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BEITRAG ZUR INTEGRATION VON AUSLÄNDERN IN DER SCHWEIZ

skenderbegi

Ultra-Poster
Text Martin Beglinger


In den letzten Jahrzehnten hat die Schweiz mehr als eine Million Ausländer integriert. Mit Erfolg. Doch nun wirds schwierig. Zeit für eine neue Politik jenseits von linkem Moralismus und rechter Paranoia.




Alle reden von Integration, niemand ist dagegen, jeder findet sie gut, ja dringend nötig. Womit man hier wieder schliessen könnte – wenn nicht alles unklar bliebe. Denn wer genau soll denn nun wie und worin und warum integriert werden? Was ist überhaupt mit Integration gemeint, und wann ist ein Ausländer integriert?
«Das Thema neigt zur Geschwätzigkeit», sagte der zuständige Bundesrat Christoph Blocher zur Eröffnung der ersten nationalen Integrationskonferenz letztes Jahr in Biel. Und er hat recht. Hunderte von Integrationskursen sind in den letzten Jahren abgehalten worden, manche gute und viele gut gemeinte, mittlerweile hat die Integrationspolitik auch die nationale Agenda erreicht. Die FDP verlangt ein Integrationsgesetz, die SP eine «Integrationsoffensive», nächste Woche ist es Hauptthema auf der Traktandenliste der vier Bundesratsparteien in den Von-Wattenwyl-Gesprächen. Und schliesslich wird Integration ein Wahlkampfthema sein, weil hier alles mitspielt, was derzeit Zunder bietet, von der Ausländerkriminalität bis zu den Minaretten. Zeit also für ein paar Wegmarken.

I. Noch haben wir Luxusprobleme.
Ehe es im parteipolitischen Getöse gleich wieder untergeht, sei hier nüchtern festgehalten: Das Zusammenleben von Schweizern und Ausländern funktioniert. Sogar gut. Und dies in weiten Teilen. Von links bis rechts beglückwünscht man sich heute darob. Die Integration sei bislang «sehr erfolgreich» verlaufen, bekannte kürzlich Bundespräsident Moritz Leuenberger. «Eine grosse Erfolgsgeschichte!» meint auch Integrationsminister Christoph Blocher. «Es ist unmissverständlich festzuhalten, dass die weitaus grössere Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung bei uns wohlgelitten ist. Ich denke an all diejenigen, die in unserem Land arbeiten und zu unserem Wohlstand beitragen. Sie fühlen sich wohl, setzen sich für unser Land ein und sorgen für sich und ihre Angehörigen», sagte kürzlich SVP-Präsident Ueli Maurer. Und für einmal würde wohl auch SP-Chef Hans-Jürg Fehr jedes Maurer-Wort unterschreiben.
Tatsächlich hat die Schweiz (nebst den Sonderfällen Liechtenstein und Luxemburg) mit 21 Prozent den höchsten Ausländeranteil in ganz Europa: 1,5 Millionen Menschen aus 192 Ländern. Und die leben hier in erstaunlicher Ruhe mit oder neben den 5,5 Millionen Schweizern, sodass sich sämtliche europäischen Nachbarn nur eines fragen können: Wo, bitte sehr, ist euer Problem?
Wir haben keine No-Go-Areas, wie sie es reihenweise in den französischen Vorstädten gibt. Zwischen Kreuzlingen und Genf existiert kein einziger rechtsfreier Hinterhof, in den sich nicht einmal die Polizei mehr hineingetrauen würde. Die Verantwortlichen jeder europäischen Grossstadt würden auf den Knien danken, lebten ihre Ausländer in Quartieren wie jenen, die hierzulande gelegentlich «Gettos» genannt werden. Seit Monaten debattieren wir über drei geplante Minarettchen im Land – nicht über muslimische Landsleute, die plötzlich aus obskuren Parallelgesellschaften auftauchen und einen Filmregisseur in Allahs Namen auf offener Strasse abschlachten. Oder Hunderte von Menschen in U-Bahnen und Zügen in die Luft jagen wie in London und Madrid. Dass eine Schule, in deren Einzugsgebiet 95 Prozent Ausländer leben, wegen Vandalismus definitiv geschlossen werden muss wie kürzlich im schwedischen Malmö, eine derartige Integrationskatastrophe ist in der Schweiz nicht vorstellbar.
Bis jetzt.
Hunderttausende Ausländer und Ausländerinnen sind seit den Fünfzigerjahren in die Schweiz eingewandert, sie haben Arbeit gefunden und Kinder geboren, sie haben ihre Rechnungen bezahlt und sind nie straffällig geworden. Und stellten sie auch noch den Kehrichtsack am richtigen Tag an die richtige Strasse, galten sie erst recht als integriert oder angepasst oder wie immer der Volksmund dem sagen wollte. Das dürfte bei mehr als einer Million Menschen der Fall sein. An der Integrationspolitik kann es nicht liegen. Denn eine Politik, die diesen Namen verdient, gab es bislang nicht. Der Integrationserfolg lag in erster Linie an der guten wirtschaftlichen Konjunktur. Und an einer pragmatischen Kultur, in der Fussballtrainer vermutlich als nützlichere Integratoren gelten als Veranstalter von Antirassismuskursen.

II. Mehr Realismus, weniger Moralismus
In den letzten Jahren ist die Integration allerdings schwieriger geworden. Sehr viel schwieriger. Das ist, sagt Thomas Kessler, Migrationsdelegierter des Kantons Basel-Stadt, im Wesentlichen eine Folge der «happigen Neunzigerjahre». 1991 wurde das Saisonnierstatut abgeschafft, worauf viele Gastarbeiter eine Niederlassungsbewilligung erhielten und somit auch das Recht auf Familiennachzug. Der setzte umso stärker ein, als Jugoslawien im Krieg versank und auch Anatolien nicht aus der Armut fand. So wanderten Zehntausende ein, um deren Integration sich hier niemand kümmerte. Die Schweiz war mit sich selber beschäftigt, die Wirtschaft war am Serbeln, und die erste Entlassungswelle traf auch viele (schlecht qualifizierte) Familienväter, die eben erst ihre Kinder ins Land geholt hatten.
Im Mai dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration die Integrationsprobleme auf 147 Seiten minutiös aufgelistet, zum ersten Mal für die ganze Schweiz. Alarmzeichen in Stichworten:
– Die Arbeitslosigkeit unter den Migranten ist dreimal höher als unter Schweizern, namentlich bei den jüngeren.
– Bis zu 20 Prozent eines Jahrgangs ausländischer Jugendlicher hat längerfristig keine reguläre berufliche Ausbildung und deshalb entsprechend schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
– Die ausländischen Jugendlichen werden doppelt so häufig kriminell wie die gleichaltrigen Schweizer.
– Jeder fünfte Ausländer gilt statistisch als arm, doppelt so oft im Vergleich zur Schweizer Bevölkerung. Umso höher sind die Sozialausgaben.
Von solchen Fakten war bislang kaum die Rede in der politischen Diskussion. In den letzten zehn Jahren ist die Debatte von der Asylpolitik dominiert worden, und diese war bestimmt durch einen pawlowschen Parteienreflex, ein moralistisch durchtränktes Hickhack über die «guten» und die «schlechten» Ausländer. Dreschen die Rechten auf die «schlechten» ein, werden sie von den Linken umso heftiger wieder «gut» geredet. Und umgekehrt. Ein Reflex, der vor allem eines bewirkt: die Vernebelung der Realität.
Die SVP zum Beispiel verweigert sich noch immer selbst dem banalsten Faktum: dass die Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg ein Einwanderungsland ist. Es darf nicht sein, was ein simpler Blick in die Statistik belegen würde. Mittlerweile 30 Prozent der sieben Millionen Menschen in diesem Land haben ausländische Wurzeln. Lieber pflegt die SVP weiterhin die Illusion, die hier niedergelassenen Ausländer kehrten eines Tages wieder nach Hause zurück. Dass aber ein beträchtlicher Teil der ersten Generation von Einwanderern und vor allem die meisten ihrer Kinder in der Schweiz bleiben, das wird verdrängt.
Wehe, wer nicht dem üblichen Parteienreflex gehorcht und den Gottesdienst im eigenen Lager zu stören wagt. Ein schlagendes Beispiel dafür ist der Bieler Reallehrer Alain Pichard, der am 21. September in der «Weltwoche» über seine schlechten Erfahrungen mit albanischen, türkischen und brasilianischen Schülern zu schreiben gewagt hatte. Der Mann ist Mitglied der Grünen, der Gewerkschaft VPOD und mit dreissig Berufsjahren als Reallehrer einer der wahren Helden des Integrationsalltags. Sein Artikel begann mit folgenden Sätzen: «Fast alle Medien, viele Kulturschaffende und unser eigenes links-grünes Umfeld kämpfen seit Wochen erbittert gegen die Revision des Asyl- und des Ausländergesetzes, wettern gegen einen ‹Lügenbundesrat›, der Probleme aufbausche und Fremdenfeindlichkeit schüre. Doch die Realität, die wir Tag für Tag an unseren Schulen erleben – dort, wo die unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten ungeschminkt aufeinanderprallen –, widerspricht dem medial verbreiteten Bild von gegenseitiger Toleranz und harmonischer Völkerverständigung. Integrationsprobleme sind an den Bieler Realschulen, wo bis zu 80 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben, ein Dauerbrenner.» Und Pichard schloss mit den Worten: «Die linke ‹Elite› betreibt zurzeit genau das, was sie ihren Gegnern vorwirft: eine masslos überzogene, emotionale Kampagne mit Denkverboten. Probleme werden bagatellisiert und tabuisiert, wer für das Ausländergesetz ist, wird als Rassist abgestempelt. Doch damit schadet sie in erster Linie den Migranten, deren Probleme sich nicht mit humanitären Parolen lösen lassen. Wenn wir unsere Migrantenkinder integrieren und ihnen eine faire Zukunft geben wollen, dann müssen wir uns vorab ehrlich der unbequemen und bedrückenden Realität stellen. Dazu gehört auch die Diskussion um die Aufnahmefähigkeit unseres Landes und die Tatsache, dass Integration keine Einbahnstrasse ist.»
Die angekündigte Abstempelung fand umgehend statt, wie Pichard erzählt. Tagelang wurde er (mit drei weiteren Berufskollegen, in deren Namen er den Artikel geschrieben hatte) per Mail und Telefon als «Sauhund», «Rassist», «Intrigant», «Aufschneider», «Populist» und «klein karierter Fremdenhasser» beschimpft. Es durfte nicht gesagt sein, was aus seiner realen Erfahrung Sache ist, weil es dem Erzfeind Blocher hätte nützen können. Moralistische Posen verdrängen die unangenehmen Fakten.
Auch das prominente, parteiintern aber nicht nur geliebte SP-Duo Simonetta Sommaruga und Rudolf Strahm hat 2005 in seinem Buch «Für eine moderne Schweiz» festgestellt: «Man überliess die Ausländerfrage der Rechten... Aus Bequemlichkeit oder Political Correctness schwiegen die andern.» Und weiter: «Die Asylfrage belastet und überschattet die Lösung des Integrationsproblems der bei uns lebenden AusländerInnen.» Das traf zu – bis zum vergangenen 24. September.

III. Blochers Richtung stimmt.
Das Ja zum neuen Asylgesetz war nicht das alarmistisch heraufbeschworene Ende der humanitären Tradition der Schweiz, sondern ein Schlusspunkt unter die lähmende Missbrauchs-Debatte. Und es ist eine Chance, um das Thema Integration zu forcieren, sofern nicht gleich die nächste Ersatzschlacht von SP und SVP um die schätzungsweise 100 000 Sanspapiers ausbricht, die die SP legalisieren (und folglich integrieren) will, wie sie es in ihrem neuen Integrationspapier verlangt, was die SVP wiederum mit allen Mitteln bekämpfen wird.
«Mit diesen beiden Ja sind die Achtziger- und Neunzigerjahre politisch verarbeitet worden. Viel Druck ist weg, jetzt kann man nach vorne schauen und sich endlich den zentralen Themen der Integration widmen», sagt Thomas Kessler, der Basler Migrationsdelegierte.
Nicht zuletzt ist die Integration seit dem 24. September Bundespflicht: mit dem neuen Ausländergesetz. Auch dies ist im Gedröhne um die Asylpolitik untergegangen. Artikel 53 besagt: «Bund, Kantone und Gemeinden schaffen günstige Rahmenbedingungen für die Chancengleichheit und die Teilhabe der ausländischen Bevölkerung am öffentlichen Leben. Sie fördern insbesondere den Spracherwerb, das berufliche Fortkommen, die Gesundheitsvorsorge (...) und tragen den besonderen Anliegen der Integration von Frauen, Kindern und Jugendlichen Rechnung.» Für den Bund heisst Integration also Chancengleichheit. Ein ambitioniertes Ziel, auch wenn der Paragraf in der finanziellen Umsetzung rasch gummig wird. Der Bund «kann» Integrationsmassnahmen mitbezahlen, er muss aber nicht.
Es sind gerade mal sieben von 122 Artikeln des neuen Ausländergesetzes, die sich mit Integration beschäftigen. Viel ist das gewiss nicht. Viel grösser allerdings ist der indirekte Effekt dieses Gesetzes auf die Integration, indem die künftige Zuwanderung gesteuert wird. EU- und Efta-Bürger geniessen (zeitlich gestaffelt) Freizügigkeit, bei allen anderen Migranten entscheidet der Arbeitsmarkt. Wie in den USA, wie in Kanada. Leitlinie ist das nationale Interesse. Eine Schweiz, die offen für die ganze Welt wäre, würde das Integrationsvermögen der Gesellschaft hoffnungslos überfordern.
Und der Integrationsminister? Im Gespräch bekräftigt er, dass ihm «das Thema Integration sehr wichtig ist». Gut so. Warum also nehmen wir ihn nicht beim Wort und nutzen, ja, seine Talente für eine wirksame Integrationspolitik, anstatt ihn täglich aufs Neue (und vergeblich) in die Schandecke zu drängen?
Christoph Blocher weiss sehr wohl, dass es mit der Parole seiner Partei nicht getan ist, die sich mit dem lapidaren Satz aus der Problemlösung verabschiedet hat, Integration sei Sache der Ausländer und nicht der Schweizer, Ende. Sicher, die Integration liegt «zu 80 Prozent» bei den bildungsfernen Migranten, wie auch Thomas Kessler sagt. Doch was, wenn sie es nicht tun? Alle rausschmeissen, die kein Deutsch sprechen, obwohl sie seit fünfzig Jahren hier leben? Nein, sagt Blocher, weil dann auch so manche italienische Grossmutter ihre Koffer packen müsste, die zwar auch nach Jahrzehnten kein Wort Deutsch spricht, faktisch aber trotzdem gut integriert ist.
Viel hat der Integrationsminister bis jetzt nicht unternommen, doch das Wenige führt in die richtige Richtung, wie selbst laute Blocher-Kritiker leise zugestehen. So läuft dieser Tage das von ihm lancierte Pilotprojekt für eine «Flüchtlingslehre» an; es ist ein Versuch, die hier lebenden Flüchtlinge besser in die Arbeitswelt zu integrieren, denn bislang waren erschreckende 80 Prozent von ihnen arbeitslos. Im Februar 2006 hat der Justizminister eine Verordnung in Kraft gesetzt, dass Jahresaufenthalter, die sich gut integriert haben, also eine Landessprache beherrschen und ein Auskommen haben, bereits nach fünf und nicht erst nach zehn Jahren die Niederlassungsbewilligung C erhalten. Wer sich anstrengt, wird belohnt; wer nicht, muss mit Nachteilen rechnen: Nach diesem Anreizsystem will Blocher auch künftig verfahren. Integration funktioniert nicht ohne Druck.
Bei der FDP heisst dieses Prinzip «Fordern und Fördern». Als erste Partei hat sie ein umfassendes Integrationspapier vorgelegt, womit sie die Wahlen zwar auch nicht gewinnen dürfte, doch die Freisinnigen haben die Bedeutung des Themas erkannt. Inspirieren liess sich die FDP vom Basler Modell des früheren FDP-Regierungsrates Jörg Schild und insbesondere dessen Migrationsdelegierten Thomas Kessler. Kessler war einmal grüner Kantonsrat in Zürich, allerdings ohne jeden Hang zu Multikulti-Schwärmereien. «Das Thema Integration sollte unternehmerischer angegangen werden, wir finanzieren keine Romantik», sagt Kessler und spricht von «return on invest» und einem «vierstufigen Controlling», das die Integrationsmassnahmen auf ihre Wirksamkeit hin überprüfe. Lauter Sätze, die Christoph Blocher eigentlich überzeugen müssten, zumal er nach dem langsamen Abbau der «Asylindustrie» bereits den Aufbau einer ineffizienten «Integrationsindustrie» wittert.
Als Erste in der Schweiz möchten die Regierungen von Basel-Stadt und Baselland ein umfassendes Integrationsgesetz durchbringen. Die Basler Grundsätze sind so einfach wie einleuchtend. Lieber früh integrieren, als die Folgen verpasster Integration zu kurieren. Desintegration heisst mehr Arbeitslosigkeit, mehr Krankheit, mehr Sozialhilfe, mehr Kriminalität, und das kommt Staat und Gesellschaft wesentlich teurer zu stehen als eine präventive Integrationspolitik. Besser also, das Potenzial der Migranten zu nutzen, anstatt sich nur um ihre Defizite zu kümmern. Kurz: In Basel läuft der Versuch einer nüchternen Integrationspolitik jenseits von linkem Moralismus und rechter Schaumschlägerei.

IV. Es braucht mehr Tagesschulen.
Guter Wille, gegenseitiger Respekt, nachbarschaftliche Hilfe – alles wunderbar. Doch was am Ende des Tages zählt in Sachen Integration, das sind drei Faktoren: Sprache, Schule, Arbeit. Ohne Sprache gehts schlecht in der Schule, ohne Sprache und Ausbildung stehts noch schlechter um einen Job. Und ohne Arbeit nützt so vieles andere wenig. Der Aufstieg der Secondos erfolgt nicht automatisch. Doch wenn er gelingt, dann über die Schule. Das muss nicht die Universität sein. Dany Bahar, Sohn eines in die Schweiz eingewanderten türkischen Elektrikers, machte (gemäss «Facts») nach der Sekundarschule eine Lehre im Engadin und dann eine Karriere wie im Bilderbuch des Integrationsparadieses. Heute ist er 35 und die Nummer zwei im Weltkonzern Red Bull. Ein Beispiel für den Erfolgshunger der zweiten Generation.
Vorbilder – und Helfer – sind auch jene Basler Studierenden mit ausländischen Wurzeln, die im Rahmen des preisgekrönten Integrationsprojekts «Beraber» Primarschülern aus dem gleichen Kulturkreis Nachhilfeunterricht geben. Doch wer, wie die Stadt Basel, Integration als Herstellung von Chancengleichheit begreift, der muss viel früher als in der Primarschule damit beginnen. «Viele Kinder haben ihre ersten vier Jahre vor dem Fernseher verbracht, jedes fünfte kommt verwahrlost in den Kindergarten. Das ist eine schlimme Chancenungleichheit», sagt Thomas Kessler. Nur allzu oft haben diese Kinder zu viele Kilos und Karies, aber viel zu wenig Unterstützung ihrer bildungsfernen Eltern. So sind sie schon vor dem ersten Schultag abgehängt. Thomas Kessler nennt sie «das schwarze Loch in der Integration».
Christoph Blocher würde das Loch füllen, indem er zum Beispiel bereits die Vierjährigen in Klassen versammeln und gemeinsam Deutsch pauken liesse. («Die können das. Mein vierjähriger Enkel spricht dank seiner Nanny fast besser Englisch als ich.»)
Noch viel konsequenter ist das Basler Modell. Es sieht bis 2011
Ganztagesstrukturen für alle vor, Kinderkrippen, Horte, Tagesschulen. Und für alle gratis, ginge es nach Thomas Kessler. Stuft man die Tarife nach Einkommen ab wie bisher, behält eine bosnische Putzfrau ihr Kind zu Hause, weil ihr selbst 100 Franken noch zu teuer sind; und eine Werberin oder ein Investmentbanker ebenso, weil sie für 2000 Franken Kinderhortgeld lieber eine polnische Nanny einstellen, privat (und schwarz). Gewiss, Ganztagesstrukturen sind teuer, doch mit einem einzigen eingesparten happigen Sozialfall ist rasch eine Jahresstelle für die Betreuerin in einer Tagesschule finanziert.
Gute Tagesschulen können schlechte Startchancen wettmachen, wie das Beispiel Finnland belegt. Zugleich fördern Tagesstrukturen die Erwerbsquote, die Gleichstellung und die Bereitschaft zum Kinderkriegen. Das Schweizer Schulsystem hingegen hat, wie wiederum die PisaStudien zeigen, bislang zu viele Bildungsverlierer reproduziert. Zu oft werden die Kinder von Hilfsarbeitern wieder Hilfsarbeiter.
Noch sind wir weit von finnischen Verhältnissen entfernt, und was uns in erster Linie davon trennt, das sind die romantischen Familienbilder, denen SVP und CVP weiterhin hinterherträumen. Noch mögen sie die treu umsorgenden Mütter nicht aufgeben, die mittags mit Braten und Gemüse auf ihre Liebsten warten und nachmittags mit dem gespitzten Bleistift bei den Hausaufgaben helfen. Eine Realitätsverweigerung sondergleichen. Sie sind am Aussterben, diese Prospektmütter der Fünfziger- und Sechzigerjahre.

V. Jobs, Jobs, Jobs!
Die schlechtesten Karten haben, wie sämtliche Statistiken ausweisen, junge Männer aus dem Balkan und aus Anatolien. Sie sind in den Neunzigerjahren vor Krieg und Chaos zu ihren Verwandten in die Schweiz geflohen, im Alter von fünfzehn, sechzehn Jahren, und diese Nachzüglergeneration hat den Wechsel in die Schweiz schlechter verdaut als alle andern Migranten der Nachkriegszeit. In den letzten zehn Jahren sind allein aus dem Balkan 60 000 Familienangehörige zu ihren Verwandten in die Schweiz gezogen. Sie hatten keine Ahnung vom realen Leben in diesem Land, geschweige von der Sprache. Sie sind in Macho-Kulturen aufgewachsen, in denen Begriffe wie Ehre, Stolz und Rache dominieren. Umso schlechter ertragen sie die Rolle als Verlierer. Vor allem
aber haben diese jungen Erwachsenen die Schule verpasst und somit den zentralen Integrationskanal für die jugendlichen Ausländer in der Schweiz. Es ist eine verlorene Generation zwischen allen Stühlen. Das neue Ausländergesetz hat eine erste Konsequenz daraus gezogen, indem es verlangt, dass Kinder (in der Regel) bis spätestens zwölf Jahren in die Schweiz geholt werden dürfen. Auch dies ein sogenanntes Blocher-Gesetz, dessen Sinn nicht mal seine härtesten Gegner bestreiten können. Entscheidend für den Weg dieser jungen Männer in die Schweizer Gesellschaft wäre ein Job, doch genau sie haben nur allzu oft keinen. Damit fehlen nicht bloss der Verdienst, sondern ebenso die vielen Kontakte, die eine Arbeitsstelle bietet.
18,8 Prozent der Jugendlichen aus dem Balkan haben keine Arbeit, fast sechsmal mehr als der Landesdurchschnitt. Bei den Jugendlichen aus den nichteuropäischen Ländern ist fast jeder Dritte ohne Job (29,2 Prozent). Nicht weniger als 67 Prozent der Jugendlichen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien hatten im Kanton Zürich gemäss einer Studie aus dem Jahr 2001 keine Berufsausbildung. Gleichzeitig sind in der Schweiz in den letzten Jahren 200 000 Stellen für schlecht Qualifizierte gestrichen worden, und das Gerangel um die verbleibenden dürfte nicht kleiner werden. Denn immer mehr kommen zum Beispiel junge Ostdeutsche ins Land, die noch so gerne für 18 Franken pro Stunde irgendwo im Akkord malochen, weil das allemal viel rentabler ist als 435 Euro von Hartz IV.
Die Folgen dieser miserablen Perspektiven sind täglich in den «Vermischten Meldungen» nachzulesen: Einbrüche, Messerstechereien, verprügelte Passanten, verprügelte Lehrer, verprügelte Fussballschiedsrichter. Einzelne Schweizer Gefängnisse sind zu drei Vierteln mit jungen Ausländern gefüllt.
Bleibt die grosse Frage: Wie finden diese jungen, ungelernten, zunehmend zornigen Männer einen Job? Schwarz, werden die Verfechter eines möglichst liberalen Arbeitsmarktes sagen, alles eine Frage des Preises. Eine andere ist allerdings, ob sie davon leben können. In Basel versucht man, diese jungen Arbeitslosen wenigstens minimal zu schulen und ihnen zu Attestlehren und Ähnlichem zu verhelfen. Je besser die Betreuung, umso grösser die Erfolgschancen, sagt Thomas Kessler. Einen anderen Weg beschreitet wiederum die Stadt St. Gallen, die ihre Langzeitarbeitslosen mit 1000-Franken-Jobs aus der perspektivlosen Fürsorge herausholt.(1) Doch wie auch immer, es ist und bleibt Knochenarbeit, diesen Leuten zu einem regulären Job zu verhelfen.
Die wahre Nagelprobe für die Politik kommt allerdings erst mit den Kindern dieser verlorenen Generation. Denn wirklich schlecht steht es um die Integration erst dann, wenn Arbeitslosigkeit und fehlende Bildung auf Dauer vererbt werden – und damit auch die fehlende Hoffnung. Umso wichtiger sind gute Tagesschulen.

VI. Regeln, Regeln, Regeln!
Das Mit- und Nebeneinander der Kulturen benötigt klare Regeln, in erster Linie also die Verfassung. Die ist in den letzten Jahren aber gelegentlich eigenartig ausgelegt worden. Der grüne Nationalrat Daniel Vischer dürfte bald der Letzte sein, der das unsägliche Bundesgerichtsurteil zum Schwimmunterricht von 1993 noch immer verteidigt. (Kein Wunder, er war der siegreiche Anwalt der Klagepartei.) Damals hatten die obersten Richter gutgeheissen, dass ein muslimisches Mädchen aus religiösen Gründen vom Schwimmunterricht dispensiert worden war. Würde dieses Prinzip Schule machen – Religionsfreiheit vor Chancengleichheit und Gleichberechtigung –, dann gute Nacht. Man beschritte Hollands fatalen Irrweg in staatlich tolerierte oder gar geförderte Parallelgesellschaften. Und dies ist das Gegenteil von Integration. Ein Glück, dass sich viele Behörden (wie etwa Basel oder St. Gallen) in der Praxis nicht daran halten und keine Schwimm-, Turn- oder sonstigen Dispense aus religiösen Gründen gewähren. Und ein noch grösseres Glück wohl für die Integration, dass 85 bis 90 Prozent der 340 000 Muslime in der Schweiz ihren Glauben nicht rigid praktizieren. Erfolgreiche Integrationspolitik heisst, dass sich diese Muslime auch künftig nicht in einen religiösen Cocon zurückziehen.
Viele junge Männer aus dem Balkan haben zwar Schweizer Freundinnen, doch heiraten dürfen sie sie nicht, weil ihre Eltern dagegen sind. Also wird, um die Eltern ruhigzustellen, eine Heirat in der alten Heimat arrangiert. Das hat oft fatale Folgen, wenn der Ehemann seiner nachgezogenen Ehefrau jeden Kontakt ausserhalb der Wohnung verbietet und sie sich deshalb weder im Land noch in der Ehe zurechtfindet. Lässt sich der Ehemann dann scheiden, wird die Frau zum doppelten Opfer, weil sie von den Behörden zur Ausreise gedrängt wird. In der Heimat aber gilt sie, weil geschieden, ebenfalls als ehrlos.
Umso mehr gebührt der St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter ein Kränzchen, die einen türkischen Vater und den vermeintlichen Schwiegersohn ausweisen liess, nachdem die beiden von der Tochter wegen der drohenden Zwangsverheiratung angezeigt worden waren. Nicht dass man nun gleich Tausende an die Grenzen stellen müsste, entscheidend ist das Signal.
Eine gute Integrationspolitik setzt nicht nur die Regeln durch, sie muss auch Aufstiegschancen für jene bieten, die sie einhalten. Doch selbst die beste Politik kann nicht verhindern, dass morgen ein Islamist hier Amok läuft. In diesen Spalten ist der Fall eines konvertierten Muslims geschildert worden, Schweizer, studierter Jurist, theoretisch bestens integriert, doch praktisch sitzt er täglich zu Hause in Zürich vor dem Computer, ergötzt sich an Videos von geköpften «Ungläubigen» im Irak und wartet nur auf eine Gelegenheit zum Jihad-Einsatz in Bin Ladens Namen.(2) Dieser Mann ist kein Fall für die Integrationsfachleute, sondern für den Staatsschutz.
Was die Einbürgerung angeht, ein weiteres umstrittenes Feld der Integration, hat das Bundesgericht in jüngster Zeit jedoch stärker auf Regeltreue gepocht. So verweigerte es im Mai 2006 einer jungen Türkin aus Muttenz den Schweizer Pass, weil sie nicht das mindeste Bemühen um Integration hatte erkennen lassen. Zu Recht, denn warum soll der Staat eine Frau einbürgern, die jeden Kontakt zu Schweizern meidet, die keinem Fremden die Hand gibt und sagt, sie lebe so, wie ihr der Koran vorschreibe?
Ebenso wenig lässt sich nachvollziehen, warum regelmässig ganze Familien eingebürgert werden, obwohl die Ehefrau – weil zu Hause völlig isoliert – kaum einen Satz Deutsch spricht. Ohne Sprachkenntnisse aber wird Integration ein Fremdwort bleiben. In der Schweiz dürften es weit über Hunderttausend Erwachsene sein, meistens Familiennachzüger, die keine Landessprache verstehen. Die siebzigjährige Neapoletanerin, die seit fünfzig Jahren hier lebt und trotzdem kein Wort Deutsch spricht, hat sich längstens arrangiert. Doch was passiert mit der jungen anatolischen Mutter, die erst vor Kurzem in die Schweiz gekommen ist? Basel bietet (wie viele andere Städte auch) mittlerweile diverse freiwillige Sprachkurse an. Künftig will sie aber auch sanften und notfalls weniger sanften Druck aufsetzen. So besagt der Entwurf zum neuen Basler Integrationsgesetz, dass seine Aufenthaltsbewilligung aufs Spiel setzt, wer sich Sprach- und Integrationskursen verweigert. In der Praxis möchten die Behörden mit diesen Leuten individuelle Integrationsvereinbarungen abschliessen. Die Betreffenden, so Thomas Kessler, empfinden das erfahrungsgemäss als Befreiung und nicht als staatliche Nötigung, indem ein latent rassistischer Beamter eine anatolische Analphabetin mit Maturaaufgaben in die Enge treibt, wie rot-grüne Kritiker in Basel schwarzmalen. Gleichwohl: Im Extremfall könnte die Stadt jemanden ausweisen. Ein durchaus nötiges Signal.
Wahr gemacht wird diese Drohung schon jetzt ungefähr dreissigmal pro Jahr, weil die Regeln dauernd und krass missachtet werden, sagt Thomas Kessler, selber «ein grosser Freund klarer Standards und ihrer Durchsetzung». Folgerichtig hat man 2004 auch einen türkischen Imam ausgewiesen, weil er in Basel gepredigt hatte, ein Ehemann habe das Recht, seine Frau zu schlagen.
Was innerhalb einer Moschee gesagt wird, ist ohnehin viel wichtiger als ihr Äusseres. Deshalb ist die hitzige Debatte um geplante Minarette eine Nebensächlichkeit. Ihr Gutes hat sie höchstens darin, dass latentes Unbehagen früh zum Thema wird. Die Muslime sind in der Pflicht, sich zu erklären. Und was könnte Besseres passieren, als wenn der Langenthaler SVP-Politiker und Minarett-Kritiker Patrick Freudiger in die lokale Moschee eingeladen wird und am Schluss seines Besuches feststellt: «Ich wurde freundlich dort empfangen, hatte gute Gespräche, die Leute schienen mir im Allgemeinen integriert.» Zuvor gab es solche Kontakte nicht, denn keine Seite hatte sie gesucht. Freudiger hat nicht unrecht, wenn er sagt, dass «nur eine Volksabstimmung (über Minarette) effektiv zu einem Dialog der Kulturen unter den Leuten führt». Ein reiner Verwaltungsakt tut es jedenfalls nicht, die direkte Demokratie ist das bessere Frühwarn- und Integrationssystem.

VII. Schweizer integrieren!
Glaubt man Thomas Kessler, ist die Zukunft rosig: «Die Schweiz hat die besten Chancen aller Länder für eine gute Integration, historisch, politisch, ökonomisch und kulturell.» Wenn der Staat früh eingreift und nicht derart spät, dass es so hoffnungslos ist wie in der französischen Banlieue. Gettos zu verhindern, ist weit billiger als ihre Sanierung, und das beginnt mit einer intelligenten Quartierplanung.
Man braucht Kesslers Eifer nicht bis ins Letzte zu teilen, mit dem er den Staat intervenieren lassen will, um Migrantenkinder – und deren Eltern – zu chancengleichen Einwohnern zu erziehen. Doch die Aussichten stehen gut, zumal die Probleme noch vergleichsweise klein erscheinen. Mit dem neuen Ausländergesetz dürften mehr Bessergebildete aus der Mittelschicht einwandern, und die sind nun mal einfacher zu integrieren.
Wo es aber künftig schwieriger wird, ist bei den Schweizern selber. Zum Beispiel wenn sich die globalisierte Oberschicht zunehmend vom Rest der Gesellschaft abnabelt und sich vom Milizsystem abmeldet. Vor allem aber wächst eine Schweizer Unterschicht heran, deren Aussichten nicht besser sind als die mancher Migranten. Die Rede ist von der anderen Hälfte, die (nebst den Ausländern) die Fürsorgestatistiken füllt. Sie sind schlecht ausgebildet, oft allein erziehend, immer öfters ohne Arbeit, abgehängt.
Höchste Zeit also, etwas zu unternehmen, bevor die Verhältnisse wirklich prekär werden.

(1) «Die 1000-Franken-Therapie»
im «Magazin» vom 24. September 2005

(2) «Die Überläufer»
im «Magazin» vom 16. Oktober 2004

Beide Texte sind auf www.dasmagazin.ch unter «Archiv» zu finden.




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© Das Magazin

Finde pesönlich ein gut geschriebener artikel.....

ich weis für die einen wird er evtl. zu lange sein aber es lohnt sich... :wink:
 
:tu:
skenderbegi schrieb:
Umso mehr gebührt der St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter ein Kränzchen, die einen türkischen Vater und den vermeintlichen Schwiegersohn ausweisen liess, nachdem die beiden von der Tochter wegen der drohenden Zwangsverheiratung angezeigt worden waren.
:tu: Korrekt! :tu:
 
Integration ist nicht unbedingt äquivalent zur Assimilation. Also Kids, etwas mehr Respekt für euer Gastgeberland würde nicht schaden. 8)
 
Heishiro_Mitsurugic schrieb:
Integration ist nicht unbedingt äquivalent zur Assimilation. Also Kids, etwas mehr Respekt für euer Gastgeberland würde nicht schaden. 8)
oder für ein paar auch: in dem Land, wo geboren seid.
 
Apropo Integration:

[web:65fbeacba5]http://youtube.com/watch?v=U5QvnylhGfI[/web:65fbeacba5]

8) :lol: :roll:
 
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