren wir freier als unter der deutschen Besatzung.“ Theresienstadt sollte eigentlich eine wichtige Garnisonsstadt geworden sein, es war aber ein Gefängnis, schon in der k.u.k.Zeit.
Karahasan kommt dorthin, wird von einem tschechischen Polizisten schnurstracks zur „Zelle“ geführt, und als Karahasan fragt, welche Zelle: „Seine, die von Gavrilo Princip“.
So leben wir in diesem Jahrhundert: schlecht! Umgeben von verblödenden Ideologien, Religionen der Gewalt, wie der von Gavrilo Princip, der gemeint hat, er befreit den Balkan von den katholischen Habsburgern und hatte mit dem Mord an Franz Ferdinand am 28. 6. 1914 den ersten Weltkrieg ausgelöst.
Das Buch kann natürlich nicht alles über diesen Kosmos seiner Heimat Bosnien und seiner Stadt Sarajevo sagen. Weshalb Karahasan dann zu solchen literarischen Tricks Zuflucht nimmt, eine solche Klammerbemerkung zu machen im Zusammenhang mit den Juden in Sarajevo:
„(Jetzt müsste ich den Unterschied zwischen zwei jüdischen Gruppen in Sarajevo erklären, den Aschkenasim auf dem Norden und den Sephardim, die aus Spanien kommen. Weiterhin müsste ich die komplizierte Struktur dieser Welt erklären, aber ich versuche es gar nicht erst.)“
Es gab, so sagt die Erinnerung dem Autor Dzevad Karahasan, diesen Krieg, in Bosnien, und dann noch den Krieg um Mostar in der Herzegowina.

Er erinnert sich an die Tage, da man die Revolution hochleben ließ, der Name Tito taucht auf, aber auch der der Rolling Stones, der Onkel Carlo geht nach Kuba, weil nur dort noch die Revolution weiterzutreiben ist. Die Muslimischen Frauen spielen eine Rolle, dass sie einen Schleier trugen und dann nicht mehr.
Vier Erzählungen des Meistererzählers Karahasan gehen alle um diese Vergangenheit, über die zu erzählen viel schwerer ist als über die Zukunft. Die Vergangenheit hatte reizvolle Eigenheiten, die wir in der Welt nicht festhalten konnten. So z.B. den Bleisatz in der Zeitungsdruckerei, den der Setzer Emiliano so gut einzurichten wusste, der bei der Zeitung Oslobodenie angestellt war. Dann wurde der Bleisatz ausgetauscht, es gab nunmehr nur noch den Fotosatz, für Emiliano keinen Platz mehr zu wirklicher Arbeit. Da aber im Tito Jugoslawien niemand entlassen wurde, ging der Emiliano immer herum wie ein Gespenst. Oder wie Emiliano Zapata, den sie alle in Bosnien kannten aus dem wunderbaren Film mit Marlon Brando um den mexikanischen legendären Arbeiterführer, der schon tot war, aber den niemand für tot erklärte, weil er als Mythos größer war denn als realer Führer der Gewerkschaft. So war es ja noch ein wenig mit dem Josip Broz Tito. Aber die mythische Gestalt brach innerhalb von 15 Jahren zusammen.

Es ist auch ein Plädoyer für Bosnien und den Balkan, jedenfalls will ich das als Leser so verstehen. Wir sollen den Balkan, oder Bosnien, sein Herzstück, nicht nur als die dunkle Welt begreifen. Wir sollen wegkommen von dem gestanzten Bismarck Wort, das die mitteleuropäische Verachtung ausdrückt: Über den Balkan, der auch „nicht die Knochen eines pommerschen NATO Grenadiers wert“ sei. Zumindest sollten deutsche oder andere Grenadiere doch noch einen der beiden Hauptverbrecher fangen, Radovan Karadzic oder Ratko Mladic, die immer noch beim Internationalen Tribunal fehlen.
Es ist ein Plädoyer für Bosnien –Herzegowina als integraler Bestandteil der EU und des Europa, zu dem dieses Kernland des Balkans ja nun mindestens so geschichts-existenziell gehört wie die Türkei.
An zentraler Stelle zitiert Karahasan aus dem Bericht des Ivo Andric die weltberühmte Stelle, wie in Sarajevo die Glocken der verschiedenen Religionen und Gemeinschaften nicht einmal den gemeinsamen Stundenschlag durchhalten. „Schwer und sicher schlägt die Stunde an der Katholischen Kathedrale: zwei Stunden nach Mitternacht. Es verstreicht mehr als eine Minute (75 Sekunden, um genau zu sein), und erst dann meldet sich schwächer die Uhr an der orthodoxen Kirche. Kurz danach schlägt gedämpfter und aus größerer Entfernung die Turmuhr an der Gazi-Husrev-Beg Moschee, sie schlägt elf Uhr, gespenstische türkische elf Uhr, nach der wunderlichen Zeitrechnung weit entfernter Weltgegenden. Die Juden haben keine Uhr, die schlagen könnte, Gott allein weiß, wie viel Uhr es bei ihnen ist.“
Es ist das Buch eine Liebeserklärung des größten bosnischen Schriftstellers an seine wunderbare Stadt, in der wie nirgends in Europa europäische Muslime, europäische Christen, europäische Atheisten, europäische Juden zusammenleben. Die Muslime sind schon eingeborene europäische Muslime, unter der Führung des jüngst am 12. Mai mit dem Theodor Heuss Preis ausgezeichneten Grand Mufti von Sarajevo, Mustafa Ceric. Deutschland täte gut daran, sich dieses Schatzes von interreligiösen Glaubensbekundungen und des Zusammenlebens bei seinen Islamkonferenzen zu versichern.
 
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