Perun
Keyboard Turner
Danko Rabrenović wird im Zuge des Balkankrieges aus seiner Welt gerissen und schreibt sein neues Leben in einer biederen Stadt in Deutschland.
Manch einem, mag sich bei dem Titel "Der Balkanizer" vielleicht unweigerlich das Bild eines mit Gel zugekleisterten Jugo-Latin-Lovers mit Sonnenbrille, Goldkettchen und geleastem Auto aufdrängen. Insofern ist die Titelwahl vielleicht nicht ideal. Der catchy Untertitel "Ein Jugo in Deutschland" bringt das Ganze dann aber doch recht gut auf den Punkt.
Der in Zagreb (1969) geborene und in Belgrad aufgewachsene Danko ("Wie Danke nur mit O") Rabrenović erzählt die Geschichte vom Bruderkrieg, der ihn aus seiner Welt reißt und in die kleine biedere Stadt Recklinghausen in Deutschland wirft.
Das Gefühl, zwischen zwei Welten zu stehen.
"Nie werde ich das Datum vergessen, an dem ich Belgrad hinter mir lassen musste: 4. August 1991. Mit einer Verkehrsmaschine der jugoslawischen Airline JAT landete ich in der Stadt, die in den kommenden Jahren meine B-Heimat werden sollte: Düsseldorf."
Zu dieser Zeit brodelte es bereits im Vielvölkerstaat Jugoslawien, die von einem Groß-Serbien träumenden Nationalisten hatten die Lunte fürs Feuer längst gelegt. Man spürt, wie verlassen sich der 22-Jährige gefühlt haben musste. Gleichzeitig entgeht einem nicht sein komplettes Unverständnis gegenüber dieser Situation. So spricht der Sohn einer Kroatin und eines Serben darüber, wie serbische Generäle 1991 nicht müde wurden "zu erklären, Kroaten und Slowenen könnten sich auf etwas gefasst machen, falls sie sich für unabhängig erklären sollten".
"Ich war mittendrin - und es war nicht schwer zu erahnen, in welche Richtung sich der Konflikt entwickeln würde. Wäre ich damals in Belgrad geblieben, wäre ich womöglich in Vukovar ums Leben gekommen."
Der aus einer Mischehe stammende "Jugo" (wie er sich selbst bezeichnet) wäre wohl von der serbischen Armee besonders gerne "verheizt" worden. Mit seinem "kroatischen Blut" war er zu dieser Zeit "weniger wert" als "Vollblut-Serben", erklärt Rabrenović die ungute Situation. Wie so viele zu dem Zeitpunkt konnte er sich nur erschüttert und ohnmächtig fragen: "Wieso sollte es plötzlich wichtig sein, ob man Serbe oder Kroate war?"
Tittytainment, Trauma und Turbo Folk
In Recklinghausen fehlt ihm bei seiner Tante an nichts. Dennoch fühlt er sich anfangs fremd und nennt seine neue Heimat "Schrecklinghausen". Es vergehen vier Jahre, bis er seine Heimatstadt und Familie wieder sehen kann. Währenddessen hat Präsident Slobodan Milošević einen umfassenden Kontrollapparat installiert. Halbgebildete und Mafiagangster waren binner kurzer Zeit zu Wortführern in Politik, Militär, Kultur und Medien aufgestiegen.
"Die wenigen kritischen Intellektuellen wurden überhört, zu Verrätern oder Spionen erklärt - oder hatten das Land verlassen." Dem Volk wurde einstweilen mit Tittytainment und Turbo Folk in Fernsehen und Radio eine heile Welt vorgespielt. Interpreten, wie Turbo Folk-Königin Ceca* sangen vom serbischen Stolz, den Heldentaten des serbischen Militärs, oder der (oft unglücklichen) Liebe."Mit Partymusik und Silikonbusen wurden unter Milošević Gefühle einer heilen Welt produziert." Der heutige Journalist erklärt, dass diese Musik bei ihm einen Würgreiz auslöse, abgesehen davon, dass sie billiger Plastik sei.
"Viele waren sich gar nicht bewusst, dass Sarajevo und Dubrovnik bombardiert wurden, denn im Fernsehen sah man den ganzen Tag über nichts anderes als südamerikanische Daily Soaps und halb nackte, mit riesigen Silikonbrüsten bewaffnete Turbofolk-Sängerinnen."
Der eigens ins Leben gerufene Sender "Pink-TV" (1994, im Besitz der heutigen Witwe Miloševićs, Mirjana Marković ) war die Krönung der Milošević`en Strategie. In den Musikvideos (hauptsächlich von Turbo Folk-Interpreten) wimmelte es nur so von Nationalismen und Extremismen.
Video: Ceca und Dragana Mirković waren/sind die Königinen des Turbo Folk (Mischung aus Volksmusik, Schlager, Rock, Pop und Techno). Ko bolje Peva? - Wer ist die bessere Sängerin?
Deutsch, Oberstufe.
In der lebenden, Serbokroatischen Sprache (BKS) schreibt man so, wie man spricht. Es gibt keine Umlaute, keine Doppelkonsonanten, dafür eigene Zeichen für alle möglichen Arten des "Dsch", dem Sprachreformators Vuk Stefnović Karadžić zu Dank. Rabrenović beschreibt aufgrund der doch starken Unterschiede gegenüber dem Deutschen auf eine sehr humorvolle Art und Weise anfängliche Sprachverwirrungen. "Während man also im Deutschen für das aus vier Lauten bestehende Wort "Deutsch" sieben Buchstaben benötigt, wären es auf Serbisch eben nur vier: Dojč."
Auch am Telefon fühlte er sich anfangs fremd: "Wie heißen Sie noch mal? Richard, Anton, Berta ...? - Nein, ich heiße weder Richard noch Anton und schon gar nicht Berta. Meine Name ist Rabrenović". Diesen lustigen Irrtum begründet er damit, dass egal ob "jemand Pektrović oder Rabrenović heißt", dank Karadžić jeder Jugo wisse, wie der Name geschrieben wird. Auch wenn er ihn zum ersten Mal hört."
Auf kulturelle Unterschiede geht der Autor mit einer liebe- und vollständnisvollen Art ein - so melde man sich in Deutschland immer mit seinem Namen, in Ex-Jugoslawien aber mit einem, für "Fremde" oft harschen, knappen `Alo?`. Oder, dass man in Serbien nie separat bezahlen würde - "In Serbien bezahlt immer derjenige, der nur ein Sakko besitzt - sprich der Ärmere. Ausgerechnet diejenigen, die mehrere Anzüge haben, vergessen ihr Portemonnaie gerne in dem Sakko, das zu Hause liegt", zitiert der "Jugo" die Worte des serbischen Dichters Duško Radović. Ebenfalls erklärt er die Differenzen in der "Schimpfkultur" - so würde man in den "Jugo"-Staaten bevorzugt die Familie zum Objekt des Fluchens wählen. "Geht es um Emotionen, hat meine Muttersprache die Nase vorn" - es macht aber gerade hier der Ton die Musik - "In Bosnien würde man zum Beispiel sagen: "Gdje si šupak? Šta ima?", was frei übersetzt "Na, du Arsch! Was gibt`s?" bedeutet. Du sagst es einfach, um einen Freund zu begrüßen, der sich zwei Wochen nicht gemeldet hat."
Keine Geschichte eines typischen Kriegsflüchtlings
"Balkanizer" ist der Titel Rabrenovićs erster Radiosendung.
Der heutige Journalist und Autor repräsentiert bestimmt nicht den Großteil der Kriegsflüchtlinge. Er lebt in einem großen Familienhaus mit Schwimmbad, Sauna und Garten, während viele seiner Landsleute "in einer überfüllten Flüchtlingsunterkunft leben mussten".
Rabrenović hat Glück, denn er wird aufgrund seines schwer erkämpften Studentenvisums nicht in die serbische Armee berufen. Er schreibt seine Magisterarbeit und erhält damit auch gleich eine Aufenthaltserlaubnis (statt nur einer Duldung). Nun hantelt er sich von einem Job zum anderen, bis er wie seine Eltern beim Radio landet. Gleich seine erste Radiosendung "Balkanizer" und somit zugleich Namensgeber seines ersten Buches - ist ein voller Erfolg.
Wenn Nationalisten live auf Sendung bei ihm arufen, verhält sich Rabrenović freundlich aber bestimmt. Überhaupt lässt er sich auf keine trennenden Diskussionen ein. Auch in seiner Autobiografie schafft er es, mit dem diplomatischen Geschick eines Journalisten keine Stellung zu beziehen und sucht keine Sündenböcke. Viel mehr propagiert er die offensichtlichen Gemeinsamkeiten der im miteinander im Krieg stehenden Länder des Balkans. "Serbien ist keinem anderen Volk näher als dem kroatischen - und umgekehrt"
Im letzten Absatz des Buches zieht Rabrenović seine eigenen Lehren: "Meine Wurzeln haben irgendwann aufgegeben, fest und tief anzuwachsen. Stattdessen haben sie sich Beine zugelegt. Ich bin also weder verwurzelt noch entwurzelt. Ich bin ein mobiler Flachwurzler. Und wahrscheinlich nicht der einzige.
Manch einem, mag sich bei dem Titel "Der Balkanizer" vielleicht unweigerlich das Bild eines mit Gel zugekleisterten Jugo-Latin-Lovers mit Sonnenbrille, Goldkettchen und geleastem Auto aufdrängen. Insofern ist die Titelwahl vielleicht nicht ideal. Der catchy Untertitel "Ein Jugo in Deutschland" bringt das Ganze dann aber doch recht gut auf den Punkt.
Der in Zagreb (1969) geborene und in Belgrad aufgewachsene Danko ("Wie Danke nur mit O") Rabrenović erzählt die Geschichte vom Bruderkrieg, der ihn aus seiner Welt reißt und in die kleine biedere Stadt Recklinghausen in Deutschland wirft.
Das Gefühl, zwischen zwei Welten zu stehen.
"Nie werde ich das Datum vergessen, an dem ich Belgrad hinter mir lassen musste: 4. August 1991. Mit einer Verkehrsmaschine der jugoslawischen Airline JAT landete ich in der Stadt, die in den kommenden Jahren meine B-Heimat werden sollte: Düsseldorf."
Zu dieser Zeit brodelte es bereits im Vielvölkerstaat Jugoslawien, die von einem Groß-Serbien träumenden Nationalisten hatten die Lunte fürs Feuer längst gelegt. Man spürt, wie verlassen sich der 22-Jährige gefühlt haben musste. Gleichzeitig entgeht einem nicht sein komplettes Unverständnis gegenüber dieser Situation. So spricht der Sohn einer Kroatin und eines Serben darüber, wie serbische Generäle 1991 nicht müde wurden "zu erklären, Kroaten und Slowenen könnten sich auf etwas gefasst machen, falls sie sich für unabhängig erklären sollten".
"Ich war mittendrin - und es war nicht schwer zu erahnen, in welche Richtung sich der Konflikt entwickeln würde. Wäre ich damals in Belgrad geblieben, wäre ich womöglich in Vukovar ums Leben gekommen."
Der aus einer Mischehe stammende "Jugo" (wie er sich selbst bezeichnet) wäre wohl von der serbischen Armee besonders gerne "verheizt" worden. Mit seinem "kroatischen Blut" war er zu dieser Zeit "weniger wert" als "Vollblut-Serben", erklärt Rabrenović die ungute Situation. Wie so viele zu dem Zeitpunkt konnte er sich nur erschüttert und ohnmächtig fragen: "Wieso sollte es plötzlich wichtig sein, ob man Serbe oder Kroate war?"
Tittytainment, Trauma und Turbo Folk
In Recklinghausen fehlt ihm bei seiner Tante an nichts. Dennoch fühlt er sich anfangs fremd und nennt seine neue Heimat "Schrecklinghausen". Es vergehen vier Jahre, bis er seine Heimatstadt und Familie wieder sehen kann. Währenddessen hat Präsident Slobodan Milošević einen umfassenden Kontrollapparat installiert. Halbgebildete und Mafiagangster waren binner kurzer Zeit zu Wortführern in Politik, Militär, Kultur und Medien aufgestiegen.
"Die wenigen kritischen Intellektuellen wurden überhört, zu Verrätern oder Spionen erklärt - oder hatten das Land verlassen." Dem Volk wurde einstweilen mit Tittytainment und Turbo Folk in Fernsehen und Radio eine heile Welt vorgespielt. Interpreten, wie Turbo Folk-Königin Ceca* sangen vom serbischen Stolz, den Heldentaten des serbischen Militärs, oder der (oft unglücklichen) Liebe."Mit Partymusik und Silikonbusen wurden unter Milošević Gefühle einer heilen Welt produziert." Der heutige Journalist erklärt, dass diese Musik bei ihm einen Würgreiz auslöse, abgesehen davon, dass sie billiger Plastik sei.
"Viele waren sich gar nicht bewusst, dass Sarajevo und Dubrovnik bombardiert wurden, denn im Fernsehen sah man den ganzen Tag über nichts anderes als südamerikanische Daily Soaps und halb nackte, mit riesigen Silikonbrüsten bewaffnete Turbofolk-Sängerinnen."
Der eigens ins Leben gerufene Sender "Pink-TV" (1994, im Besitz der heutigen Witwe Miloševićs, Mirjana Marković ) war die Krönung der Milošević`en Strategie. In den Musikvideos (hauptsächlich von Turbo Folk-Interpreten) wimmelte es nur so von Nationalismen und Extremismen.
Video: Ceca und Dragana Mirković waren/sind die Königinen des Turbo Folk (Mischung aus Volksmusik, Schlager, Rock, Pop und Techno). Ko bolje Peva? - Wer ist die bessere Sängerin?
Deutsch, Oberstufe.
In der lebenden, Serbokroatischen Sprache (BKS) schreibt man so, wie man spricht. Es gibt keine Umlaute, keine Doppelkonsonanten, dafür eigene Zeichen für alle möglichen Arten des "Dsch", dem Sprachreformators Vuk Stefnović Karadžić zu Dank. Rabrenović beschreibt aufgrund der doch starken Unterschiede gegenüber dem Deutschen auf eine sehr humorvolle Art und Weise anfängliche Sprachverwirrungen. "Während man also im Deutschen für das aus vier Lauten bestehende Wort "Deutsch" sieben Buchstaben benötigt, wären es auf Serbisch eben nur vier: Dojč."
Auch am Telefon fühlte er sich anfangs fremd: "Wie heißen Sie noch mal? Richard, Anton, Berta ...? - Nein, ich heiße weder Richard noch Anton und schon gar nicht Berta. Meine Name ist Rabrenović". Diesen lustigen Irrtum begründet er damit, dass egal ob "jemand Pektrović oder Rabrenović heißt", dank Karadžić jeder Jugo wisse, wie der Name geschrieben wird. Auch wenn er ihn zum ersten Mal hört."
Auf kulturelle Unterschiede geht der Autor mit einer liebe- und vollständnisvollen Art ein - so melde man sich in Deutschland immer mit seinem Namen, in Ex-Jugoslawien aber mit einem, für "Fremde" oft harschen, knappen `Alo?`. Oder, dass man in Serbien nie separat bezahlen würde - "In Serbien bezahlt immer derjenige, der nur ein Sakko besitzt - sprich der Ärmere. Ausgerechnet diejenigen, die mehrere Anzüge haben, vergessen ihr Portemonnaie gerne in dem Sakko, das zu Hause liegt", zitiert der "Jugo" die Worte des serbischen Dichters Duško Radović. Ebenfalls erklärt er die Differenzen in der "Schimpfkultur" - so würde man in den "Jugo"-Staaten bevorzugt die Familie zum Objekt des Fluchens wählen. "Geht es um Emotionen, hat meine Muttersprache die Nase vorn" - es macht aber gerade hier der Ton die Musik - "In Bosnien würde man zum Beispiel sagen: "Gdje si šupak? Šta ima?", was frei übersetzt "Na, du Arsch! Was gibt`s?" bedeutet. Du sagst es einfach, um einen Freund zu begrüßen, der sich zwei Wochen nicht gemeldet hat."
Keine Geschichte eines typischen Kriegsflüchtlings
"Balkanizer" ist der Titel Rabrenovićs erster Radiosendung.
Der heutige Journalist und Autor repräsentiert bestimmt nicht den Großteil der Kriegsflüchtlinge. Er lebt in einem großen Familienhaus mit Schwimmbad, Sauna und Garten, während viele seiner Landsleute "in einer überfüllten Flüchtlingsunterkunft leben mussten".
Rabrenović hat Glück, denn er wird aufgrund seines schwer erkämpften Studentenvisums nicht in die serbische Armee berufen. Er schreibt seine Magisterarbeit und erhält damit auch gleich eine Aufenthaltserlaubnis (statt nur einer Duldung). Nun hantelt er sich von einem Job zum anderen, bis er wie seine Eltern beim Radio landet. Gleich seine erste Radiosendung "Balkanizer" und somit zugleich Namensgeber seines ersten Buches - ist ein voller Erfolg.
Wenn Nationalisten live auf Sendung bei ihm arufen, verhält sich Rabrenović freundlich aber bestimmt. Überhaupt lässt er sich auf keine trennenden Diskussionen ein. Auch in seiner Autobiografie schafft er es, mit dem diplomatischen Geschick eines Journalisten keine Stellung zu beziehen und sucht keine Sündenböcke. Viel mehr propagiert er die offensichtlichen Gemeinsamkeiten der im miteinander im Krieg stehenden Länder des Balkans. "Serbien ist keinem anderen Volk näher als dem kroatischen - und umgekehrt"
Im letzten Absatz des Buches zieht Rabrenović seine eigenen Lehren: "Meine Wurzeln haben irgendwann aufgegeben, fest und tief anzuwachsen. Stattdessen haben sie sich Beine zugelegt. Ich bin also weder verwurzelt noch entwurzelt. Ich bin ein mobiler Flachwurzler. Und wahrscheinlich nicht der einzige.