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Das Bart Haar von Mohammed wurde in der Türkei entführt

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Ein Haar spaltet die Nation
Wie die Türken wegen der vermeintlichen Entführung einer Reliquie um den Bart des Propheten streiten

Von Kai Strittmatter

Istanbul, 11. Oktober - Er ist Minister für Kultur. Er ist Mitglied der islamischen Regierungspartei AKP. Er hat den Bart des Propheten entführen lassen. Das heißt: Eigentlich war es nur ein Barthaar. Er hätte es trotzdem besser nicht getan. Man hat ihn erwischt. Man hat das Barthaar entdeckt, am Flughafen, als die Handlanger des Ministers den Bartbehälter gerade durch die Röntgenmaschine schoben. Atilla Koc, der Minister selbst, saß da im Wartesaal für VIPs. Vor der Tür aber, da stand schon die Presse. Irgendjemand hatte ihn wohl verpfiffen. Jetzt ist die Empörung groß. Das heilige Stück! Bei Nacht und Nebel! Ins Ausland schaffen! Im Ramadan! Ausgerechnet die islamische Regierung! Attila Koc weist nun alles weit von sich: Ein Missverständnis. Er sagt: ¸¸Wieso Respektlosigkeit? Bin ich kein Muslim?"

Der Bart. Man sagt, der Prophet habe sich einen besonders prächtigen stehen lassen. Man sagt, er war damit Gott zu Gefallen. Wenn er sich den Bart einmal stutzen ließ, dann wurden die Haare sofort vergraben. Der Volksglaube aber will es, dass sich Mohammed im Jahr 632, kurz vor seinem Tode, noch einmal richtig unters Rasiermesser begab und die Schur dann an Freunde und ans Volk verteilte. So kommt es, dass heute allein in der Türkei - das Amt für religiöse Angelegenheiten hat sie gezählt - übers Land verstreut 1820 Barthaare in Schreinen verehrt werden. Über die Echtheit dieser Haare gibt es ähnliche Meinungsverschiedenheiten wie über die Echtheit der Windel Jesu im Aachener Dom.

Das nun entwendete Stück jedoch ist in den Augen vieler Türken echter als andere. Es gehört zu den gut ein Dutzend Barthaaren des Propheten, die seit fast fünf Jahrhunderten im Topkapi-Palast aufbewahrt werden. Dorthin hatte sie schon einmal einer entführt: Sultan Selim der Erste, ein recht grimmiger Mensch, der zuerst Brüder, Söhne und Neffen umbringen ließ, bevor er es sich zur Gewohnheit machte, jährlich einen Großwesir köpfen zu lassen. Selim eroberte 1516 für seine Osmanen-Dynastie das Mameluckenreich in Ägypten, damals Sitz des islamischen Kalifats. Von dort brachte er als Beute nicht nur die Barthaare, sondern auch den Mantel, das Schwert und sogar einen Fußabdruck des Propheten Mohammed zurück nach Istanbul. Dort, in der gut bewachten Reliquienkammer des Topkapi-Palastes, kann man diese Dinge heute bewundern.

Die Männer des Ministers kamen am Freitag kurz nach Mitternacht. In den Topkapi mussten sie allerdings nicht einsteigen - im Fastenmonat Ramadan nämlich ist es Tradition, dass einige der in feinen Glasgefäßen aufgezogenen Barthaare an bekannte Moscheen in Istanbul ausgeliehen und dort vor den Gläubigen ausgestellt werden. Also marschierten die Beamten einfach zur Eyüp-Moschee am Goldenen Horn, klopften um ein Uhr morgens an das Tor, zeigten einen Brief ihres Dienstherren vor, steckten den Glaszylinder mit dem Barthaar ein und verschwanden. Am nächsten Morgen fuhren sie damit zum Flughafen, wo Minister Koc schon auf sie wartete. Leider auch die Presse.

Der Minister und die Diebe

Und die fragt nun: Warum? Erste Erklärungen des Kulturministeriums schienen die Thesen von Zeitungen zu bestätigen: Ihnen zufolge sollte der Bart ausgeliehen werden, vielleicht nach Dubai. Der Kronprinz von Dubai, Scheich Mohammed Bin Raschid al-Maktum, war letzte Woche erst in Istanbul gewesen. Er wolle fünf Milliarden Dollar in die Stadt investieren, hatte er erklärt, und einen gewaltigen ¸¸Bospurus-Turm" bauen, 600 Meter hoch. Der Kronprinz habe den dringenden Wunsch geäußert, schreibt die liberale Milliyet, noch während des heiligen Ramadan ein Barthaar des Propheten in seinem Heimatland ausstellen zu dürfen. Und die Regierung, vermuten nun viele Kommentatoren, habe diesem Wunsch beflissen nachkommen wollen. Heimlich allerdings, und nicht ohne schlechtes Gewissen. Noch nie in den vergangenen fünf Jahrhunderten nämlich haben die heiligen Haare Istanbul verlassen. ¸¸Die kann man nicht mal nach Ankara bringen lassen, und nach Dubai schon gar nicht", meldet sich aufgeregt der Islamexperte Hüsrev Hatemi von der Bilkent Universität. ¸¸Unerhört!" findet das die Theologieprofessorin Beyza Bilgin.

Beobachter weisen darauf hin, dass wohl schon öfter gemeine Diebe sich einzelner Stücke des Prophetenbartes bemächtigt hätten, dass sich nun aber zum ersten Mal ein Minister einer islamischen Regierung unter ihre Reihen mischte. Das Massenblatt Hürriyet winkt drohend mit dem Paragraphen 257 des Strafgesetzbuches, wonach bis zu drei Jahren Haft dem drohen, der unerlaubt Kulturschätze des Landes ins Ausland bringt.

Es ist vielleicht die schönste Pointe dieser Geschichte, zu beobachten wie sie das politisch-religiöse Universum der Türkei für ein paar Augenblicke auf den Kopf stellt: Wie plötzlich unter verkehrten Vorzeichen geheuchelt wird. Hier die säkulare konservative Opposition, die sich mit einem Mal fromm in die Brust wirft: ¸¸Taktlos", bellt Altpräsident Süleyman Demirel. ¸¸Nicht einmal die Atheisten würden so etwas tun", ereifert sich Parteichef Mehmet Agar von der konservativen DYP. Sie wittern Munition gegen die sich gerade noch im EU-Erfolg sonnende Regierung. Schon melden sich die Ersten mit der Vermutung, Premier Tayyip Erdogan persönlich habe die Order zum Barttransport gegeben. Auf der anderen Seite stehen die islamischen Abgeordneten von der AKP und wiegeln verzweifelt ab: ¸¸Man weiß ja nicht mal, ob der Bart tatsächlich unserem Propheten gehört", sagt AKP-Mann Cavit Torun.

Das ist die Version des Attila Koc: Nie habe er die Reliquie ins Ausland bringen wollen. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass es um die Aufbewahrung des kostbaren Erbes nicht zum Besten stünde, da habe er die Beamten zum Flughafen kommen lassen, um das Barthaar-Behältnis zu prüfen. Attila Koc ist nicht beliebt; die Zeitungen nennen ihn ob seiner vielen Nickerchen den ¸¸schlafenden Minister". Koc sagt nun: ¸¸Das hat es wohl noch nie gegeben. So gehe ich in die Geschichte ein." Sein Parteifreund Cavit Torun hat eine Bitte an die Opposition: ¸¸Wir sollten uns darüber nicht in die Haare kriegen."

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.235, Mittwoch, den 12. Oktober 2005 , Seite 3
 
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