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Die Ära der Selbstdarsteller - Über Narzissmus und Egoismus

Srbska

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Die Ära der Selbstdarsteller: Der Kosmos bin ich

Vom optimierten Social-Media-Profil über die perfekte Selbstinszenierung bis zur Präsentation als idealer Partner – im Zentrum steht bei vielen nur mehr das ICH. Blicken wir vor lauter Egozentrik nicht mehr über den Tellerrand?


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Der Spiegel als Übungsplattform für die Selbstinszenierung Foto: Lunamarina/iStock/Thinkstock

Würde ein Mensch, der im Jahr 1960 lebt, mittels Zeitreise urplötzlich im Jahr 2015 landen, wäre er vermutlich über vieles erstaunt: Im Fernsehen kann man der Unterschicht bei der Bewältigung ihres tristen Alltags zusehen. Statt berühmter Showstars geben jetzt talentfreie Nobodys in peinlichen Wettbewerben ihre Kunststückchen zum Besten. Die legendären Zahn­pasta-Reklame-Stars sind den Politikern gewichen, die dauergrinsend und mit einstudierten Gesten immer wieder die gleichen sinnentleerten Slogans wiederholen – selbst wenn sie gar nicht danach gefragt werden. Menschen achten nicht mehr auf ihre Umgebung, sondern starren überall auf ein 5 Zoll großes Kastl, das auch als Fotoapparat dient. Nahezu jeder Unter-30-Jäh­rige besitzt eine Plattform mit Hunderten Bildern von sich selbst (!) in allen erdenklichen Lebenssituationen. Kein Wunder, dass der Zeitreisende auch mit einem neuen Wort konfrontiert wird, das eigens für diese Ära geschaffen wurde: „fremdschämen“. Was ist da passiert? Sind denn plötzlich alle Narzissten geworden? „Selbstverständlich“, sagt der renommierte Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier. „Die Ego-Generation denkt nur an sich selbst. Selbstdarstellung ist heute eine Pflicht geworden.“ Speziell die jungen Menschen seien heute allesamt Chamäleon-Existenzen. Sie trachten danach mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. „In unserer Zeit ist selbst der Individualismus die Kopie ­eines allgemein vorgegebenen Selbstdarstellungs-Ideals“, attestiert Heinzlmaier.

Der Selfie-Wahn

In der griechischen Mythologie war der eitle Narziss dazu verdammt, sich in sein Spiegelbild zu verlieben. Im Jahr 2015 hat das Selfie das Spiegelbild abgelöst und die Verdammten inszenieren sich so, wie sie sich selbst sehen möchten. Ob mit gespitzten Lippen (das sogenannte „Duckface“) oder vor Sehenswürdigkeiten, mit Promis im Hintergrund oder bei waghalsigen Abenteuern. Die Selbstporträts werden sofort auf facebook, Instagram, Twitter und Co. der vermeintlich interessierten Weltöffentlichkeit präsentiert. Frei nach dem Motto „Ich poste, also bin ich“. Die Botschaften dieser Bildkultur sind denkbar simpel. Sie reichen von „Schaut her wie schön und sexy ich bin“ bis zu „Seht mal, was ich für coole Sachen mache.“ Die gesammelten Likes dienen als Bestätigung und erhöhen wiederum den Coolness-Faktor. Quasi ein globaler Teufelskreis in Bildern, der nun buchstäblich in die Verlängerung geht. Nämlich mit dem Selfie-Stick. Mittels ausgefahrenem Teleskoparm mit Smartphone oder Digitalkamera dran, werden derzeit weltweit Selbstporträts am Stiel angefertigt. Mit teils kuriosen Auswirkungen. So sei es vergangenen Silvester in New York kaum möglich gewesen Touristenziele zu begehen, ohne von einer Stange gestupst oder gestoßen zu werden. Für das perfekte Selbstporträt riskiert so mancher Poser sogar sein Leben, wie die Veranstalter vom Stierlauf im Pamplona wissen, weshalb Selfies dort verboten wurden. Das Bußgeld beträgt 3.000 Euro. „Im Selfie-Kult beten sich die Menschen selbst an“, erkärt Heinzlmaier das Selfie-Phänomen. „Nachdem die Menschen Gott abgeschafft haben – nur mehr wenige sind gläubig – haben sie sich einen neuen Gott geschaffen und das ist nun der Mensch selbst."

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Sich gut in Szene setzen - für viele wichtiger als andere wahrzunehmen Foto: Nick_Thompson/iStock/Thinkstock

Die Profis

Was die Jugend vorgibt, wird auch zum Muss für all jene, die dazugehören wollen. Weder Stars, noch Politiker können es sich heute leisten, sich nicht permanent auf allen verfügbaren medialen Kanälen zu präsentieren. Was nicht immer glückt. So gefällt sich der russische Präsident Wladimir Putin als „wilder Hund“. Er inszeniert sich auf Bildern gern verwegen. Mal als Cowboy auf dem Pferd oder bewaffnet mit nacktem Oberkörper. Mal im Speedboot oder beim Tigerstreicheln. Doch was im Ausland belächelt wird, kommt in Russland gut an – und lenkt zudem von der Politik ab. Dass sich gezieltes Selbstmarketing richtig auszahlen kann, hat ­Paris Hilton bereits vor vielen Jahren bewiesen. Fazit: Man muss nichts können und nichts wissen, um ein Star zu werden, sofern man sich zu ­inszenieren weiß. Das macht vielen Narzissten und Z-Promis Hoffnung. Doch nicht aus jedem Dschungelcamper oder Big-Brother-Häftling wird eine Kim Kardashian. Das von Millionen angebetete It-Girl mit der imposanten Kehrseite ist durch die Familien-Reality-Soap „Keeping Up with the Kardashians“ und ihre Ehe mit Rapper Kanye West mittlerweile weltbekannt. Warum das so ist? Man weiß es nicht. Tatsache ist: 32,2 Millionen Menschen folgen ihr auf Twitter, auf facebook verbucht sie mehr als 24 Millionen Likes. Den Selbstdarsteller-Dreh richtig raus hat Dieter Bohlen: Ob Musik, Bücher oder Shows, was er anfasst und vermarktet, wird – unabhängig von der Qualität – zu Gold. Dass ausgerechnet er bei der Talenteshow DSDS die teilnehmenden Selbstdarsteller als Juror be- und verurteilt, fällt wohl unter die Rubrik „unfreiwillige Ironie“.

Die Ego-Industrie


Wie man mit der Selbstdarstellung richtig Geld machen kann, haben tüchtige Geschäftsleute längst erkannt. „Selbstmarketing“ heißt das Zauberwort, das uns glücklicher, schöner und beruflich erfolgreicher machen soll. Man solle die „Marke Ich“ kreieren, seine eigene „Ich AG“ sein und sein Profil im Netz optimieren. Wie das geht, erklären uns unzählige Selbsthilfebücher, Kurse, Seminare und Coaches, die sich dem Thema Selbstpräsentation verschrieben haben – von der Job-Bewerbung bis zur Online-Partnersuche bleibt nichts dem Zufall überlassen. Ist das optimale Ich erreicht, gilt es den guten Ruf zu halten. Hier kommen die „OMR-Manager“ zum Einsatz. Um die Online-Reputation zu steuern, bieten diese Dienstleister die manu­elle oder automatisierte Überwachung des Internets sowie das Löschen von negativen Webeinträgen an. Das eigene Bild im Internet kann aktiv ­beeinflusst werden und durch fleißiges Netzwerken multipliziert werden. Bernhard Heinzlmeier gibt auch den „Internetkonzernen mit ihrer verlogenen Netzwerk-Ideologie“ die Schuld daran, dass die Gesellschaft immer oberflächlicher und egozentrischer wird. „Nach dieser Ideologie des Netz­werkens nimmt man nur ­Kontakte zu anderen Menschen auf, wenn man davon einen persönlichen Nutzen hat, tut aber so, als würde man den Gesprächspartner wirklich mögen. Die ganze ­Kommunikation in den ­Social-Networks ist also ein einziger Betrug“, so Heinzlmaier.

Die Angepassten


Eine Trendwende sieht der Jugend­forscher in nächster Zeit nicht: „Noch niemals war der Mensch so angepasst wie heute. Das hängt damit zusammen, dass heute Unterordnung belohnt und Rebellion bestraft wird. Die Menschen handeln heute nicht mehr, sie verhalten sich, wie Tiere, die dadurch überleben, dass sie sich an ihre natürliche Umgebung anpassen“, lautet Heinzlmaiers düsterer Befund. Ein kleiner Lichtblick: Zumindest vom Selfie-Trend zeigen sich immer mehr genervt.

Wussten Sie, dass ...

… „Selfie“ 2013 zum englischen Wort des Jahres und 2014 zum Jugendwort des Jahres gewählt wurde?

… der „Selfie-Stick schon in den 1980ern vom Japaner Hiroshi Ueda erfunden wurde? Der Ladenhüter wurde 1995 in einem Buch über „101 nutzlose japanische Erfindungen“ erwähnt. Das Magazin „Time“ zählte den Selfie-Stick kürzlich zu den 25 besten Erfindungen 2014.

… POIDH „Pics or it didn’t happen“ bedeutet? Es bezeichnet das Phänomen, welches nahezu alles mit dem Smartphone fotografiert und als Wirklichkeits-Beweis auf Instagram oder Pinterest veröffentlicht wird.

„Zur asozialen Selbstliebe erzogen“ - Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier

Weekend: Die Tendenz zur Selbstdarstellung scheint generell zuzunehmen. Gibt die Jugend diesen Trend vor oder reagiert sie nur auf eine gesellschaftliche Strömung?

Bernhard Heinzlmaier: Wir leben in einer unehrlichen Selbstdarstellungskultur. Es geht nicht mehr darum, was man für Werte vertritt oder was man kann, sondern um das perfekte Schauspiel, hinter dem sich in der Regel nichts verbirgt. Die Wahrheit zählt heute nicht mehr. Schon in der Schule wird den Jugendlichen beigebracht, dass man in dieser Gesellschaft nur mit der Lüge weiterkommt, zum Beispiel wenn man ihnen beibringt, wie man sich in Bewerbungsgesprächen perfekt inszeniert, oder erfolgreiche Verkaufsgespräche führt.

Weekend: Sind für die „Generation Selfie“ Werte wie Bescheidenheit oder Nächstenliebe noch ein Thema?

Bernhard Heinzlmaier: Werte wie Bescheidenheit und Nächstenliebe werden heute täglich der Lächerlichkeit preisgegeben. Unbescheidenheit und Eigennutz – das sind die zeitgemäßen Eigenschaften des modernen jungen Menschen. Wer nicht nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip vorgeht und – ungerührt vom Elend der Verlierer der Wettbewerbsgesellschaft – seinen persönlichen Vorteil sucht, gilt als Weichei und Looser-Typ. Über ihn lacht die ganze Welt.

Weekend: Gibt es eine Gegenbewegung zum Selfie-Trend?

Bernhard Heinzlmaier: Nein, denn der Narzissmus, die hemmungslose Selbstliebe, breitet sich ungebremst aus. Dazu leisten auch viele der modernen Psychotherapie-Schulen einen wichtigen Beitrag, die den Menschen zur asozialen Selbst­liebe erziehen.

Die Ära der Selbstdarsteller: Der Kosmos bin ich - weekend.at
 
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Die regen mich so auf, auf Facebook müssen sie jeden Scheiss von sich posten und das täglich und alles, als obs einen interessiert. Armseelige Menschen sind das.
 
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