Krajisnik
Top-Poster
Sein drittes Einbürgerungsgesuch wurde abgelehnt: Jetzt kehrt Predrag Dosic dem Ort seiner Kindheit den Rücken
Rheineck. Das Logo der Gemeinde ist eine flott formulierte Einladung: Rheineck ... he-reinspaziert! Muslimen kann sie nicht gelten. Auch nicht Predrag Dosic. Als der Neunzehnjährige am 21. März nach der Bürgerversammlung im Wohnzimmer seiner Eltern auftauchte, fragten sie: «Und?» - «Sie haben mich abgelehnt», erwiderte ihr jüngster Sohn. Er teilt dieses Schicksal mit 25 Muslimen, bloss Predrag Dosic ist Christ, griechisch-orthodoxer Christ.
Ikonen und Wohnwand
Nada, 49, und Jovo Dosic, 55, lachten nur ungläubig. «Meine Eltern brauchten eine halbe Stunde, bis sie es endlich begriffen», rapportiert der Sohn kühl. Aber die Ablehnung seines dritten Einbürgerungsgesuches lässt Predrag Dosic nicht kalt: «Ich kann zwar nichts daran ändern, aber ich will wenigstens deutlich sagen, was ich davon halte: Die, die mich abgelehnt haben, sind Rassisten.» Darum gibt er bereitwillig Auskunft. Auch seine Eltern haben sich an den Tisch gesetzt. Das Wohnzimmer ist so akkurat hergerichtet, dass es das Herz jedes Schweizermachers höher schlagen liesse. Über dem Cheminee hängen Heiligenbilder im Ikonenstil - Johannes der Täufer, ein grossäugiger Jesus, die Darstellung eines Felsenklosters. Zwischen Wohnwand und Polstergruppe glotzt ein Gampiross in die gute Stube.
Eine Stimme entscheidet
Von hier zur evangelischen Kirche sind es nur wenige Minuten zu Fuss, von hier kann man den Kirchturm sehen. An jenem 21. März bangte Predrag Dosic auf der Empore, als unten im Kirchenschiff 264 Rheinecker um die Einbürgerungen stritten. Dabei war die Ausgangslage klar. Der Einbürgerungsrat hatte alle Gesuche zur Annahme empfohlen. Doch seit Wochen braute sich etwas zusammen. 25 Muslime sollten Schweizer werden. Bereits an der Vorversammlung herrschte eine Stimmung, als belagerte ein Heer islamischer Gotteskrieger das Städtchen am Alten Rhein. An der Bürgerversammlung entlud sich dann die Spannung. Predrag hörte die Anträge und die aufgeregten Stimmen, die von unten an sein Ohr schwappten, aber sehen konnte er oben auf der Empore nichts.
Behörden winken ab
Mutter Nada und Vater Jovo wissen, wie sich ihr Sohn fühlt. Familie Dosic hat zweimal einen Antrag gestellt. Die Eltern und die beiden Söhne schafften es nicht. Nur die Tochter, eine Krankenschwester, schlüpfte in die neue Heimat, mit einer Stimme mehr als benötigt. Als die Eltern einen dritten Anlauf planten, winkte die Einbürgerungsbehörde ab. Also liessen sie es bleiben. Auch, um die Chancen ihres Jüngsten zu wahren. Die standen eigentlich gut. Predrag ist schliesslich in Rheineck aufgewachsen, hat hier die Sekundarschule absolviert. Er lernt Polymechaniker und schmiedet Zukunftspläne, er will später an ein Technikum. Auch als Predrags Einbürgerungsgesuch am 21. März an der Reihe war, leierte ein Bürger jenen stereotypen Ablehnungsantrag herunter, der nicht nur Dosic, sondern auch allen Muslimen zum Verhängnis wurde: Zu wenig integriert. 127 Bürger nahmen die Behauptung für bare Münze, 107 hätten Predrag Dosic den Schweizer Pass gegönnt.
Kein Schläger, kein Raser
Dosics rätseln seither, was das bedeuten könnte: Zu wenig integriert. Einem Verein gehört ihr Jüngster in Rheineck nicht an. Aus einem einfachen Grund: Hier gibt es keinen Basketball-Club. Predrag eiferte seinem älteren Bruder nach, einem Zweimeter-Mann und Nati-A-Spieler. Predrag trainierte bei einem Verein in St. Gallen. Aber dann entschied er sich gegen den Spitzensport und für eine gute Ausbildung. Den Basketball zirkelt er mittlerweile nur noch zu seinem Vergnügen in den Korb, in Goldach, wo der Sportplatz auch abends nach acht zugänglich ist. Hat Predrag Dosic sich vielleicht Feinde gemacht? Ist er ein Schläger? «Nein», wehrt er ab, «isch nie öppis gsi.» Vor der Wohnung an der Appenzellerstrasse parkt ein schwarzer BMW. Ist Predrag Dosic ein Raser? Der eine oder andere Strafzettel flatterte ins Haus, weil er drei oder vier Stundenkilometer zu schnell unterwegs war. Nichts Schlimmes, das, was allen mal passiert. Sagt der Vater. Sein Sohn trinkt nicht, er kifft nicht, er wirft keine Pillen ein.Weshalb also soll er nicht ein schönes Auto fahren? Unter jedem Einbürgerungsgesuch stand im Gutachten die Konfession. Bei Predrag Dosic: orthodox. «Ich bin doch griechisch-orthodox, warum hat der Einbürgerungsrat das nicht vollständig geschrieben?!» Für einen Augenblick lüftet sich der Schleier der Coolness. Vielleicht glaubten ja die, die gegen ihn stimmten, er sei ein orthodoxer Muslim. «Die händ doch kei Ahnig gha, was orthodox bedütet», mutmasst er. Die Dosics knobeln, aber dieses Rheinecker Rätsel löst man nicht mit Logik, schon eher mit einem Zufallsgenerator.
Ein Früchtekorb
«Wir kommen mit allen Nachbarn gut aus, fragen Sie», mischt sich der Vater ins Gespräch. Will sagen: Dosics sind bei den Leuten im allgemeinen wohlgelitten, jedenfalls hat die serbische Familie aus Bosnien-Herzegowina nichts zu verbergen. Ein Beleg für ihre Beliebtheit thront unübersehbar auf dem Stubentisch, ein Früchtekorb. Nachbarn brachten ihn am Tag nach der Bürgerversammlung. Dass sie Jovo Dosic, dem Fabrikarbeiter und Familienvater, den Schweizer Pass verweigern, schmerzt. Es sind erträgliche Schmerzen. Doch warum verweigert man seinen Söhnen den Schweizer Pass? Er breitet die Arme aus. «Was häisst intägriärt?» Seine tiefe Stimme schwingt sich auf in höhere Tonlagen. «Mäin ältester Sohn spieltä Baskätball in Nati A!» - Jovo Dosic versteht die Schweiz nicht mehr. Wenn sein ältester Sohn für die Nati A gut genug ist, muss er doch auch gut genug sein für Rheineck. Und wenn ihn dann Leute aufrichten wollen: «Das ist nicht gegen Sie persönlich gerichtet», fragt Jovo Dosic zurück: «Gegen wen dann?» Ratlos zuckt er die Schultern. Seine ganze Sorge gilt jetzt seinem Jüngsten.
«Da hät kein Sinn»
Da platzt Nada Dosic der Kragen: «Als wir vor 30 Jahren in die Schweiz gekommen sind, waren wir Gold, jetzt wir sind Dreck!» Dabei sorgt sich die Frau nicht um sich, die Mutter sorgt sich um ihren Jüngsten, möchte am liebsten subito den Hügel runter zum Gemeindehaus, ins Büro von Gemeindechef Pfäffli, ihn auffordern, Predrag doch noch irgendwie das Bürgerrecht zu verschaffen, man darf ihrem Sohn doch nicht die Zukunft stehlen! Nada Dosic verschränkt die Arme vor der Brust, als versperrte sie den unguten Gefühlen den Zugang zu ihrem Herzen - sie redet, redet, redet, redet sich atemlos. Bis ihr der Sohn ins Wort fällt: «Da interessiert die nöd. Da hät kein Sinn, für diä simmer alle nu huere Yugo.» Es ist alles gesagt. Jetzt wollen Dosics bloss noch weg hier, weg von Rheineck, wo sie 15 Jahre Steuern bezahlt, eine Eigentumswohnung gekauft und sich wohl gefühlt haben. Ihre Zukunft scheint unsicher. Aber eines steht fest: Am neuen Ort wird Predrag Dosic ein Einbürgerungsgesuch stellen. Andreas Fagetti
Rheineck. Das Logo der Gemeinde ist eine flott formulierte Einladung: Rheineck ... he-reinspaziert! Muslimen kann sie nicht gelten. Auch nicht Predrag Dosic. Als der Neunzehnjährige am 21. März nach der Bürgerversammlung im Wohnzimmer seiner Eltern auftauchte, fragten sie: «Und?» - «Sie haben mich abgelehnt», erwiderte ihr jüngster Sohn. Er teilt dieses Schicksal mit 25 Muslimen, bloss Predrag Dosic ist Christ, griechisch-orthodoxer Christ.
Ikonen und Wohnwand
Nada, 49, und Jovo Dosic, 55, lachten nur ungläubig. «Meine Eltern brauchten eine halbe Stunde, bis sie es endlich begriffen», rapportiert der Sohn kühl. Aber die Ablehnung seines dritten Einbürgerungsgesuches lässt Predrag Dosic nicht kalt: «Ich kann zwar nichts daran ändern, aber ich will wenigstens deutlich sagen, was ich davon halte: Die, die mich abgelehnt haben, sind Rassisten.» Darum gibt er bereitwillig Auskunft. Auch seine Eltern haben sich an den Tisch gesetzt. Das Wohnzimmer ist so akkurat hergerichtet, dass es das Herz jedes Schweizermachers höher schlagen liesse. Über dem Cheminee hängen Heiligenbilder im Ikonenstil - Johannes der Täufer, ein grossäugiger Jesus, die Darstellung eines Felsenklosters. Zwischen Wohnwand und Polstergruppe glotzt ein Gampiross in die gute Stube.
Eine Stimme entscheidet
Von hier zur evangelischen Kirche sind es nur wenige Minuten zu Fuss, von hier kann man den Kirchturm sehen. An jenem 21. März bangte Predrag Dosic auf der Empore, als unten im Kirchenschiff 264 Rheinecker um die Einbürgerungen stritten. Dabei war die Ausgangslage klar. Der Einbürgerungsrat hatte alle Gesuche zur Annahme empfohlen. Doch seit Wochen braute sich etwas zusammen. 25 Muslime sollten Schweizer werden. Bereits an der Vorversammlung herrschte eine Stimmung, als belagerte ein Heer islamischer Gotteskrieger das Städtchen am Alten Rhein. An der Bürgerversammlung entlud sich dann die Spannung. Predrag hörte die Anträge und die aufgeregten Stimmen, die von unten an sein Ohr schwappten, aber sehen konnte er oben auf der Empore nichts.
Behörden winken ab
Mutter Nada und Vater Jovo wissen, wie sich ihr Sohn fühlt. Familie Dosic hat zweimal einen Antrag gestellt. Die Eltern und die beiden Söhne schafften es nicht. Nur die Tochter, eine Krankenschwester, schlüpfte in die neue Heimat, mit einer Stimme mehr als benötigt. Als die Eltern einen dritten Anlauf planten, winkte die Einbürgerungsbehörde ab. Also liessen sie es bleiben. Auch, um die Chancen ihres Jüngsten zu wahren. Die standen eigentlich gut. Predrag ist schliesslich in Rheineck aufgewachsen, hat hier die Sekundarschule absolviert. Er lernt Polymechaniker und schmiedet Zukunftspläne, er will später an ein Technikum. Auch als Predrags Einbürgerungsgesuch am 21. März an der Reihe war, leierte ein Bürger jenen stereotypen Ablehnungsantrag herunter, der nicht nur Dosic, sondern auch allen Muslimen zum Verhängnis wurde: Zu wenig integriert. 127 Bürger nahmen die Behauptung für bare Münze, 107 hätten Predrag Dosic den Schweizer Pass gegönnt.
Kein Schläger, kein Raser
Dosics rätseln seither, was das bedeuten könnte: Zu wenig integriert. Einem Verein gehört ihr Jüngster in Rheineck nicht an. Aus einem einfachen Grund: Hier gibt es keinen Basketball-Club. Predrag eiferte seinem älteren Bruder nach, einem Zweimeter-Mann und Nati-A-Spieler. Predrag trainierte bei einem Verein in St. Gallen. Aber dann entschied er sich gegen den Spitzensport und für eine gute Ausbildung. Den Basketball zirkelt er mittlerweile nur noch zu seinem Vergnügen in den Korb, in Goldach, wo der Sportplatz auch abends nach acht zugänglich ist. Hat Predrag Dosic sich vielleicht Feinde gemacht? Ist er ein Schläger? «Nein», wehrt er ab, «isch nie öppis gsi.» Vor der Wohnung an der Appenzellerstrasse parkt ein schwarzer BMW. Ist Predrag Dosic ein Raser? Der eine oder andere Strafzettel flatterte ins Haus, weil er drei oder vier Stundenkilometer zu schnell unterwegs war. Nichts Schlimmes, das, was allen mal passiert. Sagt der Vater. Sein Sohn trinkt nicht, er kifft nicht, er wirft keine Pillen ein.Weshalb also soll er nicht ein schönes Auto fahren? Unter jedem Einbürgerungsgesuch stand im Gutachten die Konfession. Bei Predrag Dosic: orthodox. «Ich bin doch griechisch-orthodox, warum hat der Einbürgerungsrat das nicht vollständig geschrieben?!» Für einen Augenblick lüftet sich der Schleier der Coolness. Vielleicht glaubten ja die, die gegen ihn stimmten, er sei ein orthodoxer Muslim. «Die händ doch kei Ahnig gha, was orthodox bedütet», mutmasst er. Die Dosics knobeln, aber dieses Rheinecker Rätsel löst man nicht mit Logik, schon eher mit einem Zufallsgenerator.
Ein Früchtekorb
«Wir kommen mit allen Nachbarn gut aus, fragen Sie», mischt sich der Vater ins Gespräch. Will sagen: Dosics sind bei den Leuten im allgemeinen wohlgelitten, jedenfalls hat die serbische Familie aus Bosnien-Herzegowina nichts zu verbergen. Ein Beleg für ihre Beliebtheit thront unübersehbar auf dem Stubentisch, ein Früchtekorb. Nachbarn brachten ihn am Tag nach der Bürgerversammlung. Dass sie Jovo Dosic, dem Fabrikarbeiter und Familienvater, den Schweizer Pass verweigern, schmerzt. Es sind erträgliche Schmerzen. Doch warum verweigert man seinen Söhnen den Schweizer Pass? Er breitet die Arme aus. «Was häisst intägriärt?» Seine tiefe Stimme schwingt sich auf in höhere Tonlagen. «Mäin ältester Sohn spieltä Baskätball in Nati A!» - Jovo Dosic versteht die Schweiz nicht mehr. Wenn sein ältester Sohn für die Nati A gut genug ist, muss er doch auch gut genug sein für Rheineck. Und wenn ihn dann Leute aufrichten wollen: «Das ist nicht gegen Sie persönlich gerichtet», fragt Jovo Dosic zurück: «Gegen wen dann?» Ratlos zuckt er die Schultern. Seine ganze Sorge gilt jetzt seinem Jüngsten.
«Da hät kein Sinn»
Da platzt Nada Dosic der Kragen: «Als wir vor 30 Jahren in die Schweiz gekommen sind, waren wir Gold, jetzt wir sind Dreck!» Dabei sorgt sich die Frau nicht um sich, die Mutter sorgt sich um ihren Jüngsten, möchte am liebsten subito den Hügel runter zum Gemeindehaus, ins Büro von Gemeindechef Pfäffli, ihn auffordern, Predrag doch noch irgendwie das Bürgerrecht zu verschaffen, man darf ihrem Sohn doch nicht die Zukunft stehlen! Nada Dosic verschränkt die Arme vor der Brust, als versperrte sie den unguten Gefühlen den Zugang zu ihrem Herzen - sie redet, redet, redet, redet sich atemlos. Bis ihr der Sohn ins Wort fällt: «Da interessiert die nöd. Da hät kein Sinn, für diä simmer alle nu huere Yugo.» Es ist alles gesagt. Jetzt wollen Dosics bloss noch weg hier, weg von Rheineck, wo sie 15 Jahre Steuern bezahlt, eine Eigentumswohnung gekauft und sich wohl gefühlt haben. Ihre Zukunft scheint unsicher. Aber eines steht fest: Am neuen Ort wird Predrag Dosic ein Einbürgerungsgesuch stellen. Andreas Fagetti