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Gelöschtes Mitglied 8317
Guest
Dazu ein sehr lesenswerter Beitrag der Frankfurter Allgemeinen
Um wen weint Mohammed?
Von MICHAEL HANFELD
15.01.2015 • Das Heft von „Charlie Hebdo“, das nach dem Massaker an der Redaktion erscheint, gibt ein Rätsel auf. Und provoziert noch in der Trauer.
Eine Botschaft ist klar: Satire überlebt.
Der Titel von „Charlie Hebdo“ ist ein Rätsel. Mit dem Propheten, den uns der Zeichner Luz zeigt, nach dem Massaker, das zwei Islamisten in der Redaktion angerichtet haben, kann jeder gleich etwas anfangen. Es ist der Prophet Mohammed, den man nach islamischen Verständnis nicht zeigen darf, den man nach dem Verständnis der Satiriker von „Charlie Hebdo“ aber zeigen muss. Immer und immer wieder. Und nun steht er da und trägt ein Schild mit dem Spruch, den schon Millionen Menschen hochgehalten haben: „Je suis Charlie“ und hat eine Träne im Auge. Jetzt ist also auch der Prophet Mohammed „Charlie“. Will heißen: Er hat Humor, er lässt es sich gefallen, ge- und verzeichnet zu werden und – betrauert die Toten. Doch was bedeutet der Schriftzug darüber „Tout est pardonné“?
Vergibt der Prophet den Cartoonisten? Vergibt er allen, auch den Mördern? Oder vergeben die Überlebenden den Attentätern? Letzteres wäre ausgesprochen frivol. Vergebung ist den Hinterbliebenen der Opfer vorbehalten: der ermordeten Journalisten, der Polizisten und der Besucher des jüdischen Lebensmittelgeschäfts in der Rue des Rosiers, die von Tätern hingerichtet wurden, die in göttlichem Auftrag zu handeln glaubten. Also wen betrauert dieser Mohammed: die Ermordeten oder auch die Täter? Das Grün, in dem das Titelblatt von „Charlie Hebdo“ gehalten ist, ist die Farbe des Islam und der Hoffnung. Doch welche Hoffnung will der Zeichner Luz, von dem das Bild stammt, damit ausdrücken?
Es geht ihm allein um die Trauer, um unendliche Traurigkeit über eine unfassbare Tat. Er habe nur noch diese eine Idee gehabt, „Mohammed zu zeichnen mit ,Ich bin Charlie‘“, sagte er auf der Pressekonferenz, auf der die Ausgabe von „Charlie Hebdo“ vorgestellt wurde, die fünf Millionen Mal gedruckt werden soll und im Augenblick ihres Erscheinens fast überall schon ausverkauft war. Er habe, sagte Luz, diesen Mohammed angeschaut, „er war am Weinen. Und auch ich habe geweint. Das war der Titel.“
Missbrauch von Pressefreiheit
Dieser Mohammed von Luz ist – wie immer man die Oberzeile deutet – eine anrührende Figur. Und wüsste man nicht, dass das Glaubenskenntnis von „Charlie Hebdo“ darin besteht, jedwede Heilslehre ins Lächerliche zu ziehen, würde man sagen, dieser Prophet verbreitet eine christliche Botschaft, nämlich die der Nächstenliebe.
Eine Provokation werden säkulare Beobachter darin schwerlich erkennen. Diejenigen, die es endlich besser verstehen können sollten, sehen sie aber doch. Sie dringen zur Botschaft von „Charlie Hebdo“ nicht vor. Sie verkehren sie ins Gegenteil. Die Zeichnung werde „den Hass schüren“, erklärte die Al-Azhar-Universität in Kairo, die höchste Autorität des sunnitischen Islam. Es handele sich „um eine echte Provokation für die Gefühle der Muslime“. Die iranische Regierung verkündet dasselbe und spricht von einem Missbrauch der Pressefreiheit: Respekt vor religiösen Heiligkeiten sei ein weltweit anerkanntes Prinzip, das auch europäische Staatsmänner akzeptieren sollten, sagte die Sprecherin des iranischen Außenministeriums.
So bestätigt sich abermals, was die Morde in Paris in der vergangenen Woche bewiesen haben: Wo ein streng ausgelegter Islam regiert, gibt es keine Presse- und Meinungsfreiheit, sie endet nicht erst bei dem Verbot, Mohammed abzubilden. Sie endet, wo immer irgendjemand, der sich für eine Autorität hält, meint, die Religion werde beleidigt – worauf im Zweifel die Todesstrafe steht, die zu vollziehen sich Leute wie die Mörder von Paris ermächtigt sehen.
Folter bis zum Tode
Könnte es aber nicht sein, fragte ein Kommentator des „Telegraph“ nach dem Attentat, dass die Terroristen in Wahrheit gar nichts gegen die Satiren von „Charlie Hebdo“ haben und es ihnen nur darum geht, Muslime und Nicht-Muslime gegeneinander aufzuhetzen? Damit endlich der weltweite Bürgerkrieg der Religionen beginnt, von dem die Islamisten träumen?
In zweiter Ableitung mag dies der Plan sein. Dass Islamisten aber etwas gegen Karikaturen und die Pressefreiheit an sich haben, dafür bedarf es der Anschauung durch die Morde von Paris nicht. Das Meinungsverbot wird durchgesetzt, mit terroristischer Gewalt in freien Ländern, mit staatlich sanktionierter Unterdrückung in islamischen.
Zwei Tage nach den Attentaten in Paris wurde im saudi-arabischen Dschidda der Blogger Raif Badawi öffentlich ausgepeitscht. Er erhielt fünfzig Hiebe. Zu tausend Schlägen insgesamt und zehn Jahren Haft ist er verurteilt worden. Woche für Woche wird er der Tortur unterzogen. Zwanzigmal fünfzig Schläge mit der Peitsche – es ist eine Folter bis zum Tode. Sein Verbrechen? Raif Badawi war für die Religionsfreiheit eingetreten und hatte Beiträge gepostet, in denen er die saudische Religionspolizei wegen Übergriffen anprangerte; die verschiedenen Religionen der Welt sind in seinen Augen gleichrangig. Die saudische Regierung, die ihn deswegen zu Tode foltern lässt, hat die Anschläge in Paris übrigens verurteilt.
Wonach ihnen ist
„Je suis Charlie“: Auch Raif Badawi ist „Charlie“, nur macht sein Beispiel bei uns nicht die Runde. Nach „Charlies“ muss man sich in vom strengen Islam geprägten Ländern ohnehin nicht lange umsehen. Jeder Journalist, dem es um Wahrheit und Wahrhaftigkeit geht, ist einer und riskiert Kopf und Kragen. In dem selbsternannten Kalifat des „Islamischen Staats“ werden ausländische Reporter vor den Augen der Welt geköpft. Auf einheimische Journalisten, deren Namen wir häufig nicht einmal kennen, wird Jagd gemacht, sie sind vogelfrei. Nicht anders ist es im Einflussbereich der Taliban: Bei einem Besuch bei Kollegen in Peschawar, im Norden Pakistans, waren die letzten Meldungen in eigener Sache gehalten – eine Redaktion war nach einem Anschlag ausgebrannt, die andere betrauerte den Mord an einem Kollegen. Die Täter hatten ihn in Stücke gehauen, seine Leiche warfen sie, in Plastiktüten verpackt, der Familie vor die Haustür. Der Mann hatte sich kritisch und ironisch mit Themen wie Religion und Sexualität befasst. Er war Karikaturist.
Die Redaktion von „Charlie Hebdo“ kann auf ihre verquere Art nun auf Versöhnung aus sein. Sie bleibt im Visier der Terroristen, die in diesem Fall im Auftrag von Al Qaida im Jemen gemordet haben sollen. „Charlie Hebdo“ ist ironisch, derb oder bewusst verletzend. Sie verspottet, wie in der jetzigen Ausgabe mit einem Cartoon des ermordeten Chefredakteurs Stéphane Charbonnier alias Charb, abermals die Islamisten. Sie macht sich lustig über die Politiker, die sich zu der Millionen zählenden Trauergemeinde gesellt haben. Die Satiriker zeigen, wonach ihnen ist: Dem Premierminister Manuel Valls möchte der Zeichner Luz trotz allem lieber nicht die Hand geben, ein Päckchen Drogen hingegen wäre willkommen, ebenso, wenn Madonna aus Solidarität ihre Unterwäsche spendete (damit könnte Angela Merkel nicht dienen) und Präsident François Hollande eine Million Euro aus dem Google-Abgaben-Fonds lockermachte. Und das Rauchverbot in den Redaktionsräumen von „Libération“, wo die Kollegen von „Charlie Hebdo“ untergekommen sind, müsste natürlich aufgehoben werden.
Dass viele, die jetzt mit „Je suis Charlie“ herumlaufen, in Wahrheit etwas ganz anderes im Schilde führen, ist den Karikaturisten selbstverständlich auch aufgefallen. Also wehren sie sich gegen die Vereinnahmung und verteilen neue Slogans: „Ich bin Rassist“ für den Neonazi; eine Figur, die wie Marine Le Pen aussieht, trägt „Ich bin beglückt“. Die beiden Attentäter Kouachi kommen derweil, wie eine andere Zeichnung zeigt, tatsächlich in ihrer Mörderkluft in den Himmel, haben bei den versprochenen 72 Jungfrauen (hier sind es siebzig) jedoch das Nachsehen – die vergnügen sich schon mit dem Personal von „Charlie Hebdo“.
Das sind nicht bitterböse, sondern bittere, traurige Pointen. Sie stammen von Menschen, deren Kollegen soeben samt und sonders wegen ihrer Arbeit ermordet wurden. Die Satiriker von „Charlie Hebdo“ beweisen auf ihre ganz eigene Weise eine Größe, von der viele Möchtegern-Je-suis-Charlies, die bis eben noch mit diesem Blatt nichts anfangen konnten, jetzt gerne etwas abhaben wollen. Wer diese wirklich besitzt, wird sich jedoch bei der nächsten Gelegenheit beweisen, bei der es nicht reicht, sich ein Charlie-Button anzuheften, um für die Pressefreiheit einzutreten. Für die Redaktion von „Charlie Hebdo“ ist die Zeit des Polizeischutzes nicht vorbei.
Um wen weint Mohammed?
Von MICHAEL HANFELD
15.01.2015 • Das Heft von „Charlie Hebdo“, das nach dem Massaker an der Redaktion erscheint, gibt ein Rätsel auf. Und provoziert noch in der Trauer.
Eine Botschaft ist klar: Satire überlebt.
Der Titel von „Charlie Hebdo“ ist ein Rätsel. Mit dem Propheten, den uns der Zeichner Luz zeigt, nach dem Massaker, das zwei Islamisten in der Redaktion angerichtet haben, kann jeder gleich etwas anfangen. Es ist der Prophet Mohammed, den man nach islamischen Verständnis nicht zeigen darf, den man nach dem Verständnis der Satiriker von „Charlie Hebdo“ aber zeigen muss. Immer und immer wieder. Und nun steht er da und trägt ein Schild mit dem Spruch, den schon Millionen Menschen hochgehalten haben: „Je suis Charlie“ und hat eine Träne im Auge. Jetzt ist also auch der Prophet Mohammed „Charlie“. Will heißen: Er hat Humor, er lässt es sich gefallen, ge- und verzeichnet zu werden und – betrauert die Toten. Doch was bedeutet der Schriftzug darüber „Tout est pardonné“?
Vergibt der Prophet den Cartoonisten? Vergibt er allen, auch den Mördern? Oder vergeben die Überlebenden den Attentätern? Letzteres wäre ausgesprochen frivol. Vergebung ist den Hinterbliebenen der Opfer vorbehalten: der ermordeten Journalisten, der Polizisten und der Besucher des jüdischen Lebensmittelgeschäfts in der Rue des Rosiers, die von Tätern hingerichtet wurden, die in göttlichem Auftrag zu handeln glaubten. Also wen betrauert dieser Mohammed: die Ermordeten oder auch die Täter? Das Grün, in dem das Titelblatt von „Charlie Hebdo“ gehalten ist, ist die Farbe des Islam und der Hoffnung. Doch welche Hoffnung will der Zeichner Luz, von dem das Bild stammt, damit ausdrücken?
Es geht ihm allein um die Trauer, um unendliche Traurigkeit über eine unfassbare Tat. Er habe nur noch diese eine Idee gehabt, „Mohammed zu zeichnen mit ,Ich bin Charlie‘“, sagte er auf der Pressekonferenz, auf der die Ausgabe von „Charlie Hebdo“ vorgestellt wurde, die fünf Millionen Mal gedruckt werden soll und im Augenblick ihres Erscheinens fast überall schon ausverkauft war. Er habe, sagte Luz, diesen Mohammed angeschaut, „er war am Weinen. Und auch ich habe geweint. Das war der Titel.“
Missbrauch von Pressefreiheit
Dieser Mohammed von Luz ist – wie immer man die Oberzeile deutet – eine anrührende Figur. Und wüsste man nicht, dass das Glaubenskenntnis von „Charlie Hebdo“ darin besteht, jedwede Heilslehre ins Lächerliche zu ziehen, würde man sagen, dieser Prophet verbreitet eine christliche Botschaft, nämlich die der Nächstenliebe.
Eine Provokation werden säkulare Beobachter darin schwerlich erkennen. Diejenigen, die es endlich besser verstehen können sollten, sehen sie aber doch. Sie dringen zur Botschaft von „Charlie Hebdo“ nicht vor. Sie verkehren sie ins Gegenteil. Die Zeichnung werde „den Hass schüren“, erklärte die Al-Azhar-Universität in Kairo, die höchste Autorität des sunnitischen Islam. Es handele sich „um eine echte Provokation für die Gefühle der Muslime“. Die iranische Regierung verkündet dasselbe und spricht von einem Missbrauch der Pressefreiheit: Respekt vor religiösen Heiligkeiten sei ein weltweit anerkanntes Prinzip, das auch europäische Staatsmänner akzeptieren sollten, sagte die Sprecherin des iranischen Außenministeriums.
So bestätigt sich abermals, was die Morde in Paris in der vergangenen Woche bewiesen haben: Wo ein streng ausgelegter Islam regiert, gibt es keine Presse- und Meinungsfreiheit, sie endet nicht erst bei dem Verbot, Mohammed abzubilden. Sie endet, wo immer irgendjemand, der sich für eine Autorität hält, meint, die Religion werde beleidigt – worauf im Zweifel die Todesstrafe steht, die zu vollziehen sich Leute wie die Mörder von Paris ermächtigt sehen.
Folter bis zum Tode
Könnte es aber nicht sein, fragte ein Kommentator des „Telegraph“ nach dem Attentat, dass die Terroristen in Wahrheit gar nichts gegen die Satiren von „Charlie Hebdo“ haben und es ihnen nur darum geht, Muslime und Nicht-Muslime gegeneinander aufzuhetzen? Damit endlich der weltweite Bürgerkrieg der Religionen beginnt, von dem die Islamisten träumen?
In zweiter Ableitung mag dies der Plan sein. Dass Islamisten aber etwas gegen Karikaturen und die Pressefreiheit an sich haben, dafür bedarf es der Anschauung durch die Morde von Paris nicht. Das Meinungsverbot wird durchgesetzt, mit terroristischer Gewalt in freien Ländern, mit staatlich sanktionierter Unterdrückung in islamischen.
Zwei Tage nach den Attentaten in Paris wurde im saudi-arabischen Dschidda der Blogger Raif Badawi öffentlich ausgepeitscht. Er erhielt fünfzig Hiebe. Zu tausend Schlägen insgesamt und zehn Jahren Haft ist er verurteilt worden. Woche für Woche wird er der Tortur unterzogen. Zwanzigmal fünfzig Schläge mit der Peitsche – es ist eine Folter bis zum Tode. Sein Verbrechen? Raif Badawi war für die Religionsfreiheit eingetreten und hatte Beiträge gepostet, in denen er die saudische Religionspolizei wegen Übergriffen anprangerte; die verschiedenen Religionen der Welt sind in seinen Augen gleichrangig. Die saudische Regierung, die ihn deswegen zu Tode foltern lässt, hat die Anschläge in Paris übrigens verurteilt.
Wonach ihnen ist
„Je suis Charlie“: Auch Raif Badawi ist „Charlie“, nur macht sein Beispiel bei uns nicht die Runde. Nach „Charlies“ muss man sich in vom strengen Islam geprägten Ländern ohnehin nicht lange umsehen. Jeder Journalist, dem es um Wahrheit und Wahrhaftigkeit geht, ist einer und riskiert Kopf und Kragen. In dem selbsternannten Kalifat des „Islamischen Staats“ werden ausländische Reporter vor den Augen der Welt geköpft. Auf einheimische Journalisten, deren Namen wir häufig nicht einmal kennen, wird Jagd gemacht, sie sind vogelfrei. Nicht anders ist es im Einflussbereich der Taliban: Bei einem Besuch bei Kollegen in Peschawar, im Norden Pakistans, waren die letzten Meldungen in eigener Sache gehalten – eine Redaktion war nach einem Anschlag ausgebrannt, die andere betrauerte den Mord an einem Kollegen. Die Täter hatten ihn in Stücke gehauen, seine Leiche warfen sie, in Plastiktüten verpackt, der Familie vor die Haustür. Der Mann hatte sich kritisch und ironisch mit Themen wie Religion und Sexualität befasst. Er war Karikaturist.
Die Redaktion von „Charlie Hebdo“ kann auf ihre verquere Art nun auf Versöhnung aus sein. Sie bleibt im Visier der Terroristen, die in diesem Fall im Auftrag von Al Qaida im Jemen gemordet haben sollen. „Charlie Hebdo“ ist ironisch, derb oder bewusst verletzend. Sie verspottet, wie in der jetzigen Ausgabe mit einem Cartoon des ermordeten Chefredakteurs Stéphane Charbonnier alias Charb, abermals die Islamisten. Sie macht sich lustig über die Politiker, die sich zu der Millionen zählenden Trauergemeinde gesellt haben. Die Satiriker zeigen, wonach ihnen ist: Dem Premierminister Manuel Valls möchte der Zeichner Luz trotz allem lieber nicht die Hand geben, ein Päckchen Drogen hingegen wäre willkommen, ebenso, wenn Madonna aus Solidarität ihre Unterwäsche spendete (damit könnte Angela Merkel nicht dienen) und Präsident François Hollande eine Million Euro aus dem Google-Abgaben-Fonds lockermachte. Und das Rauchverbot in den Redaktionsräumen von „Libération“, wo die Kollegen von „Charlie Hebdo“ untergekommen sind, müsste natürlich aufgehoben werden.
Dass viele, die jetzt mit „Je suis Charlie“ herumlaufen, in Wahrheit etwas ganz anderes im Schilde führen, ist den Karikaturisten selbstverständlich auch aufgefallen. Also wehren sie sich gegen die Vereinnahmung und verteilen neue Slogans: „Ich bin Rassist“ für den Neonazi; eine Figur, die wie Marine Le Pen aussieht, trägt „Ich bin beglückt“. Die beiden Attentäter Kouachi kommen derweil, wie eine andere Zeichnung zeigt, tatsächlich in ihrer Mörderkluft in den Himmel, haben bei den versprochenen 72 Jungfrauen (hier sind es siebzig) jedoch das Nachsehen – die vergnügen sich schon mit dem Personal von „Charlie Hebdo“.
Das sind nicht bitterböse, sondern bittere, traurige Pointen. Sie stammen von Menschen, deren Kollegen soeben samt und sonders wegen ihrer Arbeit ermordet wurden. Die Satiriker von „Charlie Hebdo“ beweisen auf ihre ganz eigene Weise eine Größe, von der viele Möchtegern-Je-suis-Charlies, die bis eben noch mit diesem Blatt nichts anfangen konnten, jetzt gerne etwas abhaben wollen. Wer diese wirklich besitzt, wird sich jedoch bei der nächsten Gelegenheit beweisen, bei der es nicht reicht, sich ein Charlie-Button anzuheften, um für die Pressefreiheit einzutreten. Für die Redaktion von „Charlie Hebdo“ ist die Zeit des Polizeischutzes nicht vorbei.