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Mainz (ots) - Militärs in aller Welt suchen immer wieder nach neuen Möglichkeiten, den Soldaten die Hemmung vor dem Töten zu nehmen.
Das ZDF-Magazin "Abenteuer Wissen mit Wolf von Lojewski" geht am Mittwoch, 18. Juni 2003, 22.15 Uhr brisanten Fragen rund um die "Tödliche Entscheidung" auf den Grund.
Für die Generäle der Alliierten im Zweiten Weltkrieg war es ein Schock, als nach der legendären Landung in der Normandie eine Untersuchung ans Licht brachte, dass vier von fünf der Soldaten an der Front absichtlich daneben geschossen hatten. Experten bezeichnen das Phänomen als "Tötungshemmung". "Abenteuer Wissen mit Wolf von Lojewski" berichtet darüber, dass deutsche Militärs schon vor dem Zweiten Weltkrieg auf dieses "Problem" gestoßen waren und nach Methoden gesucht hatten, diese Hemmung zu überwinden.
Jetzt haben historische Untersuchungen ergeben, dass nach dem Krieg deutsche Experten, die sich mit der Überwindung der Tötungshemmung befasst hatten, von den Amerikanern in die USA geholt wurden. Von da an wurde gezielt nach neuen Möglichkeiten gesucht, den Soldaten die Hemmung vor dem Töten zu nehmen. Ausbildungsprogramme wurden mit Hilfe neuester psychologischer Forschung von Grund auf überarbeitet. Und tatsächlich sind die Militärs ihrem Ziel immer näher gekommen: Inzwischen beträgt die "kill rate" moderner Armeen über 90 Prozent. Mit ausgefeilten Methoden gelingt es immer mehr, die Tötungshemmung außer Kraft zu setzen.
Doch wohin führt bei den einzelnen Menschen das Tötungstraining, zu dem sogar Videospiele gehören, ganz ähnlich jenen, die bei Kindern und Jugendlichen so beliebt sind? Und welche Konsequenzen hat das für die Soldaten, wenn sie - wie jetzt wieder nach dem Golfkrieg - ins zivile Leben zurückkehren?
ZDF-Pressemitteilung | Pressemitteilung ZDF
3.1 "Leben und leben lassen" im ersten Weltkrieg
Das ZDF-Magazin "Abenteuer Wissen mit Wolf von Lojewski" geht am Mittwoch, 18. Juni 2003, 22.15 Uhr brisanten Fragen rund um die "Tödliche Entscheidung" auf den Grund.
Für die Generäle der Alliierten im Zweiten Weltkrieg war es ein Schock, als nach der legendären Landung in der Normandie eine Untersuchung ans Licht brachte, dass vier von fünf der Soldaten an der Front absichtlich daneben geschossen hatten. Experten bezeichnen das Phänomen als "Tötungshemmung". "Abenteuer Wissen mit Wolf von Lojewski" berichtet darüber, dass deutsche Militärs schon vor dem Zweiten Weltkrieg auf dieses "Problem" gestoßen waren und nach Methoden gesucht hatten, diese Hemmung zu überwinden.
Jetzt haben historische Untersuchungen ergeben, dass nach dem Krieg deutsche Experten, die sich mit der Überwindung der Tötungshemmung befasst hatten, von den Amerikanern in die USA geholt wurden. Von da an wurde gezielt nach neuen Möglichkeiten gesucht, den Soldaten die Hemmung vor dem Töten zu nehmen. Ausbildungsprogramme wurden mit Hilfe neuester psychologischer Forschung von Grund auf überarbeitet. Und tatsächlich sind die Militärs ihrem Ziel immer näher gekommen: Inzwischen beträgt die "kill rate" moderner Armeen über 90 Prozent. Mit ausgefeilten Methoden gelingt es immer mehr, die Tötungshemmung außer Kraft zu setzen.
Doch wohin führt bei den einzelnen Menschen das Tötungstraining, zu dem sogar Videospiele gehören, ganz ähnlich jenen, die bei Kindern und Jugendlichen so beliebt sind? Und welche Konsequenzen hat das für die Soldaten, wenn sie - wie jetzt wieder nach dem Golfkrieg - ins zivile Leben zurückkehren?
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[h=3]"Leben und leben lassen" im ersten Weltkrieg[/h] Eines der wohl eindrucksvollsten Beispiele für die "Evolution der Kooperation" hat Axelrod mit seiner Analyse des "Leben und leben lassen"-Systems im Grabenkrieg des ersten Weltkrieges geliefert(Axelrod:1984, S. 67-79). Axelrod stützt sich dabei auf die eingehende Studie des Soziologen Tony Ashworth (Ashworth:1980), der eine ausführliche historische Darstellung dieses Systems geliefert hat. Ashworth ist kein Spieltheoretiker und er versucht auch nicht die Entstehung des "Leben und leben lassen"-Systems evolutionär zu erklären. Dennoch beansprucht Ashworth durchaus, neben der bloßen historischen Beschreibung, eine Erklärung dafür zu liefern, wie das "Leben und leben lassen"-System in bestimmten Frontabschnitten entstehen konnte, warum es sich über eine gewisse Zeit hinweg erhalten konnte, und weshalb es schließlich zusammenbrach. Ashworth beschreibt dazu überaus differenziert die verschiedenen Faktoren, von denen das "Leben und leben lassen" System abhing.
Die Frage, die sich unserem Zusammenhang nun stellt, ist die, ob Axelrod, gestützt auf die evolutionäre Spieltheorie, eine bessere Erklärung dieses erstaunlichen Phänomens liefern kann, oder ob er zumindest bestimmte Aspekte der historischen Vorgänge erklären kann, die bei Ashworth im Dunkel geblieben sind. Dazu muss zunächst die Erklärung rekonstruiert werden, die Ashworth im Rahmen seiner historischen Darstellung für das "Leben und leben lassen"-System liefert.
Aber zuvor ist die Frage zu klären, die bei historischen Untersuchungen immer am Anfang steht: Was ist geschehen? Der Erste Weltkrieg ist im kollektiven Gedächnis als ein überaus brutaler und verlustreicher Krieg verankert. Es verbinden sich damit Erinnerungen an blutige Schlachten, wie die Schlacht bei Verdun oder die Schlacht an der Somme, in deren Verlauf innerhalb weniger Wochen zehntausende Menschen starben(James:2003, S. 52). Weit weniger bekannt ist, dass abseits der großen Schlachten an weiten Frontabschnitten oft längere Zeit eine erstaunliche Ruhe herrschte, und das obwohl sich die Gegner im Stellungskrieg beinahe Auge in Auge gegenüber standen. Mehr noch, wie Ashworth in seiner Studie heraus arbeitet, waren diese Ruhe-Phasen oftmals nicht bloß der Ausdruck von vergleichsweise weniger intensiven Kampfhandlungen, sondern sie beruhten häufig auf mehr oder weniger stillschweigenden Übereinkommen nach dem "Leben und leben lassen"-Prinzip (Ashworth:1980, S. 24ff.). Natürlich wurde dieses Prinzip zu keiner Zeit und auf keiner Seite von der offiziellen Militärdoktrin unterstützt, und gegen offene Fraternisierungen wurde disziplinarisch hart durchgegriffen. Dennoch gelang es den Soldaten an den festgefahrenen Fronten des Stellungskrieges sich durch dieses System zumindest phasenweise das Leben halbwegs erträglich zu gestalten.
Worin bestand dann aber das "Leben und leben lassen"-System, wenn offene Absprachen unmöglich waren? Ashworth identifiziert verschiedene Ausdrucksformen des "Leben- und Leben lassen"-Systems: So konnten die Kampfhandlungen etwa auf bestimmte Tageszeiten beschränkt werden, ebenso konnte der Beschuss auf bestimmte und immer wieder dieselben Ziele gelenkt werden, denen die gegnerischen Soldaten nur auszuweichen brauchten, um am Leben zu bleiben, schließlich war es auch möglich, absichtlich daneben zu schießen. Auf diese Weise konnte man dem eigenen Oberkommando sowohl den Verbrauch von Munition melden als auch den Gegern signalisieren, dass man sie nicht schädigen wollte. All dies beruhte natürlich auf Gegenseitigkeit, und das Verhalten konnte sofort geändert werden, wenn sich die Gegenseite nicht entsprechend verhielt. Ashworth hat diese verschiedenen Aspekte des "Leben- und leben lassen"-Systems zusammenfassend als eine "Ritualisierung der Aggression" beschrieben (Ashworth:1980, S. 99ff.). Diese Ritualisierung der Agression zwischen den Gegenern wurde ergänzt durch die Herausbildung einer regelrechten Ethik unter den Kameraden einer Seite, nach der "Ruhestörer" und "Scharfmacher", die sich nicht an die Abmachungen hielten, gehasst und verpönt waren (Ashworth:1980, S. 135ff.). Damit sind nur kurz und sehr grob die wichtigsten Aspekte des "Leben und leben lassen"-Systems umrissen. Ashworth geht noch auf zahlreiche weitere Faktoren ein, wie etwa die Rolle der unterschiedlichen Waffengattungen und die Kommandostruktur. Aber die Erörterung dieser Einzelheiten würde an dieser Stelle zu weit führen, auch wenn diese Einzelheiten keineswegs unwesentlich sind, und es weiterhin keineswegs unwesentlich ist, dass in der gröberen spieltheoretischen Analyse alle diese Feinheiten beinahe zwangsläufig unter den Tisch fallen.
Wie erklärt Ashworth nun das "Leben und leben lassen"-System. Da das System weit verbreitet war, muss man davon ausgehen, dass das System generische Ursachen (im Gegensatz zu historisch singulären) hat. Nach Ashworths Schätzung trat es bei einer durchschnittlichen Division immerhin während ca. eines Drittels aller Frontaufenthalte auf. Das bedeutet freilich auch, dass es nur während eines Drittels aller Frontaufenthalte auftrat. Wenn man also erklären will, wie es dazu kam, muss man ebenso erklären können, warum es häufig nicht dazu kam. In Ashworth Darstellung lassen sich folgende Ursachen für das "Leben- und leben lassen"-System ausmachen:
- Die strategische Situation: Festgefahrene Fronten
- Der nur natürliche Wunsch der meisten Soldaten, den Krieg zu überleben
- Die unpersönliche und bürokratisierte Struktur der Aggression (Ashworth:1980, S. 76ff.)
- Empathie mit den Soldaten auf der gegnerischen Seite
- Korpsgeist, der sich förderlich oder (bei Elite-Einheiten) hinderlich auf die Entwicklung des "Leben und leben lassen Systems" auswirken konnte
- Initialursachen wie Weihnachtswaffenstillstände, Schlechtwetterperioden, Gleichzeitiges Schweigen der Waffen aufgrund der Ähnlichkeit der Lebensabläufe in den feindlichen Gräben (z.B. infolge gleicher Essenszeiten)
3.1 "Leben und leben lassen" im ersten Weltkrieg