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Das Minarett, das alle freut

skenderbegi

Ultra-Poster
Von David Nauer, Duisburg. Aktualisiert um 04:00 Uhr 10 Kommentare

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Nein, diese Moschee steht nicht in der Türkei, sondern in Duisburg. Sie ist das grösste muslimische Gotteshaus in Deutschland.
Bild: Keystone
Gläubig und gut integriert

Über vier Millionen Muslime leben in Deutschland; zwei Drittel von ihnen stammen aus der Türkei, andere aus Afrika oder dem Nahen Osten. Laut einer im Sommer veröffentlichten Studie sind sie gut integriert – weit besser als gemeinhin angenommen. Jeder zweite Muslim ist Mitglied in einem deutschen Verein; 46 Prozent besitzen einen deutschen Pass. Vier von fünf Muslimen bezeichnen sich als «gläubig». Religiös begründete Abkapselung bleibt ein Randphänomen: 93 Prozent aller muslimischen Mädchen besuchen gemischten Sport- oder Schwimmunterricht. Ein Problem ist das tiefe Bildungsniveau. Im Vergleich zu den anderen Einwohnern Deutschlands machen Muslime häufiger keinen Schulabschluss. (dn)


Der Orient ist im Ruhrgebiet angekommen. Er ist hier 40 Meter lang und 28 Meter breit. Silbern wölbt sich seine Kuppel in den Himmel. An einer Ecke steht kerzengerade ein Minarett, 34 Meter ab Boden. Zuoberst prangt der Halbmond.
Das «Wunder von Marxloh» nennen sie diese türkische Moschee, es ist die grösste in Deutschland. «Marxloh», weil der Stadtteil von Duisburg so heisst. «Wunder», weil beim Bau alles so glatt lief. Keine Bürgerproteste wie in anderen Städten, keine Einsprachen, keine erhitzten Podiumsdiskussionen.
Moschee für alle
«Fremd ist nur, was man nicht kennt», sagt Muhammed Al (41), der Vorsitzende der muslimischen Gemeinde. Dunkler Anzug, Krawatte, von Beruf ist Herr Al Steuerberater. Auf seinem Schreibtisch stehen die Flaggen Deutschlands und der Türkei. Er spricht sanft, eloquent.
Man habe eine Moschee für alle schaffen wollen, eine offene Moschee, sagt er. Deswegen lud seine Gemeinde von Anfang an Politiker, Anwohner und Kirchenvertreter in einen Beirat ein. Dieser hat den Bau begleitet und tagt bis heute regelmässig, alle sechs Wochen. Ein Erfolgsmodell, auf das ganz Deutschland anerkennend schaut.
Ein Hauch von Basar
Dabei galt Marxloh bisher als Duisburgs Schmuddelkind. Einst stolzes Arbeiterquartier, herrscht hier seit Jahrzehnten Verfall. Kohle wird kaum mehr gefördert, drüben im Stahlwerk erledigen Maschinen das, wofür man früher Menschen brauchte. Kein Wunder, liegt die Arbeitslosigkeit in Marxloh konstant über 20 Prozent, sind die Fassaden grau, die Menschen ohne Perspektive. Erschwerend kommt hinzu: Über die Hälfte der Marxloher haben Wurzeln im Ausland, die meisten in der Türkei. Viele können kaum Deutsch oder nur schlecht. Es hat sich eine Parallelgesellschaft gebildet mit Dönerbuden, Früchteständen, kitschigen Kleidergeschäften. Durch die zentrale Weseler Strasse weht ein Hauch von Basar. Wo man hinschaut – türkische Handyverkäufer, türkische Brautmode, türkische Fahrlehrer.
Einzig die Moschee blieb bis vor kurzem unsichtbar, untergebracht in einer ehemaligen Zechenkantine. Provisorisch, schäbig. «Dabei ist hier unsere Heimat», sagt Herr Al, der Vorsitzende. Die Gemeinde habe sich eine Moschee gewünscht, die man sehen kann. Und eine, die sich sehen lässt.
Begeisterung auf allen Seiten
Im Herbst 2008, dreieinhalb Jahre nach dem Spatenstich, war Einweihung. 7,5 Millionen Euro waren verbaut worden, über die Hälfte aus Spenden; den kleineren Teil haben das Land Nordrhein-Westfalen und die Europäische Union beigesteuert.
Inzwischen ist das Gotteshaus zu einem Magnet geworden. Allein im ersten Jahr sind 100'000 Besucher hergekommen, Türken wie Deutsche. Ganze Busladungen fahren vor. Ein eigens eingerichtetes Bildungs- und Begegnungszentrum koordiniert die Touristenströme, steht als Anlaufstelle zur Verfügung.
Auch Politiker haben die Marxloher Moschee für sich entdeckt. Grünen-Chef Cem Özdemir, selber mit türkischen Wurzeln, war schon da. Auch Gesine Schwan, die einst für die SPD Bundespräsidentin werden wollte. Zur Eröffnungsfeier erschein Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Mitglied der Christlich-Demokratischen Union (CDU). Er hielt eine begeisterte Rede. «Wir brauchen mehr Moscheen in diesem Land», sagte Rüttgers. «Aber nicht in den Hinterhöfen, sondern sichtbar, erkennbar.»

Aufwertung dank Moschee

Die Moschee von Marxloh hat den Stadtteil aufgewertet, buchstäblich. Der Preis von Land und Immobilien ist gestiegen. Schmucke Einfamilienhäuser in der Nachbarschaft konnten lange nicht verkauft werden. Kaum wurde die Moschee gebaut, tauchten Interessenten auf. Die türkische Gemeinde hat zudem einige heruntergekommene Arbeiterunterkünfte gekauft und saniert. Das Dienstleistungsgewerbe investiert derweil in Geschäfte und Cafés. Die vielen Moschee-Besucher wollen verpflegt sein, manche nutzen den Ausflug für einen Einkaufsbummel. Die Moschee sei ein Wirtschaftsfaktor, sagt Muhammed Al. «Wie der Kölner Dom.»
Auch die Zivilgesellschaft regt sich; einige Nachbarn haben eine Bürgerinitiative gegründet. Ihr Ziel: Sie wollen auf einer brachliegenden Fläche zwischen der Moschee und der katholischen Kirche einen Rosengarten anlegen – als Zeichen der Verständigung. Das Projekt stockt, aber zahlreiche kleinere Feste und Kunstaktionen wurden schon organisiert. Der nächste grosse Coup steht 2010 an. Dann ist das Ruhrgebiet europäische Kulturhauptstadt. Vor der Moschee soll, so plant die Bürgerinitiative, ein Palast aus Bambus aufgebaut werden – in Form einer Rose. Es ist etwas los in Marxloh.

Proteste in Köln
Längst nicht überall ist das deutsch-türkische Verhältnis so idyllisch. In Köln etwa gibt es gegen den Bau einer Moschee massive Proteste. Angeführt wird der Widerstand von einer rechtsnationalen Partei, selbst die CDU ist teilweise dagegen. Das Argument: Der «orientalische Prachtbau» sei eine «Machtdemonstration». Der Islam dürfe nicht zur Leitkultur in Deutschland werden.
Inzwischen wird zwar auch in Köln gebaut. Doch die Debatte ebbt nicht ab. Bei der Grundsteinlegung vor wenigen Wochen gab es prompt eine Gegendemonstration. Der Kulturwissenschaftler Claus Leggewie, der sich in seinem jüngsten Buch mit islamischen Gotteshäusern in Deutschland beschäftigt, erklärt sich die Aufregung so: «Moscheen symbolisieren eine jahrzehntelange Einwanderungsgeschichte – und deren Versäumnisse. Sie demonstrieren Präsenz und Selbstbewusstsein der muslimischen Immigration in Europa: Wir bauen, weil wir bleiben wollen.»

Mehr Transparenz
Dabei können schon symbolische Zugeständnisse eine entspannende Wirkung erzielen. In Marxloh etwa ist das Minarett drei Meter weniger hoch als der Turm einer nahen Kirche – ganz absichtlich. Zudem hat die Moschee auffallend hohe Fenster. Selbst von der Strasse sieht man in den Raum hinein, sieht, wie die Menschen beten. Die Idee dazu ist im Beirat entstanden. Die Moschee sollte transparent wirken, als Signal: Hier wird nichts versteckt.
Herzstück dieser Offenheit ist das Begegnungs- und Bildungszentrum, gefördert mit öffentlichem Geld, geführt von engagierten Frauen wie Zehra Yilmaz (45). Die Türkin mit deutschem Pass ist so etwas wie ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Sie hat Deutsch, Englisch und evangelische Theologie studiert. Gleichzeitig ist sie gläubige Muslimin geblieben, was sie mit einem Kopftuch signalisiert.

«Wir haben andere Probleme»
Unermüdlich organisiert Yilmaz zusammen mit ihren Kolleginnen Kurse, Treffen, Führungen durch die Moschee. Einige Dutzend Frauen plaudern sich regelmässig durch ein Frauenfrühstück. Diskutiert werden Themen aus dem Alltag, Kindererziehung, Probleme mit Schwiegermüttern. Aber auch die Unterschiede zwischen den Kulturen – auf spielerische Weise. Einmal banden sich die deutschen Frauen ein Kopftuch um, die Türkinnen legten es ab. «Wir haben einander nicht mehr erkannt und viel gelacht. Wenn man lachen kann, dann ist die Angst vor dem anderen weg», sagt Yilmaz.
«Die Moschee ist für den Stadtteil ein Gewinn», findet auch der evangelische Pfarrer Hans-Peter Lauer (52). Die Marxloher seien stolz auf das Bauwerk. Dabei habe die Frage, ob ein Minarett gebaut werden darf – wie sie in der Schweiz am kommenden Wochenende zur Abstimmung kommt –, nie eine Rolle gespielt. «Was ist gewonnen, wenn man Minarette verbietet?», fragt Lauer rhetorisch. Viel wichtiger sei, dass das Zusammenleben im Alltag funktioniere. Da gibt es Probleme, Lauer verheimlicht es nicht, formuliert aber vorsichtig. «Es tönt etwas spiessig, aber es geht auch um die Sauberkeit im öffentlichen Raum, es geht um die Strassenverkehrsordnung.» Auch müsse man von allen Menschen eine «gewisse Bildungsbereitschaft» erwarten können. «Wir haben andere Probleme als Minarette», fasst Lauer zusammen.
Sozialismus und Christus
Der Pfarrer ist kein Multikulti-Träumer, er ist ein Pragmatiker. Wenn er aus seinem Büro tritt und über die Karl-Marx-Strasse blickt, dann sieht er direkt auf die Kreuzeskirche, einen imposanten Backsteinbau von 1905. Damals brummte der Wirtschaftsmotor im Ruhrpott, die stolze Arbeiterschaft glaubte an den Sozialismus und an Christus. Sie baute sich ein protestantisches Gotteshaus.
Das war vor 100 Jahren. Kürzlich organisierte Lauer mit dem katholischen Kollegen und einem Imam einen gemeinsamen Gottesdienst für Schüler. «Als wir die Kinder aufforderten, sich segnen zu lassen, da kamen einer oder zwei zu mir, ein paar wenige gingen zum Katholiken.» Die meisten Kinder, erinnert sich der Pfarrer, liessen sich vom Imam segnen.


(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 26.11.2009, 04:00 Uhr

ein guter weg um den dialog voranzutreiben....
 
Ich fahr da öfters vorbei. Die Moschee ist wirklich beeindruckend, würde fast sagen: monumental. Und in Klein-Istanbul (Marxloh) fühle ich mich sauwohl, da gibts alle möglichen Läden. Hat seinen eigenen Charme.
Im Text heißt es: "Es hat sich eine Parallelgesellschaft gebildet mit Dönerbuden, Früchteständen, kitschigen Kleidergeschäften."
Ich nenne das eher eine willkommene und interessante Abwechslung zu den sonst ziemlich stereotypen deutschen Innenstädten. Du gehst in Deichmann rein und hörst türkische Musik. Ist das geil oder was? :mrgreen:
 
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