Nachgezählt
China revidiert seine Statistik und wird damit als größtes Entwicklungsland zur sechstgrößten Volkswirtschaft des Planeten
Die Volksrepublik China hat ihre volkswirtschaftliche Statistik auf Vordermann gebracht, und dabei ist Beachtliches herausgekommen: Wie einige Beobachter schon seit längerem vermutet hatten, ist die Wirtschaftskraft des Landes deutlich größer, als die offiziellen Zahlen bisher vermuten ließen. Um 16,8 Prozent hatte man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) unterschätzt, gab am Dienstag Pekings Chefstatistiker Li Deshui bekannt. Demnach betrug die Wirtschaftsleistung der Volksrepublik 2004 15,99 Billiarden Yuan (knapp 1,7 Billiarden Euro). Das sind 2,3 Billiarden Yuan mehr als angenommen. Damit verdrängt China Italien von Platz sechs in der Rangliste der größten Volkswirtschaften und liegt nun dicht hinter Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Die Rangfolge ist jedoch stark von den aktuellen Wechselkursen abhängig. Der Yuan gilt inzwischen als stark unterbewertet; berücksichtigt man die tatsächliche Kaufkraft der jeweiligen Landeswährung, dann liegt China bereits fast gleichauf mit Japan, übertroffen nur noch von den USA.
Li legte allerdings wert auf die Feststellung, daß China das größte Entwicklungsland bleibe. Die Wirtschaftskraft pro Kopf liegt immer noch weit hinter allen Industriestaaten und vielen anderen Schwellenländern. Nach der neuesten überarbeiteten Statistik wurden 2004 lediglich 1 300 Euro pro Einwohner erwirtschaftet. Der Anteil der Bevölkerung, der in Armut lebe, so Li, übertreffe noch immer die Bevölkerung der meisten anderen Länder.
Exzessiv Energie verbraucht
Das zentrale Statistikbüro arbeitet bereits seit über einem Jahrzehnt daran, die Erfassung der wirtschaftlichen Grunddaten realistischer zu gestalten und an internationale Standards anzupassen, berichtete Li. Insbesondere der Dienstleistungssektor war bisher in den Zahlen unterrepräsentiert, weil die Myriaden von privaten Kleinbetrieben im Berichtswesen des Riesenlandes nicht angemessen berücksichtigt wurden. Das Problem war seit längerem bekannt, und daher hatten die Statistiker einen Zensus organisiert. Im vergangenen Sommer schwärmten zehn Millionen Regierungsbeamte und drei Millionen zusätzliche Helfer im ganzen Land aus, und verteilten 30 Millionen Fragebögen. Heraus kam, daß der tertiäre Sektor, das Dienstleistunsgewerbe, bisher um ein Drittel unterschätzt wurde. Sein Anteil an der Volkswirtschaft beträgt nicht, wie bisher angenommen 31,7, sondern 40,9 Prozent. Das alte statistische System, das noch zu Zeiten zentraler Wirtschaftsplanung entworfen wurde, sei nicht in der Lage gewesen, »die dynamische Entwicklung privater, oft von Einzelpersonen geführter Dienstleistungsaktivitäten« zu erfassen, zitiert die Nachrichtenagentur Xinhua Li. Die neuen Daten zeigen auch, daß Chinas Landwirtschaft, von der noch immer zwischen 700 und 800 Millionen Menschen direkt abhängen, in volkswirtschaftlichen Relationen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Nur noch knapp 13 Prozent des BIP werden in diesem Sektor erwirtschaftet. 100 Millionen Menschen auf dem Land seien von staatlichen Zuwendungen abhängig, meinte Li.
Unterdessen wies die Weltbank in Washington daraufhin, daß es nichts Ungewöhnliches sei, wenn Länder mit schnellem Wachstum, ihre Statistiken von Zeit zu Zeit überarbeiten. Die neuen Daten würden eine bessere Grundlage für die Beurteilung der chinesischen Wirtschaft bilden. Unter anderem sieht im Licht des größeren BIP das Problem der faulen Kredite, das die Banken des Landes plagt, nicht mehr ganz so ernst aus. Auch war die Regierung in der Vergangenheit des öfteren kritisiert worden, daß der Anteil von rund 40 Prozent der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt zu hoch sei und Überhitzung fördern würde. Mit den neuen Zahlen scheint die Regierung mehr Spielraum für eine Erhöhung der Staatsausgaben – zum Beispiel für Bildung und Gesundheit – zu haben, als bisher gedacht. Die Statistiker bemerkten auch, daß Chinas BIP-Wachstum mit einem exzessiven Verbrauch von Energie aller Art verbunden war.
Starke Bauaktivität
Offensichtlich ist ein Teil der Erfolge, die man in den 1990ern in der raschen Zunahme der Energieeffizienz des Wirtschaftswachstums gemacht hatte, im Boom der vergangenen Jahre wieder zunichte gemacht worden. Nach den neuesten Zahlen hat China 4,4 Prozent des Weltsozialprodukts erzeugt, dafür aber 7,4 Prozent der Weltproduktion an Rohöl, 31 Prozent der Kohle, 30 Prozent des Eisenerzes, 27 Prozent des Walzstahls und 40 Prozent des Zements verbraucht. Der überproportionale Verbrauch an Rohmaterialien ist sicherlich damit zu erklären, daß es in einem aufholenden Entwicklungsland wie China wesentlich mehr Bauaktivitäten als in einem Industriestaat gibt. Der stark gestiegene Energieverbrauch deutet jedoch darauf hin, daß die alten Einsparungsprogramme nicht mehr ziehen. Die Regierung in Peking hat daher bereits letzte Woche angekündigt, sie wolle den privaten Verbrauch drosseln, und unter anderem beschlossen, daß künftig jeder Bürger für seine Heizkosten selbst aufkommen muß. Wer kein Geld hat, wird dann eben frieren müssen.
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