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Belgrader Musikszene: Auf der Suche nach dem Anschluss

lupo-de-mare

Gesperrt
Der Artikel ist ganz interesannt, wie die Entwicklung auch in Serbien sich jetzt ändert.

Belgrader Musikszene: Auf der Suche nach dem Anschluss

«Wir wollen Teil dieser Welt sein»
Radio B92 sucht Sponsoren, junge Rapper parodieren die Macho-Gesellschaft, Roma-Musiker versuchen, sich auf dem Weltmusikmarkt durchzusetzen: Die Belgrader Popmusikszene zeigt viele Facetten.
Thomas burkhalter
Überlaut dröhnt verzerrter Technopop mit orientalischem Einschlag in die Flusslandschaft hinaus. Ein paar nach Bier stinkende Teenager lungern herum. Noch vor vier Jahren hätten sich hier die Mafia-Freunde von Slobodan Milosevic mit ihren Flittchen amüsiert, sagen sie. Und weisen auf die gut beleuchteten Partyschiffe, die gegenüber der Belgrader Burg in der Donau schwimmen. In den Booten produzieren sich mit Silikon bewehrte Frauen in Leopardenkostümen und Minimalrock vor ihren saufenden Freunden. Fünf Partymusiker heizen mit gelangweilten Mienen ein; die Sängerin setzt auf gekünstelte Orientalismen und laszives Stöhnen. Alles Mafia, alles Macho? Auch das ist immer noch ein Teil der Realität in Belgrad.
Kurze Kleider und Make-up für die Mafia
In den Kriegsjahren unter Slobodan Milosevic (1990 bis 2000) agierten die Medien als verlängerter Arm des Regimes. Via Pink TV avancierte der so genannte Turbo-Folk, der noch heute auf den Partybooten gespielt wird, zum medialen Ausdruck der Macho- und Mafia-Kultur Belgrads. Fast alle Starsängerinnen des Genres waren mit Mafiabossen liiert - was ihre Popularität nur steigerte. Svetlana «Ceca» Raznatovic, Königin des Turbo Folks, heiratete den berühmt-berüchtigten «Arkan», Kriegsverbrecher und Anführer der Tiger-Miliz. Nach der Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic am 12. März 2003 verbrachte die Starsängerin vier Monate hinter Gittern; der Mordhauptverdächtige soll in ihrer Villa ein und aus gegangen sein.
«Die mafiösen Neureichen waren in den Kriegsjahren die einzigen Typen mit Geld: So zwängten sich junge Serbinnen in engste und kürzeste Kleidchen, schmierten zu viel Make-up ins Gesicht und schmissen sich an die Ganoven ran», blickt die Musikwissenschaftlerin Ksenija Stevanovic zurück. Heute wolle der Turbo-Folk sein nationalistisches Image loswerden: Die Musik klinge stärker nach MTV, weniger folkloristisch. Mit überraschendem Erfolg: Stars des Turbo-Folk wie Jelena Karleusa, die in den Neunzigerjahren Partnerin eines bekannten Drogendealers und Autoschmugglers war, finden heute auch in Bosnien und Kroatien ein Publikum. Umgekehrt ist der Retortenpop, der Techno und Kommerzrock der grossen Stars aus Kroatien, Bosnien und Mazedonien auch in Belgrad äusserst beliebt.
Der Störsender ist gefällig geworden
Die legendäre alternative Musikszene Belgrads will weder mit Turbo Folk noch mit seinen Nachfolgern etwas am Hut haben. Für Rockgruppen wie Eyesburn, Darkwood Dub, Jarboli, Block Out, Flip Out sowie Elektronikkünstler wie Belgradyard Sound System oder die DJs Marco Nastic und Bojan Mitrovic bleibt bis heute die Radiostation B92 der wichtigste Partner. Viermal war der Oppositionssender in den Neunzigerjahren verboten worden, und doch rief er im Oktober 2000 mit zu jener Demonstration auf, die Milosevic stürzen sollte.
Mit dem Abzug zahlreicher internationaler Friedens- und Medienorganisationen verlor der Sender jedoch wichtige Geldgeber und muss sich heute am Markt behaupten. «Früher kämpften wir gegen das Regime, heute für Sponsorengelder», fasst B92-Urgestein Gordan Paunovic die Entwicklung zusammen. Der Sender, der ab 1989 mit Indie-Rock, Punk, New Wave und Hip-Hop auf sich aufmerksam machte, ist in den letzten Jahren gefälliger geworden. «Am Tag läuft eine Playlist. Speziellere Sounds gibts bloss noch am Abend. Darum arbeite ich auch nicht mehr als Musikredaktor», sagt Paunovic.
«Wir rappten über die Schandtaten»
Die Generation der heute Zwanzigjährigen bevorzugt den alternativen Radiosender SKC. Viele Jugendliche hören Rap. Ein paar wenige produzieren ihn. «In den Kriegsjahren hatten wir Rapper einen schweren Stand», erinnert sich der 27-jährige Djordje Jovanovic von Beogradski Sindikat: «Die alternativen Rockgruppen predigten in ihren Liedern, man solle in Belgrad ausharren. Wir hingegen rappten über die Schandtaten von Milosevic.» Nach seinem Sturz machten Beogradski Sindikat mit ihrer Hitsingle «Beef» Furore. Sie zählten Politiker aller Lager mit all ihren krummen Geschäften und Affären auf. Das Rapperkollektiv wurde daraufhin gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten Vojislav Kostunica in eine TV-Talkshow eingeladen. Seither gelten «Beogradski Sindikat» als Heroen der lokalen Szene. Andere, junge Rapgruppen wie Skabo, Ajs Nigrutin, Bad Copy und Bitcharke Na Travi provozieren lieber indirekt. Auf Serbisch - «Fuck English» - parodieren sie die Mafia- und Porno-Ästhetik des Turbo-Folks und freuen sich, so Timbe von Bad Copy, «wenn die Neureichen in ihren Villen unsere Refrains mitsingen, ohne zu merken, dass wir sie verarschen». Wenn die Rapperinnen Una und Marija vom Duo Bitcharke Na Travi öfter von männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen als von Politik rappen, lehnen sie sich nicht an die kommerzielle Hip-Hop-Kultur der USA an, sondern kommentieren lokale gesellschaftliche Realitäten. «Unsere verbalen Attacken zielen auf die ‹gesponserten Chicks› des Turbo-Folks, «die mit alten Neureichen alles tun», sagt die 21-jährige Una: «Wir hinterfragen die Geschlechterrollen, die hinter solchen Phänomenen stehen.»
Andreja Milkic vom etwas kommerzielleren Rap-Label «Bassivity Music» will Hip-Hop in den Mainstream bringen. Einfach ist das nicht: Die grossen TV-Stationen spielen nur die Videoclips ihrer eigenen Labels - ausser man zahlt oder hat Beziehungen. Und die neu ansässigen internationalen Major-Labels kämpfen zurzeit vor allem dafür, dass das neue serbische Antipirateriegesetz seine Wirkung entfaltet. Für «Bassivity Music» bleibt der Alleingang: «Wir lassen unsere Konzerte auch mal von McDonald's sponsern und setzen auf überregionale Kontakte», erklären die Macher des Labels. MC Shorty, V.I.P und Marcello, drei der hauseigenen Shootingstars, treten denn auch mal im näheren Ausland, etwa in Kroatien, auf: «Nationalismus interessiert hier niemanden«, sagen sie einhellig: «Wir wollen Teil dieser Welt sein. Wir wollen ohne Visum ins Ausland reisen.»

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http://www.bielertagblatt.ch/article.cfm?id=171567&startrow=5&ressort=Schweiz-BE&kap=bta&job=7921310
 
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