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Das Leben in der Moldau 17-18 Jhd.

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Der Universalgelehrte Dimitrie Cantemir beschreibt das Leben in der Moldau

Dimitrie Cantemir wurde am 26. Oktober 1673 als Sohn einer Adelsfamilie in Iaşi im Fürstentum Moldau
geboren. Er erhielt Privatunterricht durch einen griechischen Hauslehrer, der ihn umfassend mit der antiken
Kultur vertraut machte. Von 1688 bis 1710 lebte er in Istanbul, wo er an der griechischen Akademie des
Patriarchats studierte. Wegen seiner prorussischen Haltung floh der von den Osmanen eingesetzte Statthalter
nach Moskau, wo er 1723 starb. Cantemir wurde zu einem wahren Universalgelehrten: Er verfasste literarische,
historiografische, philosophische und mathematische Werke in gleich vier verschiedenen Sprachen. Seine
wichtigsten Arbeiten entstanden in den Jahren 1711 bis 1719, darunter eine Geschichte des Osmanischen Reiches
und die hier in Auszügen wiedergegebene Beschreibung des Fürstentums Moldau („Descriptio Moldaviae“).
Letztere besticht durch ihren Umfang und ihren Detailreichtum und ist damit eine der bedeutendsten Quellen
zur Geschichte der Region im 17. und 18. Jahrhundert.



Von den übrigen Einwohnern der Moldau

Ich glaube nicht, daß es ein anderes Land von der Grösse der Moldau giebt, in welchem so viele und
so verschiedene Völker anzutreffen sind. Ausser den Moldauern, deren Vorfahren aus Maramorisch zurück
kamen, wohnen noch Griechen, Albanier, Servier, Bulgaren, Polaken, Kosaken, Russen, Hungarn,
Deutsche, Armenier, Juden und die fruchtbaren Sinti und Roma, (Cyngari, Czigani) in der Moldau. Die Griechen,
Albanier, Servier und Bulgaren leben frey darin, und beschäftigen sich theils mit dem Handel, theils dienen
sie dem Fürsten um Sold. Der Deutschen, Polaken und Kosaken giebt es wenige, und sie sind entweder
Soldaten, oder Hofbediente; aus den Polaken sind einige, aber wenige, in den Baronenstand erhoben worden.
Die Armenier werden als Unterthanen angesehen, wie die Bürger und Kaufleute in andern Städten
und Flecken der Moldau, und bezahlen dem Fürsten denselben Tribut. Sie haben Kirchen, eben so, wie
die Katholiken, die weder kleiner noch weniger ausgezieret sind, als die Kirchen der Rechtgläubigen, und
geniessen die freye Religionsübung. Auch die Juden werden für Unterthanen angesehen, und müssen einen
besondern jährlichen Tribut, der größer, als der gemeine ist, bezahlen. Sie treiben kein anderes Gewerbe,
als die Kaufmannschaft und die Gastwirthschaft. Sie können Synagogen haben, wo sie wollen, aber keine
steinerne, sondern nur hölzerne. Die Russen und Hungarn sind immer in der Moldau Leibeigene gewesen.
Die Sinti und Roma sind in der ganzen Moldau hin und wieder zerstreuet; und es ist kein Baron, der nicht
etliche Familien davon zu Unterthanen hätte. Woher und wann diese Nation in die Moldau gekommen,
wissen weder sie selbst, noch findet sich etwas davon in unsern Jahrbüchern. Sie haben eine Sprache, die
allen Sinti und Roman in allen Districten gemein, und mit vielen griechischen auch wohl persischen Wörtern
vermischt ist. Sie treiben kein anderes Handwerk, als Erz- und Eisenarbeit. Sie sind eben so beschaffen,
wie die Sinti und Roma in andern Ländern, haben gleiche Sitten mit denselben, und ihre höchste Tugend und
Unterscheidungszeichen ist der Müßiggang und Diebstahl. Es halten sich auch viele Türken des Handels
wegen zu Jaßij und in andern Flecken auf; aber es ist ihnen nirgends erlaubt, liegende Gründe zu kaufen,
oder in einem Städtgen oder Dorf ein Haus, noch vielweniger eine Moschee zu bauen, oder öffentliche
Gebeter nach ihrem abergläubischen Gottesdienst zu verrichten; und die osmanische Pforte hat auch nie
darauf gedrungen, daß man es ihnen erlauben sollte. Wollte Gott, daß sie ewig davon stille schwiege.

Ich würde gewiß die moldauischen Bauern für die elendesten aller Landleute unter der Sonne halten, wenn
nicht die Fruchtbarkeit des Bodens und ihre reichen Erndten sie gleichsam wider ihren Willen aus der
Armuth herauszögen.
Sie sind sehr faul und träge zur Arbeit, sie pflügen wenig, säen wenig, und erndten doch viel. Sie sorgen
nicht dafür, durch Arbeit das zu erwerben, was sie haben könnten, sondern begnügen sich, so viel in die
Scheuren zu sammlen, als sie auf ein Jahr lang, oder wie sie zu sagen pflegen, bis wieder neues Brod kommt,
zu ihrer Nahrung nöthig haben; daher, wenn ein unfruchtbares Jahr kommt, oder ein feindlicher Einfall sie
an ihrer Erndte hindert, so stehen sie in Gefahr, zu verhungern. Wenn der Bauer eine oder ein paar Kühe
hat, so glaubt er zu seiner und seiner Kinder Nahrung genug zu haben: denn einige derselben geben täglich
40, aufs wenigste 24. Maaß Milch. Hat er aber 20. Bienenstöcke, so kann er von deren Einkünften leicht
die Abgaben für das ganze Jahr bezahlen. Nicht zu gedenken, daß ein jeder Stock, wenn die Witterung
nach des Bauern Wunsch ist, jährlich sieben andere ausstosse: so ist es schon genug, daß ein jeder, wenn er
ausgeschnitten wird, zwey und mehrere Maaß Honig giebt: ein Maaß aber wird für einen Thaler verkauft.
Diejenigen, welche auf dem Gebirge wohnen, haben überflüssig Schafe, Honig und Baumfrüchte: die auf
dem platten Lande haben Korn, Ochsen und Pferde. Die sind am übelsten daran, welche die Tatarn zu
Nachbaren haben; denn diese stehlen nicht nur heimlich alles was sie bekommen können, sondern begehen
auch zuweilen, unter dem Schein eines Feldzugs nach Polen, wenn sie durch die Moldau kommen können,
die größten Räubereyen, führen alle Einwohner der Dörfer gefangen mit sich weg, und verkaufen sie zu
Konstantinopel für Russen. Solche Einfälle sind zwar schon lange durch oft wiederholte Befehle des Kaysers
verboten worden: allein, wer kann sich hierin vor der Tatarn Betrügereyen genug hüten? Die sind noch
am glücklichsten, die das Schicksal nach Konstantinopel bringet: denn daselbst können die Residenten
der Fürsten einen gefangenen Moldauer, wo sie ihn antreffen, ohnentgeldlich wegnehmen und in Freyheit
setzen.

Die adelichen Frauenzimme sind zwar wohl gestaltet, allein an Schönheit denen gemeinen Leuten weit
nachzusetzen. Diese haben also eine schönere Gestalt, aber sie sind auch mehrentheils lüderlich. Einige
trinken zu Hause viel Wein; öffentlich aber wird selten eine Frau betrunken erscheinen: denn eine
Frauensperson wird für desto ehrbarer gehalten, je weniger sie bey Gastereyen isset und trinket. Deswegen
wird man selten sehen, daß sie einen Bissen zum Munde bringet, oder ihre Lippen so weit aufthut, daß
man die Zähne sehen kan, sondern sie steckt die Speise so heimlich als sie kan, in den Mund. Nichts halten
sie für schändlicher, als wenn man bey einer Ehefrau oder Witwe die Haare sehen kan; und es wird für ein
Hauptverbrechen gehalten, öffentlich das Haupt einer Frau zu entblösen. Hingegen die Jungfrauen rechnen
es sich zur Schande, das Haupt auch nur mit der dünnsten Leinwand zu bedecken: denn sie haben die
Blösse des Kopfs zum Zeichen der Keuschheit angenommen. Uebrigens sind die Gebräuche so verschieden,
wie die Luft in den besondern Gegenden des Landes verschieden ist.

Die Einwohner der obern Moldau sind weniger im Krieg erfahren, auch nicht so sehr an die Waffen
gewöhnt; sie essen lieber ihr Brod im Schweisse ihres Angesichts und in Ruhe. Auf ihre Religion sind sie
fast bis zum Aberglauben erpicht: daher findet man allein in dem Sutschavischen Gebiet an 60. steinerne
Kirchen, in der ganzen obern Moldau mehr als 200. große und von Steinen erbaute Klöster, und die
Berge sind voll von Mönchen und Einsiedlern, welche dort in der Stille ihr frommes und einsames Leben
Gott aufopfern. Diebstahl giebt es unter ihnen wenig oder gar nicht. Man hat sie immer als Unterthanen
erfunden, die ihrem Fürsten getreue sind, und wenn auch einige innerliche Unruhen unter ihnen entstanden,
so sind sie bloß durch die Baronen der untern Moldau aufgebracht worden. Auch vor dem
Ehestande sind sie keusche und wohlgesittete Leute, welches etwas seltenes bey den Nieder-Moldauern
ist. Zu Staatsgeschäften sind sie tüchtiger, als die übrigen: die Hausgeschäfte verrichten sie aufs beste: die
ihnen gegebenen Befehle befolgen sie mit größtem Fleiß; und die Gastfreyheit üben sie weit mehr, als die
Einwohner der Nieder-Moldau.

Quelle: Cantemir D. 1973: Beschreibung der Moldau. Faksimiledruck der Originalausgabe von 1771.


 
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