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Die Angst der Christen im Irak

Monte-B

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Nach Vorstoß der Extremisten[h=2]Die Angst der Christen im Irak[/h]Nur wenige Kilometer entfernt stehen die Dschihadisten – daher nehmen die Christen in der Stadt Karakosch den Schutz durch die Kurden dankbar an. Von Bagdad wollen sie sich nicht mehr regieren lassen.
07.07.2014, von MARKUS BICKEL, KARAKOSCH



© SKOWRONEK, AGATA
Ein Zentrum der irakischen Christen: Die Stadt Karakosch liegt nur wenige Kilometer von Mossul entfernt, wo die Terrorgruppe Islamischer Staat herrscht
Misstrauisch schauen sich die Männer um. Vor der langen Mauer, die die Mar-Behnam-Kirche schützt, laufen sie langsam auf und ab und beäugen jeden Fremden. Ihre Augen sind hinter schwarzen Sonnenbrillen verborgen, sie tragen Sturmgewehre. Berichte von einer bevorstehenden Attacke der Terrorgruppe Islamischer Staat haben am Morgen die Runde gemacht, die Stimmung ist angespannt in Karakosch, der größten christlichen Gemeinde in der Ebene von Ninive. Doch die Dschihadisten schlagen an diesem Tag in vier anderen Dörfern in der Nähe zu. Karakosch ist noch immer eine freie Stadt.
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Autor: Markus Bickel, Jahrgang 1971, Korrespondent für die arabischen Länder mit Sitz in Kairo. Folgen:

Aber fünf Kilometer südwestlich haben sich die Dschihadisten festgesetzt. Dort beginnt das Reich von Abu Bakr al Bagdadi, dem sunnitischen Extremistenführer und selbsternannten Kalifen, der unbedingten Gehorsam verlangt. Platz für Schiiten, Yeziden, Kurden und Christen gibt es in seinem Kalifat nicht. Bis nach Mossul, der Provinzhauptstadt Ninives, in der vor vier Wochen der Siegeszug der Dschihadisten begann, sind es weniger als 20 Kilometer. Die Kämpfer der kurdischen Peschmerga-Garde waren nach dem Fall Mossuls schneller und rückten vor den islamistischen Extremisten in der christlichen Stadt ein. Spuren des Beschusses, dem der Ort bis vor einer Woche ausgesetzt war, sind an manchen der geduckten Häuser noch zu sehen.
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Der jüngste Angriff der Dschihadisten ist gut eine Woche her. Die Stadt wirkt wie ausgestorben. Das Riesenrad im Vergnügungspark am Ortseingang steht still, müde schleichen ein paar Menschen die verwaisten Gehsteige entlang. 40.000 der 50.000 Bewohner sollen die Flucht ergriffen haben, als die Kämpfer des Islamischen Staats vor zwei Wochen vor den Toren der Stadt standen. Inzwischen sind die meisten zurückgekehrt, aber ihr Alltag ist mühsam. Es herrscht Wassermangel, ständig fällt der Strom aus. Am Straßenrand verkaufen Jugendliche in großen Plastikflaschen Benzin. Die Preise für Treibstoff haben sich seit Beginn der Kämpfe vervierfacht.
[h=2]Furcht vor Anschlägen[/h]Saddam Hussein hatte Karakosch, das die christlichen Bewohner Bakhdida nennen, im Zuge seiner Arabisierungspolitik in Hamdanija umbenannt. Nur ein paar hundert Muslime wohnen hier, der Rest sind syrische und chaldäische Christen, vor allem Katholiken, aber auch einige Orthodoxe. Zwölf Kirchen gibt es im Ort, eine davon liegt gegenüber dem Hauptquartier der Bakhdida-Militäreinheiten, der örtlichen Schutztruppe, deren Männer auch vor der Mar-Behnam-Kirche patrouillieren. Zwei weiße Pritschenwagen mit aufmontierten Maschinengewehren stehen vor dem Flachbau, bewaffnete Männer in T-Shirts und Jeans bewachen den Eingang. Einer hält per Funkgerät Rücksprache mit seinem Vorgesetzten, dann gibt er den Weg frei.
© MARKUS BICKEL
Bischof Patros Moshe, Oberhaupt der syrisch-katholischen Kirche von Mossul

Fuad Suleiwa Arab steckt gerade in einer Besprechung. Zwei große Fernseher hängen über der Sitzecke im Büro des Oberkommandierenden der Militäreinheit, die „zu hundert Prozent aus Christen“ besteht, wie er stolz sagt. Auf den Bildschirmen flimmern Live-Bilder von den vier Kontrollpunkten an den Ausfallstraßen von Karakosch. Akribisch durchsuchen Sicherheitskräfte die Kofferräume, die Angst vor Autobomben ist groß. Auch wenn es ihnen nicht gelingt, die Stadt einzunehmen, könnten die Dschihadisten wie zuletzt in Kirkuk durch Anschläge Unruhe stiften. „Wir versuchen alles, um eine Infiltration zu verhindern“, sagt Arab, der Anführer der Christenmiliz. Dank der Überwachungskameras sei er immer im Bilde, was sich rund um Karakosch tue.
[h=2]Bagdadi kann sich einen Zweifrontenkrieg nicht erlauben[/h]Bis vor gut vier Wochen unterhielten hier noch irakische Regierungssoldaten Vorposten. Doch wie in den anderen Gegenden, in die Bagdadis Männer vorstießen, machten sich die Einheiten direkt zu Beginn der Blitzoffensive aus dem Staub. Präsent waren sie ohnehin nur an den Außenrändern von Karakosch, im Stadtzentrum sorgt schon seit Jahren die christliche Schutztruppe für Ordnung. Tausend Mann ist die Einheit stark. Gegen die dschihadistischen Angreifer hätte sie keine Chance gehabt, wäre sie auf sich allein gestellt gewesen, sagt Arab. „Wenn die Peschmerga nicht gekommen wären, wären wir innerhalb von 24 Stunden in die Hände der Islamisten gefallen.“
Um fast vierzig Prozent konnten die Kurden ihr Territorium im Juni erweitern. Die Autonomieregion im Nordirak ist nun der stärkste politische und militärische Akteur des Landes – neben dem Islamischen Staat. 1.500 Kilometer lang ist die Grenze zwischen den Kurdengebieten und dem Reich der Dschihadisten, nur noch 50 Kilometer trennen Irakisch-Kurdistan vom Rest des zerfallenden Landes, der noch von Regierungschef Maliki kontrolliert wird. Weil sich selbst der vor Selbstbewusstsein strotzende Bagdadi einen Zweifrontenkrieg zurzeit nicht erlauben kann, gibt es lediglich gelegentlich Gefechte. Doch dass der selbsternannte Kalif zufrieden ist mit dem Erreichten, ist schwer vorstellbar. Neue Eroberungszüge scheinen nur eine Frage der Zeit zu sein. „Die Leute hier wissen, dass die Peschmerga uns schützen“, sagt der Militärchef Arab hinter seinem Schreibtisch.
[h=2]Der Terror hat sich immer stärker gegen Christen gerichtet[/h]Auf den staubigen Straßen von Karakosch sind die kurdischen Kämpfer bislang der Garant dafür, dass die Stadt nicht in die Hände von Bagdadis Kämpfern gefallen ist – auch wenn sie weit außerhalb der drei Provinzen liegt, die der Autonomieregierung in Arbil laut irakischer Verfassung zustehen. Doch die ist nach dem Fall der Millionenstadt Mossul im Juni ohnehin nicht mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde. Anders als die Araber und Turkmenen der Ölstadt Kirkuk sehen die Bewohner Karakoschs in der Intervention der Peschmerga keine feindliche Übernahme, sondern einen Zusammenschluss für eine Zukunft außerhalb der irakischen Grenzen: „Gemeinsam gehen wir in die Unabhängigkeit“, sagt Arab. Voll des Lobes ist er über den kurdischen Präsidenten, der vergangene Woche begann, ein Referendum über die Sezession der Kurdengebiete von der Zentralregierung in Bagdad vorbereiten zu lassen. „Massud Barzani hat uns Christen nie im Stich gelassen.“
© MARKUS BICKEL
Die Jungs von der Tankstelle am Ortsrand von Karakosch

Während sich in Mossul, Takrit, Ramadi und Falludscha sunnitische Stammesführer mit den Extremisten des Islamischen Staats gegen die Regierungstruppen vereint haben, hat sich in Karakosch eine kurdisch-christliche Allianz gebildet, die keinerlei Loyalität mehr an die gesamtstaatlichen Institutionen bindet. Schon 2004 hätten sich die Bewohner der Stadt auf die Aufstellung einer eigenen Schutztruppe verständigt, sagt Arab. Zu unsicher sei die Lage nach dem amerikanischen Einmarsch geworden, der Terror islamistischer Extremisten im nahe gelegenen Mossul habe sich immer stärker gegen Christen gerichtet.
[h=2]Hilfe für Flüchtlinge aus Mossul[/h]Dass Karakosch irgendwann wieder der Kontrolle der Zentralregierung in Bagdad untersteht, kann sich auch Yohanna Petros Moshe, der syrisch-katholische Erzbischof von Mossul, kaum noch vorstellen. Düstere Zeiten prophezeit er dem Irak, da aus Bagdad außer „der Sprache des Krieges“ nichts zu vernehmen sei. Von der Idee eines gemeinsamen Staates hat er sich innerlich längst verabschiedet. Im schattigen Innenhof seines Priesterseminars empfängt der Bischof Besucher, es sind viele dieser Tage. Eine Delegation aus Bagdad war gerade da, und unter den Arkaden des Gebäudes sitzen Flüchtlinge, die im Juni aus Mossul, der neuen Hauptstadt von Bagdadis Kalifat, nach Karakosch geflohen sind. „35 Familien aus Mossul konnte ich Platz geben“, sagt der Geistliche. Gemeinsam standen sie die Angriffe der Extremisten auf den schon vor Jahren nach Karakosch verlegten Bischofssitz durch: „Sieben Einschläge in nur einer Nacht gab es dort drüben“, sagt Moshe und zeigt auf die unverputzte Mauer, die das Gelände von der Straße trennt. Wegen des islamistischen Terrors, der bald nach dem amerikanischen Einmarsch im Irak von 2003 begann, verlegte er den Bischofssitz schon vor Jahren nach Karakosch, nur ein paar hundert Christen leben heute noch in Mossul.
Aufgeregt unterbricht ein junger Mann das Gespräch, beugt sich hinab, um zur Begrüßung den Bischofsring zu küssen. Es gebe da ein Problem, er brauche Hilfe, sagt er auf Aramäisch, der Sprache der syrischen Christen, in der auch Jesus einst geredet haben soll. Aufmerksam hört der Geistliche zu und gibt ihm dann den Rat, den Flüchtlingen aus Mossul trotz allen Streits Unterschlupf in der eigenen Wohnung zu gewähren, bis die Krise ausgestanden sei. „Solange der Krieg andauert, musst du der Familie helfen“, sagt er. Die Not schweißt zusammen, viele Bewohner Karakoschs sind selbst noch Flüchtlinge und harren im sicheren Christenviertel Ainkawa in Arbil aus, bis wieder sicherere Zeiten anbrechen.
[h=2]Eine Dreiviertelmillion Christen hat das Land bereits verlassen[/h]Zurzeit ist die Lage in der Provinz Ninive brandgefährlich. Bischof Yohanna Petros Moshe berichtet von zwei Mönchen, die im Juni in Mossul verschleppt wurden. Außerdem hätten die islamistischen Kämpfer eine chaldäische Kirche besetzt und darin ein Büro eingerichtet. Am Wochenende wurden auf Dschihadistenseiten im Internet Videos von gesprengten schiitischen Moscheen und plattgewalzten Schreinen verbreitet. Grausame Berichte über die Erschießung von zehn Männern in der von Kurden, Christen, Arabern und Turkmenen bewohnten Grenzstadt Tal Afar verbreiteten sich in Windeseile. Wer dem Terroristenführer Bagdadi den Treueschwur verweigert, muss um sein Leben fürchten. Seine Kämpfer gehen in den von ihnen besetzten Gebieten von Haus zu Haus, um Regierungsmitarbeiter und Armeeangehörige zu identifizieren.
Der Bischof kennt diese Geschichten zur Genüge, und er ist dankbar für den Schutz der kurdischen Kämpfer. Wie Milizkommandeur Arab lobt er die Kooperation mit den Peschmerga und Kurdenführer Barzani, auf den immer Verlass gewesen sei.
Als „Tor nach Arbil“ hatte der Präsident von Irakisch-Kurdistan Karakosch bei einem Frontbesuch Ende Juni bezeichnet und klargemacht, dass er die Stadt nicht wieder aufgeben will. So wie in der Ölprovinz Kirkuk hat die Islamisten-Offensive den Kurden auch in Ninive das gesamte Territorium in die Hände gespielt, auf das sie jemals Ansprüche gegenüber der Zentralregierung erhoben hatten. Davon profitieren wollen nun auch die Christen des bereits im Alten Testament erwähnten Landstrichs. Eine Dreiviertelmillion der einst 1,3 Millionen Christen, die unter Saddam Hussein im Irak lebten, ist aus dem Land schon geflohen – doch die meisten chaldäischen und syrischen Katholiken und Orthodoxen blieben in dem von kargem Ackerland umgebenen Karakosch.
[h=2]„Mit den Peschmerga fühlen wir uns sicherer“[/h]Auch der Bischof denkt nicht daran, sich der Gewalt zu beugen. „Ich ziehe es vor, hier zu sterben, statt mein Dorf zu verlassen“, sagt er und schüttelt den Kopf über die Forderungen europäischer Politiker, den arabischen Christen gesondert Asyl zu gewähren. „Hier, in der Wiege des Christentums, werden sie gebraucht, nicht in der Fremde.“ Dass sich das Territorium seiner Diözese nun weitgehend mit den kurdischen Geländegewinnen deckt, könnte manch einem den Entschluss erleichtern, die Heimat doch nicht zu verlassen, sagt er. Den Exodus aufhalten aber werde auch das nicht.


Der Tankwart, der am Ortsrand auf Kundschaft wartet, sagt, er wäre schon lange weg, wenn er nur genug Geld beisammenhätte. Er zeigt auf seine ölverschmierten Hosen und erklärt, die durch den Krieg in die Höhe geschnellten Benzinpreise brächten ihm nicht mehr Gewinn als sonst, schließlich müsse er den Treibstoff auch teuer einkaufen. Nur ein paar Meter die Ausfallstraße hinab liegt einer der von den kurdischen Kämpfern besetzten Kontrollpunkte, die die Bewohner Karakoschs vor einem Einmarsch der Dschihadisten schützen sollen. „Früher stand dort die Polizei“, sagt der Tankwart. „Aber mit den Peschmerga fühlen wir uns sicherer.“ Vielleicht seien sie die besseren Beschützer, weil auch sie lange verfolgt wurden.
 
Für 2009 wird inzwischen die Zahl der irakischen katholischen Christen sogar lediglich auf knapp 294.000 beziffert, welche ihrerseits 80 Prozent der christlichen Gemeinschaft des Irak stellt. Damit würde die Zahl der Christen im Irak erstmals die 1-Prozent-Marke unterschreiten. Viele irakische Christen machen sich daher um die zukünftige Existenz ihrer Gemeinden Sorgen, da der Exodus weiterhin anhält.
Die seit 2005 zunehmenden Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten sowie der islamistische Terrorismus im Irak machen nach Mitteilung chaldäisch-katholischer Bischöfe die dortige Lage der Christen immer bedrohlicher. Heute leben von zuvor Millionen von Christen nur noch 600.000 im Irak. Die anderen flohen in die Nachbarländer Syrien und Jordanien, in die Türkei, den Libanon, nach Europa oder in die USA.

Christentum im Irak ? Wikipedia

Traurig, wie schnell die Zahl nach unten geht. Wundert mich, da nach dem Krieg die alles daran gesetzt haben, dass sich das ändert.
https://www.youtube.com/watch?v=kFN2b1sTEIc
 
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