Hallo alle zusammen,
seid gegrüßt.
Was ist für Nietzsche "Wahrheit"?
"Was sind denn zuletzt die Wahrheiten des Menschen? - Es sind die unwiderlegbaren Irrtümer des Menschen."
Diese Worte gehören zur Fröhlichkeit der Fröhlichen Wissenschaft. Irrtum ist Regel und Norm, Wahrheit sind allenfalls in den widerlegbaren Irrtümern zu finden. Aber der Wunsch, Irrtümer zu widerlegen - der Wunsch nach "Redlichkeit" - ist selten, denn nicht die Wahrheit ist angenehm und erfreulich, sondern die Illusion - was selbst schon eine jener unangenehmen und unerfreulichen Wahrheiten ist. Wahrheit ist eine mehr Last als Lust. Sodass sich die Stärke eines Geistes danach bemäße, wie viel er von der 'Wahrheit' gerade noch aushielte, deutlicher, bis zu welchem Grad er sie verdünnt, verhüllt, versüßt, verdumpft, verfälscht nötig hätte.
Regel und Norm ist also nicht nur der Irrtum, sondern auch die Lüge, vor allem das sich selbst belügen, die, die gewöhnlichste Lüge ist. Das Belügen anderer ist relativ der Ausnahmefall.
Im Kampf gegen Verlogenheit (die Lüge mit "gutem Gewissen") zieht Nietzsche als Verfechter der Wahrheit ins Feld. Die eigentliche Lüge, die echte resolute 'ehrliche' Lüge (über deren Wert man Plato hören möge) wäre für unsere Gebildeten etwas bei weitem zu Strenges, zu Starkes. Alles, was sich heute als 'guter Mensch' fühlt, ist vollkommen unfähig, zu irgendeiner Sache anders zu stehen als unehrlich-verlogen, abgründlich-verlogen, aber unschuldig-verlogen, treuherzig-verlogen, blauäugig-verlogen, tugendhaft-verlogen.
Wo Nietzsche dagegen als Skeptiker der Erkenntnis auftritt, wo er über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne spricht, gilt ihm die begriffliche "Wahrheit" nur als fiktives Hilfskonstrukt, als "Bretterwerk der Begriffe". Die Kunst wird da ein gutes, ein notwendiges, ein kreatives Lügen. So wenig ein Leser heute die einzelnen Worte (oder gar Silben) einer Seite sämtlich abliest. Er nimmt vielmehr aus zwanzig Worten ungefähr fünf nach Zufall heraus und 'errät' den zu diesen fünf Worten mutmaßlich zugehörigen Sinn, ebenso wenig sehen wir einen Baum genau und vollständig. Selbst inmitten der seltsamsten Erlebnisse machen wir es noch ebenso. Dies alles will sagen: Wir sind von Grund aus, von alters her - ans Lügen gewöhnt. Oder, um es tugendhafter und heuchlerischer, kurz angenehmer auszudrücken: Man ist viel mehr Künstler als man weiß.
Ein Schritt weiter, und die Kunst ist mehr noch als ein Hilfsmittel, sie wird zur Schutzmacht. Hätten wir nicht die Künste gutgeheißen und diese Art von Kultus des Unwahren erfunden, so wäre die Einsicht in die allgemeine Unwahrheit und Verlogenheit, die uns jetzt durch die Wissenschaft gegeben wird, die Einsicht in den Wahn und Irrtum als in eine Bedingung des erkennenden und empfindenden Daseins, gar nicht auszuhalten.
Die Redlichkeit würde den Ekel und den Selbstmord im Gefolge haben. Nun aber hat unsere Redlichkeit eine Gegenmacht, die uns solchen Konsequenzen ausweichen hilft: die Kunst, als den guten Willen zum Schein. Kunst macht den Anblick des Lebens erträglich dadurch, dass sie den Flor des unreinen Denkens über dasselbe legt.
In diesem Sinne
LG
eure Gaia
seid gegrüßt.
Was ist für Nietzsche "Wahrheit"?
"Was sind denn zuletzt die Wahrheiten des Menschen? - Es sind die unwiderlegbaren Irrtümer des Menschen."
Diese Worte gehören zur Fröhlichkeit der Fröhlichen Wissenschaft. Irrtum ist Regel und Norm, Wahrheit sind allenfalls in den widerlegbaren Irrtümern zu finden. Aber der Wunsch, Irrtümer zu widerlegen - der Wunsch nach "Redlichkeit" - ist selten, denn nicht die Wahrheit ist angenehm und erfreulich, sondern die Illusion - was selbst schon eine jener unangenehmen und unerfreulichen Wahrheiten ist. Wahrheit ist eine mehr Last als Lust. Sodass sich die Stärke eines Geistes danach bemäße, wie viel er von der 'Wahrheit' gerade noch aushielte, deutlicher, bis zu welchem Grad er sie verdünnt, verhüllt, versüßt, verdumpft, verfälscht nötig hätte.
Regel und Norm ist also nicht nur der Irrtum, sondern auch die Lüge, vor allem das sich selbst belügen, die, die gewöhnlichste Lüge ist. Das Belügen anderer ist relativ der Ausnahmefall.
Im Kampf gegen Verlogenheit (die Lüge mit "gutem Gewissen") zieht Nietzsche als Verfechter der Wahrheit ins Feld. Die eigentliche Lüge, die echte resolute 'ehrliche' Lüge (über deren Wert man Plato hören möge) wäre für unsere Gebildeten etwas bei weitem zu Strenges, zu Starkes. Alles, was sich heute als 'guter Mensch' fühlt, ist vollkommen unfähig, zu irgendeiner Sache anders zu stehen als unehrlich-verlogen, abgründlich-verlogen, aber unschuldig-verlogen, treuherzig-verlogen, blauäugig-verlogen, tugendhaft-verlogen.
Wo Nietzsche dagegen als Skeptiker der Erkenntnis auftritt, wo er über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne spricht, gilt ihm die begriffliche "Wahrheit" nur als fiktives Hilfskonstrukt, als "Bretterwerk der Begriffe". Die Kunst wird da ein gutes, ein notwendiges, ein kreatives Lügen. So wenig ein Leser heute die einzelnen Worte (oder gar Silben) einer Seite sämtlich abliest. Er nimmt vielmehr aus zwanzig Worten ungefähr fünf nach Zufall heraus und 'errät' den zu diesen fünf Worten mutmaßlich zugehörigen Sinn, ebenso wenig sehen wir einen Baum genau und vollständig. Selbst inmitten der seltsamsten Erlebnisse machen wir es noch ebenso. Dies alles will sagen: Wir sind von Grund aus, von alters her - ans Lügen gewöhnt. Oder, um es tugendhafter und heuchlerischer, kurz angenehmer auszudrücken: Man ist viel mehr Künstler als man weiß.
Ein Schritt weiter, und die Kunst ist mehr noch als ein Hilfsmittel, sie wird zur Schutzmacht. Hätten wir nicht die Künste gutgeheißen und diese Art von Kultus des Unwahren erfunden, so wäre die Einsicht in die allgemeine Unwahrheit und Verlogenheit, die uns jetzt durch die Wissenschaft gegeben wird, die Einsicht in den Wahn und Irrtum als in eine Bedingung des erkennenden und empfindenden Daseins, gar nicht auszuhalten.
Die Redlichkeit würde den Ekel und den Selbstmord im Gefolge haben. Nun aber hat unsere Redlichkeit eine Gegenmacht, die uns solchen Konsequenzen ausweichen hilft: die Kunst, als den guten Willen zum Schein. Kunst macht den Anblick des Lebens erträglich dadurch, dass sie den Flor des unreinen Denkens über dasselbe legt.
In diesem Sinne
LG
eure Gaia