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Die Ursprünge der Mafia
Die Insel Sizilien stand im Laufe ihrer Geschichte fast ununterbrochen unter Fremdherrschaft und wurde meist nur als abgelegene Provinz behandelt. Feudalismus prägte das Land bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bis zur schrittweisen Abschaffung der Leibeigenschaft (1816- 1841). Dabei war die Auflösung der Bindung an Boden und Grund von zahlreichen Spannungen geprägt und in dieser Periode ist die Entstehung der Mafia anzusetzen. Die fast uneingeschränkt regierenden Großgrundbesitzer im Inneren und Westen Siziliens begannen Ende des 18. Jahrhunderts ihren Hauptwohnsitz nach Palermo oder Neapel zu verlegen. Ihre Ländereien sicherten sie mit eigenen Schutztruppen ab, deren Führer oft zu der Schicht der Großpächter (Gabelloti) aufstiegen, die das Land für eine jährliche Pachtsumme vom Großgrundbesitzer pachteten und dann vor Ort an die Bauern unterverpachteten. Eine nur mangelnde Umsetzung des staatlichen Herrschaftsanspruchs, die mit hohen Kosten verbunden gewesen wäre, erleichterte es den Gabelloti ihre Stellung als informelle Machthaber zu festigen, bis sie im Laufe des 19. Jahrhunderts schließlich oft die alten Großgrundbesitzer verdrängten, die z.T. unter Druck und Erpressungen der Gabelloti den Großteil ihrer Ländereien verkauften. Einzige Käufer waren wiederum die Gabelloti, die das nötige Kapital besaßen und Gewalt als Abschreckung einsetzten.
Der Typ des Mafiosi entstand in den Privattruppen dieser Gabelloti. Wächter und Aufseher auf den Plantagen der Großgrundbesitzer sorgten für Ruhe und Sicherheit in einer Zeit der zunehmenden Gesetzlosigkeit und des Banditentums. Gleichzeitig aber zwangen sie die Bauern zu den berüchtigten pizzu (ein Teil der Ernte als Schutzgebühr).
Entscheidend für die Durchsetzung als Mafiosi war aber eine charismatische und gewalttätige Persönlichkeit, die eine Klientel aufbauen konnte und ein hohes Ansehen bei der Bevölkerung erlangte, da sie sich kongruent zu den sizilianischen Werten verhielt, allerdings in der extremsten Form. Die Gewalt als Grundprinzip genügte nicht zum Aufstieg zu einem Mafioso; Autorität, verbunden mit Vorsicht, Ausgeglichenheit und Schlauheit waren wichtig, wenn der Mafiosi seine Position als Vermittler, Ratgeber, Richter und Beschützer wirkungsvoll ausüben wollte. Sein Ansehen stieg dabei mit der Anzahl der Personen, die sich ihm anvertrauten.
Sizilien und die Mafia
In der sizilianischen Gesellschaft war die Gewalt ein akzeptiertes soziales Regulativ in den sozialen Beziehungen, ein normales Mittel zur Interessendurchsetzung und somit ein Maßstab für Ansehen und Ehre.
Typisch für Gesellschaften mit fehlendem staatlichen Schutz und mangelnder Rechtssicherheit ist auch das Primat der Privatsphäre. Der Familismus war das dominante gesellschaftliche Wert- und Handlungsmuster. Klientelbeziehungen sowie fehlendes Verantwortungsgefühl und fehlender Gemeinschaftssinn bestimmten das Handeln der Sizilianer.
Der ferne Staat wurde als korrupter Komplex angesehen, der nicht im Dienste der Bürger stand. Potenziert wurde diese antistaatliche Haltung in Sizilien, als nach der Staatseinigung von 1861 die allgemeine Wehrpflicht und das "norditalienische" Steuersystem in Sizilien eingeführt wurden. Auch das Justizwesen wurde als oktroyiert betrachtet, da es mit einer anderen Normenvorstellung in die Normenwelt des Südens eingriff.
Die Mafia verkörperte diese sizilianische Mentalität in der extremsten Form und wurde gleichzeitg gefürchtet und respektiert. Auf der einen Seite beutete sie die Bevölkerung durch harte Pachtverträge und erzwungene Abgaben (pizzu) aus, aber andererseits besetzte der Mafiosi in diesem weitgehend staatsfreien Raum die Rolle eines Beschützers, Vermittlers, Ratgebers und Richters , der bereit ist Gewalt anzuwenden, damit die geltenden kulturellen Werte und Normen eingehalten werden.
Der Staat und die Mafia
Das Verhältnis zwischen dem Staat und der Mafia war im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch nicht von einer Abschottung gekennzeichnet, denn der Staat akzeptierte die Mafia als eine Stütze des Status Quo, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sorgte und das gesellschaftliche Konfliktpotential senkte. Nichtkonformes Verhalten wurde von der Mafia in der Regel sanktioniert. Diebe, Landstreicher, Homosexuelle, Banditen und Huren wurden wirkungsvoll bekämpft.
Andererseits bemühte sich die Mafia um eine Annäherung an staatliche Institutionen und an die Staatsvertreter vor Ort, um ihre informelle Machtposition langfristig abzusichern und sich einen privilegierten Zugang zu den staatlichen Befugnissen zu verschaffen. Erleichtert wurde dies durch die schrittweise Erweiterung des Wahlrechtes, das ihnen als Patronen einer großen Klientel Einfluß auf bestimmte Politiker sicherte.
Die Mafia war also durchaus in der sizilianischen Volkskultur verankert und besaß eine höhere Legitimität als der ferne Staat, der als Fremdkörper erschien. Dies machte die Verfolgung der Mafia so schwierig, denn eine Aufhebung des Mafiösen hätte eine völlige Umkrempelung der sizilianischen Gesellschaft vorausgesetzt.
Faschismus
Daß es eine Möglichkeit gab, die Mafia weitgehend auszuschalten zeigte die Periode des Faschismus von 1922- 1943. Nach der Konsolidierungsphase der Faschisten (1922 bis 1925) wurde C. Mori als Mafiabekämpfer (1925- 29) mit sehr weitreichenden Befugnissen ausgestattet.
Erstmals zeigte der italienische Staat in ganz Sizilien seine Präsenz und setzte seinen Machtanspruch durch, da der faschistische Staat keine Machtquelle neben sich duldete. Mit staatlichem Terror riesigen Ausmaßes gelang es die Mafia als Organisation weitgehend auszuschalten. Ihren informellen Einfluß auf Teile der Bevölkerung konnten die Mafiosi jedoch behalten, da auch der Faschismus als eine Art Fremdherrschaft angesehen wurde.
Nach 1945: Die Wiederbelebung der Mafia
Die schnelle Wiederbelebung der Mafia als Organisation nach dem 2. Weltkrieg zeigte jedoch, daß die Mafia mehr war als nur eine kriminelle Organisation, die auf Kosten der Bevölkerung schmarotzt.
Als die Aliierten 1943 Sizilien besetzen wollten, sicherten sie sich vorher die Zusammenarbeit mit den alten italienischen Mafiaführern und italienischstämmigen US-Mafiosi wie Luciano, die dank ihres Einflusses zur weitgehend reibungslosen Eroberung der Insel beitrugen.
Die alliierte Besatzungsmacht stützte sich in der Folgezeit bei der Verwaltung Siziliens auf Antifaschisten und da die Mafiosi auch als Verfolgte galten und zudem für Ordnung sorgen konnten errangen sie erneut Machtpositionen und öffentliche Ämter. Mit Hilfe der Mafiosi konnten die Amerikaner die Kosten für die verwaltung der Insel beträchtlich senken, gerade in Zeiten, in denen zahlreiche Bauernaufstände aufflackerten sowie Gewalt und Gesetzlosigkeit beträchtlich zunahmen.
Don Calo Vizzini war der herausragende Mafioso bei der Zusammenarbeit mit den Sizilianern. Als oberster Mafioso Siziliens wurde er während des Faschismus zwar zu fünf Jahren Haft verurteilt, die jedoch aufgrund seiner guten Beziehungen wieder aufgehoben wurde. Außerdem konnte er als Bürgermeister von Villalba amtieren. Nach der Landung der Allierten legte Vizzini eine Liste mit "unverdächtigen Männern und Antifaschisten" vor, die für Ämterbesetzungen in Fragen kamen. Wegen seiner Verdienste für die Aliierten wurde er sogar zum Ehrenoberst der US-Armee ernannt.
Nach dem Krieg gewannen separatistische Kräfte in Sizilien stark an Boden, begleitet von zahlreichen Bauernaufständen. Gegen die Bauernorganisatoren ging die Mafia aktiv vor, da der Schutz der Latifundien durch die Unruhen nicht mehr gewährleistet werden konnte und damit die Abschreckung der Mafia abzunehmen drohte. Der Separatistenbewegung hingegen standen die meisten Mafiaführer anfangs positiv gegenüber, aber als die italienische Regierung 1946 eine weitgehende Verwaltungsautonomie für Sizilien anbot und zahlreiche Kompetenzen des Zentralstaates an die Region übertrug, wechselte die Mafia die Seite und half bei der Bekämpfung der radikalen Separatistenbewegung um Giuliani und verbündete sich vor Ort mit den lokalen Politikern der DC-Partei.
Neuorientierung der Mafia
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die traditionelle Mafia von einer neuen Mafia abgelöst, die sich an der amerikanischen Mafia orientierte, für die der schnelle Reichtum im Vordergrund stand. Ausgelöst wurde diese Transformation durch die rapiden Gesellschaftsveränderungen im Nachkriegsitalien.
In großer Zahl nutzten Sizilianer die durch den Wirtschaftsboom entstehenden neuen Arbeitsmöglichkeiten im Norden Italiens und in Mitteleuropa und verließen ihre Heimat. Diese Arbeitsperspektiven entzog die Bauern zunehmend aus der Abhängigkeit von Großgrundbesitzern, deren Bedeutung zudem durch die Bodenreform abnahm. Für die Mafia ist dabei relevant, daß sie die alleinige Verfügung über die Produktionsmittel verlor und damit einen ihrer traditionellen Stützpfeiler.
Einen Ausweg in dieser Situation bot eine Umorientierung auf städtische Betätigungsfelder wie den boomenden Bausektor und die Abzweigung oder Aneignung von Entwicklungsgelder der Zentralregierung in Rom.
Zunehmende staatliche Subventionen für den Mezzogiorno und weitere staatliche Abschröpfungsmöglichkeiten bedingten dabei eine stärkere Institutionalisierung der Mafiaorganisation und eine Stärkung der instrumentellen Freundschaften zu den öffentlichen Entscheidungsträgern, die über Aufträge und Großprojekte verfügen konnten.
Das Instrument für die Verteilung großer Geldsummen in den Süden war die 1950 gegründete Entwicklungsfördergesellschaft für den Aufbau des Mezzogiorno (SÜDKASSE), die sich die Subventionierung der Wirtschaftszweige und die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zum Ziele gesetzt hatte. .
Von 1950- 1984 flossen über diesen Kanal 244 Mrd DM aus der Staatskasse in den Süden: Der Großteil dieser Gelder wurden in Infrastrukturprojekte investiert. 1,1 Mio ha wurden urbar gemacht, 450 000 ha Wald aufgeforstet, 18 000 km Straßen gebaut , 22 000 km Straßen modernisiert, 22 800 km Wasserleitungen, 60 000 km Abwasserkanäle und 40 000 km Stromleitungen gelegt, 1600 Kindergärten / Grundschulen und 244 Kleinkrankenhäuser gebaut. 1984 hatte die Südkasse allerdings 23 Mrd DM Schulden , da die Projekte 70% teurer als geplant waren und wurde von der neuen Fördergesellschaft AGENSUD abgelöst.
Die Milliarden der Südkasse waren das Hauptreservoir für die Symbiose von Mafia und Politik, denn aufgrund der dezentralen Vergabe ohne übergreifende Planung an private Unternehmer vor Ort, konnten einflußreiche Politiker auf diese Weise ihr Klientelnetz bedienen. Zudem lief der Geldfluß über die sizilianischen Banken, die keinerlei Kontrolle durch die Zentralbank unterlagen, so daß dem Mißbrauch der Gelder alle Türen geöffnet waren.
Die Verfügung über die Hilfsgelder sowie die Vergabe und Übernahme öffentlicher Bauaufträge waren schließlich in den 50/60er Jahre die lukrativsten Geschäfte in Sizilien. Der Bauboom der Nachkriegszeit beschränkte sich jedoch nicht nur auf die staatlichen Infrastrukturmaßnahmen, sondern erstreckte sich gerade auch auf den Bereich des Wohnungsbaus und der Sanierung ganzer Stadtteile, besonders in Palermo.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der privilegierte Zugang zu öffentlichen Geldern die primäre Machtressource wurde und nicht mehr die Gewalt, die bei der traditionellen Mafia den Zugang zu den Machtfaktoren und die Legitimität bewirkten. Die Gewalt als solche blieb aber als Mittel zur negativen Sanktionierung erhalten.
Mit dieser steigenden Orientiertung auf den schnellen Reichtum nahm allerdings auch die Kongruenz mafiosen Verhaltens mit den subkulturellen Werten ab.
Corleone
Als Hochburg und Zentrum der Mafia galt schon immer die sizilianische Hauptstadt Palermo, in der zahlreiche Mafiaclans ihre Claims abgesteckt hatten. Hier fanden stets die großen Bandenkämpfe statt, da dort die lukrativsten Märkte im Bausektor und bei öffentlichen Ausschreibungen winkten.
In den 70er Jahren verlagerte sich das Zentrum jedoch in die kleine Stadt Corleone, südlich von Palermo in den Bergen gelegen. In 30 Jahren hatte die dortige Mafia ihre Macht kontinuierlich gegen die eher traditionellen Mafiagruppen aus Palermo ausgebaut. Stärker als alle anderen Clans hatten die Corleoneser alte Werte und Sitten abgestreift und sich auf den schnellen Weg zu Geld und Macht konzenriert. Als erster Mafiaclan stiegen die Corleoneser in großem Stil ins Heroingeschäft ein (Übernahme des Geschäftes von der zerschlagenen French Connection) und verdienten in kurzer Zeit enorme Geldsummen. Alte Abmachungen zwischen Mafiafamilien galten bei den Corleonesern nichts mehr.
Die Stadt Corleone hatte schon immer einen sehr schlechten Ruf als eine der gewalttätigsten Städte der Welt. Von 1944 bis 1948 wurden in der Stadt 153 Morde verzeichnet und 1953- 58 verlor Corleone 1,3 % der Bevölkerung durch Mordtaten (bei einer Bevölkerungszahl unter 10 000 Einwohnern).
1980 zogen die Corleoneser dann zur Entscheidungsschlacht aus, bei der sie im "Großen Mafiakrieg" mit > 300 Toten in Palermo die Vorherrschaft der Palermer Clans brachen. Mit einer selbst für Mafiaverhältnissen äußerst brutalen Methode und Strategie wurden ganze Clans komplett ausgelöscht. Auch völlig Unbeteiligte und entfernte Verwandte wurden ermordet, um eine Rache zu verhindern. Die Corleoneser konnten die Clans abschlachten, da der alte Mafia-Kodex nicht mehr viel galt und zahlreiche Unter-Bosse die Chance nutzten und ihre Oberhäupter verrieten. Ohne Dank, denn diese wurden dann auch ermordet.
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Aus diesen Auseinandersetzungen ging die Cosa Nostra stärker, kompakter, vereinter, hierarchischer, dichter und noch undurchsichtiger hervor. Unangefochten strand nun ein Mafia-Boss an der Spitze der sizilianischen Mafia: Toto Riina aus Corleone.
Gleichzeitig legte die Mafia auch alle Hemmungen gegenüber dem Staat ab. Erstmals wurden auch Richter, Politiker und Polizeiführer in großer Zahl ermordet. Bis dato hatte die Mafia solche Attacken auf Vertreter des Staates vermieden, da solche Morde immer verstärkte Ermittlungsaktivitäten in der Region nach sich zogen und den normalen Gang der Geschäfte störten.
Die Corleoneser fühlten sich jedoch stark genug, gleichzeitig gegen die konkurrierenden Clans und gegen Staatsvertreter vorzugehen. Denn zu dieser Zeit wurden erstmals erfolgsversprechende Maßnahmen gegen die Mafia ernsthaft diskutiert.
Dies zeigte schon eine Zeitenwende, denn bis dahin konnte die Mafia solche Probleme meistens hinter den Kulissen regeln. Die Gewaltwelle war also eher ein Zeichen für die Schwäche der Mafia.
1982 bekam die Mafia mit dem Carabinieri-General della Chiesa erstmals einen gleichwertigen Gegner, der dann auch schon nach wenigen Wochen ermordet wurde. Danach wurde schrittweise der Ermittlungsapparat der Anti-Mafia-Ermittler ausgeweitet. (siehe auch: Anti-Mafia, auf den die Corleoneser wiederum mit Gewalt reagierten. (Morde an den besten Anti-Mafia-Ermittlern Falcone Borselini).
Gerade die Gewalt war für die Mafia sehr kontraproduktiv, da die Öffentlichkeit verstärkt ein wirksames Eingreifen des Staates verlangte und sich Anti-Mafia-Bewegungen in Sizilien bildeten. Als Anfang der 90er Jahre die schützende Hand der Politiker wegfiel, reagierte die Mafia wiederum mit einer brutalen Gewaltserie, der in Palermo 1991 718 Personen zum Opfer fielen.
Ein Nebeneffekt des Zusammenbruch des alten Parteiensystems in Italien war die zunehmende Bereitschaft von inhaftierten Mafiosi, auszupacken. Aufgrund unzähliger Kronzeugen-Aussagen konnten dann die meisten führenden Mafia-Führer festgenommen werden, darunter der Corleone-Boss T. Riina, der seit 23 Jahre auf der Flucht gewesen war.
Dies bedeutet jedoch nicht das Ende der Mafia, denn die Positionen werden schnell wieder von anderen ausgefüllt. Entscheidend ist dabei, inwieweit die bestehenden Clans sich befrieden und neue Beziehungen zu Machthabern und Staatsvertretern aufbauen können. Denn die Mafia lebt von einem organischen Beziehung.
Die Struktur der Mafia
Die Grundelemente traditioneller mafioser Strukturen sind die cosca (Familie) und das partito-Geflecht zu politisch einflußreichen Personen. Entscheidend dabei ist die strategisch optimale Position des mafioso als Mittler von Leistungen, Gütern und Informationen zwischen Mitgliedern der cosca und den Personen des partito.
Der innere Kern der cosca besteht in erster Linie aus der biologischen Verwandtschaft. Durch Heiraten und Patenschaften wird darüberhinaus eine weitere Verflechtung der Gefolgschaft angestrebt, denn diese Bindungen besitzen die stärkste bindende Kraft für die Gruppe. Bindungen, die darüber hinausgehen, wie z.B. gemeinsame geschäftliche Interessen oder das allgemeine Zugehörigkeitsgefühl zur cosa nostra sind nur sekundär und damit zwangsläufig labil.
Die cosca in ihrem Kern ist nicht sehr groß und umfaßte traditionellerweise 10 bis 20 Personen. Auf der 2. Ebene gibt es die zahlreichen Verwandten und Freunde der cosca- Mitglieder, die bei Bedarf für spezielle Aktionen rekrutiert werden können. Mitglied der Mafia im engeren Sinne sind aber nur die cosca-Mitglieder, d.h. Blutsverwandte und einige verdiente Mitglieder aus dem Umfeld, die nach einer eingehenden Prüfung offiziell aufgenommen werden.
Das zweite Standbein der Mafia ist das partito. Ein Beispiel für das Funktionieren des partito schilderte der pentito (Kronzeuge) Calderone dem Soziologen und Mafiaexperten Arlacchi : Die mafiose Calderone-Familie sicherte die reiche Bauunternehmerfamilie Costanzo, die nicht zur Mafia gehörte, vor Entführungen und Erpressungen und schützte die Großbaustellen der Firma. Daneben beschaffte sie den Costanzos über mafiose Kontakte öffentliche Aufträge in ganz Sizilien, verhandelte mit anderen Mafiafamilien, wenn deren Territorium von den Baustellen betroffen war und schüchterte die Konkurrenz sowie die Arbeiter ein. Dafür erhielt sie neben einer großzügigen Entlohnung und Beteiligung eine juristische Protektion von den Costanzos, die über weitreichende politische Kontakte verfügten.
Beide Seiten profitieren in diesem Falle von der Zusammenarbeit.
Damit dieses System funktioniert, muß es gewisse Regelungsmechanismen zwischen den verschiedenen Mafiafamilien geben. Die Koordination der verschiedenen Mafiafamilien untereinander ist zwar formal geregelt, aber instabil.
Als Ganzes besteht die cosa Nostra (eigener Ausdruck der Mafia für ihre Organsation) aus verschiedenen Mafiafamilien, die in ihren jeweiligen Gebieten autonom sind, d.h. es besteht eine klare räumliche Abgrenzung. Durch Wahl wird eine Provinz- und eine Regionalkommission (cupola) aus Vertretern der einzelnen cosca konstituiert, um die Koordination bei Streitpunkten zu gewährleisten. Einige Mafiaführer zielten mit der cupola auf eine Zentralisierung der Mafia, die jedoch de facto nicht funktionierte. Dies zeigten die blutigen Kämpfe zwischen Mafiafamilien zu Beginn der 80er Jahre.
Allgemein gilt, daß unter den Bedingungen der Illegalität größere Organisationen auch größere Schwierigkeiten und Risiken mit sich bringen und die Tendenz zu kleineren Unternehmen gefördert wird. Die Illegalität führt dazu, daß das Geschehen auf diesen Märkten unsicherer und risikoreicher ist als auf den legalen. Eigentumsrechte sind nicht dokumentiert, der Besitz ist durch Beschlagnahme oder Diebstahl/Raub durch Konkurrenten bedroht. Der Kapitaleinsatz ist in der Regel sehr hoch und die Qualität der Waren variiert stark. Verträge sind nicht schriftlich fixiert und die Bonität der Handelspartner ist nur schwer zu überprüfen.
Anlässe zu Mißtrauen, Betrug und Konflikten gibt es also in einer großen Anzahl, aber natürlicherweise kann das staatliche Rechtssystem nicht als Schlichtungs- und Zwangsinstanz in Anspruch genommen werden. Deshalb sind Vertauen und Gewalt die entscheidenden Mittel um die Transaktionskosten gering zu halten. Je enger die familiäre Bindung ist, desto größer ist das Vertrauen und die Sanktionsmöglichkeit. Eine gegenseitige Anerkennung als uomo d`onore (Ehrenmann) ist gleichbedeutend mit einem Vertauensverhältnis, da ein Mafioso mit seinem Wort und seiner Tat für die Bonität und Vertragstreue oder Sicherheit einsteht.
Bei der Gewalt ist nicht die Anwendung der Gewalt entscheidend, da sie meistens kontraproduktiv ist, sondern die glaubhafte Androhung von Gewalt.
Normen, Werte und Eigenschaften der Mafiosi
Ausspionieren und Schweigen
- umfassende Informationen über Käufer und Verkäufer sind fundamental für die Garantie und den Schutz (auch als Mittel, um eventuelle Repressionen durchzusetzen)
- umfassende Inforamtionsnetze, die die ganze Familie und Freunde umfaßt
Gewalteinsatz
- als negative Sanktion grundlegend für die Garantiegebung (Abschreckung)
- zur Durchsetzung vonVerträgen zwischen geschützten Partnern
- bei Konkurrenz zwischen verschiedenen Schützern (Anhebung des Ansehens und des glaubwürdigen Schutzes = hohe Reputation)
- bei der Nachfolgeregelung (Probleme der Übertragung der Reputation und Konkurrenz innerhalb der Familie)
= je stabiler und durchorganisierter eine Mafiafamilie ist (hohe Reputation), desto geringer die Gewalt
(auch bei abnehmender Machtmitteln, kann die hohe Reputation das Überleben einer Familie weiter sichern)
Werbung
- großzügige Gesten
- kleine "kostenlose" Dienstleistungen im Alltag
religiöse Ehrfurcht
keine Polizisten/Richter in der Verwandtschaft
keine Kontakte zu Ordnungshütern (dies wäre ein Eingeständnis, daß man nicht selber für Schutz sorgen kann)--Selbstjustiz
strenge Regeln auf sexuellem Gebiet/untadeliges Familienleben
Verbot der Simulation des Irreseins vor Gericht (man soll für seine Taten einstehen)
Schweigepflicht (omerta)
Zurückhaltung
exakte/präzise Infos
keine Lügen untereinander
kein Wechsel zwischen den Familien
lebenslange Mitgliedschaft
Die Wirtschaft und die Mafia
Oberstes Ziel der Mafia ist das Gewalt- und Protektionsmonopol in einem bestimmten Territorium (neben dem Staat), das dann der Mafia ihre einträglichen Geschäfte ermöglicht. Ein Klima der mafiosen Einschüchterung reicht für die Überzeugung der Unternehmer aus, wonach der Staat unfähig zur Sicherung des friedlichen Zusammenlebens ist und andererseits der Schutz durch die Mafia in diesem Umfeld in optimalerweise profitable Geschäfte ermöglicht. In kleineren Orten bestand die Hauptbeschäftigung eines Mafiabosses in dem Schlichten von Streitigkeiten aller Art und in einer Art Maklertätigkeit in allen Bereichen, gegen einen entsprechenden Obolus. Möglich war dies jedoch nur, wenn er im Ort allgemein respektiert oder gefürchtet wurde.
In den Städten Siziliens versuchte die Mafia unter Einsatz aller Mittel, möglichst beständige Beziehungen zu zahlreichen Unternehmen aufzubauen und Bedingungen zu schaffen, daß diese prosperieren können. Firmen, die mit der Mafia zusammenarbeiten oder Mafiosi gehören, haben gegenüber ihren Konkurrenten große Wettbewerbsvorteile, solange ein Klima der mafiosen Einschüchterung besteht und der Staat für keine Chancengleichheit sorgt. Die protektiven Leistungen der Mafia für ihre Klienten bestehen aus dem Schutz vor "normaler" Kriminalität, Vermittlung bei und autoritative Regelung von Konflikten und die Garantie vertraglicher Absprachen.
In der Regel schützt die Mafia nicht nur eine Firma einer Branche, sondern versucht Kartelle und Abkommen zwischen den Firmen zu organisieren. Dabei ist es die Aufgabe der Mafia, die einzelnen Firmen vor gruppeninternen Konflikten zu schützen und die Verwirklichung der Abkommen, in dem z.T. über 100 Firmen organisiert sind, zu garantieren. Als Gegenleistung verlangt die Mafia entweder eine Provision oder sogar eine Teilhaberschaft, wodurch zu beiderseitigem Vorteil organische Beziehungen entstehen können: Indem die Mafia durch Druck oder sonstige Einflußnahme für einen fließenden Auftragsfluß sorgt, prosperiert das Unternehmen.
Dabei ist es jedoch nur schwer abzuschätzen in welchem Umfang die Leistungen real sind und die Empfänger dies auch als Leistungen empfinden im Rahmen Leistung /Gegenleistung oder in welchem Umfang sie nur fiktiv sind, d.h. ob Schutz nur vor einer Gefahr angeboten wird, die der Schützende selber androht.
Die Mafia bot zum Beispiel auch einen recht wirksamen Schutz vor Entführungen, die in den 1970er Jahren in Italien stark zunahmen. Die Ursache lag in einem Beschluß der cupola von 1974, der Entführungen in Sizilien untersagte. Ausschlaggebend dafür war die Tatsache, daß viele Unternehmer unter dem Schutz einer bestimmten Mafiafamilie standen und bei einer Entführung durch eine Mafiafamilie wären Gewalttätigkeiten untereinander eine Zwangsläufigkeit. Außerdem hätte es Zweifel an der Effizienz des Schutzes zur Folge gehabt und zudem die Aufmerksamkeit der staatlichen Verfolgungs-behörden stark erhöht.
Der Mafia-Forscher Diego Gambetta vertritt , aufgrund von zahlreichen pentiti-Aussagen und neueren Forschungen detailliert seine These, daß die realen Leistungen der Mafia unterschätzt werden, wenn nur von Schutzgelderpressungen gesprochen wird. Denn von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind die Schutzgelder für die Mafia nicht mehr, seitdem die Märkte für öffentliche Aufträge, die EG-Subventionen und die illegalen Märkte (Drogen) als Finanzierungsquelle in den Vordergrund getreten sind.
Unternehmerische Mafia
In den 70er Jahren entwickelte sich dann eine unternehmerische Mafia, die nicht nur Unternehmen "schützte", sondern eigene Firmen gründete und dabei großen Erfolg erzielte. Der Hauptgrund lag in den Wettbewerbsvorteilen, die sich die Mafiafirmen durch den Einsatz von Gewalt und anderen illegale Aktivitäten verschufen.
Gerade im öffentlichen Auftragswesen nutzen diese Firmen Gewalt oder Gewaltandrohungen, um andere Firmen von Ausschreibungen fernzuhalten. Daneben werden die Arbeiter ihrer Firmen unterbezahlt, Sozialversicherungs-beiträge hinterzogen, eine gewerkschaftliche Organisierung verhindert und Arbeiterrechte vorenthalten.
Auch finanziell verfügen die Mafiafirmen über einen großen Vorteil, denn sie sind in der Regel nicht auf Bankkredite mit hohen Zinsverpflichtungen angewiesen, sondern finanzieren sich über Drogen- und andere Schwarzgelder, die über spezielle Banken mittels Geldwäsche wieder in den legalen Geldumlauf transferiert werden.
Alle diese Wettbewerbsvorteile gelten natürlich nur gegenüber Nicht- Mafiafirmen. Wenn mehrere Mafiafirmen sich um einen Auftrag bewerben, entsteht ein Klärungsbedarf zwischen den einzelnen Familien, der oft zu harten Konflikten führt.
Die Organisation der Mafiafirmen orientiert sich in der Regel nicht nach modernen Managementpraktiken, sondern eher an traditionellen Praktiken und an der Verwandtschaftsbasis. Schneller Reichtum und spekulative Geschäfte zählen mehr als der stetige Aufbau eines Unternehmens, womit der Mafiosi vom Typ her ein Abenteuerkapitalist ist.
Die wirtschaftliche Tätigkeit hat für die Mafiosi stark an Bedeutung gewonnen, aber diese erfolgt nur in der Funktion als Privatmann und ist keine Angelegenheit der Mafiaorganisation als solcher. Dabei kann der einzelne Mafioso jedoch auf die Unterstützung seiner cosca zurückgreifen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Auch der Drogenhandel wird von den Mafiosi auf eigene Rechnung betrieben, oft sogar mit Partnern außerhalb der Mafia.
Abschließend muß betont werden, daß das Ziel der einzelnen cosca nicht die wirtschaftliche Tätigkeit ist, sondern die Macht in einem speziellen Territorium.
Einnahmequellen:
Öffentliche Aufträge:
- der Schwerpunkt liegt hierbei im Bauwesen. Mafiafamilien agieren meist nur als Generalunternehmer, die die eigentliche Arbeit Subunternehmern überlassen. Dabei fördert die mafia die Bildung von Kartellen, die auch über 100 Firmen umfassen können Die Mafia garantiert die Aufteilung im Bausektor und sorgt für eine gleichmäßige Streuung der Aufträge an ihre "Kunden". Dies schafft jedoch sehr komplexe Situationen, da meist viele Maifafamilien und Firmen betroffen sind und erfordert einen hohen Kooperationsgrad zwischen den Mafiafamilien.
Entführungen
- 1972- 1989 --- 539 Entführungen + Dunkelziffer---bes. in Kalabrien/Sardinien
- 1979- 1989 ca. 18 Mrd DM Lösegelder
- in diesem bereich ist die sizilianische Mafia jedoch nicht stark vertreten, sondern überwiegend die kalabrische Mafia und sardinische Clans
Waffengeschäfte (z.T. im Handel mit Drogen)
Banken
- dürfen ohne Zustimmung und relevante Kontrolle durch die Zentralbank gegr. werden
* M.Sindona (Pionier d. Geldwäsche im großen Stil)
- er ermöglichte erst die Expansion im Drogengeschäft in d. 70er Jahren, indem er die Verbindung zwischen legalen und illegalen Finanzmärkten herstellte
Prostitution und Glücksspiel lehnt die sizilianische Mafia strikt ab
Subventionsbetrug aller Art (insbesondere Subventionen der EU)
Regulierte Märkte
Für die Öffnung eines Marktes für die mafiose Penetration müssen bestimmte Bedingungen vorliegen:
* heimliche Absprachen müssen aufgrund einer harten Nachfrage, einer nur geringen Differenzierung der Produktion usw. ein ansprechendes Ziel sein.
* heimliche Absprachen müssen einer gewissen Problematik unterliegen (z.B. einer großen Zahl von Firmen und einem leichten Zutritt zur Branche
= z.B. Müllabfuhr, Bau, Lebensmittelgroßhandel
Zigarrettenschmuggel
ab Ende der 40er Jahre (im ganzen Mittelmeerbereich durchorganisiert)
- sehr profitable Branche
Drogen
Bis Ende der 60er Jahre verzeichnete Italien nur einen geringen Drogengenuß, aber Italien war ein Durchgangsland für das Heroin nach den USA. Veredelt wurde es in Südfrankreich. Die Bedeutung der Mafia lag insbesondere in der Vermittlung (vertrauliche Kontakte zu der US- Mafia) und im Transport . Die Einfuhr war dabei die problematischste Seite (wg. Fehlendem Vertrauen; Vorauszahlung war notwendig).
Die Garantie der Mafia für Drogengeschäfte ist viel schwieriger als bei den Zigarretten, trotz der Vorteile, daß Heroin leichter und besser zu verstecken ist.
Probleme bei Drogengeschäften:
weit entfernte Ursprungsländer (schwieriger Kontakt und Kontrolle)
sehr hohes finanzielles Engagement
lange Kette von Vermittlern
unterschiedliche Qualität der Produkte
auf jeder Bearbeitungs- und Vertriebsstufe kann der Stoff gestohlen und verfälscht werden
Wegen der hohen Risiken wurde kein Schutz für den gesamten Ablauf der Geschäfte gegeben, sondern nur für einzelne Geschäftsabschnitte, die meist auch von verschiedenen Personen und Gruppen organisiert wurden. Die Mafia beteiligt sich nicht als Organisation am Drogengeschäft, sondern es sind Geschäfte einzelner Clans, die auf eigene Rechnung arbeiten, aber die Netze der Organisation benutzen, um Drogen nach USA und Europa zu schmuggeln. Die sonstigen Abgrenzungen zwischen den Mafiafamilien waren für den Drogenhandel irrelevant, denn jeder konnte mit jedem Geschäfte betreiben (auch mit Nicht- Mafiosi). Trotz aller Risiken war das Drogengeschäft für die Mafia sehr attraktiv, da kein anderer Markt solche Gewinnspannen bietet.
Ende d. 80er Jahre wurden sie jedoch in vielen Märkten von anderen ethnischen Gruppen im Drogengeschäft verdrängt
Strategieänderung in den 80/90er Jahren
In den 80er Jahren zeigte sich, dass die Mafia den Schwerpunkt in der Wirtschaft veränderte: Sie begnügte sich nicht mehr mit der parasitären Erpressun von (Bau-)Firmen im öffentlichen Bereich, sondern sie versuchte, den ganzen Sektor zu kontrollieren, d.h. sie suchte die integrierte, vertikale Kontrolle im Baubereich.
Im Prozess gegen Angelo Sino wurden die Einzelheiten der Systems sichtbar: Siino, ein enger Vertrauter des Mafiabosses Brusca oranganisierte für die Mafia ein weitgefächeres Kartell, das die Bauausschreibungen kontrollierte. Lokale Behörden/Politiker arbeiteten mit verschiedenen Mafia-Clans bei den Bauausschreibungen zusammen und bildeten temporäre Bündnisse. Siino organisierte die Ausschreibungsdurchführung und die Auswahl der Subunternehmer aus den lokalen Mafiafamilien. Die Gewinnerfirmen mussten im gegenzug Anteile an den Kartellorganisator (Siino) zahlen, der sie entsprechend an die beteiligten Mafiafamilien und Politiker weiterleitete.
In der 2. Hälfte der 80er Jahre weitete sich das System über die sizilianische Hauptstadt Palermo auch in die Umgebung aus. Siino wurde verhaftet und 1997 nur zu 8 Jahren Haft verurteilt, da er bei den Behörden auspackte.
Hohe Mittelzuflüsse der Zentralregierung in Rom und von der EU für Infrastrukturprojekte garantieren der Mafia weitere Bauprojekte in der Region. Größtes Objekt, um das sich die Mafiafamilien momentan bemühen ist der Bau der ca. 5 Mrd EURO teuren Brücke, die Sizilien mit dem Festland verbinden soll. Baubeginn: 2005.
Die Politik und die Mafia - Die 90er Jahre
Zusammenbruch des alten politischen Systems
Degeneration des Parteiensystems
- Ende des ideologisch-bürokratisch-allgegenwärtigen Parteientyps
- das komplexe Klientelsystem mit einem inoffiziellen Parallelsteuersystem (Schmiergelder) zur illegalen Parteienfinanzierung, das auf der Okkupation immer weiterer Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft zum Ausbau von Klientelen beruhte, weitete sich immer stärker aus und geriet an die tragbaren Genzen. Eine galoppierende Staatsverschuldung war der unvermeidliche Effekt, denn keine Partei wollte Kürzungen vornhemen, um nicht das eigene Klientelsystem zu gefährden.
Den Anstoß zur Verfolgung des gigantischen Schmiergeldsystems gab Anfang der 1990er jahre eine schwere Wirtschaftskrise. Viele Unternehmer konnten oder wollten die geforderten Schmiergelder, die durchschnittlich 4 bis 10 % der Auftragssummeausmachten, nicht mehr zahlen und vertrauten sich den Justizbehörden an.
Lega Nord
- die tragende Kraft beim Sturz des alten Systems war das Aufbegehren der Bürger im reichen Norden, die nicht mehr den mafiaverseuchten Süden mit ihren Steuern finanzieren wollten. Dies gipfelte in der Gründung der neuen partei Lega Nord, die große Erfolge in Norditalien erringen konnte und damit den Richtern im Norden Rückendeckung bei der Verfolgung des Schmiergeldsystems (tangentopoli) geben konnte.
Zusammenbruch des Kommunismus
- Jahrzehntelang konnten die Chrustdemokraten ihre dominierende Stellung halten, vornehmlich als Gegenkraft zur Kommunistischen Partei. Trotz aller Verfehlungen der Partei wurde sie immer wieder gewählt, aus Furcht vor dem Kommunismus. Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Osteuropa verloren die Christdemokraten ihre wichtigste Trumpfkarte und neue Kräfte konnten sich etablieren. Innerhalb kurzer Zeit verloren die Christdemokraten den Großteil ihrer Wählerschaft und die alte Politikerschicht mußte abtreten.
Referendumsbewegung
- der ehemalige christdemokratische Politiker M. Segni führte eine Bewegung an, die zahlreiche Referenden einleitete, die wichtige Teile des politischen Systems reformierte.
Tangentopoli
- Mai 1992 Beginn der Enthüllungen (ermöglicht wurden die Enthüllungen z.T. erst durch die großen Stimmeneinbußen der alten Parteien bei der Wahl im April 1992)
- dies gab den angeschlagenen Parteien den Todesstoß
Die Umwälzung des Parteiensystems und der Politikerelite zu Beginn der 90er Jahre hatte zwangsläufig auch negative Auswirkungen auf die Mafia, die dadurch ihren Zugang zu den öfentlichen Aufträgen zum Teil verlor und zugleich den Schutz des politischen Patrons verlor.
Das Überleben der Mafia als Machtstruktur hing davon ab, ob und in welcher Form sie erneute klientelistische Beziehungen zu den neuen politischen Kräften eingehen konnte.
In der 2. Hälfte der 1990er Jahre trat die Mafia nicht mehr mit spektakulären Aktionen gegen Staatsvertreter hervor, sondern konsolidierte sich und arrangierte sich mit den neuen Machthabern, speziell mit der neuen Partei FORZA Italia von Silvio Berlusconi, die in Sizilien die Christdemokraten als beherrschende Partei ablöste. Zahlreiche hohe Politiker der Forza Italia haben enge Kontakte zu Mafiosi und entwickelten ähnliche Abmachungen wie die Christdemokraten: Wählerstimmen gegen juristische Protektion.
Bei den Wahlen im Jahre 2001 errang dann die Forza Italia alle Direktmandate auf Sizilien.
Die Insel Sizilien stand im Laufe ihrer Geschichte fast ununterbrochen unter Fremdherrschaft und wurde meist nur als abgelegene Provinz behandelt. Feudalismus prägte das Land bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bis zur schrittweisen Abschaffung der Leibeigenschaft (1816- 1841). Dabei war die Auflösung der Bindung an Boden und Grund von zahlreichen Spannungen geprägt und in dieser Periode ist die Entstehung der Mafia anzusetzen. Die fast uneingeschränkt regierenden Großgrundbesitzer im Inneren und Westen Siziliens begannen Ende des 18. Jahrhunderts ihren Hauptwohnsitz nach Palermo oder Neapel zu verlegen. Ihre Ländereien sicherten sie mit eigenen Schutztruppen ab, deren Führer oft zu der Schicht der Großpächter (Gabelloti) aufstiegen, die das Land für eine jährliche Pachtsumme vom Großgrundbesitzer pachteten und dann vor Ort an die Bauern unterverpachteten. Eine nur mangelnde Umsetzung des staatlichen Herrschaftsanspruchs, die mit hohen Kosten verbunden gewesen wäre, erleichterte es den Gabelloti ihre Stellung als informelle Machthaber zu festigen, bis sie im Laufe des 19. Jahrhunderts schließlich oft die alten Großgrundbesitzer verdrängten, die z.T. unter Druck und Erpressungen der Gabelloti den Großteil ihrer Ländereien verkauften. Einzige Käufer waren wiederum die Gabelloti, die das nötige Kapital besaßen und Gewalt als Abschreckung einsetzten.
Der Typ des Mafiosi entstand in den Privattruppen dieser Gabelloti. Wächter und Aufseher auf den Plantagen der Großgrundbesitzer sorgten für Ruhe und Sicherheit in einer Zeit der zunehmenden Gesetzlosigkeit und des Banditentums. Gleichzeitig aber zwangen sie die Bauern zu den berüchtigten pizzu (ein Teil der Ernte als Schutzgebühr).
Entscheidend für die Durchsetzung als Mafiosi war aber eine charismatische und gewalttätige Persönlichkeit, die eine Klientel aufbauen konnte und ein hohes Ansehen bei der Bevölkerung erlangte, da sie sich kongruent zu den sizilianischen Werten verhielt, allerdings in der extremsten Form. Die Gewalt als Grundprinzip genügte nicht zum Aufstieg zu einem Mafioso; Autorität, verbunden mit Vorsicht, Ausgeglichenheit und Schlauheit waren wichtig, wenn der Mafiosi seine Position als Vermittler, Ratgeber, Richter und Beschützer wirkungsvoll ausüben wollte. Sein Ansehen stieg dabei mit der Anzahl der Personen, die sich ihm anvertrauten.
Sizilien und die Mafia
In der sizilianischen Gesellschaft war die Gewalt ein akzeptiertes soziales Regulativ in den sozialen Beziehungen, ein normales Mittel zur Interessendurchsetzung und somit ein Maßstab für Ansehen und Ehre.
Typisch für Gesellschaften mit fehlendem staatlichen Schutz und mangelnder Rechtssicherheit ist auch das Primat der Privatsphäre. Der Familismus war das dominante gesellschaftliche Wert- und Handlungsmuster. Klientelbeziehungen sowie fehlendes Verantwortungsgefühl und fehlender Gemeinschaftssinn bestimmten das Handeln der Sizilianer.
Der ferne Staat wurde als korrupter Komplex angesehen, der nicht im Dienste der Bürger stand. Potenziert wurde diese antistaatliche Haltung in Sizilien, als nach der Staatseinigung von 1861 die allgemeine Wehrpflicht und das "norditalienische" Steuersystem in Sizilien eingeführt wurden. Auch das Justizwesen wurde als oktroyiert betrachtet, da es mit einer anderen Normenvorstellung in die Normenwelt des Südens eingriff.
Die Mafia verkörperte diese sizilianische Mentalität in der extremsten Form und wurde gleichzeitg gefürchtet und respektiert. Auf der einen Seite beutete sie die Bevölkerung durch harte Pachtverträge und erzwungene Abgaben (pizzu) aus, aber andererseits besetzte der Mafiosi in diesem weitgehend staatsfreien Raum die Rolle eines Beschützers, Vermittlers, Ratgebers und Richters , der bereit ist Gewalt anzuwenden, damit die geltenden kulturellen Werte und Normen eingehalten werden.
Der Staat und die Mafia
Das Verhältnis zwischen dem Staat und der Mafia war im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch nicht von einer Abschottung gekennzeichnet, denn der Staat akzeptierte die Mafia als eine Stütze des Status Quo, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sorgte und das gesellschaftliche Konfliktpotential senkte. Nichtkonformes Verhalten wurde von der Mafia in der Regel sanktioniert. Diebe, Landstreicher, Homosexuelle, Banditen und Huren wurden wirkungsvoll bekämpft.
Andererseits bemühte sich die Mafia um eine Annäherung an staatliche Institutionen und an die Staatsvertreter vor Ort, um ihre informelle Machtposition langfristig abzusichern und sich einen privilegierten Zugang zu den staatlichen Befugnissen zu verschaffen. Erleichtert wurde dies durch die schrittweise Erweiterung des Wahlrechtes, das ihnen als Patronen einer großen Klientel Einfluß auf bestimmte Politiker sicherte.
Die Mafia war also durchaus in der sizilianischen Volkskultur verankert und besaß eine höhere Legitimität als der ferne Staat, der als Fremdkörper erschien. Dies machte die Verfolgung der Mafia so schwierig, denn eine Aufhebung des Mafiösen hätte eine völlige Umkrempelung der sizilianischen Gesellschaft vorausgesetzt.
Faschismus
Daß es eine Möglichkeit gab, die Mafia weitgehend auszuschalten zeigte die Periode des Faschismus von 1922- 1943. Nach der Konsolidierungsphase der Faschisten (1922 bis 1925) wurde C. Mori als Mafiabekämpfer (1925- 29) mit sehr weitreichenden Befugnissen ausgestattet.
Erstmals zeigte der italienische Staat in ganz Sizilien seine Präsenz und setzte seinen Machtanspruch durch, da der faschistische Staat keine Machtquelle neben sich duldete. Mit staatlichem Terror riesigen Ausmaßes gelang es die Mafia als Organisation weitgehend auszuschalten. Ihren informellen Einfluß auf Teile der Bevölkerung konnten die Mafiosi jedoch behalten, da auch der Faschismus als eine Art Fremdherrschaft angesehen wurde.
Nach 1945: Die Wiederbelebung der Mafia
Die schnelle Wiederbelebung der Mafia als Organisation nach dem 2. Weltkrieg zeigte jedoch, daß die Mafia mehr war als nur eine kriminelle Organisation, die auf Kosten der Bevölkerung schmarotzt.
Als die Aliierten 1943 Sizilien besetzen wollten, sicherten sie sich vorher die Zusammenarbeit mit den alten italienischen Mafiaführern und italienischstämmigen US-Mafiosi wie Luciano, die dank ihres Einflusses zur weitgehend reibungslosen Eroberung der Insel beitrugen.
Die alliierte Besatzungsmacht stützte sich in der Folgezeit bei der Verwaltung Siziliens auf Antifaschisten und da die Mafiosi auch als Verfolgte galten und zudem für Ordnung sorgen konnten errangen sie erneut Machtpositionen und öffentliche Ämter. Mit Hilfe der Mafiosi konnten die Amerikaner die Kosten für die verwaltung der Insel beträchtlich senken, gerade in Zeiten, in denen zahlreiche Bauernaufstände aufflackerten sowie Gewalt und Gesetzlosigkeit beträchtlich zunahmen.
Don Calo Vizzini war der herausragende Mafioso bei der Zusammenarbeit mit den Sizilianern. Als oberster Mafioso Siziliens wurde er während des Faschismus zwar zu fünf Jahren Haft verurteilt, die jedoch aufgrund seiner guten Beziehungen wieder aufgehoben wurde. Außerdem konnte er als Bürgermeister von Villalba amtieren. Nach der Landung der Allierten legte Vizzini eine Liste mit "unverdächtigen Männern und Antifaschisten" vor, die für Ämterbesetzungen in Fragen kamen. Wegen seiner Verdienste für die Aliierten wurde er sogar zum Ehrenoberst der US-Armee ernannt.
Nach dem Krieg gewannen separatistische Kräfte in Sizilien stark an Boden, begleitet von zahlreichen Bauernaufständen. Gegen die Bauernorganisatoren ging die Mafia aktiv vor, da der Schutz der Latifundien durch die Unruhen nicht mehr gewährleistet werden konnte und damit die Abschreckung der Mafia abzunehmen drohte. Der Separatistenbewegung hingegen standen die meisten Mafiaführer anfangs positiv gegenüber, aber als die italienische Regierung 1946 eine weitgehende Verwaltungsautonomie für Sizilien anbot und zahlreiche Kompetenzen des Zentralstaates an die Region übertrug, wechselte die Mafia die Seite und half bei der Bekämpfung der radikalen Separatistenbewegung um Giuliani und verbündete sich vor Ort mit den lokalen Politikern der DC-Partei.
Neuorientierung der Mafia
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die traditionelle Mafia von einer neuen Mafia abgelöst, die sich an der amerikanischen Mafia orientierte, für die der schnelle Reichtum im Vordergrund stand. Ausgelöst wurde diese Transformation durch die rapiden Gesellschaftsveränderungen im Nachkriegsitalien.
In großer Zahl nutzten Sizilianer die durch den Wirtschaftsboom entstehenden neuen Arbeitsmöglichkeiten im Norden Italiens und in Mitteleuropa und verließen ihre Heimat. Diese Arbeitsperspektiven entzog die Bauern zunehmend aus der Abhängigkeit von Großgrundbesitzern, deren Bedeutung zudem durch die Bodenreform abnahm. Für die Mafia ist dabei relevant, daß sie die alleinige Verfügung über die Produktionsmittel verlor und damit einen ihrer traditionellen Stützpfeiler.
Einen Ausweg in dieser Situation bot eine Umorientierung auf städtische Betätigungsfelder wie den boomenden Bausektor und die Abzweigung oder Aneignung von Entwicklungsgelder der Zentralregierung in Rom.
Zunehmende staatliche Subventionen für den Mezzogiorno und weitere staatliche Abschröpfungsmöglichkeiten bedingten dabei eine stärkere Institutionalisierung der Mafiaorganisation und eine Stärkung der instrumentellen Freundschaften zu den öffentlichen Entscheidungsträgern, die über Aufträge und Großprojekte verfügen konnten.
Das Instrument für die Verteilung großer Geldsummen in den Süden war die 1950 gegründete Entwicklungsfördergesellschaft für den Aufbau des Mezzogiorno (SÜDKASSE), die sich die Subventionierung der Wirtschaftszweige und die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zum Ziele gesetzt hatte. .
Von 1950- 1984 flossen über diesen Kanal 244 Mrd DM aus der Staatskasse in den Süden: Der Großteil dieser Gelder wurden in Infrastrukturprojekte investiert. 1,1 Mio ha wurden urbar gemacht, 450 000 ha Wald aufgeforstet, 18 000 km Straßen gebaut , 22 000 km Straßen modernisiert, 22 800 km Wasserleitungen, 60 000 km Abwasserkanäle und 40 000 km Stromleitungen gelegt, 1600 Kindergärten / Grundschulen und 244 Kleinkrankenhäuser gebaut. 1984 hatte die Südkasse allerdings 23 Mrd DM Schulden , da die Projekte 70% teurer als geplant waren und wurde von der neuen Fördergesellschaft AGENSUD abgelöst.
Die Milliarden der Südkasse waren das Hauptreservoir für die Symbiose von Mafia und Politik, denn aufgrund der dezentralen Vergabe ohne übergreifende Planung an private Unternehmer vor Ort, konnten einflußreiche Politiker auf diese Weise ihr Klientelnetz bedienen. Zudem lief der Geldfluß über die sizilianischen Banken, die keinerlei Kontrolle durch die Zentralbank unterlagen, so daß dem Mißbrauch der Gelder alle Türen geöffnet waren.
Die Verfügung über die Hilfsgelder sowie die Vergabe und Übernahme öffentlicher Bauaufträge waren schließlich in den 50/60er Jahre die lukrativsten Geschäfte in Sizilien. Der Bauboom der Nachkriegszeit beschränkte sich jedoch nicht nur auf die staatlichen Infrastrukturmaßnahmen, sondern erstreckte sich gerade auch auf den Bereich des Wohnungsbaus und der Sanierung ganzer Stadtteile, besonders in Palermo.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der privilegierte Zugang zu öffentlichen Geldern die primäre Machtressource wurde und nicht mehr die Gewalt, die bei der traditionellen Mafia den Zugang zu den Machtfaktoren und die Legitimität bewirkten. Die Gewalt als solche blieb aber als Mittel zur negativen Sanktionierung erhalten.
Mit dieser steigenden Orientiertung auf den schnellen Reichtum nahm allerdings auch die Kongruenz mafiosen Verhaltens mit den subkulturellen Werten ab.
Corleone
Als Hochburg und Zentrum der Mafia galt schon immer die sizilianische Hauptstadt Palermo, in der zahlreiche Mafiaclans ihre Claims abgesteckt hatten. Hier fanden stets die großen Bandenkämpfe statt, da dort die lukrativsten Märkte im Bausektor und bei öffentlichen Ausschreibungen winkten.
In den 70er Jahren verlagerte sich das Zentrum jedoch in die kleine Stadt Corleone, südlich von Palermo in den Bergen gelegen. In 30 Jahren hatte die dortige Mafia ihre Macht kontinuierlich gegen die eher traditionellen Mafiagruppen aus Palermo ausgebaut. Stärker als alle anderen Clans hatten die Corleoneser alte Werte und Sitten abgestreift und sich auf den schnellen Weg zu Geld und Macht konzenriert. Als erster Mafiaclan stiegen die Corleoneser in großem Stil ins Heroingeschäft ein (Übernahme des Geschäftes von der zerschlagenen French Connection) und verdienten in kurzer Zeit enorme Geldsummen. Alte Abmachungen zwischen Mafiafamilien galten bei den Corleonesern nichts mehr.
Die Stadt Corleone hatte schon immer einen sehr schlechten Ruf als eine der gewalttätigsten Städte der Welt. Von 1944 bis 1948 wurden in der Stadt 153 Morde verzeichnet und 1953- 58 verlor Corleone 1,3 % der Bevölkerung durch Mordtaten (bei einer Bevölkerungszahl unter 10 000 Einwohnern).
1980 zogen die Corleoneser dann zur Entscheidungsschlacht aus, bei der sie im "Großen Mafiakrieg" mit > 300 Toten in Palermo die Vorherrschaft der Palermer Clans brachen. Mit einer selbst für Mafiaverhältnissen äußerst brutalen Methode und Strategie wurden ganze Clans komplett ausgelöscht. Auch völlig Unbeteiligte und entfernte Verwandte wurden ermordet, um eine Rache zu verhindern. Die Corleoneser konnten die Clans abschlachten, da der alte Mafia-Kodex nicht mehr viel galt und zahlreiche Unter-Bosse die Chance nutzten und ihre Oberhäupter verrieten. Ohne Dank, denn diese wurden dann auch ermordet.
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Aus diesen Auseinandersetzungen ging die Cosa Nostra stärker, kompakter, vereinter, hierarchischer, dichter und noch undurchsichtiger hervor. Unangefochten strand nun ein Mafia-Boss an der Spitze der sizilianischen Mafia: Toto Riina aus Corleone.
Gleichzeitig legte die Mafia auch alle Hemmungen gegenüber dem Staat ab. Erstmals wurden auch Richter, Politiker und Polizeiführer in großer Zahl ermordet. Bis dato hatte die Mafia solche Attacken auf Vertreter des Staates vermieden, da solche Morde immer verstärkte Ermittlungsaktivitäten in der Region nach sich zogen und den normalen Gang der Geschäfte störten.
Die Corleoneser fühlten sich jedoch stark genug, gleichzeitig gegen die konkurrierenden Clans und gegen Staatsvertreter vorzugehen. Denn zu dieser Zeit wurden erstmals erfolgsversprechende Maßnahmen gegen die Mafia ernsthaft diskutiert.
Dies zeigte schon eine Zeitenwende, denn bis dahin konnte die Mafia solche Probleme meistens hinter den Kulissen regeln. Die Gewaltwelle war also eher ein Zeichen für die Schwäche der Mafia.
1982 bekam die Mafia mit dem Carabinieri-General della Chiesa erstmals einen gleichwertigen Gegner, der dann auch schon nach wenigen Wochen ermordet wurde. Danach wurde schrittweise der Ermittlungsapparat der Anti-Mafia-Ermittler ausgeweitet. (siehe auch: Anti-Mafia, auf den die Corleoneser wiederum mit Gewalt reagierten. (Morde an den besten Anti-Mafia-Ermittlern Falcone Borselini).
Gerade die Gewalt war für die Mafia sehr kontraproduktiv, da die Öffentlichkeit verstärkt ein wirksames Eingreifen des Staates verlangte und sich Anti-Mafia-Bewegungen in Sizilien bildeten. Als Anfang der 90er Jahre die schützende Hand der Politiker wegfiel, reagierte die Mafia wiederum mit einer brutalen Gewaltserie, der in Palermo 1991 718 Personen zum Opfer fielen.
Ein Nebeneffekt des Zusammenbruch des alten Parteiensystems in Italien war die zunehmende Bereitschaft von inhaftierten Mafiosi, auszupacken. Aufgrund unzähliger Kronzeugen-Aussagen konnten dann die meisten führenden Mafia-Führer festgenommen werden, darunter der Corleone-Boss T. Riina, der seit 23 Jahre auf der Flucht gewesen war.
Dies bedeutet jedoch nicht das Ende der Mafia, denn die Positionen werden schnell wieder von anderen ausgefüllt. Entscheidend ist dabei, inwieweit die bestehenden Clans sich befrieden und neue Beziehungen zu Machthabern und Staatsvertretern aufbauen können. Denn die Mafia lebt von einem organischen Beziehung.
Die Struktur der Mafia
Die Grundelemente traditioneller mafioser Strukturen sind die cosca (Familie) und das partito-Geflecht zu politisch einflußreichen Personen. Entscheidend dabei ist die strategisch optimale Position des mafioso als Mittler von Leistungen, Gütern und Informationen zwischen Mitgliedern der cosca und den Personen des partito.
Der innere Kern der cosca besteht in erster Linie aus der biologischen Verwandtschaft. Durch Heiraten und Patenschaften wird darüberhinaus eine weitere Verflechtung der Gefolgschaft angestrebt, denn diese Bindungen besitzen die stärkste bindende Kraft für die Gruppe. Bindungen, die darüber hinausgehen, wie z.B. gemeinsame geschäftliche Interessen oder das allgemeine Zugehörigkeitsgefühl zur cosa nostra sind nur sekundär und damit zwangsläufig labil.
Die cosca in ihrem Kern ist nicht sehr groß und umfaßte traditionellerweise 10 bis 20 Personen. Auf der 2. Ebene gibt es die zahlreichen Verwandten und Freunde der cosca- Mitglieder, die bei Bedarf für spezielle Aktionen rekrutiert werden können. Mitglied der Mafia im engeren Sinne sind aber nur die cosca-Mitglieder, d.h. Blutsverwandte und einige verdiente Mitglieder aus dem Umfeld, die nach einer eingehenden Prüfung offiziell aufgenommen werden.
Das zweite Standbein der Mafia ist das partito. Ein Beispiel für das Funktionieren des partito schilderte der pentito (Kronzeuge) Calderone dem Soziologen und Mafiaexperten Arlacchi : Die mafiose Calderone-Familie sicherte die reiche Bauunternehmerfamilie Costanzo, die nicht zur Mafia gehörte, vor Entführungen und Erpressungen und schützte die Großbaustellen der Firma. Daneben beschaffte sie den Costanzos über mafiose Kontakte öffentliche Aufträge in ganz Sizilien, verhandelte mit anderen Mafiafamilien, wenn deren Territorium von den Baustellen betroffen war und schüchterte die Konkurrenz sowie die Arbeiter ein. Dafür erhielt sie neben einer großzügigen Entlohnung und Beteiligung eine juristische Protektion von den Costanzos, die über weitreichende politische Kontakte verfügten.
Beide Seiten profitieren in diesem Falle von der Zusammenarbeit.
Damit dieses System funktioniert, muß es gewisse Regelungsmechanismen zwischen den verschiedenen Mafiafamilien geben. Die Koordination der verschiedenen Mafiafamilien untereinander ist zwar formal geregelt, aber instabil.
Als Ganzes besteht die cosa Nostra (eigener Ausdruck der Mafia für ihre Organsation) aus verschiedenen Mafiafamilien, die in ihren jeweiligen Gebieten autonom sind, d.h. es besteht eine klare räumliche Abgrenzung. Durch Wahl wird eine Provinz- und eine Regionalkommission (cupola) aus Vertretern der einzelnen cosca konstituiert, um die Koordination bei Streitpunkten zu gewährleisten. Einige Mafiaführer zielten mit der cupola auf eine Zentralisierung der Mafia, die jedoch de facto nicht funktionierte. Dies zeigten die blutigen Kämpfe zwischen Mafiafamilien zu Beginn der 80er Jahre.
Allgemein gilt, daß unter den Bedingungen der Illegalität größere Organisationen auch größere Schwierigkeiten und Risiken mit sich bringen und die Tendenz zu kleineren Unternehmen gefördert wird. Die Illegalität führt dazu, daß das Geschehen auf diesen Märkten unsicherer und risikoreicher ist als auf den legalen. Eigentumsrechte sind nicht dokumentiert, der Besitz ist durch Beschlagnahme oder Diebstahl/Raub durch Konkurrenten bedroht. Der Kapitaleinsatz ist in der Regel sehr hoch und die Qualität der Waren variiert stark. Verträge sind nicht schriftlich fixiert und die Bonität der Handelspartner ist nur schwer zu überprüfen.
Anlässe zu Mißtrauen, Betrug und Konflikten gibt es also in einer großen Anzahl, aber natürlicherweise kann das staatliche Rechtssystem nicht als Schlichtungs- und Zwangsinstanz in Anspruch genommen werden. Deshalb sind Vertauen und Gewalt die entscheidenden Mittel um die Transaktionskosten gering zu halten. Je enger die familiäre Bindung ist, desto größer ist das Vertrauen und die Sanktionsmöglichkeit. Eine gegenseitige Anerkennung als uomo d`onore (Ehrenmann) ist gleichbedeutend mit einem Vertauensverhältnis, da ein Mafioso mit seinem Wort und seiner Tat für die Bonität und Vertragstreue oder Sicherheit einsteht.
Bei der Gewalt ist nicht die Anwendung der Gewalt entscheidend, da sie meistens kontraproduktiv ist, sondern die glaubhafte Androhung von Gewalt.
Normen, Werte und Eigenschaften der Mafiosi
Ausspionieren und Schweigen
- umfassende Informationen über Käufer und Verkäufer sind fundamental für die Garantie und den Schutz (auch als Mittel, um eventuelle Repressionen durchzusetzen)
- umfassende Inforamtionsnetze, die die ganze Familie und Freunde umfaßt
Gewalteinsatz
- als negative Sanktion grundlegend für die Garantiegebung (Abschreckung)
- zur Durchsetzung vonVerträgen zwischen geschützten Partnern
- bei Konkurrenz zwischen verschiedenen Schützern (Anhebung des Ansehens und des glaubwürdigen Schutzes = hohe Reputation)
- bei der Nachfolgeregelung (Probleme der Übertragung der Reputation und Konkurrenz innerhalb der Familie)
= je stabiler und durchorganisierter eine Mafiafamilie ist (hohe Reputation), desto geringer die Gewalt
(auch bei abnehmender Machtmitteln, kann die hohe Reputation das Überleben einer Familie weiter sichern)
Werbung
- großzügige Gesten
- kleine "kostenlose" Dienstleistungen im Alltag
religiöse Ehrfurcht
keine Polizisten/Richter in der Verwandtschaft
keine Kontakte zu Ordnungshütern (dies wäre ein Eingeständnis, daß man nicht selber für Schutz sorgen kann)--Selbstjustiz
strenge Regeln auf sexuellem Gebiet/untadeliges Familienleben
Verbot der Simulation des Irreseins vor Gericht (man soll für seine Taten einstehen)
Schweigepflicht (omerta)
Zurückhaltung
exakte/präzise Infos
keine Lügen untereinander
kein Wechsel zwischen den Familien
lebenslange Mitgliedschaft
Die Wirtschaft und die Mafia
Oberstes Ziel der Mafia ist das Gewalt- und Protektionsmonopol in einem bestimmten Territorium (neben dem Staat), das dann der Mafia ihre einträglichen Geschäfte ermöglicht. Ein Klima der mafiosen Einschüchterung reicht für die Überzeugung der Unternehmer aus, wonach der Staat unfähig zur Sicherung des friedlichen Zusammenlebens ist und andererseits der Schutz durch die Mafia in diesem Umfeld in optimalerweise profitable Geschäfte ermöglicht. In kleineren Orten bestand die Hauptbeschäftigung eines Mafiabosses in dem Schlichten von Streitigkeiten aller Art und in einer Art Maklertätigkeit in allen Bereichen, gegen einen entsprechenden Obolus. Möglich war dies jedoch nur, wenn er im Ort allgemein respektiert oder gefürchtet wurde.
In den Städten Siziliens versuchte die Mafia unter Einsatz aller Mittel, möglichst beständige Beziehungen zu zahlreichen Unternehmen aufzubauen und Bedingungen zu schaffen, daß diese prosperieren können. Firmen, die mit der Mafia zusammenarbeiten oder Mafiosi gehören, haben gegenüber ihren Konkurrenten große Wettbewerbsvorteile, solange ein Klima der mafiosen Einschüchterung besteht und der Staat für keine Chancengleichheit sorgt. Die protektiven Leistungen der Mafia für ihre Klienten bestehen aus dem Schutz vor "normaler" Kriminalität, Vermittlung bei und autoritative Regelung von Konflikten und die Garantie vertraglicher Absprachen.
In der Regel schützt die Mafia nicht nur eine Firma einer Branche, sondern versucht Kartelle und Abkommen zwischen den Firmen zu organisieren. Dabei ist es die Aufgabe der Mafia, die einzelnen Firmen vor gruppeninternen Konflikten zu schützen und die Verwirklichung der Abkommen, in dem z.T. über 100 Firmen organisiert sind, zu garantieren. Als Gegenleistung verlangt die Mafia entweder eine Provision oder sogar eine Teilhaberschaft, wodurch zu beiderseitigem Vorteil organische Beziehungen entstehen können: Indem die Mafia durch Druck oder sonstige Einflußnahme für einen fließenden Auftragsfluß sorgt, prosperiert das Unternehmen.
Dabei ist es jedoch nur schwer abzuschätzen in welchem Umfang die Leistungen real sind und die Empfänger dies auch als Leistungen empfinden im Rahmen Leistung /Gegenleistung oder in welchem Umfang sie nur fiktiv sind, d.h. ob Schutz nur vor einer Gefahr angeboten wird, die der Schützende selber androht.
Die Mafia bot zum Beispiel auch einen recht wirksamen Schutz vor Entführungen, die in den 1970er Jahren in Italien stark zunahmen. Die Ursache lag in einem Beschluß der cupola von 1974, der Entführungen in Sizilien untersagte. Ausschlaggebend dafür war die Tatsache, daß viele Unternehmer unter dem Schutz einer bestimmten Mafiafamilie standen und bei einer Entführung durch eine Mafiafamilie wären Gewalttätigkeiten untereinander eine Zwangsläufigkeit. Außerdem hätte es Zweifel an der Effizienz des Schutzes zur Folge gehabt und zudem die Aufmerksamkeit der staatlichen Verfolgungs-behörden stark erhöht.
Der Mafia-Forscher Diego Gambetta vertritt , aufgrund von zahlreichen pentiti-Aussagen und neueren Forschungen detailliert seine These, daß die realen Leistungen der Mafia unterschätzt werden, wenn nur von Schutzgelderpressungen gesprochen wird. Denn von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind die Schutzgelder für die Mafia nicht mehr, seitdem die Märkte für öffentliche Aufträge, die EG-Subventionen und die illegalen Märkte (Drogen) als Finanzierungsquelle in den Vordergrund getreten sind.
Unternehmerische Mafia
In den 70er Jahren entwickelte sich dann eine unternehmerische Mafia, die nicht nur Unternehmen "schützte", sondern eigene Firmen gründete und dabei großen Erfolg erzielte. Der Hauptgrund lag in den Wettbewerbsvorteilen, die sich die Mafiafirmen durch den Einsatz von Gewalt und anderen illegale Aktivitäten verschufen.
Gerade im öffentlichen Auftragswesen nutzen diese Firmen Gewalt oder Gewaltandrohungen, um andere Firmen von Ausschreibungen fernzuhalten. Daneben werden die Arbeiter ihrer Firmen unterbezahlt, Sozialversicherungs-beiträge hinterzogen, eine gewerkschaftliche Organisierung verhindert und Arbeiterrechte vorenthalten.
Auch finanziell verfügen die Mafiafirmen über einen großen Vorteil, denn sie sind in der Regel nicht auf Bankkredite mit hohen Zinsverpflichtungen angewiesen, sondern finanzieren sich über Drogen- und andere Schwarzgelder, die über spezielle Banken mittels Geldwäsche wieder in den legalen Geldumlauf transferiert werden.
Alle diese Wettbewerbsvorteile gelten natürlich nur gegenüber Nicht- Mafiafirmen. Wenn mehrere Mafiafirmen sich um einen Auftrag bewerben, entsteht ein Klärungsbedarf zwischen den einzelnen Familien, der oft zu harten Konflikten führt.
Die Organisation der Mafiafirmen orientiert sich in der Regel nicht nach modernen Managementpraktiken, sondern eher an traditionellen Praktiken und an der Verwandtschaftsbasis. Schneller Reichtum und spekulative Geschäfte zählen mehr als der stetige Aufbau eines Unternehmens, womit der Mafiosi vom Typ her ein Abenteuerkapitalist ist.
Die wirtschaftliche Tätigkeit hat für die Mafiosi stark an Bedeutung gewonnen, aber diese erfolgt nur in der Funktion als Privatmann und ist keine Angelegenheit der Mafiaorganisation als solcher. Dabei kann der einzelne Mafioso jedoch auf die Unterstützung seiner cosca zurückgreifen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Auch der Drogenhandel wird von den Mafiosi auf eigene Rechnung betrieben, oft sogar mit Partnern außerhalb der Mafia.
Abschließend muß betont werden, daß das Ziel der einzelnen cosca nicht die wirtschaftliche Tätigkeit ist, sondern die Macht in einem speziellen Territorium.
Einnahmequellen:
Öffentliche Aufträge:
- der Schwerpunkt liegt hierbei im Bauwesen. Mafiafamilien agieren meist nur als Generalunternehmer, die die eigentliche Arbeit Subunternehmern überlassen. Dabei fördert die mafia die Bildung von Kartellen, die auch über 100 Firmen umfassen können Die Mafia garantiert die Aufteilung im Bausektor und sorgt für eine gleichmäßige Streuung der Aufträge an ihre "Kunden". Dies schafft jedoch sehr komplexe Situationen, da meist viele Maifafamilien und Firmen betroffen sind und erfordert einen hohen Kooperationsgrad zwischen den Mafiafamilien.
Entführungen
- 1972- 1989 --- 539 Entführungen + Dunkelziffer---bes. in Kalabrien/Sardinien
- 1979- 1989 ca. 18 Mrd DM Lösegelder
- in diesem bereich ist die sizilianische Mafia jedoch nicht stark vertreten, sondern überwiegend die kalabrische Mafia und sardinische Clans
Waffengeschäfte (z.T. im Handel mit Drogen)
Banken
- dürfen ohne Zustimmung und relevante Kontrolle durch die Zentralbank gegr. werden
* M.Sindona (Pionier d. Geldwäsche im großen Stil)
- er ermöglichte erst die Expansion im Drogengeschäft in d. 70er Jahren, indem er die Verbindung zwischen legalen und illegalen Finanzmärkten herstellte
Prostitution und Glücksspiel lehnt die sizilianische Mafia strikt ab
Subventionsbetrug aller Art (insbesondere Subventionen der EU)
Regulierte Märkte
Für die Öffnung eines Marktes für die mafiose Penetration müssen bestimmte Bedingungen vorliegen:
* heimliche Absprachen müssen aufgrund einer harten Nachfrage, einer nur geringen Differenzierung der Produktion usw. ein ansprechendes Ziel sein.
* heimliche Absprachen müssen einer gewissen Problematik unterliegen (z.B. einer großen Zahl von Firmen und einem leichten Zutritt zur Branche
= z.B. Müllabfuhr, Bau, Lebensmittelgroßhandel
Zigarrettenschmuggel
ab Ende der 40er Jahre (im ganzen Mittelmeerbereich durchorganisiert)
- sehr profitable Branche
Drogen
Bis Ende der 60er Jahre verzeichnete Italien nur einen geringen Drogengenuß, aber Italien war ein Durchgangsland für das Heroin nach den USA. Veredelt wurde es in Südfrankreich. Die Bedeutung der Mafia lag insbesondere in der Vermittlung (vertrauliche Kontakte zu der US- Mafia) und im Transport . Die Einfuhr war dabei die problematischste Seite (wg. Fehlendem Vertrauen; Vorauszahlung war notwendig).
Die Garantie der Mafia für Drogengeschäfte ist viel schwieriger als bei den Zigarretten, trotz der Vorteile, daß Heroin leichter und besser zu verstecken ist.
Probleme bei Drogengeschäften:
weit entfernte Ursprungsländer (schwieriger Kontakt und Kontrolle)
sehr hohes finanzielles Engagement
lange Kette von Vermittlern
unterschiedliche Qualität der Produkte
auf jeder Bearbeitungs- und Vertriebsstufe kann der Stoff gestohlen und verfälscht werden
Wegen der hohen Risiken wurde kein Schutz für den gesamten Ablauf der Geschäfte gegeben, sondern nur für einzelne Geschäftsabschnitte, die meist auch von verschiedenen Personen und Gruppen organisiert wurden. Die Mafia beteiligt sich nicht als Organisation am Drogengeschäft, sondern es sind Geschäfte einzelner Clans, die auf eigene Rechnung arbeiten, aber die Netze der Organisation benutzen, um Drogen nach USA und Europa zu schmuggeln. Die sonstigen Abgrenzungen zwischen den Mafiafamilien waren für den Drogenhandel irrelevant, denn jeder konnte mit jedem Geschäfte betreiben (auch mit Nicht- Mafiosi). Trotz aller Risiken war das Drogengeschäft für die Mafia sehr attraktiv, da kein anderer Markt solche Gewinnspannen bietet.
Ende d. 80er Jahre wurden sie jedoch in vielen Märkten von anderen ethnischen Gruppen im Drogengeschäft verdrängt
Strategieänderung in den 80/90er Jahren
In den 80er Jahren zeigte sich, dass die Mafia den Schwerpunkt in der Wirtschaft veränderte: Sie begnügte sich nicht mehr mit der parasitären Erpressun von (Bau-)Firmen im öffentlichen Bereich, sondern sie versuchte, den ganzen Sektor zu kontrollieren, d.h. sie suchte die integrierte, vertikale Kontrolle im Baubereich.
Im Prozess gegen Angelo Sino wurden die Einzelheiten der Systems sichtbar: Siino, ein enger Vertrauter des Mafiabosses Brusca oranganisierte für die Mafia ein weitgefächeres Kartell, das die Bauausschreibungen kontrollierte. Lokale Behörden/Politiker arbeiteten mit verschiedenen Mafia-Clans bei den Bauausschreibungen zusammen und bildeten temporäre Bündnisse. Siino organisierte die Ausschreibungsdurchführung und die Auswahl der Subunternehmer aus den lokalen Mafiafamilien. Die Gewinnerfirmen mussten im gegenzug Anteile an den Kartellorganisator (Siino) zahlen, der sie entsprechend an die beteiligten Mafiafamilien und Politiker weiterleitete.
In der 2. Hälfte der 80er Jahre weitete sich das System über die sizilianische Hauptstadt Palermo auch in die Umgebung aus. Siino wurde verhaftet und 1997 nur zu 8 Jahren Haft verurteilt, da er bei den Behörden auspackte.
Hohe Mittelzuflüsse der Zentralregierung in Rom und von der EU für Infrastrukturprojekte garantieren der Mafia weitere Bauprojekte in der Region. Größtes Objekt, um das sich die Mafiafamilien momentan bemühen ist der Bau der ca. 5 Mrd EURO teuren Brücke, die Sizilien mit dem Festland verbinden soll. Baubeginn: 2005.
Die Politik und die Mafia - Die 90er Jahre
Zusammenbruch des alten politischen Systems
Degeneration des Parteiensystems
- Ende des ideologisch-bürokratisch-allgegenwärtigen Parteientyps
- das komplexe Klientelsystem mit einem inoffiziellen Parallelsteuersystem (Schmiergelder) zur illegalen Parteienfinanzierung, das auf der Okkupation immer weiterer Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft zum Ausbau von Klientelen beruhte, weitete sich immer stärker aus und geriet an die tragbaren Genzen. Eine galoppierende Staatsverschuldung war der unvermeidliche Effekt, denn keine Partei wollte Kürzungen vornhemen, um nicht das eigene Klientelsystem zu gefährden.
Den Anstoß zur Verfolgung des gigantischen Schmiergeldsystems gab Anfang der 1990er jahre eine schwere Wirtschaftskrise. Viele Unternehmer konnten oder wollten die geforderten Schmiergelder, die durchschnittlich 4 bis 10 % der Auftragssummeausmachten, nicht mehr zahlen und vertrauten sich den Justizbehörden an.
Lega Nord
- die tragende Kraft beim Sturz des alten Systems war das Aufbegehren der Bürger im reichen Norden, die nicht mehr den mafiaverseuchten Süden mit ihren Steuern finanzieren wollten. Dies gipfelte in der Gründung der neuen partei Lega Nord, die große Erfolge in Norditalien erringen konnte und damit den Richtern im Norden Rückendeckung bei der Verfolgung des Schmiergeldsystems (tangentopoli) geben konnte.
Zusammenbruch des Kommunismus
- Jahrzehntelang konnten die Chrustdemokraten ihre dominierende Stellung halten, vornehmlich als Gegenkraft zur Kommunistischen Partei. Trotz aller Verfehlungen der Partei wurde sie immer wieder gewählt, aus Furcht vor dem Kommunismus. Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Osteuropa verloren die Christdemokraten ihre wichtigste Trumpfkarte und neue Kräfte konnten sich etablieren. Innerhalb kurzer Zeit verloren die Christdemokraten den Großteil ihrer Wählerschaft und die alte Politikerschicht mußte abtreten.
Referendumsbewegung
- der ehemalige christdemokratische Politiker M. Segni führte eine Bewegung an, die zahlreiche Referenden einleitete, die wichtige Teile des politischen Systems reformierte.
Tangentopoli
- Mai 1992 Beginn der Enthüllungen (ermöglicht wurden die Enthüllungen z.T. erst durch die großen Stimmeneinbußen der alten Parteien bei der Wahl im April 1992)
- dies gab den angeschlagenen Parteien den Todesstoß
Die Umwälzung des Parteiensystems und der Politikerelite zu Beginn der 90er Jahre hatte zwangsläufig auch negative Auswirkungen auf die Mafia, die dadurch ihren Zugang zu den öfentlichen Aufträgen zum Teil verlor und zugleich den Schutz des politischen Patrons verlor.
Das Überleben der Mafia als Machtstruktur hing davon ab, ob und in welcher Form sie erneute klientelistische Beziehungen zu den neuen politischen Kräften eingehen konnte.
In der 2. Hälfte der 1990er Jahre trat die Mafia nicht mehr mit spektakulären Aktionen gegen Staatsvertreter hervor, sondern konsolidierte sich und arrangierte sich mit den neuen Machthabern, speziell mit der neuen Partei FORZA Italia von Silvio Berlusconi, die in Sizilien die Christdemokraten als beherrschende Partei ablöste. Zahlreiche hohe Politiker der Forza Italia haben enge Kontakte zu Mafiosi und entwickelten ähnliche Abmachungen wie die Christdemokraten: Wählerstimmen gegen juristische Protektion.
Bei den Wahlen im Jahre 2001 errang dann die Forza Italia alle Direktmandate auf Sizilien.