Von Urs Gehriger
Die Taliban sind zurück. Wer sie besiegen will, braucht militärische Schlagkraft und politische Entschlossenheit. Den Europäern fehlt beides.
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Es ist wie jedes Jahr zur Frühlingszeit. Wenn in Afghanistan der Schnee schmilzt, steigen bewaffnete Männer im schwarzen Turban die Hänge herunter und bringen Tod und Zerstörung in Dörfer und Städte. Wie eine hartnäckige Grippe suchen die Taliban Teile des Landes heim und schwächen es. Heuer ist die Angriffslust der Gotteskrieger besonders gross. Bei den schwersten Kämpfen seit dem Fall ihres Steinzeitregimes im Herbst 2001 starben letzte Woche im Süden und Osten Afghanistans gegen 200 Menschen.
Die Taliban sind nicht nur stärker geworden, sie haben auch ihre Taktik geändert. «Wir bilden 500 Selbstmordattentäter aus», erklärte Maulvi Rahmatullah Kakazada, ein führendes Taliban-Mitglied, vor wenigen Tagen im Gespräch mit der Weltwoche. Was in Afghanistan vor kurzem noch undenkbar schien, wird zum Trend. Seit dem Irak-Krieg haben die Selbstmordattentate am Hindukusch stetig zugenommen: 2004 waren es 4, letztes Jahr 17, dieses Jahr sind es bereits mehr als 20.
Ihre Rückkehr verdanken die Taliban dem Laisser-faire der Regierung Muscharraf im benachbarten Pakistan. Sie lässt die Gotteskrieger entlang ihrer Westgrenze gewähren. Von dort aus lancieren sie ihre Nadelstich-Aktionen. Die Folge: US-Truppen müssen immer mehr Soldaten einsetzen, um die Grenze eines Landes zu bewachen, das behauptet, integraler Teil der Anti-Terror-Allianz zu sein.
Seit bald fünf Jahren tragen die Amerikaner die Hauptlast im Kampf gegen die Taliban. 19000 US-Truppen stehen am Hindukusch im Einsatz. Nun wollen sie ihre Präsenz in den besonders umkämpften südlichen Provinzen reduzieren und Teile ihres Kontingents nach Osten verlagern. Somit schlägt für die Alliierten die Stunde der Wahrheit. Bis im Sommer soll die von der Nato geführte Internationale Schutztruppe (Isaf) Verantwortung in den Taliban-Hochburgen übernehmen.
Nato, Bündnis der Pygmäen
Nach den Terroranschlägen von 9/11 aktivierte die Nato erstmals Artikel 5 ihrer Charta: Der Angriff auf die USA war demnach auch ein Angriff auf alle anderen Bündnisstaaten, welche den Amerikanern im Afghanistan-Krieg ihre Dienste anboten. Im Feld gebärden sich die meisten Nato-Mitglieder indessen wie ein Haufen keifender Pygmäen. Jede Entsendung von Soldaten oder eines Flugzeugs kommt erst nach monatelangem Streit zwischen europäischen Hauptstädten und dem Nato-Hauptquartier zustande.
Viele Regierungen sind gar nicht erst bereit, eine tragende Rolle zu übernehmen, die über ein Peace-Keeping hinausgeht. Jedes Land bringt Extrawünsche ein. So verlassen die spanischen Truppen kaum je ihr Hauptquartier. Die Deutschen erlauben keinen anderen Truppen der Nato, in ihren Helikoptern zu fliegen. Jede Nation hat ein anderes Konzept, wie sie ihren Sektor managt, was ein einheitliches Aufbauprogramm praktisch unmöglich macht.
Die Afghanen beobachten den Eiertanz der Europäer mit Befremden: Gemäss einer jüngst durchgeführten Umfrage der BBC werten bloss 25 Prozent den Einfluss der Franzosen als positiv, den Deutschen vertrauen gar nur 21 Prozent. Einzig die Amerikaner erhalten hohen Zuspruch: 72 Prozent der Afghanen loben das US-Engagement.
Das Hadern der Europäer zeugt von einem Mentalitätswandel in den letzten 15 Jahren. Nach dem Kalten Krieg verbreitete sich der Irrtum, die Zeit der Armeeeinsätze sei vorbei, Regierungen schraubten den Militäretat in den Keller und lenkten das Geld in zivile Projekte. Derweil drehte sich die Welt weiter, neue Gefahren erwuchsen an der Peripherie Europas, gegen die man bis heute weder mental noch militärisch gewappnet ist.
Das Image des unzuverlässigen Europäers manifestiert sich auch im Irak. Drei Jahre nach der Invasion bekommen die meisten Regierungen kalte Füsse, reden bloss noch vom Rückzug, obwohl das Land noch weit weg ist von Stabilität. Symbolcharakter hatte der überstürzte Abzug der Spanier nach der Wahl des linken José Luis Rodriguez Zapatero 2004. Nun macht es ihm sein italienischer Kollege Romano Prodi nach.
Wie verheerend solche Schritte sind, zeigt ein Blick in die einschlägigen Terror-Websites: Überall Triumphgebaren über die «europäischen Schwächlinge». Fazit: Ein Terroranschlag vor der Haustür und martialisches Drohen – schon knickt der Europäer ein. Dies scheint weder Prodi noch Zapatero zu kümmern. Mit einem raschen Truppenrückzug holen sie sich Applaus im Volk; um die Zukunft der Iraker sollen sich andere kümmern.
Doch was im Irak Schule macht, dürften sich die Alliierten in Afghanistan nicht leisten. Dort war man von Beginn weg mit Washington in einem Boot. Dennoch sind weder Prodi noch Zapatero, weder die Franzosen noch die Deutschen bereit, an Kampfeinsätzen gegen die Taliban teilzunehmen. Ganz nach dem Motto: Wer nichts riskiert, macht auch nichts falsch; und wenn etwas schief läuft, sind die Amerikaner schuld. Ein Verhalten, das an Kurzsichtigkeit kaum zu überbieten ist. Schon einmal wurde Afghanistan schmählich im Stich gelassen. Das Resultat war für die westliche Welt verheerend.
Die Taliban sind zurück. Wer sie besiegen will, braucht militärische Schlagkraft und politische Entschlossenheit. Den Europäern fehlt beides.
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Es ist wie jedes Jahr zur Frühlingszeit. Wenn in Afghanistan der Schnee schmilzt, steigen bewaffnete Männer im schwarzen Turban die Hänge herunter und bringen Tod und Zerstörung in Dörfer und Städte. Wie eine hartnäckige Grippe suchen die Taliban Teile des Landes heim und schwächen es. Heuer ist die Angriffslust der Gotteskrieger besonders gross. Bei den schwersten Kämpfen seit dem Fall ihres Steinzeitregimes im Herbst 2001 starben letzte Woche im Süden und Osten Afghanistans gegen 200 Menschen.
Die Taliban sind nicht nur stärker geworden, sie haben auch ihre Taktik geändert. «Wir bilden 500 Selbstmordattentäter aus», erklärte Maulvi Rahmatullah Kakazada, ein führendes Taliban-Mitglied, vor wenigen Tagen im Gespräch mit der Weltwoche. Was in Afghanistan vor kurzem noch undenkbar schien, wird zum Trend. Seit dem Irak-Krieg haben die Selbstmordattentate am Hindukusch stetig zugenommen: 2004 waren es 4, letztes Jahr 17, dieses Jahr sind es bereits mehr als 20.
Ihre Rückkehr verdanken die Taliban dem Laisser-faire der Regierung Muscharraf im benachbarten Pakistan. Sie lässt die Gotteskrieger entlang ihrer Westgrenze gewähren. Von dort aus lancieren sie ihre Nadelstich-Aktionen. Die Folge: US-Truppen müssen immer mehr Soldaten einsetzen, um die Grenze eines Landes zu bewachen, das behauptet, integraler Teil der Anti-Terror-Allianz zu sein.
Seit bald fünf Jahren tragen die Amerikaner die Hauptlast im Kampf gegen die Taliban. 19000 US-Truppen stehen am Hindukusch im Einsatz. Nun wollen sie ihre Präsenz in den besonders umkämpften südlichen Provinzen reduzieren und Teile ihres Kontingents nach Osten verlagern. Somit schlägt für die Alliierten die Stunde der Wahrheit. Bis im Sommer soll die von der Nato geführte Internationale Schutztruppe (Isaf) Verantwortung in den Taliban-Hochburgen übernehmen.
Nato, Bündnis der Pygmäen
Nach den Terroranschlägen von 9/11 aktivierte die Nato erstmals Artikel 5 ihrer Charta: Der Angriff auf die USA war demnach auch ein Angriff auf alle anderen Bündnisstaaten, welche den Amerikanern im Afghanistan-Krieg ihre Dienste anboten. Im Feld gebärden sich die meisten Nato-Mitglieder indessen wie ein Haufen keifender Pygmäen. Jede Entsendung von Soldaten oder eines Flugzeugs kommt erst nach monatelangem Streit zwischen europäischen Hauptstädten und dem Nato-Hauptquartier zustande.
Viele Regierungen sind gar nicht erst bereit, eine tragende Rolle zu übernehmen, die über ein Peace-Keeping hinausgeht. Jedes Land bringt Extrawünsche ein. So verlassen die spanischen Truppen kaum je ihr Hauptquartier. Die Deutschen erlauben keinen anderen Truppen der Nato, in ihren Helikoptern zu fliegen. Jede Nation hat ein anderes Konzept, wie sie ihren Sektor managt, was ein einheitliches Aufbauprogramm praktisch unmöglich macht.
Die Afghanen beobachten den Eiertanz der Europäer mit Befremden: Gemäss einer jüngst durchgeführten Umfrage der BBC werten bloss 25 Prozent den Einfluss der Franzosen als positiv, den Deutschen vertrauen gar nur 21 Prozent. Einzig die Amerikaner erhalten hohen Zuspruch: 72 Prozent der Afghanen loben das US-Engagement.
Das Hadern der Europäer zeugt von einem Mentalitätswandel in den letzten 15 Jahren. Nach dem Kalten Krieg verbreitete sich der Irrtum, die Zeit der Armeeeinsätze sei vorbei, Regierungen schraubten den Militäretat in den Keller und lenkten das Geld in zivile Projekte. Derweil drehte sich die Welt weiter, neue Gefahren erwuchsen an der Peripherie Europas, gegen die man bis heute weder mental noch militärisch gewappnet ist.
Das Image des unzuverlässigen Europäers manifestiert sich auch im Irak. Drei Jahre nach der Invasion bekommen die meisten Regierungen kalte Füsse, reden bloss noch vom Rückzug, obwohl das Land noch weit weg ist von Stabilität. Symbolcharakter hatte der überstürzte Abzug der Spanier nach der Wahl des linken José Luis Rodriguez Zapatero 2004. Nun macht es ihm sein italienischer Kollege Romano Prodi nach.
Wie verheerend solche Schritte sind, zeigt ein Blick in die einschlägigen Terror-Websites: Überall Triumphgebaren über die «europäischen Schwächlinge». Fazit: Ein Terroranschlag vor der Haustür und martialisches Drohen – schon knickt der Europäer ein. Dies scheint weder Prodi noch Zapatero zu kümmern. Mit einem raschen Truppenrückzug holen sie sich Applaus im Volk; um die Zukunft der Iraker sollen sich andere kümmern.
Doch was im Irak Schule macht, dürften sich die Alliierten in Afghanistan nicht leisten. Dort war man von Beginn weg mit Washington in einem Boot. Dennoch sind weder Prodi noch Zapatero, weder die Franzosen noch die Deutschen bereit, an Kampfeinsätzen gegen die Taliban teilzunehmen. Ganz nach dem Motto: Wer nichts riskiert, macht auch nichts falsch; und wenn etwas schief läuft, sind die Amerikaner schuld. Ein Verhalten, das an Kurzsichtigkeit kaum zu überbieten ist. Schon einmal wurde Afghanistan schmählich im Stich gelassen. Das Resultat war für die westliche Welt verheerend.