Die AKP macht auch hier einen Guten Job
[h=1]Das türkische Kontingent des Islamischen Staats[/h]Die Terrormiliz IS zieht Extremisten aus ganz Europa an. Doch die meisten Ausländer, die für den Islamischen Staat kämpfen und nicht aus einem arabischen Land kommen, sind Türken.
Von Boris Kálnoky,Budapest
Schussbereite IS-Extremisten in einem syrischen Dorf, das sie gestürmt hatten: Mehr als 1000 der Terroristen könnten nach Schätzungen direkt aus der Türkei kommenFoto: AFP
Mehr als 1200 Kämpfer der Terrorarmee IS (Islamischer Staat, ursprünglich Isis) kommen nach Geheimdienst-Erkenntnissen aus westlichen Ländern. Das könnte ein ernstes Problem zwischen der EU und der Türkei werden, denn diese Menschen gelangen durch die Türkei nach Syrien und in den Irak, und sie kommen so auch durch die Türkei wieder zurück in den Westen.
Aber es ist die Türkei selbst, die sich die dringendsten Sorgen machen muss. Wahrscheinlich hat IS mittlerweile mehr Türken in ihren Reihen als Kämpfer aus irgendeinem anderen nicht-arabischen Land. Die türkischen Medien sind voll von Berichten über Einzelschicksale, über Eltern, die verzweifelt versuchen, ihre irregeführten Söhne zurück zu holen oder zumindest zu erfahren, wo sie sind.
Einem türkischen Zeitungsbericht zufolge schätzen die Behörden in Ankara die Zahl der "türkischen Staatsbürger", die für IS kämpfen, auf mittlerweile mehr als Tausend. Ob das prozentual viel oder wenig ist, hängt davon ab, wie viele Kämpfer IS insgesamt hat.
[h=2]Die Gefahr des Krieges der Sieger untereinander[/h]Die Miliz behauptet sich seit langen Wochen gegen starke Verbände der Bagdader Zentralregierung, gegen die ebenfalls als stark eingeschätzte Kurdenmiliz, die Peschmergas, und kämpft zugleich in Syrien an mehreren Fronten gegen Kurden und Assad-treue Kräfte und diverse Rebellengruppen. Freilich ist dabei zu beachten, dass im Irak auch extremistische Gruppen mit IS gemeinsame Sache machen, ohne jedoch die Weltsicht der Islamisten zu teilen. Im Falle eines gemeinsamen Sieges wäre ein Krieg der Sieger gegeneinander die Folge.
IS selbst hat den konservativsten Schätzungen zufolge 10.000 bis 15.000 Kämpfer. So gesehen wäre ein Kontingent von mehr als 1000 Türken rund ein Zehntel – beträchtlich genug.
Aber die Schätzung aus Ankara bezieht sich auf türkische Staatsbürger. Hinzu kommen zahlreiche Eurotürken mit deutschen, französischen, belgischen oder österreichischen Pässen. Sie dürften einen erheblichen Teil der "westeuropäischen" IS-Kämpfer ausmachen. Hierüber gibt es keine öffentlich zugänglichen Angaben. Aber es kann kein Zweifel herrschen, dass türkischstämmige EU-Bürger und türkische Staatsbürger mittlerweile den bei weitem größten nicht-arabischen Ausländeranteil der IS stellen.
[h=2]Tausende Türken trainiert und zurück geschickt[/h]Das ist möglicherweise nicht alles. Die Zeitung "Zaman" veröffentlichte vor einiger Zeit einen Bericht, in dem ein angeblicher türkischer "zurückgekehrter" IS-Kommandant mit den Worten zitiert wurde, die Terrorgruppe habe mehrere Tausend Türken trainiert und in die Türkei zurückgeschickt. Wenn das stimmt, dann könnte das bedeuten, dass die Miliz sich eine strategische Reserve in der Türkei hält – oder aber heimlich eine Truppe aufbaut, um die Türkei von innen heraus anzugreifen.
Vorstellbar wäre das erst nach einer Konsolidierung ihrer Herrschaft im Irak und in Syrien. Aber die türkischen Sicherheitsdienste sind beunruhigt: Ganz offen fordert IS nämlich einen Teil der südöstlichen Türkei für ihr "Kalifat".
Nicht alle IS-Türken sind übrigens ethnisch gesehen türkisch, es gibt darunter auch strenggläubige sunnitische Kurden mit türkischer Staatsbürgerschaft. Ein Hauptgegner der IS sind kurdische Kräfte im Irak und in Syrien, aber wahrscheinlich kämpfen an diesen Fronten auch Kurden gegen Kurden – Islamisten gegen Nationalisten.
[h=2]Spannungen zwischen Türken und syrischen Flüchtlingen[/h]Ein anerkannter Experte zur türkischen Sicherheitspolitik ist Gareth Jenkins. Er hält sich gerade im Grenzgebiet auf. Es gebe massive Spannungen zwischen der türkischen Bevölkerung und syrischen Flüchtlingen, sagt er. Und dass die Sicherheitsbehörden außerordentlich besorgt seien über die islamistische Bedrohung. Mehrere Anschläge wurden offenbar in jüngster Zeit verhindert.
In Istanbul gab es vor einiger Zeit ein öffentliches Fastenbrechen von IS-Anhängern, und ebenfalls in Istanbul wurde eine "karitative Organisation" geschlossen, die für die Terrororganisation gearbeitet haben soll. In beiden Fällen besteht der Verdacht, dass über solche Kanäle Geld und Kämpfer für die Fundamentalisten besorgt wurden.
Die Ironie dabei ist, dass es die türkische Außenpolitik war, die nach weitgehend übereinstimmender Expertenmeinung IS erst stark machte – um gegen Assad zu kämpfen. Nun sind schon seit langen Wochen 50 Türken in IS-Gefangenschaft, das gesamte türkische Konsulat in Mossul fiel in die Hände der Terroristen, auch der Konsul.
Die Regierung in Ankara hat das Problem aber bereits "gelöst": Wer darüber in den türkischen Medien berichtet, kommt vor Gericht. Insofern ist die Sache kein Thema in der Öffentlichkeit.