Ein paar geschichtliche Infos
Es gibt wenige Landstriche in Europa, die im Mittelalter eine so wechselvolle Geschichte hatten wie Unteritalien und Sizilien. Nach dem Zusammenbruch der Herrschaft der germanischen Ostgoten, deren letzter König Teja im Oktober 552 am Mons Lactarius (it. Monte Lattaro) nahe dem Vesuv in einer zwei Tage währenden mörderischen Schlacht von dem oströmischen (byzantinischen) Feldherrn Narses geschlagen wurde, konnte der Kaiser von Byzanz (Konstantinopel) wieder uneingeschränkt über den Süden der Apenninen-Halbinsel gebieten. Ja, Sizilien wurde im 7. Jahrhundert zeitweise sogar Mittelpunkt des Byzantinischen Reiches, das Kaiser Konstans II. 663 bis 668 von Syrakus (Sizilien) aus regierte.
Doch zur Ruhe kam Süditalien eigentlich nie! Noch im 6. Jahrhundert eroberten die germanischen Langobarden Benevent, auch in Capua und Salerno residierten lange Zeit langobardische Fürstengeschlechter als Herzöge. Im 8. Jahrhundert tauchte dann plötzlich ein neuer Gegner auf: die mohammedanischen »Sarazenen«, wie im Mittelalter die gegen die Christen kämpfenden Araber genannt wurden. Ihre Religion, der Islam, hatte nach dem Tode des Propheten Mohammed (732) einen Siegeszug ohnegleichen angetreten. Die Araber überrannten ganz Nordafrika und stießen über Spanien bis nach Frankreich hinein vor.
Schon im 8. Jahrhundert hatten von Nordafrika und Sizilien aus operierende Sarazenen die Küsten Süditaliens und Siziliens unsicher gemacht und die einheimische Bevölkerung hart bedrängt und ausgeplündert. Im 9. Jahrhundert ging ganz Sizilien aus dem Besitz der Byzantiner in die Hände der Sarazenen über: Palermo fiel 831, Enna im Innern der Insel 859 und Syrakus, das bedeutende Zentrum an der Ostküste, 878.
Die Sarazenen nutzten den Streit zwischen dem abendländischen und dem byzantinischen Kaiser geschickt aus. Dabei zeigte keine der streitenden Parteien Scheu, sich fremder Hilfe zu bedienen.
Neapel zum Beispiel führte Sarazenen ungeniert gegen Benevent ins Feld. Im Jahre 841 werden Bari und Tarent ein Opfer arabischer Eroberungslust. Und das Jahr 846 sieht die mohammedanischen Krieger gar an der Tibermündung. Sie plündern die außerhalb der Mauern Roms gelegenen altehrwürdigen Kirchen St. Peter und St. Paul, die beide ein Raub der Flammen werden.
Die abendländischen Kaiser hatten lange Zeit die durch die Araber im Süden ihres Reiches heraufbeschworene Gefahr nicht ernst genommen. Erst Kaiser Ludwig II. (855-875) holte zu einem Gegenschlag aus, scheiterte aber an dem hinterhältigen Spiel der einzelnen Parteien. Durch den Verrat des Fürsten von Benevent, der auf die byzantinische Seite übertrat, festigte sich der Einfluss von Byzanz wieder, das seinerseits den in sich zerstrittenen Sarazenen wichtige Teile Unteritaliens nach und nach wieder abnehmen konnte. Sizilien allerdings blieb im Besitz der Araber.
Leider ist aus der Zeit der eigentlichen Herrschaft der Sarazenen über Unteritalien und Sizilien an Dokumenten und Denkmälern nur sehr wenig erhalten. Doch wissen wir, dass die Sarazenen in Sizilien das Straßennetz ausbauten und Bewässerungsanlagen wieder in Ordnung brachten. Brauchten doch die Araber Nordafrikas den »harten, haltbaren, bis in fernste Oasen schadlos verschickbaren Weizen Siziliens« (Eckart Peterich).
Die Sarazenen siedelten in neu gegründeten Dörfern Bauern an, die einen Teil ihres Ernteertrages als Abzahlung für das ihnen zugewiesene Land abliefern mussten. Aber Sizilien exportierte damals nicht nur Getreide! Baumwolle, Zuckerrohr und aus dem Meer gewonnenes Salz brachten Schiffe an die Küsten Nordafrikas und des Vorderen Orients. Aus Syrien gelangten Maulbeersamen und Seidenwürmer nach Sizilien und aus Ägypten die Papyrusstaude, aus deren Mark sich feines Papier herstellen ließ.
Schließlich war die von den Sarazenen aufgebaute Verwaltung, die zur Blüte von Wirtschaft, Handel und Verkehr beitrug und für ein geordnetes Steueraufkommen sorgte, so vorbildlich, dass die das Erbe der Araber in Sizilien und Unteritalien antretenden Normannenkönige sie weithin übernahmen.