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Der Wille zur Macht - Wie sich Milosevic zum Herrscher über Serbien erhob

  • Ersteller Ersteller Mulinho
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M

Mulinho

Guest
Der Artikel ist etwas länger her, glaube um 99 rum, fand ihn aber dennoch interessant, weil er viele Punkte aufzeigt, die ich zuvor gar nicht kannte.


Im Konflikt um Kosovo hat die europäisch-atlantische Gemeinschaft vor allem einen Gegenspieler, den Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien, Slobodan Milosevic. Was an Persönlichkeiten der jugoslawischen und der serbischen Führung neben ihm in Erscheinung tritt, sind seine Kreaturen, zu keinen eigenständigen Entscheidungen fähig und, wie man annehmen muss, in keiner Weise in der Lage, dem nationalen Führer in den Arm zu fallen. In seinem Umfeld bewegt sich eine Gefolgschaft von Helfershelfern und Günstlingen. Manche von ihnen bekleiden gleichzeitig politische Ämter und stehen privatisierten Unternehmungen vor, die ihnen dank ihrer Nähe zur Macht zugefallen sind.
Der näheren Umgebung des Präsidenten galt der Luftangriff der Nato in der Nacht zum 21. April auf das ehemalige Gebäude des Zentralkomitees der jugoslawischen Kommunisten, ein 22stöckiges düsteres Hochhaus, das den Horizont über Neu-Belgrad beherrschte. Bis dahin beherbergte es das Hauptquartier von Milosevics Sozialistischer Partei sowie verschiedene Fernsehstationen im Besitz von Mitgliedern und Freunden der Präsidentenfamilie, die neben den staatlichen Sendern den Propagandakrieg gegen die westlichen «Aggressoren» führen. Der Angriff der Nato, der die oberen Stockwerke in ein ausgebranntes Skelett verwandelte, galt nicht nur dem ideologischen Machtzentrum des Kriegs gegen die albanische Bevölkerung Kosovos, sondern auch dem materiellen Besitz eines in Kriegen und Konflikten reich gewordenen Familienclans.
In Kosovo, für eine serbische Nationalmystik das «Jerusalem» der Serben, obwohl das Gebiet schon zu Beginn dieses Jahrzehnts zu 90 Prozent albanisch besiedelt war, begann der Aufstieg des kommunistischen Parteibürokraten Slobodan Milosevic zum nationalen Helden und unumschränkten Kriegsherrn. Als Vorsitzender der Belgrader Parteiführung war Milosevic nach Pristina entsandt worden, um die unzufriedenen Serben in der Gebietshauptstadt zu beruhigen, die sich über ihre angebliche Diskriminierung durch die albanischen Autonomiebehörden beklagten. Während der Diskussion mit kommunistischen Funktionären entstand draussen ein Tumult zwischen serbischen Demonstranten und albanischen Polizisten. Darauf verliess Milosevic den Raum und wandte sich, statt wie erwartet zu Ruhe und Disziplin zu mahnen, an die Serben mit dem Ruf: «Niemand soll wagen, euch wieder zu schlagen!»
Damit hatte er die korrekte Parteilinie verlassen, die jeden Bezug auf nationale Anliegen innerhalb des Vielvölkerstaates Jugoslawien in der Öffentlichkeit verbot, und den Pfad des serbischen Nationalismus eingeschlagen, was ihm sogleich immense Zustimmung bei seinen Landsleuten eintrug. Was wie eine spontane Bekehrung aussah, war, nach dem Muster späterer Inszenierungen zu schliessen, wohl sorgfältig geplant. Das Fernsehen war rechtzeitig zur Stelle. Die Szene in Pristina wurde wieder und wieder ausgestrahlt. Der 24. April 1987 markierte den Beginn einer sich ständig verschärfenden Kampagne gegen die albanischen Behörden in Kosovo, die beschuldigt wurden, eine systematische Verfolgung der serbischen Minderheit in jenem Schicksalsland der serbischen Geschichte zu dulden oder sogar selber zu betreiben.

Für die Parteiführungen in Slowenien und Kroatien war es beunruhigend zu sehen, wie nationalistische Parolen in Serbien immer offener verbreitet wurden und wie sich Milosevic ihrer bediente, um seinen eigenen Aufstieg an die Spitze des Bundes der Kommunisten in Serbien zu betreiben. Die von Schriftstellern und Journalisten aufgenommene Agitation richtete sich nicht nur gegen die seinerzeit von Tito eingeführte Autonomie Kosovos, sondern stellte mit ihrer Forderung nach Zusammenführung aller Serben den jugoslawischen Gesamtstaat in Frage. Im geheimen zirkulierte damals schon das erst später veröffentlichte Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste über die Lage des serbischen Volkes mit der aufputschenden Parole, es gelte, dieses vor einem «Genozid» bei einem allfälligen Auseinanderfallen Jugoslawiens zu retten.
Die Übernahme nationalistischer Parolen hinderte Milosevic nicht daran, die alten kommunistischen Agitationstechniken anzuwenden. Mit Demonstrationen, die er von Belgrad aus gesteuert hatte, stürzte er nacheinander die Autonomieregierungen der Vojvodina und Kosovos sowie die Regierung der Teilrepublik Montenegro und ersetzte sie mit ihm ergebenen Anhängern. Dann schritt er im serbischen Parlament zur Abschaffung der Autonomiestatute der beiden serbischen Provinzen. Auf dem Amselfeld beschwor er 600 Jahre nach der historischen Niederlage gegen die Türken die Wiedergeburt der serbischen Nation und sagte in ominösen Tönen die kommenden Kämpfe um das zerfallende Jugoslawien voraus.
Nichts hatte darauf hingedeutet, dass der junge Milosevic sich zu einem nationalistischen Feuerkopf entwickeln würde. Er war 1941 in der serbischen Kleinstadt Pozarevac als Sohn eines Lehrers montenegrinischer Abstammung geboren, der ursprünglich orthodoxer Priester werden wollte. Seine Mutter war ebenfalls Lehrerin und eine überzeugte kommunistische Aktivistin. Sie zog den jungen Slobodan allein auf, nachdem der Vater die Familie verlassen und später Selbstmord begangen hatte. Elf Jahre später nahm sich auch die Mutter das Leben. Milosevic galt in seiner Schulzeit als begabter Einzelgänger, der sich nichts aus sportlichen Aktivitäten machte und lieber hinter Büchern sass.

Milosevic schloss früh Freundschaft mit Mirjana Markovic, seiner künftigen Frau, die aus einer der führenden kommunistischen Familien Serbiens stammte. Auch sie kommt aus tragischen Familienverhältnissen. Mirjanas Mutter war als Partisanin in die Hände der Gestapo gefallen und gefoltert worden. Sie kam später frei, wurde dann aber von ihren früheren Kampfgefährten umgebracht, die ihr vorwarfen, Verrat begangen zu haben. Der Vater liess die Tochter bei den Grosseltern zurück, als sich ihm Gelegenheit bot, in die höheren Ränge des Regimes aufzusteigen. Aus einer eigenständigen politischen und beruflichen Karriere - sie wurde Professorin für Soziologie an der Universität Belgrad und gründete später eine eigene Partei der Linken - unterstützte sie den Aufstieg Slobodans, blieb dabei aber überzeugte Kommunistin.
Milosevic ist das Produkt einer negativen Auslese genannt worden. Anfang der siebziger Jahre hatte Tito nach dem Ende des «kroatischen Frühlings» auch die serbische Parteiführung gesäubert und den liberalen Bestrebungen nach mehr Marktwirtschaft und Demokratie ein Ende gemacht. Rigorose Anpassung und Parteitreue waren gefragt, selbständiges Denken galt als gefährlich. Intelligent und opportunistisch machte Milosevic seinen Weg, der ihm durch seine Studienfreundschaft mit dem fünf Jahre älteren, aus Arbeiterkreisen stammenden serbischen Parteichef Ivan Stambolic erleichtert wurde. Was ihn nicht hinderte, jenen später rüde beiseite zu schieben. Der junge Kommunist wurde zuerst Direktor einer Fabrik, dann einer Bank, pendelte öfters zwischen Belgrad und New York und erwarb sich Englischkenntnisse und Erfahrung im Umgang mit Amerikanern. Besonderen Geschäftssinn scheint er dabei nicht entwickelt zu haben, er galt jedoch als geschickter Organisator, der Ordnung schätzt und von seinen Untergebenen Disziplin verlangt.
Im weiteren Aufstieg entwickelte er einen ausgeprägten Sinn für den Gebrauch von Macht, dazu Härte, kaltes Blut und die Fähigkeit, plötzlich seinen Standpunkt zu wechseln, Verbündete fallenzulassen oder in Verhandlungen auf offenkundigen Unwahrheiten zu bestehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine demagogischen Fähigkeiten sind jedoch das eine, eine verblendete Führungsschicht und ein irregeleitetes Volk, das ihm blindlings folgte, das andere.
In den Jahren nach Titos Tod hatte die serbische Intelligenz in ihrer Opposition gegen das Regime zunehmenden Freiraum erhalten. Sie nutzte ihn ausschliesslich, um das Thema der serbischen Benachteiligung innerhalb Jugoslawiens gegen die offizielle Parole der «Brüderlichkeit und Einheit» zu propagieren. Jugoslawien galt als von aussen aufgezwungene Fehlkonstruktion zum Schaden der Serben, denen ein eigener Staat vorenthalten worden sei. Als daher Milosevic 1987 auf einen nationalistischen Kurs umschwenkte, sah sich die Opposition plötzlich ihrer Argumente beraubt und darauf verwiesen, die offizielle Linie an Schärfe noch zu überbieten. Der Eifer nahm häufig groteske Formen an. Viele Schriftsteller und Journalisten, die ihre privilegierte Stellung noch zu Titos Zeiten errungen hatten, ergingen sich in einer Blut-und-Boden-Romantik primitivster Art, für die das Lebensrecht anderer Völker nicht existierte. Als Quintessenz sogenannter Volksweisheit galt die populäre Romanfigur Milutin, ein serbischer Bauer, der beständig die Sentenz wiederholte, mit Nichtserben könne man nicht zusammenleben.
Die 1990 zu den ersten allgemeinen Wahlen antretenden Oppositionsgruppen verharrten im Bann der nationalen Frage. Ihre Führer, vor allem Vuk Draskovic, der sich zum charismatischen Serbenführer im bärtigen Look eines orthodoxen Predigers zu stilisieren suchte, glaubten vergeblich, den zum Sozialisten transformierten Kommunisten Milosevic übertrumpfen zu können. Milosevic gewann diese und auch die nächsten Wahlen, indem er das Fernsehen beherrschte und es auch nicht aus der Hand gab, als die Opposition mit Massendemonstrationen einen Wechsel zu erzwingen suchte. Als Milosevic mit der jugoslawischen Armee die abtrünnigen Republiken Slowenien und Kroatien mit Krieg überzog, hielten sich nur einige pazifistische Gruppen abseits, während die nationale Opposition dem serbischen Präsidenten vorwarf, den Kampf um den Staat aller Serben allzu zögerlich zu führen.
Vom Wahlgesetz benachteiligt, besannen sich dieselben oppositionellen Kreise erst bei den Wahlen von 1992 darauf, einen demokratischen Wandel zu fordern. Im Klima des neu ausgebrochenen Bosnienkriegs wagten sie jedoch nicht, eine Abkehr von der Kriegspolitik des serbischen Präsidenten zu verlangen. Die Angst vor dem Vorwurf nationalen Verrats lähmte die Gegner Milosevics immer wieder und machte es ihm leicht, die verschiedenen Gruppen gegeneinander auszuspielen, einmal die Gemässigten, dann wieder die Radikalen in die Regierung einzubinden. Eine mit modernen Mitteln ausgerüstete Polizei und willfährige Gerichte, bei Bedarf auch anonyme Schlägertrupps dämpften den Willen, sich gegen das Regime zu exponieren.

Unter Milosevics Herrschaft haben viele Profiteure ihre Geschäfte gemacht, während im Gefolge von Kriegen und internationalen Sanktionen der Lebensstandard der Massen beständig sank. Die Verknappung wichtiger Güter und ihre Bewirtschaftung durch den Staat liess einen blühenden Schwarzhandel entstehen, in dem diejenigen am meisten profitierten, die dank ihrer Nähe zu den Mächtigen vor dem Zugriff der Polizei geschützt waren. Dazu gehörten auch die Führer jener paramilitärischen Banden, die in Kroatien und Bosnien das schmutzige Geschäft der «ethnischen Säuberung» betrieben hatten und heute neben Polizei und Armee wieder in Kosovo tätig sind.
Auch die Angehörigen der Präsidentenfamilie und ihre Umgebung wurden bei der Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums und bei andern geschäftlichen Unternehmungen bevorzugt behandelt. Es gilt als sicher, dass die Familie Milosevic grosse Reichtümer angesammelt und Teile davon für alle Fälle ins befreundete Griechenland und nach Zypern ausgelagert hat. Auf Grund eines französischen Rechtshilfegesuchs weiss man, dass Millionenbeträge auch auf schweizerischen Bankkonten vermutet werden. Während der Präsident keinen ostentativen Lebensstil pflegt, erlegen sich seine Kinder weniger Zurückhaltung auf. Sein Sohn Marko ist mit 25 Jahren Besitzer eines grossen Disco-Unternehmens in der Geburtsstadt seines Vaters und soll sehr viel Geld mit geschmuggelten Zigaretten verdienen. Die Tochter Marija leitet einen Nachtclub und war zudem Direktorin des populären Fernsehsenders Kosava, der inzwischen durch Bomben der Nato zerstört worden ist. In Belgrader Oppositionskreisen sind die Namen derjenigen Minister bekannt, die zugleich als Direktoren oder Besitzer grosser Firmen amtieren und aus dem Import von Öl, Erdgas und andern Gütern privaten Gewinn ziehen.

Durch den Krieg um Kosovo hat Milosevic wahrscheinlich den Gipfel seiner Macht erreicht. Was nach dem Eintritt der Serbischen Erneuerungsbewegung von Vuk Draskovic in die Regierung noch an Opposition übriggeblieben war, hält sich seit Beginn der Nato-Angriffe still. Draskovic selbst ist nach seinem zaghaften Distanzierungsversuch und dem darauf folgenden Hinauswurf aus der Regierung völlig diskreditiert. Das gelenkte staatliche Fernsehen und die Zensur schirmen die serbische Öffentlichkeit gegen die Realität der Vertreibung der albanischen Zivilbevölkerung aus Kosovo ab. In perverser Logik wird die Fluchtbewegung über die Grenzen als Reaktion auf den Luftkrieg der Nato erklärt. Wer zu widersprechen sucht, wird als nationaler Verräter gebrandmarkt und muss um sein Leben fürchten.
Als kühler Rechner versucht Milosevic jetzt, die Luftschläge der Nato zu überdauern, und spekuliert darauf, dass die Einigkeit der westlichen Allianz mit der Zeit zerbröckeln werde. Nach einer gewaltsamen Reduktion der albanischen Bevölkerung könnte er dann über eine politische Lösung für das Kosovo-Problem verhandeln. Er rechnete jedoch nicht mit der Wirkung der Fernsehbilder erschöpfter Flüchtlingskolonnen an den Grenzen, mit den sich wiederholenden Berichten über Drangsalierung und Brandstiftung, Vertreibung und gezielte Morde. Erst sie haben nämlich die Meinung der Weltöffentlichkeit über die Vorgänge in Kosovo deutlich zu Ungunsten Milosevics geändert.

Christian Kind ist Balkanspezialist und war Leiter der Auslandredaktion der NZZ; er lebt in Uhwiesen.

Der Wille zur Macht - NZZ Folio 06/99 - Thema: Krieg um Kosovo
 
Ja, ok...sorry, nächstes Mal poste ich noch paar Nacktbilder von Pornodarstellerinnen dazu, um es lesbar zu gestalten
 
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