Europäische Union
Wutausbruch in Brüssel - Beschwichtigung in Moskau
Von Hendrik Kafsack, Brüssel
Die neuen EU-Mitgliedstaaten stehen Russland skeptisch gegenüber
15. Mai 2007
Die Stimmung war gereizt, als sich die Botschafter der EU-Staaten Ende vergangener Woche in Brüssel trafen, um das Treffen zwischen Russland und der EU am 18. Mai im russischen Samara vorzubereiten. Ohne Vorwarnung - so berichten Diplomaten - habe sich plötzlich nicht nur Polen, sondern auch Litauen dagegen gesperrt, Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland aufzunehmen. Ein Wutanfall des Vertreters der deutschen Präsidentschaft soll die Reaktion gewesen sein, auf den die wiederholte Frage folgte, was sich Litauen bitte davon verspreche.
Andeutungen, dass es zu dieser Situation kommen könne, wenn Russland seine Öllieferungen an Litauen nicht wiederaufnehme, hatte es aus der litauischen Regierung freilich schon im Februar gegeben. Auch das Treffen der EU-Außenminister am Montag brachte keine Annäherung in der Frage, wie die EU mit Russland umgehen soll. Im Gegenteil: Litauen sprach sich für eine Denkpause im Ringen um das neue Abkommen aus, Polen bekräftige sein Veto, und auch Estland denkt nun über ein Veto nach.
Ostmitteleuropäische Mitgliedstaaten wollen Distanz
Die Gemeinschaft ist kurz vor dem Treffen, bei dem Bundeskanzlerin Merkel die EU vertreten wird, tief gespalten. Vor allem die ostmitteleuropäischen Mitgliedstaaten sprechen sich immer mehr dafür aus, stärker auf Distanz zu Russland zu gehen. Die Mehrheit der Staaten und die Kommission indes setzen auf Dialog und die gegenseitige Abhängigkeit beider Seiten.
„Wir brauchen Russland wie es uns“, fasste Außenkommissarin Ferrero-Waldner deren Position zusammen. Ähnlich äußerte sich der britische Premierminister Blair jüngst im Interview: Die Beziehungen zwischen Russland und der EU seien viel zu wichtig, als dass sie nicht funktionieren könnten. Europa brauche Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, etwa um eine Lösung für den Atomstreit mit Iran zu finden.
Das Verhältnis zu Russland wird immer schlechter
Einig sind sich die EU-Mitgliedstaaten nur darüber, dass das Verhältnis zu Russland immer schlechter wird. Der Streit über den künftigen Status des Kosovo belastet die Beziehungen zu Russland ebenso wie die Diskussion über die Pläne, Teile des amerikanischen Raketenabwehrsystems in der Tschechischen Republik und Polen zu stationieren, und das russische Vorgehen in der Energiepolitik. Rund ein Drittel des Erdöls und Gases der EU kommt aus Russland. Deshalb haben die Lieferunterbrechungen im Streit über die Rohstoffpreise zwischen Russland und der Ukraine sowie Russland und Weißrussland Sorgen geweckt.
Hinzu kommen verschiedene Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedstaaten und Russland: die jüngsten Unruhen in Estland wegen der Verlegung eines Kriegerdenkmals aus der Sowjetzeit, das inzwischen seit Herbst 2005 bestehende russische Einfuhrverbot für polnisches Fleisch wegen angeblicher Bedenken bei der Hygiene sowie der Stopp der russischen Öllieferungen an Litauen, der mit Schäden in den Leitungen begründet wird, aber vergangenen Sommer begann, nachdem zuvor ein polnisches Unternehmen beim Verkauf einer litauischen Raffinerie den Vorzug vor einem russischen Bewerber erhalten hatte.
Die alten EU-Mitgliedstaaten suchen das Gespräch
Die alten EU-Mitgliedstaaten suchen das Gespräch, um die verschiedenen Konflikte zu lösen. „Dialog, der auch seine Dornen hat“, nennt dieses Vorgehen Österreichs Außenministerin Plassnik. Außenminister Steinmeier (SPD) reiste am Dienstag eigens nach Moskau, damit der Gesprächsfaden nicht reißt. „Wir dürfen keinen Zustand von Sprachlosigkeit eintreten lassen, auch wenn es unterschiedliche Interessen gibt“, sagte er nach einem Treffen mit Präsident Putin. Es sei die Aufgabe beider zu erreichen, dass sich „aus Interessenunterschieden keine großen politischen Konflikte auftürmen“.
Die derzeit vor allem von den Spannungen betroffenen Mitgliedstaaten Polen, Litauen und Estland fürchten indes, dass die europäische Bereitschaft zum Dialog in Moskau als Nachgeben missverstanden werden könnte. Sie sehen in dem Vorgehen Russlands einen Versuch, seinen Einfluss im ehemaligen Ostblock zu erhöhen und die EU zu spalten. Polen spricht offen von politischer Erpressung.
Neue EU-Staaten setzen auf Sarkozy
Das Land ist Wortführer der Staaten, die darauf dringen, die von Italien, Deutschland und Frankreich getragene traditionelle EU-Linie zu verlassen, guten Beziehungen zu Moskau im Zweifelsfall Priorität zu geben. Seit dem Streit über die geplante Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland vorbei an polnischem Gebiet treibt die Polen dabei die Sorge, vom „alten Westen“ für gute Beziehungen zu Russland geopfert zu werden. So warf die polnische Außenministerin Fotyga der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am Montag vor, die speziellen Sorgen von Polen und Balten nicht angemessen zu berücksichtigen.
Aber auch andere der neuen EU-Staaten dringen darauf, dass die EU im Umgang mit Russland den Ton ändert. Ihre Hoffnung setzen sie dabei auf Frankreich. Der neue Präsident Sarkozy werde dabei helfen, dass die EU künftig wieder mit einer Stimme mit der russischen Regierung sprechen werde, sagt der slowenische Ministerpräsident Jansa.
„Russland ist nicht unser Gegner“
Im Gegensatz zum scheidenden Präsidenten Chirac, der gemeinsam mit dem ehemaligen Bundeskanzler Schröder (SPD) die Nähe Präsident Putins suchte, gilt Sarkozy als Befürworter einer engen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und einer robusten Linie gegenüber Russland.
Vor dem EU-Russland-Treffen in Samara schickte Sarkozy allerdings seinen Berater Pierre Lellouche vor, um in Moskau für einen entspannten Umgang zu werben. „Russland ist nicht unser Gegner. Das soll äußerst klar sein“, sagte Lellouche und warb für eine enge Zusammenarbeit zwischen Russland und Frankreich.
Text: F.A.Z., 16.05.2007, Nr. 113 / Seite 2
Bildmaterial: REUTERS