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Bosnien Hercegovina und die Staatlichkeit

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An mehreren Stellen wird die Staatlichkeit von Bosnien und Hercegovina wahlweise abgesprochen (Die Freunde der Teilung), an anderer Stelle wird sie herbeigeredet (Freunde der "Bosnien ist der NDH beigetreten"). Um hier ein klares Bild zu schaffen und bei erwiesener Dummheit einzelner User auf eine klare Faktenlage zu verlinken, dient dieser Thread. Dabei ist darauf zu achten, dass wir Königreiche und den Nationalstaatgedanken des 21 Jhdt. strikt ausseinanderhalten. Selbst letzteres, d.h. das eine Nation schon dann besteht, wenn Sie über gemeinsame Merkmale wie z.B. Sprache, Tradition, sogar Abstammung verfügt, als eine Nation zu betrachten ist, ist umstritten.

Fangen wir mal an:

Königreich Bosnien Hercegovina
In bestimmten Zeitabschnitten erstreckte sich das bosnische Königreich auf unterschiedliche Gebiete, die heute im Staatsgebiet von Kroatien und Serbien liegen. Für einen heutigen Staat hat das überhaupt keine Bedeutung.

Osmanische Herrschaft
Die osmanische Herrschaft beendet das bosnische Königreich, was -wie sollte es anders auch sein- in Bosnien auf paradoxe Weise gefeiert wird. Einerseits berufen sich die Bosniaken bei der Legitimität des Staates BiH auf das Königreich (Was natürlich völliger Quatsch ist), andererseits gab es vor einigen Jahren ein lustiges Plakat in Visoko, in welchem die SDA über 500 Jahre Islamisierung feierte, unweit der Stelle an der die Türken das Königreich BiH beendet haben.

In der Endphase des osmanischen Reiches gab es 1876 Aufstände der bosnischen Bevölkerung gegen die Türken führten aber -und das ist der entscheidende Punkt- nicht zu einer Staatlichkeit bspw. durch Verfassungsproklamation oder Parlaments- und Regierungsgründung. Das sollte nicht in BiH, aber tatsächlich in Serbien passieren: Anfang 1800 gründeten die Serben -noch unter und mit Duldung der Osmanen- ihr erstes Parlament und schufen damit eine wesentliche Institution eigener Staatlichkeit. Es bildeten sich Parteien und Gruppen. Das osmanische Reich hat damit mehr für die Staatlichkeit Serbiens getan, als für Bosnien.

Österreich Ungarn
Was passierte zur gleichen Zeit in Bosnien ? Nachdem Serbien 1867 die Türken entsorgte, im Grunde genommen: Nichts. Kein Parlament, keine Parteien, nur Strömungen. 1878 ging das bosnische Territorium -auch in seiner heutigen Form- von einem Besatzer zu einem anderen über, nämlich den Österreichern...verwaltet vom: Festhalten: Finanzministerium der kuk-Monarchie, in einem "Kondominium", d.h. formal gehörte BiH noch zum osmanischen Reich, aber praktisch hatten die Türken nichts zu sagen. Es gab eine minimale Selbstverwaltung der Behörden, Polizei....aber parlamentarische Strukturen ? Fehlanzeige und da wären wir auch schon beim

Königreich Jugoslawien
Bosnien wurde in Banschaften aufgeteilt, die sich territorial nicht mit dem heutigen Staatsgebiet deckten. Die Banschaften waren für sich Verwaltungs- und Gebieteinheiten, ohne Parlament oder Autonomien. Was passiert, wurde in Belgrad bestimmt. In dieser Phase gab es erste politische Strömungen und Organisationen mit unterschiedlichen Zielen. Dennoch ist festzuhalten: Diese Strömungen haben sich zu keinem Zeitpunkt in einem Parlament wiedergefunden, eine Verfassung verabschiedet oder sich irgendwie verfassungsgebend im Sinne eines Staates BiH konstituiert und das sollte sich bis zur Proklamation der

NDH
auch nicht ändern. Bosnien und Teile Serbiens (entsprechend der Banschaften) wurden entsprechend der Vereinbarungen des 3-Mächte Pakts an den mit Duldung gegründeten kroatischen Staat (NDH) übertragen. Wie wir bereits vorausgehend festgestellt haben, gab es keine Institutionen in BiH oder dem was wir heute als BiH kennen. Es gab kein Parlament was den Zutritt zur NDH bestätigte, keinen Premier oder Präsidenten der etwas ratifizierte, kein Referendum über das abgestimmt wurde. An der Entscheidung waren also keine Institutionen des Volkes oder das Volk in seiner Gesamtheit beteiligt.

Natürlich gab es aber bei den Muslimen unterschiedliche Strömungen. Und ja, es gab welche die zu den Kroaten gravitierten. Eine kleine Anekdote am Rande: Dzafer Beg Kulenovic tendierte als einflussreicher Politiker der bosnischen -nennen wir es Partei- "Jugoslavischen Muslimischen Organisation" zur NDH (Anmerkung: Hätte Bosnien ein Parlament gehabt, wäre es logischerweise Bosnische Muslimische Organisation, gell ?). Sein bester Freund, Nurija Pozderac verweigerte sich Kulenovic auf eine typisch bosnische Art & Weise. Immer wenn Kulenovic zu Besuch kam, hatte er bei Nurija Pozderac einen bestimmten Stuhl auf dem er saß. Das war so etwas wie eine Ehrerbietung. Als Kulenovic ein letztes Mal zu Pozdrac aufbrach um diesen davon zu überzeugen, sich der NDH anzuschließen, ließ Pozderac den Stuhl im Zimmer entfernen und weigerte sich Kulenovic zu empfangen. Kulenovic hatte seine Antwort. Pozderac flüchtete, schloss sich den Partizanen an und fiel im Kampf gegen die Deutschen irgendwo bei Sutjeska. Er verhalt Juden zur Flucht und erhielt posthum den Titel "Gerechter unter den Völkern", der höchste Titel den ein Nichtjude im jüdischen Staat erhalten konnte.

Sein Ur-Enkel wurde später serbischer Aussenminister, auch bekannt als Vuk Jeremic.

Dieses und viele andere Beispiele zeigen, dass es bei den Muslimen in BiH unterschiedliche Strömungen gab. Keine jedoch war so institutionalisiert, dann man den Muslimen in BiH einen mehrheitlich-kollektiven Willen zum NDH Beitritt unterstellen konnte und kann. Wer das macht, ist schlich Dumm. Und nun geht es weiter mit der

Föderativen Volksrepublik Jugoslawien
die 1945 gegründet und in die Bosnien durch die AVNOJ-Beschlüsse 1943 als Teilrepublik definiert + in den neuen Staat eingebracht wurde. Erst JETZT erhält BiH seine heutigen Landesgrenzen und erste Insitutionen wie eine Verfassung, ein Parlament usw., natürlich mit dem Makel einer kommunistischen Diktatur, d.h. keine Parteienlandschaft usw. Durch den Kunstgriff von "3 konstitutiven Völkern", eine kommunistischen Sonderidee mit der man den Bogen zwischen Kommunismus (welcher Nationalitäten per se ja eigentlich nicht kennt und will) und Nationalismus spannen wollte, war erst einmal Ruhe für mehr als 40 Jahre bis Jugoslawien zerfiel. Jetzt lohnt sich ein Detailblick:

Bis 1990 hatte kein Muslim in BiH so etwas wie eine "Unabhängiges BiH" auf dem Radar. Man lebte in Jugoslawien, verehrte Tito. Der einsetztende Zerfallsprozess führte aber dazu, dass die gemeinsame Grundlage, nämlich der Staat Jugoslawien, zerfallen war. Nicht also eine Sezession der Muslime führte zum Zerfall, sondern der im Grunde von Slowenien, Kroatien aber auch Serbien initiierte Prozess führte dazu, dass die gemeinsame Staatsgrundlage zerfiel.

Und egal wie sehr sich meine serbischen Freunde an ihren Realitäten festhalten: Jugoslawien war de fakto durch den Verfassungsbruch Oktober 1991 endgültig zerfallen. Die Badinter-Kommission der EU (damals EG) sollte in ihrem Rechtsgutachten feststellen, dass die AVNOJ-Republiken als Rechtsnachfolger der zerfallenen SFRJ gelten und damit ihren Rechtsstatus regeln müssen. Dieser Umstand bedeutete schlicht: Es gab kein Jugoslawien mehr, sondern man musste:

1. Klären ob man Teil eines neuen Staatenbundes sein will, den man mit anderen gründet
2. Klären ob man als Unabhängiger Staat existieren will.

Und selbst in dieser Situation, als Serben schon Barrikaden in und um Sarajevo errichteten, gingen muslimische Demonstranten auf die Strasse, bewaffnet mit "Tito-Bildern" und der Forderung dass das alles "ein Ende" haben sollte, während in Zagreb vergleichbare Demonstrationen mit eindeutig sezessionistischen Tönen und reichlich Ujosymbolik unterlegt waren.

Die bosnischen Muslime, sezzesinistische Aasgeier die eine historische Chance sahen eine parlamentarische Tradition in einen unabhänigen Staat zu überführen ? Von wegen, denn mit Anerkennung der

Republik Bosnien und Hercegovina
haben die Muslime nichts anderes gemacht, als sich einem Großserbien zu verweigern. Was ein wenig untergeht ist die Tatsache, dass Mazedonien, mit gleicher Historie und gleich-zweifelhafter Erlangung einer Republik auf Basis kommunistischer Beschlüsse, das gleiche gemacht hat bzw. dazu gezwungen war, den Status neu zu regeln. Der Unterschied war nur, dass die Serben mit einem Unabhängigen Mazedonien was es in dieser Form so nie gab weniger Probleme hatten als mit BiH.

Aber kommen wir auf BiH zurück: Ohne einen erkennbar frühen und legitimen Parlamentarismus, ohne einer klaren politischen Linie hin zu einer Unabhängigkeit sondern nur aus der Not heraus sich nicht in einem Großserbien wiederzufinden, stimmten Muslime (inzwischen Bosniaken) und Kroaten für einen unabhänigen Staat. Einem Staat, dessen parlamentarische Tradition nicht etwas aus dem Volk heraus definiert und geschaffen wurde, sondern dessen Grenzen und Institutionen von Kommunisten erschaffen wurden.

Und es ist genau diese fehlende Tradition, welche die Staatlichkeit BiH wackelig macht. Sie macht diesen Staat anfällig für Einfllüsse von außen, entweder durch Serbien oder Kroatien, oder durch die übergeordneten Mächte wie Russland oder Amerika...oder wie aktuell sogar Ungarn.
 
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Sorry...für Dich die Kurzform:

Bosnien hat keine Tradition auf Basis einer vom Volk erschaffenen, parlamentarischen Staatlichkeit und stolperte in die Unabhängigkeit auf Grundlage von Institutionen die nicht vom Volk, sondern von Kommunisten geschaffen wurden. Deshalb ist der Staat wackelig, beeinflussbar und funktioniert nur, wenn externe Akteure das auch wollen.
 
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