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Bosnien: "Hätten ihn viel früher verhaften können"

BosnaHR

Bozz
In Sarajewo feiern die Menschen die Festnahme des Mannes, der die Stadt jahrelang belagern ließ. Und es werden Erinnerungen an den Krieg wach.

Ob beim Friseur, im Supermarkt, im Park: Die Stimmung in der mehrheitlich von bosnischen Muslimen bewohnten Stadt Sarajewo ist gelöst. „Endlich ist Mladić gefasst. Wir haben so lange darauf gewartet“, sagt der 60-jährige Amer Begović. Er selbst konnte mit seiner Frau und den Töchtern 1992 aus Ostbosnien fliehen, doch sein Sohn und sein Bruder fielen serbischen Extremisten in die Hände. „Noch immer weiß ich nicht, wo sie ermordet worden sind, in Brčko, in Bjeljina? Wo ist ihr Grab?“ Der 45-jährige Emir Kulenović war Anfang des Krieges bei einer Polizeieinheit, die Sarajewo verteidigte. Über dreieinhalb Jahre saß er in den Schützengräben rund um die Stadt. Viele seiner Kameraden sind gefallen oder wurden schwer verwundet. Er erinnert sich an die Kälte, den Hunger, die Ungewissheit. „Das Schlimmste war, dass wir uns von der Welt verlassen fühlten.“


Er ballt die Faust. „Man hätte Mladić schon früher verhaften können, die haben ja alle gewusst, wo er war, die serbische Polizei, die westlichen Geheimdienste. Dass er bei seinem Verwandten mit dem Namen Mladić gefunden worden ist, ist ja ein Witz. Als Polizist überwachst du doch als erstes die Verwandten.“ Doch dann entfährt ihm das „Endlich“. Alle Mörder müssten wissen, dass sie einmal gefasst werden. Er lacht und lädt zu einem Drink ein. „Das müssen wir feiern.“ Der neben Radovan Karadžić Hauptverantwortliche an dem vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Genozid eingestuften Massenmord vor allem an den Muslimen Bosniens muss sich jetzt vor Gericht rechtfertigen, das freut Kulenović wie die meisten Menschen in Sarajewo.

„Man kann Verbrechen nicht mehr leugnen“

„Der Mythos ist gebrochen,“ sagt der Deutschlehrer Meho Alicehajić. „Die Festnahme hat große Bedeutung für die Zukunft in Bosnien-Herzegowina wie in der gesamten Region.“ Der serbische Nationalismus werde die Verbrechen nicht mehr leugnen können.
„Die ganze Welt hat über CNN und BBC jetzt die Bilder von damals wiedergesehen. Den Ausspruch Mladićs in Srebrenica, als er den Mordbefehl als Rache an den Türken ausgab. Und auch die Bilder von dem Mord an den jungen Männern bei Trnovo“, sagt Alicehajić. Diese von einem Armeekameramann dokumentierten Bilder der Hinrichtung der jungen Männer haben vor einigen Jahren, als sie serbischen Oppositionellen zugespielt wurden, großes Aufsehen erregt. „Es gibt ja nicht viele Filmdokumente über die Verbrechen der ethnischen Säuberungen“, sagt auch Srdjan Dizdarević, lange Jahre Vorsitzender der Helsinki-Föderation für Menschenrechte. Unabhängige Journalisten und Beobachter seien damals von den betroffenen Regionen ferngehalten worden. Zensur gebe es bis heute.

Ärger in der Republika Srpska

In der serbischen Teilrepublik wurden diese Bilder nach Mladićs Festnahme im Fernsehen tatsächlich nicht gezeigt. Noch immer äußern sich viele Serben Bosniens in den Medien anerkennend über ihren damaligen Armeeführer. Pantelija Ćurguz, Mitglied einer Veteranenorganisation, kritisiert Serbiens Präsidenten Boris Tadić. Dessen Position bei der Pressekonferenz am Donnerstag, als er erklärt hat, Mladićs Verhaftung würde Scham vom serbischen Volk nehmen, ist für den Veteranen unfassbar: „Ist es denn möglich, dass der Präsident unseres Heimatlandes glaubt, dass General Ratko Mladić solche ernsthaften Verbrechen begangen hat, obwohl er doch die ehrenhafteste und effizienteste aller Armeen befehligt hat?“ Nedeljko Mitrović, ebenfalls serbischer Veteran, sieht in der Verhaftung Mladićs die „Verhaftung“ der serbischen Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina, der „Republika Srpska“.
Es gibt auch andere serbische Stimmen in Bosnien. Doch öffentlich äußern möchten sich anders als Svetlana Cenić nur wenige. Die Menschenrechtlerin aus Banja Luka sah schon vor Jahren die Verhaftung Mladićs als Voraussetzung für das Umdenken in der serbisch-bosnischen Gesellschaft an. Über Facebook melden sich zunehmend Emigranten der zweiten Generation, die über das Geschehen von damals tief bedrückt sind: „Ich schäme mich so“, schreibt ein junger Mann aus Kanada.

Ende der Rechtfertigungstheorien?

Wird die Verhaftung Mladićs einen positiven Effekt auf die kritische Situation in dem in zwei Teilstaaten geteilten Land Bosnien-Herzegowina haben? Die Journalistin Aida Cerkez-Robinson ist nicht unbedingt optimistisch: „Zunächst einmal ändert sich hier nichts, obwohl Tadić von Versöhnung gesprochen hat.“ Doch ein Türspalt sei geöffnet. Das jedenfalls betont Dizdarević. „Wir müssen die Tür weiter öffnen.“ Das Selbstbelügen und die Rechtfertigungstheorien der serbischen Nationalisten könnten nach dem Mladić-und Karadžić-Prozess langfristig nicht aufrechterhalten werden.
 
...Pantelija Ćurguz, Mitglied einer Veteranenorganisation, kritisiert Serbiens Präsidenten Boris Tadić. Dessen Position bei der Pressekonferenz am Donnerstag, als er erklärt hat, Mladićs Verhaftung würde Scham vom serbischen Volk nehmen, ist für den Veteranen unfassbar: „Ist es denn möglich, dass der Präsident unseres Heimatlandes glaubt, dass General Ratko Mladić solche ernsthaften Verbrechen begangen hat, obwohl er doch die ehrenhafteste und effizienteste aller Armeen befehligt hat?“


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