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Branko Mikulic Interview 1987

snarf

Gonzo
DER SPIEGEL 13/1987 VOM 23.03.1987, SEITE 147-150
Autoren: K. Reinhardt und O. Ihlau
SPIEGEL Gespräch

"Wir stecken in einem Teufelskreis"

Jugoslawiens Ministerpräsident Branko Mikulic über die politische und wirtschaftliche Krise in seinem Land
SPIEGEL: Herr Ministerpräsident als Sie vor knapp einem Jahr Ihr Amt antraten, versprachen Sie, die Wirtschaft mit neuen Konzepten zu sanieren. Heute sind die Daten schlechter denn je, Jugoslawien steht vor einem wirtschaftlichen Kollaps. Warum haben Ihre Programme nicht funktioniert?

MIKULIC: Zunächst: Ihre Einschätzung ist nicht richtig. Wir haben im vorigen Sommer zwei Pakete von Maßnahmen vorgelegt. Kurzfristig wollten wir eine Atempause bekommen, um Veränderungen im Wirtschaftssystem vorzunehmen, die dann eine langfristige Stabilisierung bringen sollen. Diese Maßnahmen haben Produktion und Export gesteigert und auch das Anwachsen der Inflation gemildert.

SPIEGEL: Aber die stieg von knapp 80 auf 100 Prozent.

MIKULIC: Ja. Ohne unser Programm wäre sie indes Ende 1986 auf 110 bis 115 Prozent gestiegen. Die Steigerung der Verbraucherpreise wurde sogar auf etwa 90 Prozent gebremst.

SPIEGEL: Sie meinen, Ihr Regierungsprogramm habe noch Schlimmeres verhütet?

MIKULIC: Was nicht leicht war. Den Export, insbesondere den auf die westlichen Märkte, konnten wir erst im zweiten Halbjahr anheben. Sie wissen ja, daß Jugoslawien ein Schuldnerland ist. 1981 hatten wir gegenüber dem Ausland Schulden in Höhe von ungefähr 21 Milliarden Dollar. Bis Ende 1986 - also in der Zeitspanne von fünf Jahren - ist es uns gelungen, 17,1 Milliarden der Hauptschuld und 11,2 Milliarden der Zinsen zurückzuzahlen. Damit konnten wir die Hauptschuld aber nur um etwas mehr als eine Milliarde Dollar senken.

SPIEGEL: Ihr Nachbar Rumänien zahlt aber mehr zurück.

MIKULIC: Rumänien zahlt auch einen höheren Preis dafür. Wir möchten, wenn es sich um die Wirtschaftslage handelt, in unserem Lande nicht eine solche Situation haben.

SPIEGEL: Das heißt doch, daß Sie ähnlich wie Brasilien im schlimmsten Fall Ihre Zinszahlungen völlig einstellen müssen.

MIKULIC: Nein. Wir überlegen uns solche Schritte nicht; aber wir haben Verständnis für das, was Brasilien gemacht hat. Jugoslawien ist auf jeden Fall eines der seltenen Länder, das bisher allen Verpflichtungen nachkam. Wir wollen das auch in der Zukunft tun, glauben jedoch, daß die Gläubigerländer und die internationalen Institutionen mehr Verständnis zeigen sollten für uns.

SPIEGEL: Wollen Sie jetzt bei Ihren Gesprächen in Bonn über eine neue Umschuldung verhandeln?

MIKULIC: Die Umschuldung eines Teils unserer Kredite ist im Gang. Generell denken wir daran, daß wir neue, langfristige und mittelfristige Finanzkredite gewährt bekommen, um höhere Wachstumsraten erzielen und unsere Verpflichtungen noch besser erfüllen zu können. Zweitens: daß die Märkte der Gläubigerländer für den jugoslawischen Export weiter geöffnet werden, damit wir mehr Devisen verdienen können.

SPIEGEL: Ist das nicht eine Illusion? Sie können doch zum Beispiel einige Ihrer Absatzkontingente in der EG gar nicht ausschöpfen, weil Sie nicht genügend anbieten.

MIKULIC: Wir haben in Jugoslawien eine breite Palette von Waren, die auf den westeuropäischen Märkten verkauft werden könnten. Aber es gibt in diesen Ländern ein ganzes System von Protektionsmaßnahmen _(Mit Redakteuren Klaus Reinhardt und Olaf ) _(Ihlau in seinem Belgrader Arbeitszimmer ) _(vor Tito-Büste; r.: Dolmetscher. )

und anderen Hindernissen. Für den Export in die Europäische Gemeinschaft haben wir eine Warenliste bekommen, die sehr ungünstig für uns ist.

SPIEGEL: Trotzdem sind Ihre Exporte gestiegen.

MIKULIC: Ja, das schon - aber die Opfer, die wir dafür bringen mußten waren sehr hoch. Um unsere Schulden zu bezahlen, mußten wir Exportgeschäfte eingehen, die uns eigentlich Verluste gebracht haben. Um diese Verluste abzudecken, mußten wir wiederum die Preise auf dem Binnenmarkt erhöhen. Das ist einer der Gründe, weshalb die Inflation so hoch ist.

SPIEGEL: Es gibt bei Ihnen Produzenten, die nicht mehr exportieren wollen, weil sie auf dem Binnenmarkt größere Gewinne erzielen.

MIKULIC: Das ist richtig. Das ist eben der Teufelskreis, in dem wir stecken. Verluste im Export treiben die Preise auf dem Binnenmarkt hoch.

SPIEGEL: Andererseits machen die geringe Produktivität und die hohen Eigenkosten Ihre Waren auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig.

MIKULIC: Gewiß, da haben wir Schwächen. Aber wenn wir beim Export die gleichen Bedingungen hätten wie andere Länder, wäre die Situation anders. Wie würden Sie zum Beispiel die Maßnahmen der EG während der Tschernobyl-Krise erklären?

SPIEGEL: Sie meinen das Importverbot für landwirtschaftliche Erzeugnisse? Das galt auch für andere Länder...

MIKULIC: ... aber nicht für Italien und Österreich. Für uns sah das so aus, als ob die Sowjet-Union die ganze Verunreinigung von Tschernobyl in Röhren direkt nach Jugoslawien geleitet und unser Land verseucht hätte, aber nichts drumherum.

SPIEGEL: Den Ostblock-Ländern ging es doch ebenso.

MIKULIC: Wie kommen Sie auf die Idee, daß Jugoslawien zum Ostblock gehört? Wir sind unabhängig und blockfrei! Wir glauben, daß es sich um politische Überlegungen gehandelt hat.

SPIEGEL: Das ist angesichts der Agrarüberschüsse in der EG nicht auszuschließen. Die Leute in Brüssel waren froh, einen Vorwand gegen den weiteren Zufluß landwirtschaftlicher Erzeugnisse gefunden zu haben.

MIKULIC: Meiner Meinung nach wurde Druck ausgeübt, politisch wie wirtschaftlich. Ich finde, das ist nicht gut.

SPIEGEL: Die Arbeiterselbstverwaltung war einmal die Errungenschaft des jugoslawischen Sozialismus. Inzwischen droht dieses Modell in einem Dickicht von Verordnungen zu ersticken und hat Jugoslawiens Wirtschaftskrise noch verschärft. Taugt es noch für die heutige Industriegesellschaft?

MIKULIC: Absolut. Wir sind überzeugt, daß Jugoslawien keine Zukunft hat ohne die Selbstverwaltung. Der Sinn der Arbeiterselbstverwaltung ist doch, daß die Arbeiter selbst Entscheidungen treffen. Diese Idee der Mitwirkung hat man auch im Westen anerkannt.

SPIEGEL: Inzwischen ist die Euphorie aber spürbar abgekühlt.

MIKULIC: Im Westen mag das so sein. Wir wollen das Modell ja auch niemandem anbieten.

Natürlich hat es im Laufe der Entwicklung Schwierigkeiten gegeben. Vor allem ist der Abbau des Staatseinflusses nicht in dem Maße vorangekommen, wie wir uns das gedacht hatten. Das hat die Entwicklung der Selbstverwaltung gebremst.

SPIEGEL: Dürfen wir Ihnen eine Bewertung entgegenhalten, die von keinem Dissidenten, sondern von Leo Mates, einem Ihrer Parteitheoretiker, stammt? Der sagt: "Die Arbeiterdemokratie funktioniert nie, das Management entscheidet alles", und dieses Management liege in der Hand dümmlicher und bösartiger Apparatschiks.

MIKULIC: Was den zweiten Teil dieser Aussage angeht, bin ich nicht der gleichen Meinung. Es ist nie gut, wenn man so allgemein über Menschen spricht. Aber grundsätzlich sind wir eigentlich im Lande alle der gleichen Meinung: Der Etatismus, die staatliche Bürokratie, hat die Selbstverwaltung gehemmt, gestoppt.

SPIEGEL: Also: Das System ist gut, nur es funktioniert nicht, was auch an den zunehmenden Streiks zu sehen ist.

MIKULIC: Ich würde nicht sagen, es funktioniert nicht. Das hängt davon ab, in welchem Betrieb man sich befindet.

Bei uns gibt es ziemlich viel Kritik am Funktionieren der Selbstverwaltung. Aber wenn wir zum Beispiel ein Referendum über die Selbstverwaltung abhielten, würde sicherlich niemand in diesem Lande darauf verzichten wollen. Genauso wäre es mit unseren anderen Grundprinzipien: der Freiheit, der Unabhängigkeit, der Blockfreiheit in der Außenpolitik und der föderativen gesellschaftlichen Ordnung. Für uns gibt es dazu keine Alternativen.

SPIEGEL: Einer Ihrer führenden Wirtschaftstheoretiker, Professor Branko Horvat aus Zagreb, hat kürzlich den Vorschlag gemacht, die Position der Regierung gegenüber den Teilrepubliken und Provinzen wieder zu stärken. Halten Sie eine Rückkehr zum Zentralismus für eine Möglichkeit, die wirtschaftlichen Probleme leichter zu lösen?

MIKULIC: Nein, das glaube ich nicht. Außerdem muß man unterscheiden zwischen natürlicher Integration der Wirtschaftsfunktionen und den zentralen Eingriffen des Staates bei der Regelung des Wirtschaftslebens.

SPIEGEL: Mit anderen Worten: Ändern wird sich nichts?

MIKULIC: Aber doch. Bedenken Sie nur, daß wir in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in der Illusion gelebt haben, daß wir alles hätten, daß es alles gibt - aber das nur mit Hilfe der großen Finanzkredite, die Jugoslawien im Ausland aufnahm. Zu jener Zeit haben wir mehr verbraucht, als wir uns realistisch leisten konnten. Das ist auch die Zeit, in der wir eine ganze Reihe von Fehlinvestitionen in Industrieanlagen getätigt haben, die wir jetzt teuer bezahlen müssen.

SPIEGEL: Und keiner hat die Ausgaben kontrolliert.

MIKULIC: Man hat sich eben nicht abgesprochen, welche technologischen Konzepte man entwickeln soll. Jeder kaufte Lizenzen für sich selbst...

SPIEGEL: ... für jede Republik eine Autofabrik?

MIKULIC: Ein Glück, daß das nicht geschehen ist. Wir haben auf jeden Fall mehr Autofabriken, als notwendig sind.

SPIEGEL: Wer war denn der Hauptverantwortliche für diese Fehler? Ist das eine Kritik an der Schlußphase der Ära Tito? Oder ist die noch immer ein Tabu-Thema?

MIKULIC: Es gibt keine Tabu-Themen, und wir haben auch diese Zeitspanne, die Sie nennen, gründlich analysiert. Mit Auslandskrediten sind damals auch andere Länder großzügig umgegangen. Hätten wir dieses Kapital besser genutzt, wären wir heute sicherlich in einer anderen Situation.

Ich war zu jener Zeit in der Führung und erinnere mich noch gut der Warnung Präsident Titos, daß wir wie viele andere Länder sparen und uns auf einheimische Energiequellen umstellen sollten. Damals war jedoch das Erdöl noch immer billig, und es gab die These, die Kohleproduktion sei überholt.

SPIEGEL: Daß sich strukturell etwas ändern muß, sieht man nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Nationalitätenpolitik. Die Slowenen und Kroaten sind nicht mehr bereit, ihre erwirtschafteten Devisen mit den armen Republiken zu teilen. Die Serben fordern ihre alte Hegemonie. Im Kosovo gibt es von den Albanern nun schon seit Jahren einen Kampf um mehr Selbständigkeit. Bricht Jugoslawien auseinander?

MIKULIC: Es gibt keine Devisen, die man slowenische, kroatische, bosnische oder serbische Devisen nennen könnte. Es gibt den Devisenzufluß durch einzelne Exporteure. Diese Firmen sind mit der Unterstützung ganz Jugoslawiens und nicht bloß einzelner Republiken im Export tätig.

SPIEGEL: Sie selber kritisierten auf dem letzten Parteikongreß die egoistischen Interessen der einzelnen Republiken mit dem schönen Satz: "Jeder kämpft bis zur siebten Stelle hinterm Komma um seinen Teil am Schnitzel." Wäre es nicht vernünftiger, Jugoslawien in eine Konföderation, in einen Staatenbund, umzuwandeln?

MIKULIC: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin dafür, daß man gegen die partiellen egoistischen Interessen kämpft. Aber so wie wir gemeinsam in die mißliche Lage gekommen sind, müssen wir auch gemeinsam nach einem Ausweg suchen.

SPIEGEL: In slowenischen Zeitungen wurde die Befürchtung geäußert, daß die wirtschaftliche Dauerkrise Jugoslawien zwingen könnte, sich stärker an den Ostblock - an die Sowjet-Union - anzulehnen. Sie haben vor kurzem eine Parlamentsrede gehalten, in der Sie von der Möglichkeit einer strategischen Kehrtwendung sprachen. Sollte das eine Warnung an den Westen sein?

MIKULIC: Jugoslawien wird nie und um keinen Preis seine Position als freies, unabhängiges und blockfreies Land aufgeben. Die Wende, von der Sie sprechen, bezieht sich auf einen bestimmten Grad der technologischen Entwicklung, den die Länder der Dritten Welt erreicht haben, und auf ihre Möglichkeiten, sich vor einer neuen Kolonialisierung wegen des technologischen Zurückbleibens zu retten. Auch wir müssen unseren Platz unter der Sonne suchen. Das bedeutet aber nicht, daß wir unsere Unabhängigkeit aufgeben werden.

Warum öffnet sich zum Beispiel "Eureka" nicht gegenüber Jugoslawien? Man weiß in Westeuropa, daß wir in diesem Programm der technologischen Entwicklung mitarbeiten möchten. Das wäre eine Hilfe für uns, und niemand bräuchte zu befürchten, daß wir die Technologien, die wir dort bekommen könnten, weitergeben würden an andere. Jugoslawien hat so etwas nie getan.

SPIEGEL: Eine Wirtschaftsreform muß doch Stückwerk bleiben, wenn Sie nicht zugleich auch eine politische Demokratisierung zulassen. Wie weit wollen Sie da gehen?

MIKULIC: Wir haben 1974 mit einer neuen Verfassung große Reformen eingeführt in unserem politischen System. Natürlich gibt es noch Mängel, die wir jetzt durch neue Verfassungsänderungen zu korrigieren suchen. Ziel ist eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft mit der Stärkung der Selbstverwaltung.

SPIEGEL: Vielen reicht das noch nicht. Die Serbische Akademie der Wissenschaften hat in einem Memorandum das Mehrparteiensystem für Jugoslawien gefordert. Autoren in Slowenien gehen

sogar so weit, die Führungsrolle der Partei und des Marxismus-Leninismus in Frage zu stellen. Es geht also einer ganzen Reihe von jugoslawischen Kritikern jetzt um Systemveränderung.

MIKULIC: Es ist uns bis zum heutigen Tag nicht gelungen - und die Diskussion begann bereits beim 6. Parteitag 1952 -, die führende Rolle der Partei in einem Einparteiensystem auf die Bedingungen des Pluralismus der Selbstverwaltungsinteressen umzustellen.

Einer der Gründe dafür ist auch, daß das politische System, für das wir uns entschieden haben, eigentlich nicht so funktionierte, wie wir uns das dachten. Doch die Leute, die jetzt die führende Rolle der Partei in Frage stellen, wollen auf etwas ganz anderes hinaus: Sie wollen den Bund der Kommunisten von der politischen Szene völlig wegfegen. Aber das ist eine Illusion.

SPIEGEL: Noch vor ein paar Jahren gab es doch verhältnismäßig wenige Dissidenten: Milovan Djilas und ein paar andere. Heute dagegen ist die Opposition erstarkt, qualitativ wie quantitativ.

MIKULIC: Nur - was wollen die denn? Ich stamme aus Bosnien-Herzegowina, einer Republik mit vielen Nationalitäten. Als 15jähriger ging ich zu den Partisanen und habe mehr Sterben als irgendwelche Kinderfreuden erlebt. Alle bürgerlichen Parteien vor dem Kriege suchten das Volk zu spalten, Konfrontation zwischen den Völkerschaften Jugoslawiens anzuheizen. Allein die Kommunistische Partei ging von einer anderen Grundlage aus. Sie organisierte mit einem Programm der Brüderlichkeit und Einheit aller Völker den Aufstand und die Befreiung unseres Landes.

SPIEGEL: Das läuft darauf hinaus: Wer die führende Rolle des "Bundes der Kommunisten" in Frage stellt, sprengt die Einheit Jugoslawiens.

MIKULIC: Nein, das wollte ich nicht sagen. Ich will eine Lehre aus der Geschichte ziehen und frage mich: Wie kann für uns ein Mehrparteiensystem die Alternative sein, wo wir so schlimme Erfahrungen aus der Geschichte unseres Landes mit 1,7 Millionen Opfern gesammelt haben?

SPIEGEL: Die Autoren, die heute in Slowenien oder Serbien protestieren, würden dafür in Ihrer als dogmatisch geltenden Heimatrepublik Bosnien im Gefängnis landen.

MIKULIC: Meiner Meinung nach sind das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und die Standpunkte in der "Neuen Revue" aus Ljubljana politische Pamphlete mit dem Ziel der politischen Destabilisierung Jugoslawiens. Ich möchte keine weiteren Qualifizierungen nennen.

Slowenien ist in der nationalen Einwohnerstruktur unsere einheitlichste Republik. Ein nationalistischer Zwischenfall in Slowenien würde demnach weniger gefährliche Folgen haben als in Bosnien mit seiner gemischten Nationalstruktur. Dort leben drei verschiedene Völker und an die 30 Völkerschaften.

SPIEGEL: Das verstehen wir. Trotzdem: Sind für Sie die Autoren des serbischen Memorandums Staatsfeinde?

MIKULIC: Allgemein würde ich das nicht sagen. Daß dahinter aber sicherlich auch solche Leute stecken, die Jugoslawien destabilisieren wollen, die sicherlich Verbindungen zu verschiedenen reaktionären Zentren auch im Ausland unterhalten, davon bin ich überzeugt. Sie haben vorhin ja auch Djilas erwähnt...

SPIEGEL: ... den lieben Sie natürlich nicht, das ist uns klar.

MIKULIC: Nein, es handelt sich nicht darum, ob wir ihn lieben oder nicht.

SPIEGEL: Er hat jetzt immerhin seinen Reisepaß zurückbekommen, aber seine Bücher dürfen hier noch nicht veröffentlicht werden.

MIKULIC: Wenn wir schon über Djilas sprechen: Für mich ist er ein erstklassiger Landesverräter, ein Verräter par excellence. Sie können gleich einen Artikel aus der "New York Times" bekommen, wo behauptet wird, daß die CIA die Veröffentlichung seines Buches "Die neue Klasse" in den USA organisiert hat. Solche Verbindungen, die es gibt, kann ich Ihnen auch für andere zeigen.

SPIEGEL: Die Staatsfeinde - was werden Sie gegen die unternehmen? Vor kurzem hat das Parteipräsidium von den antikommunistischen "Brückenköpfen" in der jugoslawischen Gesellschaft gesprochen. Wollen Sie die jetzt sprengen, eine härtere Gangart anschlagen - wie zu Beginn der 70er Jahre?

MIKULIC: Falls diese Leute sich organisieren sollten, um das Verfassungssystem in unserem Land zu stürzen, werden wir das gleiche unternehmen, was Sie in Ihrem Lande unternehmen würden, wenn die Kommunisten Ihr Verfassungssystem bedrohen würden.

SPIEGEL: Die können sich Wahlen stellen. Nur verlieren sie dabei immer fürchterlich.

MIKULIC: Wieso ist es denen aber verboten, im öffentlichen Dienst zu arbeiten, während wir gleichzeitig über Menschenrechte reden? Jeder sollte etwas mehr in den eigenen Topf schauen.

Also, es sollte keine Illusionen geben im Inland und im Ausland, daß wir unser System verteidigen werden - mit allen Mitteln. Das steht auch in unserer Verfassung. Wir können keinen Dialog darüber akzeptieren, ob Jugoslawien auch weiterhin ein föderalistisches Land bleibt oder nicht.

SPIEGEL: "Mit allen Mitteln" wollen Sie vorgehen. Werden bald wieder mehr Dissidenten in Jugoslawiens Gefängnissen sitzen?

MIKULIC: Ich habe nicht gesagt, daß wir gegen diese Leute mit allen Mitteln vorgehen werden, sondern daß wir die Verfassungsordnung mit allen Mitteln verteidigen werden. Diese Leute an sich sind nicht imstande, unsere Ordnung zu gefährden. Dazu bräuchten sie die Hilfe einer ausländischen Macht. Das werden wir nicht zulassen.

SPIEGEL: Verstehen Sie unter "allen Mitteln" auch das Militär?

MIKULIC: Ich habe gesagt: mit allen Mitteln. Dazu gehört eben auch das Militär. Niemand sollte darüber Illusionen hegen.

SPIEGEL: Was machen Sie, wenn Sie mit Ihrem Sanierungskonzept und den politischen Vorstellungen an den strukturellen Problemen Jugoslawiens scheitern? Werfen Sie die Brocken hin und treten zurück, wie das schon Ihre Amtsvorgängerin Milka Planinc tun wollte?

MIKULIC: Ich habe mich nach diesem Posten nicht gedrängt, es gab dafür keine Ausschreibung. Ich bin jetzt seit zehn Monaten im Amt, und mir war klar, was auf mich zukommen würde. Aber als unverbesserlicher Optimist bin ich der Überzeugung, daß wir den richtigen Weg gehen und einen Ausweg aus der Krise finden werden.

SPIEGEL: Herr Ministerpräsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
*KASTEN

Branko Mikulic *

ist seit Mai 1986 Ministerpräsident des Vielvölkerstaats Jugoslawien, der gegenwärtig durch die schwerste Wirtschafts- und Nationalitätenkrise seiner Geschichte geht. Mikulic, 58, Kroate aus der Republik Bosnien-Herzegowina und studierter Wirtschaftler, war als Günstling des Staatsgründers Tito in der Spätphase des Marschalls in höchste Parteiämter aufgestiegen. Er gilt als Macher mit Durchsetzungsvermögen, der 1984 die Olympischen Winterspiele in Sarajevo erfolgreich organisierte - aber auch als dogmatischer Hardliner, der politische Dissidenten vor Gericht bringt.

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"Wir stecken in einem Teufelskreis" - Artikel - SPIEGEL WISSEN - Lexikon, Wikipedia und SPIEGEL-Archiv
 
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