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Ein ziemlich guter Artikel heute in der SZ
enseits der Döner-Bude
Türkische Selbstständige haben sich längst anderswo etabliert
Jeder kennt den Dönermann. Über dessen Produkt mag man geteilter Meinung sein, es eine Spezialität oder den Wegbereiter einer um sich greifenden Fast-Food-Kultur nennen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass türkische Einwanderer mit ihren Kebab-Grills inzwischen fester Bestandteil deutscher Esskultur geworden sind. Das Klischee vom Dönermann als typischem Vertreter türkischer Unternehmer in Deutschland allerdings lässt sich schon seit einiger Zeit nicht mehr halten.
Das zumindest legen die Forschungsergebnisse der Mannschaft um Yunus Ulusoy nahe. Ulusoy ist Leiter der Abteilung Modellprojekte beim Essener Zentrum für Türkeistudien, einem Institut der Universität Duisburg-Essen, und verantwortet eine vor kurzem veröffentlichte Studie über Selbstständige, die aus der Türkei stammen und in Deutschland arbeiten. Der Erhebung zufolge arbeitet lediglich etwa ein Viertel dieser Unternehmer in der Gastronomie. 35 Prozent sind im Handel, 17 Prozent in Handwerk, Verarbeitung und Baugewerbe tätig. ¸¸Auf dem Dönermarkt sind die Türken immer weniger aktiv", sagt Ulusoy. ¸¸Das ist ein üblicher Prozess. Eine ethnische Gruppe bringt ein Produkt ins Land und hat damit Erfolg, dann übernehmen andere. Und die Gruppe, die es eingeführt hat, wandert eine Stufe höher." Soll heißen: Sie steigt in Branchen ein, für die eine höhere Qualifikation notwendig ist.
Vor allem den Anteil der Handwerks- und Verarbeitungsbetriebe wertet Ulusoy als Beleg dafür, dass die türkischen Einwanderer die Gastronomie-Nische verlassen. ¸¸In den achtziger Jahre gab es kaum türkische Handwerksbetriebe", sagt er. ¸¸Doch jetzt können sich die Türken der nächsten Generation so weit qualifizieren, dass sie solche Betriebe eröffnen können." Auch quantitativ seien Fortschritte zu erwarten. So gehen die Autoren der Studie davon aus, dass aus der Türkei stammende Selbstständige bis zum Jahr 2015 in Europa 960 000 Jobs schaffen werden, davon 720 000 in Deutschland. Europaweit werden sie den Berechnungen zufolge in zehn Jahren jährlich 87 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften, in Deutschland 66,5 Milliarden. ¸¸Eine sehr vorsichtige Prognose", sagt Ulusoy. In einem ersten Schritt hatten seine Mitarbeiter per Zufallsauswahl Selbstständige mit türkischen Nachnamen ermittelt und im zweiten Schritt 846 von ihnen differenziert befragt.
Demnach sorgen in Deutschland derzeit 65 000 Unternehmer aus der Türkei für 323 000 Arbeitsplätze. Etwas mehr als die Hälfte der Selbstständigen hat bis zu drei Angestellte, 40 Prozent beschäftigen vier bis neun Mitarbeiter und knapp acht Prozent arbeiten mit mehr als
neun Personen. Wie viele der Unternehmer hauptsächlich Familienangehörige beschäftigen, haben die Forscher nicht erhoben, doch Yunus Ulusoy schätzt: ¸¸Vor allem in den Kleinstbetrieben bilden sie die große Masse der Angestellten." Außerdem beschäftigen die Unternehmer laut Studie beinahe zu 80 Prozent Landsleute, was ebenfalls vor allem für die Kleinstbetriebe gilt. Wie viele der Jobs sozialversicherungspflichtig sind, wurde nicht erhoben.
Dafür allerdings die Zahl der Ausbildungsstellen: Nur etwas weniger als 14 Prozent der Selbstständigen bilden aus, obwohl etwa drei Viertel die theoretischen Voraussetzungen erfüllen. ¸¸Viele der Betriebe sind noch nicht etabliert und fühlen sich dem hoch formalisierten deutschen Ausbildungssystem noch nicht gewachsen", sagt Ulusoy. Dafür aber nähmen nur 6,7 Prozent der Selbstständigen aus der Türkei staatliche Förderung in Anspruch.
In der Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei wäre dies ein ebenso neuer Aspekt wie die folgende Entwicklung: Die Zahl der Selbstständigen aus der Türkei ist in den vergangenen zwanzig Jahren doppelt so schnell gewachsen wie die der türkischen Einwanderer insgesamt. Den Grund dafür vermutet Ulusoy vor allem in der Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Viele Einwanderer eröffnen ihr eigenes Geschäft, weil sie bei der Jobsuche schlechtere Karten haben als heimische Bewerber. Christoph Hickmann
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.255, Samstag, den 05. November 2005 , Seite 22
F
enseits der Döner-Bude
Türkische Selbstständige haben sich längst anderswo etabliert
Jeder kennt den Dönermann. Über dessen Produkt mag man geteilter Meinung sein, es eine Spezialität oder den Wegbereiter einer um sich greifenden Fast-Food-Kultur nennen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass türkische Einwanderer mit ihren Kebab-Grills inzwischen fester Bestandteil deutscher Esskultur geworden sind. Das Klischee vom Dönermann als typischem Vertreter türkischer Unternehmer in Deutschland allerdings lässt sich schon seit einiger Zeit nicht mehr halten.
Das zumindest legen die Forschungsergebnisse der Mannschaft um Yunus Ulusoy nahe. Ulusoy ist Leiter der Abteilung Modellprojekte beim Essener Zentrum für Türkeistudien, einem Institut der Universität Duisburg-Essen, und verantwortet eine vor kurzem veröffentlichte Studie über Selbstständige, die aus der Türkei stammen und in Deutschland arbeiten. Der Erhebung zufolge arbeitet lediglich etwa ein Viertel dieser Unternehmer in der Gastronomie. 35 Prozent sind im Handel, 17 Prozent in Handwerk, Verarbeitung und Baugewerbe tätig. ¸¸Auf dem Dönermarkt sind die Türken immer weniger aktiv", sagt Ulusoy. ¸¸Das ist ein üblicher Prozess. Eine ethnische Gruppe bringt ein Produkt ins Land und hat damit Erfolg, dann übernehmen andere. Und die Gruppe, die es eingeführt hat, wandert eine Stufe höher." Soll heißen: Sie steigt in Branchen ein, für die eine höhere Qualifikation notwendig ist.
Vor allem den Anteil der Handwerks- und Verarbeitungsbetriebe wertet Ulusoy als Beleg dafür, dass die türkischen Einwanderer die Gastronomie-Nische verlassen. ¸¸In den achtziger Jahre gab es kaum türkische Handwerksbetriebe", sagt er. ¸¸Doch jetzt können sich die Türken der nächsten Generation so weit qualifizieren, dass sie solche Betriebe eröffnen können." Auch quantitativ seien Fortschritte zu erwarten. So gehen die Autoren der Studie davon aus, dass aus der Türkei stammende Selbstständige bis zum Jahr 2015 in Europa 960 000 Jobs schaffen werden, davon 720 000 in Deutschland. Europaweit werden sie den Berechnungen zufolge in zehn Jahren jährlich 87 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften, in Deutschland 66,5 Milliarden. ¸¸Eine sehr vorsichtige Prognose", sagt Ulusoy. In einem ersten Schritt hatten seine Mitarbeiter per Zufallsauswahl Selbstständige mit türkischen Nachnamen ermittelt und im zweiten Schritt 846 von ihnen differenziert befragt.
Demnach sorgen in Deutschland derzeit 65 000 Unternehmer aus der Türkei für 323 000 Arbeitsplätze. Etwas mehr als die Hälfte der Selbstständigen hat bis zu drei Angestellte, 40 Prozent beschäftigen vier bis neun Mitarbeiter und knapp acht Prozent arbeiten mit mehr als
neun Personen. Wie viele der Unternehmer hauptsächlich Familienangehörige beschäftigen, haben die Forscher nicht erhoben, doch Yunus Ulusoy schätzt: ¸¸Vor allem in den Kleinstbetrieben bilden sie die große Masse der Angestellten." Außerdem beschäftigen die Unternehmer laut Studie beinahe zu 80 Prozent Landsleute, was ebenfalls vor allem für die Kleinstbetriebe gilt. Wie viele der Jobs sozialversicherungspflichtig sind, wurde nicht erhoben.
Dafür allerdings die Zahl der Ausbildungsstellen: Nur etwas weniger als 14 Prozent der Selbstständigen bilden aus, obwohl etwa drei Viertel die theoretischen Voraussetzungen erfüllen. ¸¸Viele der Betriebe sind noch nicht etabliert und fühlen sich dem hoch formalisierten deutschen Ausbildungssystem noch nicht gewachsen", sagt Ulusoy. Dafür aber nähmen nur 6,7 Prozent der Selbstständigen aus der Türkei staatliche Förderung in Anspruch.
In der Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei wäre dies ein ebenso neuer Aspekt wie die folgende Entwicklung: Die Zahl der Selbstständigen aus der Türkei ist in den vergangenen zwanzig Jahren doppelt so schnell gewachsen wie die der türkischen Einwanderer insgesamt. Den Grund dafür vermutet Ulusoy vor allem in der Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Viele Einwanderer eröffnen ihr eigenes Geschäft, weil sie bei der Jobsuche schlechtere Karten haben als heimische Bewerber. Christoph Hickmann
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.255, Samstag, den 05. November 2005 , Seite 22
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