Katana
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Am Dienstag kam der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan für zwei Tage nach Deutschland um die weltweit größte türkische Botschaft in Berlin zu eröffnen, an Veranstaltungen teilzunehmen und um sich mit Angelo Märtä zu treffen.

[h=1]Erdogans dreifacher Punktsieg über die Kanzlerin[/h]Der türkische Premierminister Erdogan wirbt in Berlin für schnellere EU-Beitritts-Verhandlungen - aus Kalkül. Die Bundeskanzlerin lässt er bei seinem Besuch nicht gut aussehen.
Es ist ein Ritual geworden. Bei jedem der gar nicht mehr so seltenen Besuche türkischer Spitzenpolitiker in Deutschland oder deutscher Kollegen in der Türkei bringt man einander mit dem Thema EU-Beitritt in die Bredouille.
Da geht es dann auch darum, wer am Ende besser dasteht; ob die deutsche Seite ihre Vorbehalte gegen einen Beitritt des Landes als wohlbegründet darstellen kann oder die Türken ihren Willen nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern als Herzensanliegen verkaufen können.
Diesmal geht der Punktsieg eindeutig an die Türken. Ihr Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte bei seinem zweitägigen Berlin-Besuch gleich drei Gelegenheiten, sich als überzeugten aufgeklärten Europäer vorzustellen.
Einmal am Dienstag bei der Einweihung der neuen türkischen Botschaft am Berliner Tiergarten, die der Anlass seines Deutschland-Besuchs war. Der 30 Millionen Euro teure Bau ist die größte Auslandsvertretung der Türkei überhaupt.
Eine zweite Gelegenheit bot sich bei der "Townhall-Konferenz" des Nicolas Berggruen Institute of Governance, eine dritte während des einstündigen Gesprächs mit der Kanzlerin und der Presseunterrichtung am Mittwoch.
Erdogan hat alle drei Chancen genutzt, um für sein Land als Teil Europas zu werben. Die deutsche Seite ließ er dabei manchmal bedröppelt aussehen. Sogar skeptische Deutsch-Türken überraschte er.
[h=2]Türken sollen Kant und Hegel lesen[/h] Zur Einweihung der Botschaft kam Erdogan auf die Deutschkenntnisse der hier lebenden türkischstämmigen Bürger zu sprechen. Da wurden Erinnerungen wach an seinen Auftritt vor vier Jahren in Köln, als er die Assimilation seiner Landsleute als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geißelte.
Anders nun in Berlin: "Wir wollen, dass die Türken in Deutschland fließend Deutsch sprechen.” In diesem Sinne müssten sie Doppelsprachler sein und sich am Leben beteiligen. Nicht nur türkische Autoren sollten sie kennen, "sondern auch Hegel, Kant und Goethe verstehen".
Damit verwarf Erdogan offensichtlich seine Assimilationsthese. Wer den Aufklärer Kant und den Idealisten Hegel "verstehen" will, muss sich mit mehr als der Sprache, in der sie schrieben, auseinandersetzen.
Der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland zeigte sich erstaunt. "Das war ein ganz anderer Zungenschlag als in den bisherigen Reden von Erdogan", sagte Kenan Kolat. Offenbar habe sich Erdogan von der "Diaspora-Politik" abgewandt und einer Gleichstellungs- und Teilhabepolitik für die türkischstämmigen Bürger angenähert.
[h=2]Erdogan fordert doppelte Staatsbürgerschaft[/h] Zur Teilhabepolitik gehört für Erdogan aber die doppelte Staatsbürgerschaft. Offensiv forderte er eine solche Regelung von der Kanzlerin und setzte sie unter Druck, indem er die 50.000 Deutschen in der Türkei ermunterte, dort den Doppelpass zu beantragen. "Wir haben kein Problem damit."
In dieser für die Kanzlerin als CDU-Chefin politisch brisanten Forderung ist sich Erdogan einig mit seinen größten Kritikern, die während seines Besuchs hinter dem Brandenburger Tor protestierten.
Vor allem Aleviten sind zusammengekommen. Viele Anhänger dieser Glaubensrichtung in der Türkei, die 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen, leiden unter Diskriminierung.
Auch deutsche Politiker wie Grünen-Chefin Claudia Roth forderten vor den etwa 2000 Demonstranten die doppelte Staatsbürgerschaft und eine bessere Minderheitenpolitik: "Die kurdische Realität muss anerkannt werden."
Tatsächlich fürchtet Erdogan nur wenig so sehr wie einen kurdischen Staat. Berichte über den Hungerstreik von rund 750 kurdischen Gefängnisinsassen wies er zurück.
Im Hungerstreik befinde sich nur eine Person, das sei alles "eine Show". Dabei griff er in seine Jackentasche und holte weiße Zettel hervor. Er habe Fotos, mit denen er beweisen könne, dass die Berichte falsch seien. In die Kameras wollte er sie jedoch nicht halten.
[h=2]Merkel macht Erdogan Zugeständnisse[/h] "Ich umarme alle Türken", sagte er schließlich, als wollte er alle Zweifel zerstreuen. Angela Merkel konnte der Version ihres Gastes schlecht widersprechen. Vielmehr musste sie Erdogan auch noch ein Zugeständnis machen.
Er beklagte, dass Deutschland zu wenig gegen Vertreter der kurdischen Arbeiterpartei PKK unternehme. "Es darf keine separatistischen Terrororganisationen geben in der EU", sagte er.
Obwohl es erhebliche Zweifel an der von der Türkei behaupteten PKK-Unterstützung durch Deutsche gibt, gab sich Merkel verständnisvoll: "Wir sind hilfreich, wo es um terroristische Aktivitäten der PKK geht."
Hilfreich und vor allem ehrlich wollten Deutschland und die EU auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei führen. "Die EU ist ein ehrlicher Verhandlungspartner", sagte Merkel. Erdogan hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt kurz vor seiner Abreise nicht nur als nützlicher, sondern als notwendiger Partner Deutschlands dargestellt.
"Für die Diplomatie in der ganzen Welt wird es wichtig sein, dass wir noch enger zusammenkommen", sagte er und unterstrich damit den Anspruch, mit dem er gekommen ist – sicher nicht als Vertreter einer lokalen Macht. In Deutschland sieht Erdogan beim Bestreben, die Türkei unter die wichtigsten Staaten zu führen, den zentralen europäischen Partner.
[h=2]Türkei gibt sich als notwendiger Partner[/h] Doch der muss erst richtig gewonnen werden. Erdogans Strategie ist, nicht als Bittsteller aufzutreten, sondern sich unverzichtbar zu machen.
Wenn die EU die Türkei heraushalten wolle, weil die Türkei ein islamischer Staat ist, "wird die EU verlieren. Wir nicht. Wir erstarken von Tag zu Tag", sagte er beim Berggruen-Institute.
Das Jahr 2023 nannte er als spätesten Beitrittstermin. Aber: "Ich glaube, die Menschen wollen nicht so lange warten." Viele Experten glauben aber, es sei ihm ganz recht, mindestens so lange zu warten. Im Moment lässt sich leicht behaupten, dass man die Voraussetzungen für den Beitritt längst erfülle; es unterliegt ja keiner Überprüfung. Gleichzeitig wächst die wirtschaftliche Bedeutung des Landes.
[h=2]Merkel beneidet Dynamik der Türkei[/h] Merkel sprach sogar davon, dass man sich eine solche Dynamik für die Euro-Zone wünsche. Dieser Euro-Zone will Erdogan großzügig helfen.
"Die Türkei ist keine Last für Europa. Die Türkei will Lasten übernehmen." Sein Land habe fast alle Schulden an den Internationalen Währungsfonds zurückgezahlt, "und heute können wir der EU ein Darlehen geben".
Mit dem Bürgerkrieg in Syrien, in den sich Ankara militärisch einschaltet, wächst die strategische Bedeutung der Türkei noch einmal. Wieder tritt Erdogan selbstbewusst auf, fordert von den Vereinten Nationen, über eine Flugverbotszone zu diskutieren.
Erdogan gelingt es in Berlin, an das schlechte Gewissen der Deutschen und Europäer zu appellieren, ja, das Heraushalten seines Landes aus der EU geradezu als unverständlich darzustellen.
Merkels Antwort auf die Journalisten-Frage, ob ihre Worte von der großen Bedeutung der Türkei und dem Nein zu einem Beitritt nicht einen Widerspruch darstellen, dürfte auf Dauer weder Türken, noch viele Europäer überzeugen.
"Bevor ich Bundeskanzlerin wurde, war die Haltung meiner Partei schon dieselbe wie heute." In der Frage der Vollmitgliedschaft stimmten sie und Erdogan eben nicht überein. "Damit haben wir gelernt zu leben." Ende Februar 2013 reist Merkel zum Gegenbesuch in die Türkei.
Staatsbesuch: Erdogans dreifacher Punktsieg über die Kanzlerin - Nachrichten Politik - Deutschland - DIE WELT
