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Mal was Wissenschaftliches für zwischendurch... Gibt noch mehr zum Balkan, wo das herkommt...
Bosnien und die Herzegowina
Bosnien und die Herzegowina (bosn./kroat./serb. Bosna i Hercegovina) waren im Mittelalter noch getrennte Territorien mit erheblichen Unterschieden. Bis heute bestehen manche kulturellen Verschiedenheiten zwischen dem wesentlich größeren Bosnien und der südwestlich davon gelegenen Herzegowina fort. Doch machen verschiedene Faktoren beide Gebiete in der Neuzeit zu Teilregionen einer Geschichtslandschaft: die administrative Verbindung, die im Spätmittelalter zeitweilig und seit 1580 (mit nur kurzfristigen Unterbrechungen im 19. und 20. Jh.) langfristig hergestellt wurde; das gemeinsame Charakteristikum starker Islamisierung (Muslime) und damit verbunden die jeweilige Existenz der drei konfessionellen und später nationalen Gruppen; schließlich die gemeinsame Lage am Schnittpunkt verschiedener Kulturräume und politischer Einflußzonen.
Historische Grundzüge
Das in der Antike illyrisch besiedelte und nachmals weithin romanisierte Gebiet des späteren Bosnien und der Herzegowina wurde im Zuge der symbiotisch awarisch-slawischen Landnahme ab dem späten 6. Jh. wohl schon vor dem Eintreffen der Stämme der Kroaten und der Serben sprachlich durchgreifend slawisiert. Der ausgesprochene Mangel an schriftlichen Quellen zum bosnischen Frühmittelalter gibt unterschiedlichen Interpretationen weiten Raum. Der in der älteren serbischen und kroatischen Literatur betonten These von der unter serbischem bzw. kroatischem Vorzeichen erfolgten, relativ späten und schwach ausgeprägten bosnischen Herrschaftsbildung steht heute (etwa bei N. Klaić) die Meinung von bosnischer Herrschaftsbildung schon durch die Awaren gegenüber. Diese wäre also noch vor dem - in dieser Argumentation vom frühen 7. auf das 8. Jh. verlegten - Vordringen der Kroaten und Serben erfolgt. Die erste Erwähnung Bosniens als politische Einheit rund um das spätere Sarajevo gibt es indessen erst in einer auf Konstantinos VII. Porphyrogennetos zurückgeführten Schrift von Mitte des 10. Jhs. Die Christianisierung war hier und darüber hinaus im Verlauf des 9. Jhs. in kirchenrechtlicher Abhängigkeit von Rom erfolgt, die in der Folge fortbestand. Dagegen wechselte die Oberherrschaft über Bosnien zwischen den benachbarten staatlichen Gebilden und Byzanz bis zum 12. Jh. wiederholt. Inwiefern währenddessen bosnische politische Strukturen fortbestanden, ist umstritten. Mit oder nach der staatsrechtlichen Verbindung zwischen Kroatien und Ungarn (1102) dehnte sich die ungarische Herrschaft auf Bosnien aus, das dabei von einem eigenen *Banus regiert wurde.
Mit der Herrschaft des 1180-1204 regierenden Ban Kulin beginnt eine Phase weitreichender Unabhängigkeit Bosniens. Auch die heutige ungarische Forschung konstatiert für die folgenden knapp 300 Jahre nur fallweise ein Vasallenverhältnis zu Ungarn. Bosnien war nun bis 1463 ein erkennbar eigenständiger, freilich peripherer Bestandteil der Staatenwelt des lateinischen Europa. Unter Ban Stefan Kotromanić expandierte das Land. Insbesondere kam es 1326 zur Annexion des größten Teils des Landes Hum, womit zum ersten Mal - ungeachtet der teils *orthodoxen Glaubenszugehörigkeit seiner Herrscher - das kirchlich und kulturell traditionell an Kroatien angelehnte Bosnien und das Gebiet der späteren Herzegowina mit seiner serbischen Prägung eine politische Einheit bildeten. Die Macht des weiter expandierenden Bosnien erreichte ihren Höhepunkt unter Stefans Nachfolger Tvrtko, der sich 1377 zum König Bosniens und Serbiens krönen ließ.
Eine Besonderheit des mittelalterlichen Bosnien ist religiöser Natur: die in der Historiographie lebhaft diskutierte „Bosnische Kirche". Diese um 1200 als Häresie ersterwähnte klösterlich und von orthodoxen Einflüssen geprägte Bewegung hat sich wohl erst im Verlaufe der ersten Hälfte des 13. Jhs. der römischen Hierarchie entzogen und ist danach eher als schismatisch denn als dualistisch-häretisch einzustufen. Eine Staatskirche wurde sie nie. Die populäre Vorstellung einer Verbindungslinie zu den dualistischen Bogomilen ist heute wissenschaftlich obsolet. Politisch und durch langwährende katholische Mission geschwächt, wurde der verbliebene Rest 1459 durch den vorletzten bosnischen König Tomaš II. gezielt verfolgt und durch die erzwungene Konversion 2000 Geistlicher großteils dem Katholizismus zugeführt.
Die Eroberung des Königreichs Bosnien durch das Osmanische Reich erfolgte 1463 rasch. Allerdings war ein langer Prozeß vorangegangen, seit dem ersten Vorstoß 1386 markiert u.a. durch bosnische Tributleistungen an die *Hohe Pforte ab 1428 und die Einrichtung eines osmanischen *Vilayets im Gebiet um (das bald darauf gegründete) Sarajevo 1448/51. Im Norden des Landes hielt sich indessen ein von Ungarn neustrukturiertes Banat Bosnien noch bis 1527, das damals kroatische Bihać wurde (als letzter heute bosnischer Ort) 1592 osmanisch. Doch abgesehen von der Langwierigkeit ihrer Errichtung brachte die osmanische Herrschaft einen einschneidenden Bruch mit der vorherigen inneren Verfaßtheit Bosniens. Die einzige Institution mit ungebrochener Kontinuität ist der Franziskanerorden, dem die Osmanen 1463 die Weiterexistenz gewährten. Eine Verbindung zwischen dem mittelalterlichen Bosnien und dem 1580 eingerichteten *Eyalet Bosna besteht nur indirekt: Vor der Einrichtung des übergeordneten Eyalets, das den Rahmen der weiteren Entwicklung hin zum heutigen Bosnien-Herzegowina bildete, umfaßte der *Sancak Bosna 1463-1470 das ganze osmanische Gebiet in der Region, dann kamen der Sancak Hersek (Herzegowina), 1480/81 der von Zvornik und 1537 Klis mit Teilen Westbosniens gleichberechtigt hinzu. Mobilität und Migrationen waren in der osmanischen Periode so ausgeprägt, daß keine der heutigen konfessionellen bzw. nationalen Gruppen eine ungebrochene Kontinuität ins Mittelalter aufweist. Die Annahme einer Kontinuität zwischen den Anhängern der Bosnischen Kirche und den Muslimen (mit der Behauptung, die Islamisierung Bosniens habe wesentlich in der Massenkonversion ihrer Mitglieder bestanden), ist durch die jüngere Forschung vollständig widerlegt.
Nun ist in Bosnien und etwas weniger in der Herzegowina die primär im 16. Jh. erfolgte und für die Prägung des Landes so wesentliche Islamisierung (von der die Katholiken stärker betroffen waren als die Orthodoxen) rascher und umfassender erfolgt als andernorts, so daß die Frage nach Sonderbedingungen legitim erscheint. Das Moment einer schwachen Bindung an die christliche Amtskirche infolge der vorherigen Überlappungen und Konkurrenz der Bekenntnisse kann eine Rolle gespielt haben. Doch steht es in einer Motivkette, innerhalb derer z.B. auch die von den Osmanen betriebene und in eine muslimische Stadtkultur mündende Urbanisierung wichtig war. Um 1600 wies [ das Land eine starke muslimische Mehrheit auf. Diese erodierte, trotz der Immigration zahlreicher Muslime aus den vom Osmanischen Reich an das Habsburgerreich und Venedig verlorenen Gebieten, durch starke muslimische Bevölkerungsverluste in den zahlreichen osmanisch-habsburgischen und -venezianischen Kriegen im 17. und 18. Jh. sowie durch die Ansiedlung orthodoxer Bauern, so daß die Orthodoxen um 1800 zur stärksten konfessionellen Bevölkerungsgruppe wurden. Parallel dazu wurde auch der katholische Anteil durch den habsburgischen Vorstoß unter Prinz Eugen bis nach Sarajevo 1697 erheblich reduziert, da sich viele Katholiken dem Rückzug der Kaiserlichen anschlossen. In diesen Kriegen erhielt Bosnien-Herzegowina bis 1718 seine heutigen Grenzen (abgesehen vom Südosten, wo der Sandžak von Novi Pazar und bis 1878 die Gegend um Nikšić weiterhin mit Bosnien bzw. der Herzegowina verbunden waren).
Zu charakteristischen bosnisch-herzegowinischen Institutionen wurden im 18. und frühen 19. Jh. die im 16. Jh. zunächst nur im Grenzbereich für Militärfragen eingerichteten Kapudanate, deren Amtsträger ab dem 17. Jh. ihre Stellen zu vererben und später auf zivile Verwaltungsfragen auszudehnen begannen, sowie die Ajane (Notabeln) in den Städten. Diese hielten nicht nur in der privilegierten Stadt Sarajevo, sondern auch in den anderen großen Städten die Verwaltung bei weitreichender Autonomie in ihren Händen. Dem Zugriff der Zentralbehörden waren somit deutliche Grenzen gesetzt. In die gleiche Richtung politischer Sonderexistenz weisen die Konflikte zwischen dem osmanischen Staat und der bosnischen muslimischen Führungsschicht im 19. Jh.; der wichtigste von 1831/32 hatte das Format eines Krieges.
Doch ist er nicht wie in der jüngsten bosniakischen Forschung als Ausdruck einer gesamtbosnischen nationalen Befreiungsbewegung gegen die Osmanen zu sehen. Zu Formen nationaler Integration kam es erst im weiteren Verlauf des 19. Jhs. und im 20. Jh.: getragen von den gewachsenen außerbosnischen kirchlichen Kommunikationsbeziehungen zuerst bei den Orthodoxen und dann bei den Katholiken im Sinne serbischer bzw. kroatischer Identitätsbildung, schließlich als Protonationalismus in Reaktion auf die Okkupation durch Österreich-Ungarn 1878 auch unter den Muslimen. Die Ansätze zu konfessionsübergreifender bosniakischer Nationalisierung in den Jahrzehnten vor und nach 1878 bleiben vergleichsweise schwach.
Die vom *Berliner Kongreß legitimierte Okkupation (gegen heftigen Widerstand der Muslime, die mit einer beträchtlichen Auswanderung auf osmanisches Gebiet reagierten, und gegen teilweisen Widerstand der Serben) mündete 1908 in die Annexion durch die Habsburgermonarchie. Über dieses Datum hinweg geschah die Verwaltung gemeinsam durch die österreichische und ungarische Reichshälfte, so daß Bosnien-Herzegowina innerhalb der dualistischen Monarchie eine verwaltungs- bzw. staatsrechtliche Sonderstellung innehatte. Das letzte Jahrzehnt der k.u.k. Herrschaft war von zunehmender nationalpolitischer Radikalisierung geprägt, besonders unter der Schuljugend, die teilweise auf eine jugoslawische Einheit unter Führung Serbiens abzielte. Aus diesem Umfeld erwuchs im „Jungen Bosnien" die Gewaltbereitschaft, die in Verbindung mit äußeren Faktoren am 28. Juni 1914 zum erfolgreichen Attentat auf den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo und der anschließenden Auslösung des Ersten Weltkriegs führte. Der Krieg selbst ging in Bosnien und der Herzegowina mit weiterer ethnopolitischer Radikalisierung einher, vorangetrieben durch umfassende Unterdrückungsmaßnahmen der Behörden gegen die serbische Bevölkerung.
Im neuen SHS-Staat (Jugoslawien) verlor Bosnien-Herzegowina seinen Status als politisches Territorium. Die parteipolitisch bis zur Königsdiktatur von 1929 v.a. in der „Jugoslawischen muslimischen Organisation" organisierten Muslime standen unter erhöhtem Druck, sich als Angehörige eines der anerkannten Staatsvölker - Serben oder Kroaten - zu deklarieren und zu integrieren, fügten sich aber kaum. Im Zweiten Weltkrieg kam Bosnien-Herzegowina 1941 zum „Unabhängigen Staat Kroatien". Die unmittelbar einsetzende Verfolgung der serbischen Bevölkerung durch die Ustaša markierte den Beginn eines teilweise ethnischen, teilweise Bürgerkrieges, der das Land mit seiner gemischten Bevölkerung besonders hart traf. Mit 328.000 Kriegstoten hatte es rund ein Drittel der gesamtjugoslawischen Verluste zu verzeichnen, davon 170.000 Serben, 83.000 Muslime und 72.000 Kroaten.
Im föderal strukturierten Nachkriegsjugoslawien erhielt Bosnien-Herzegowina den Status einer Republik. Als Staatsvölker anerkannt waren zunächst wieder nur Serben und Kroaten, ab 1968 aber auch die Muslime. Vor dem Zerfall des Gesamtstaats 1991/92 gab es deutliche, aber nicht dramatisch starke soziale Distanz zwischen den drei Volksgruppen, das Konfliktpotential war in der Wahrnehmung der Bevölkerung geringer als sonst in Jugoslawien. Bei den ersten freien Wahlen Ende 1990 entfielen dennoch die meisten Stimmen auf die neugebildeten nationalen Sammelparteien. Als im Zuge der gesamtstaatlichen Entwicklung und infolge serbischer Sezessionsschritte und Kriegsvorbereitungen innerhalb von Bosnien-Herzegowina die von der muslimisch geführten Regierung Izetbegović lange verfochtene konsensuale konföderale Lösung nicht mehr möglich war, setzte die Mehrheit der sich nun als Bosniaken bezeichnenden Muslime und der Kroaten auf Eigenständigkeit. Die internationale völkerrechtliche Anerkennung erfolgte am 6. April 1992. Von jugoslawischer und serbischer Seite in Gang gesetzt, dauerte der nachfolgende Bosnienkrieg bis zum internationalen Eingreifen im Herbst 1995.
Forschungsfragen
Auf die enge Verbindung von Historiographie und Tagespolitik bzw. nationalem Hintergrund der Autoren wird in der Literatur zu Recht hingewiesen. Doch besitzen (abgesehen von interpretatorischen Schlagseiten) nicht wenige Darstellungen hohes Niveau; das vom gemeinsamen Regionalbewußtsein gestützte Interesse am bosnischen Betrachtungsrahmen war einer nationsübergreifenden wissenschaftlichen Diskussion zuträglich. Auch hat die Trennung der Untersuchungsgegenstände nach nationalen Traditionslinien erst in jüngster Zeit spürbar Raum gewonnen. Am deutlichsten ist der Verlust an Wissenschaftlichkeit bislang auf Seiten der serbischen Historiographie. Doch ist andererseits auch die über Jahrzehnte hinweg kaum an Bosnien interessierte und erst durch den Krieg und das Schicksal der Bosniaken angeregte westliche Forschung in ihrer Konzentration auf die Geschichte der Muslime nur bedingt vorbildlich, wenn es um die Erforschung der bosnischen Geschichte als ganzer geht.
Die im Ausland ansässigen bosnienbezogenen Institutionen haben bosniakischen Hintergrund (das von Adil Zulfikarpašić geleitete Bosniaken-Institut in Zürich) bzw. einen entsprechenden Interessensschwerpunkt (The Bosnian Institute, London). Kroatischerseits ist im Lande selbst der wissenschaftlich aktive Kulturverein Napredak (Sarajevo) zu nennen. Die Kriegsschäden von 1992-1995 und insbesondere gezielte serbische Bombardements zu Beginn des Krieges werden historisches Arbeiten zu Bosnien dauerhaft erschweren. Völlig zerstört sind v.a. die Sammlungen des Orientalischen Instituts in Sarajevo (mit vielen Einzeldokumenten ab dem 16. Jh. und dem Vilajet-Archiv ca. 1850-1878), großteils jene der National- und Universitätsbibliothek Sarajevo (hier sind bei den Altbeständen Reste vorhanden) und der Nationalbibliothek Mostar u.a. Ganz oder fast ganz unbeschädigt blieben dagegen in Sarajevo etwa das v.a. für die Zeit ab 1878 wichtige Arhiv Bosne i Hercegovine und die an islamischen Handschriften reiche Bibliothek der Gazi-Husrevbeg-Moschee.
Konrad Clewing, in: Studienhandbuch Östliches Europa, H. Roth (Hg.), Köln/Weimar/Wien 1999, 125-129.
Bosnien und die Herzegowina
Bosnien und die Herzegowina (bosn./kroat./serb. Bosna i Hercegovina) waren im Mittelalter noch getrennte Territorien mit erheblichen Unterschieden. Bis heute bestehen manche kulturellen Verschiedenheiten zwischen dem wesentlich größeren Bosnien und der südwestlich davon gelegenen Herzegowina fort. Doch machen verschiedene Faktoren beide Gebiete in der Neuzeit zu Teilregionen einer Geschichtslandschaft: die administrative Verbindung, die im Spätmittelalter zeitweilig und seit 1580 (mit nur kurzfristigen Unterbrechungen im 19. und 20. Jh.) langfristig hergestellt wurde; das gemeinsame Charakteristikum starker Islamisierung (Muslime) und damit verbunden die jeweilige Existenz der drei konfessionellen und später nationalen Gruppen; schließlich die gemeinsame Lage am Schnittpunkt verschiedener Kulturräume und politischer Einflußzonen.
Historische Grundzüge
Das in der Antike illyrisch besiedelte und nachmals weithin romanisierte Gebiet des späteren Bosnien und der Herzegowina wurde im Zuge der symbiotisch awarisch-slawischen Landnahme ab dem späten 6. Jh. wohl schon vor dem Eintreffen der Stämme der Kroaten und der Serben sprachlich durchgreifend slawisiert. Der ausgesprochene Mangel an schriftlichen Quellen zum bosnischen Frühmittelalter gibt unterschiedlichen Interpretationen weiten Raum. Der in der älteren serbischen und kroatischen Literatur betonten These von der unter serbischem bzw. kroatischem Vorzeichen erfolgten, relativ späten und schwach ausgeprägten bosnischen Herrschaftsbildung steht heute (etwa bei N. Klaić) die Meinung von bosnischer Herrschaftsbildung schon durch die Awaren gegenüber. Diese wäre also noch vor dem - in dieser Argumentation vom frühen 7. auf das 8. Jh. verlegten - Vordringen der Kroaten und Serben erfolgt. Die erste Erwähnung Bosniens als politische Einheit rund um das spätere Sarajevo gibt es indessen erst in einer auf Konstantinos VII. Porphyrogennetos zurückgeführten Schrift von Mitte des 10. Jhs. Die Christianisierung war hier und darüber hinaus im Verlauf des 9. Jhs. in kirchenrechtlicher Abhängigkeit von Rom erfolgt, die in der Folge fortbestand. Dagegen wechselte die Oberherrschaft über Bosnien zwischen den benachbarten staatlichen Gebilden und Byzanz bis zum 12. Jh. wiederholt. Inwiefern währenddessen bosnische politische Strukturen fortbestanden, ist umstritten. Mit oder nach der staatsrechtlichen Verbindung zwischen Kroatien und Ungarn (1102) dehnte sich die ungarische Herrschaft auf Bosnien aus, das dabei von einem eigenen *Banus regiert wurde.
Mit der Herrschaft des 1180-1204 regierenden Ban Kulin beginnt eine Phase weitreichender Unabhängigkeit Bosniens. Auch die heutige ungarische Forschung konstatiert für die folgenden knapp 300 Jahre nur fallweise ein Vasallenverhältnis zu Ungarn. Bosnien war nun bis 1463 ein erkennbar eigenständiger, freilich peripherer Bestandteil der Staatenwelt des lateinischen Europa. Unter Ban Stefan Kotromanić expandierte das Land. Insbesondere kam es 1326 zur Annexion des größten Teils des Landes Hum, womit zum ersten Mal - ungeachtet der teils *orthodoxen Glaubenszugehörigkeit seiner Herrscher - das kirchlich und kulturell traditionell an Kroatien angelehnte Bosnien und das Gebiet der späteren Herzegowina mit seiner serbischen Prägung eine politische Einheit bildeten. Die Macht des weiter expandierenden Bosnien erreichte ihren Höhepunkt unter Stefans Nachfolger Tvrtko, der sich 1377 zum König Bosniens und Serbiens krönen ließ.
Eine Besonderheit des mittelalterlichen Bosnien ist religiöser Natur: die in der Historiographie lebhaft diskutierte „Bosnische Kirche". Diese um 1200 als Häresie ersterwähnte klösterlich und von orthodoxen Einflüssen geprägte Bewegung hat sich wohl erst im Verlaufe der ersten Hälfte des 13. Jhs. der römischen Hierarchie entzogen und ist danach eher als schismatisch denn als dualistisch-häretisch einzustufen. Eine Staatskirche wurde sie nie. Die populäre Vorstellung einer Verbindungslinie zu den dualistischen Bogomilen ist heute wissenschaftlich obsolet. Politisch und durch langwährende katholische Mission geschwächt, wurde der verbliebene Rest 1459 durch den vorletzten bosnischen König Tomaš II. gezielt verfolgt und durch die erzwungene Konversion 2000 Geistlicher großteils dem Katholizismus zugeführt.
Die Eroberung des Königreichs Bosnien durch das Osmanische Reich erfolgte 1463 rasch. Allerdings war ein langer Prozeß vorangegangen, seit dem ersten Vorstoß 1386 markiert u.a. durch bosnische Tributleistungen an die *Hohe Pforte ab 1428 und die Einrichtung eines osmanischen *Vilayets im Gebiet um (das bald darauf gegründete) Sarajevo 1448/51. Im Norden des Landes hielt sich indessen ein von Ungarn neustrukturiertes Banat Bosnien noch bis 1527, das damals kroatische Bihać wurde (als letzter heute bosnischer Ort) 1592 osmanisch. Doch abgesehen von der Langwierigkeit ihrer Errichtung brachte die osmanische Herrschaft einen einschneidenden Bruch mit der vorherigen inneren Verfaßtheit Bosniens. Die einzige Institution mit ungebrochener Kontinuität ist der Franziskanerorden, dem die Osmanen 1463 die Weiterexistenz gewährten. Eine Verbindung zwischen dem mittelalterlichen Bosnien und dem 1580 eingerichteten *Eyalet Bosna besteht nur indirekt: Vor der Einrichtung des übergeordneten Eyalets, das den Rahmen der weiteren Entwicklung hin zum heutigen Bosnien-Herzegowina bildete, umfaßte der *Sancak Bosna 1463-1470 das ganze osmanische Gebiet in der Region, dann kamen der Sancak Hersek (Herzegowina), 1480/81 der von Zvornik und 1537 Klis mit Teilen Westbosniens gleichberechtigt hinzu. Mobilität und Migrationen waren in der osmanischen Periode so ausgeprägt, daß keine der heutigen konfessionellen bzw. nationalen Gruppen eine ungebrochene Kontinuität ins Mittelalter aufweist. Die Annahme einer Kontinuität zwischen den Anhängern der Bosnischen Kirche und den Muslimen (mit der Behauptung, die Islamisierung Bosniens habe wesentlich in der Massenkonversion ihrer Mitglieder bestanden), ist durch die jüngere Forschung vollständig widerlegt.
Nun ist in Bosnien und etwas weniger in der Herzegowina die primär im 16. Jh. erfolgte und für die Prägung des Landes so wesentliche Islamisierung (von der die Katholiken stärker betroffen waren als die Orthodoxen) rascher und umfassender erfolgt als andernorts, so daß die Frage nach Sonderbedingungen legitim erscheint. Das Moment einer schwachen Bindung an die christliche Amtskirche infolge der vorherigen Überlappungen und Konkurrenz der Bekenntnisse kann eine Rolle gespielt haben. Doch steht es in einer Motivkette, innerhalb derer z.B. auch die von den Osmanen betriebene und in eine muslimische Stadtkultur mündende Urbanisierung wichtig war. Um 1600 wies [ das Land eine starke muslimische Mehrheit auf. Diese erodierte, trotz der Immigration zahlreicher Muslime aus den vom Osmanischen Reich an das Habsburgerreich und Venedig verlorenen Gebieten, durch starke muslimische Bevölkerungsverluste in den zahlreichen osmanisch-habsburgischen und -venezianischen Kriegen im 17. und 18. Jh. sowie durch die Ansiedlung orthodoxer Bauern, so daß die Orthodoxen um 1800 zur stärksten konfessionellen Bevölkerungsgruppe wurden. Parallel dazu wurde auch der katholische Anteil durch den habsburgischen Vorstoß unter Prinz Eugen bis nach Sarajevo 1697 erheblich reduziert, da sich viele Katholiken dem Rückzug der Kaiserlichen anschlossen. In diesen Kriegen erhielt Bosnien-Herzegowina bis 1718 seine heutigen Grenzen (abgesehen vom Südosten, wo der Sandžak von Novi Pazar und bis 1878 die Gegend um Nikšić weiterhin mit Bosnien bzw. der Herzegowina verbunden waren).
Zu charakteristischen bosnisch-herzegowinischen Institutionen wurden im 18. und frühen 19. Jh. die im 16. Jh. zunächst nur im Grenzbereich für Militärfragen eingerichteten Kapudanate, deren Amtsträger ab dem 17. Jh. ihre Stellen zu vererben und später auf zivile Verwaltungsfragen auszudehnen begannen, sowie die Ajane (Notabeln) in den Städten. Diese hielten nicht nur in der privilegierten Stadt Sarajevo, sondern auch in den anderen großen Städten die Verwaltung bei weitreichender Autonomie in ihren Händen. Dem Zugriff der Zentralbehörden waren somit deutliche Grenzen gesetzt. In die gleiche Richtung politischer Sonderexistenz weisen die Konflikte zwischen dem osmanischen Staat und der bosnischen muslimischen Führungsschicht im 19. Jh.; der wichtigste von 1831/32 hatte das Format eines Krieges.
Doch ist er nicht wie in der jüngsten bosniakischen Forschung als Ausdruck einer gesamtbosnischen nationalen Befreiungsbewegung gegen die Osmanen zu sehen. Zu Formen nationaler Integration kam es erst im weiteren Verlauf des 19. Jhs. und im 20. Jh.: getragen von den gewachsenen außerbosnischen kirchlichen Kommunikationsbeziehungen zuerst bei den Orthodoxen und dann bei den Katholiken im Sinne serbischer bzw. kroatischer Identitätsbildung, schließlich als Protonationalismus in Reaktion auf die Okkupation durch Österreich-Ungarn 1878 auch unter den Muslimen. Die Ansätze zu konfessionsübergreifender bosniakischer Nationalisierung in den Jahrzehnten vor und nach 1878 bleiben vergleichsweise schwach.
Die vom *Berliner Kongreß legitimierte Okkupation (gegen heftigen Widerstand der Muslime, die mit einer beträchtlichen Auswanderung auf osmanisches Gebiet reagierten, und gegen teilweisen Widerstand der Serben) mündete 1908 in die Annexion durch die Habsburgermonarchie. Über dieses Datum hinweg geschah die Verwaltung gemeinsam durch die österreichische und ungarische Reichshälfte, so daß Bosnien-Herzegowina innerhalb der dualistischen Monarchie eine verwaltungs- bzw. staatsrechtliche Sonderstellung innehatte. Das letzte Jahrzehnt der k.u.k. Herrschaft war von zunehmender nationalpolitischer Radikalisierung geprägt, besonders unter der Schuljugend, die teilweise auf eine jugoslawische Einheit unter Führung Serbiens abzielte. Aus diesem Umfeld erwuchs im „Jungen Bosnien" die Gewaltbereitschaft, die in Verbindung mit äußeren Faktoren am 28. Juni 1914 zum erfolgreichen Attentat auf den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo und der anschließenden Auslösung des Ersten Weltkriegs führte. Der Krieg selbst ging in Bosnien und der Herzegowina mit weiterer ethnopolitischer Radikalisierung einher, vorangetrieben durch umfassende Unterdrückungsmaßnahmen der Behörden gegen die serbische Bevölkerung.
Im neuen SHS-Staat (Jugoslawien) verlor Bosnien-Herzegowina seinen Status als politisches Territorium. Die parteipolitisch bis zur Königsdiktatur von 1929 v.a. in der „Jugoslawischen muslimischen Organisation" organisierten Muslime standen unter erhöhtem Druck, sich als Angehörige eines der anerkannten Staatsvölker - Serben oder Kroaten - zu deklarieren und zu integrieren, fügten sich aber kaum. Im Zweiten Weltkrieg kam Bosnien-Herzegowina 1941 zum „Unabhängigen Staat Kroatien". Die unmittelbar einsetzende Verfolgung der serbischen Bevölkerung durch die Ustaša markierte den Beginn eines teilweise ethnischen, teilweise Bürgerkrieges, der das Land mit seiner gemischten Bevölkerung besonders hart traf. Mit 328.000 Kriegstoten hatte es rund ein Drittel der gesamtjugoslawischen Verluste zu verzeichnen, davon 170.000 Serben, 83.000 Muslime und 72.000 Kroaten.
Im föderal strukturierten Nachkriegsjugoslawien erhielt Bosnien-Herzegowina den Status einer Republik. Als Staatsvölker anerkannt waren zunächst wieder nur Serben und Kroaten, ab 1968 aber auch die Muslime. Vor dem Zerfall des Gesamtstaats 1991/92 gab es deutliche, aber nicht dramatisch starke soziale Distanz zwischen den drei Volksgruppen, das Konfliktpotential war in der Wahrnehmung der Bevölkerung geringer als sonst in Jugoslawien. Bei den ersten freien Wahlen Ende 1990 entfielen dennoch die meisten Stimmen auf die neugebildeten nationalen Sammelparteien. Als im Zuge der gesamtstaatlichen Entwicklung und infolge serbischer Sezessionsschritte und Kriegsvorbereitungen innerhalb von Bosnien-Herzegowina die von der muslimisch geführten Regierung Izetbegović lange verfochtene konsensuale konföderale Lösung nicht mehr möglich war, setzte die Mehrheit der sich nun als Bosniaken bezeichnenden Muslime und der Kroaten auf Eigenständigkeit. Die internationale völkerrechtliche Anerkennung erfolgte am 6. April 1992. Von jugoslawischer und serbischer Seite in Gang gesetzt, dauerte der nachfolgende Bosnienkrieg bis zum internationalen Eingreifen im Herbst 1995.
Forschungsfragen
Auf die enge Verbindung von Historiographie und Tagespolitik bzw. nationalem Hintergrund der Autoren wird in der Literatur zu Recht hingewiesen. Doch besitzen (abgesehen von interpretatorischen Schlagseiten) nicht wenige Darstellungen hohes Niveau; das vom gemeinsamen Regionalbewußtsein gestützte Interesse am bosnischen Betrachtungsrahmen war einer nationsübergreifenden wissenschaftlichen Diskussion zuträglich. Auch hat die Trennung der Untersuchungsgegenstände nach nationalen Traditionslinien erst in jüngster Zeit spürbar Raum gewonnen. Am deutlichsten ist der Verlust an Wissenschaftlichkeit bislang auf Seiten der serbischen Historiographie. Doch ist andererseits auch die über Jahrzehnte hinweg kaum an Bosnien interessierte und erst durch den Krieg und das Schicksal der Bosniaken angeregte westliche Forschung in ihrer Konzentration auf die Geschichte der Muslime nur bedingt vorbildlich, wenn es um die Erforschung der bosnischen Geschichte als ganzer geht.
Die im Ausland ansässigen bosnienbezogenen Institutionen haben bosniakischen Hintergrund (das von Adil Zulfikarpašić geleitete Bosniaken-Institut in Zürich) bzw. einen entsprechenden Interessensschwerpunkt (The Bosnian Institute, London). Kroatischerseits ist im Lande selbst der wissenschaftlich aktive Kulturverein Napredak (Sarajevo) zu nennen. Die Kriegsschäden von 1992-1995 und insbesondere gezielte serbische Bombardements zu Beginn des Krieges werden historisches Arbeiten zu Bosnien dauerhaft erschweren. Völlig zerstört sind v.a. die Sammlungen des Orientalischen Instituts in Sarajevo (mit vielen Einzeldokumenten ab dem 16. Jh. und dem Vilajet-Archiv ca. 1850-1878), großteils jene der National- und Universitätsbibliothek Sarajevo (hier sind bei den Altbeständen Reste vorhanden) und der Nationalbibliothek Mostar u.a. Ganz oder fast ganz unbeschädigt blieben dagegen in Sarajevo etwa das v.a. für die Zeit ab 1878 wichtige Arhiv Bosne i Hercegovine und die an islamischen Handschriften reiche Bibliothek der Gazi-Husrevbeg-Moschee.
Konrad Clewing, in: Studienhandbuch Östliches Europa, H. Roth (Hg.), Köln/Weimar/Wien 1999, 125-129.