[h1]Erfolg für Karadzic[/h1]
[h4]Die Bundesregierung muss Dokumente offenlegen, die Radovan Karadzic für seine Verteidigung als wichtig ansieht. Deutschland wehrt sich gegen den Antrag des früheren Führers der bosnischen Serben - bisher jedoch nur bedingt erfolgreich.[/h4]
Von Reinhard Müller
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In der Offensive: Karadzic wurde im Sommer 2008 gefasst
31. Mai 2010 Ein Erfolg für Radovan Karadzic: Der in Den Haag inhaftierte frühere Führer der bosnischen Serben hat vor dem UN-Jugoslawien-Tribunal einen Sieg über Deutschland errungen. Die Bundesregierung muss - falls eine Entscheidung vom 19. Mai Bestand haben sollte - auf Antrag von Karadzic Dokumente herausgeben, die der Angeklagte für seine Verteidigung als wichtig ansieht.
Karadzic, der schon vor 15 Jahren wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstößen gegen das Kriegsrecht anklagt und erst im Sommer 2008 gefasst worden ist, ist damit in die Offensive gegangen. Anfang März nannte er die Haager Anklagebehörde eine „Disziplinarkommission der Nato“. Das Gericht bezeichnet er als „Schande für die internationale Staatengemeinschaft“. Schon früh hatte er gesagt, ihm sei 1996 von den Amerikanern zugesichert worden, falls er untertauche, werde ihm später nichts geschehen. Unwahrscheinlich ist das nicht, es ist nur schwer von einem Gericht zu berücksichtigen, das zwar vom UN-Sicherheitsrat geschaffen wurde, sich aber im Kern als unabhängig erweisen hat.
[h3]Deutschland wehrt sich[/h3]
Karadzic und seine Verteidiger verlangen nun von der Bundesregierung, acht Kategorien von Dokumenten vorzulegen: Es geht um Berichte und Memoranden, Korrespondenzen, um Informationen des Bundesnachrichtendienstes mit Blick etwa auf Waffenlieferungen nach Bosnien 1995, insbesondere nach Srebrenica. Ferner verlangt der Angeklagte sämtliche Informationen über ein Treffen von Nato-Verteidigungsministern in Key West in Florida im selben Jahr; auch hier soll es um Waffenlieferungen nach Bosnien gegangen sein. Zudem geht es Karadzic um die „Infiltration“ von EU- und UN-Missionen durch den BND; hier fordert er Unterlagen einer Untersuchung der Parlamentarischen Kontrollkommission. Und schließlich begehrt der Angeklagte sämtliche Unterlagen über seine Aussagen zum Massaker von Srebrenica 1995.
Deutschland wehrt sich gegen den Antrag: Keines der Dokumente, die Waffentransporte nach Bosnien beträfen, habe irgendeine Bedeutung für die Anklagepunkte und für das, was Karadzic beweisen wollen. Die Bundesregierung beruft sich auf die nationalen Sicherheitsinteressen Deutschlands, so weit es um Dokumente von Geheimdiensten geht, sowie auf die Rechte anderer betroffener Staaten.
Doch die deutsche Abwehrstrategie war bisher nur bedingt erfolgreich. Die Kammer unter Vorsitz des südkoreanischen Richters O-Gon Kwon mit dem Briten Howard Morrison und Melville Baird aus Trinidad und Tobago hält es für plausibel, dass Karadzic die Dokumente benötigen könnte - um etwa auch für die Richter die Frage zu klären, inwieweit die Bewohner von Srebrenica seinerzeit bewaffnet waren. Stehen dem deutsche Geheimhaltungsinteressen entgegen? Das UN-Tribunal verweist darauf, dass sich ein Staat keineswegs pauschal auf die nationale Sicherheit berufen könne, um Unterlagen zurückzuhalten und die Zusammenarbeit mit dem Gericht zu verweigern. Es gebe kein „Blanko-Recht“. Andernfalls wäre der Zweck des Gerichts gefährdet.
Die Kammer entschied mit Mehrheit - der Vorsitzende Kwon gab ein Sondervotum an -, dass Deutschland nach den von Karadzic verlangten Dokumenten mit Blick auf Waffentransporte suchen und sie dem Angeklagten aushändigen muss. Die Bundesregierung muss ferner der Kammer bis zum 8. Juni anzeigen, welche Dokumente von nationalen Sicherheitsinteressen oder den Interessen anderer Staaten betroffen sein könnten. So weit notwendig, könnte Berlin dann immer noch Schutzmaßnahmen ergreifen und gegen die Verwendung konkreter Unterlagen im Verfahren Einwände erheben.
In Berlin wird derweil an dem Rechtsmittel gegen die Entscheidung gearbeitet. Man will mit dem Tribunal zusammenarbeiten, hält aber die Anträge Karadzics zur Wahrheitsfindung im Prozess für ungeeignet. Beobachter in Den Haag freilich weisen auch auf die historische Wahrheit hin, die in Den Haag herausgefunden werden solle. Das jedoch hat schon den Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Milosevic so in die Länge gezogen, dass dieser in Haft starb. Jedenfalls zeigt die Haager Entscheidung zugunsten Karadzics, dass sich die Richter bemühen, gerade nicht als Büttel jener Staaten zu erscheinen, die seinerzeit Krieg gegen Jugoslawien führten.
[h4]Die Bundesregierung muss Dokumente offenlegen, die Radovan Karadzic für seine Verteidigung als wichtig ansieht. Deutschland wehrt sich gegen den Antrag des früheren Führers der bosnischen Serben - bisher jedoch nur bedingt erfolgreich.[/h4]
Von Reinhard Müller
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In der Offensive: Karadzic wurde im Sommer 2008 gefasst
31. Mai 2010 Ein Erfolg für Radovan Karadzic: Der in Den Haag inhaftierte frühere Führer der bosnischen Serben hat vor dem UN-Jugoslawien-Tribunal einen Sieg über Deutschland errungen. Die Bundesregierung muss - falls eine Entscheidung vom 19. Mai Bestand haben sollte - auf Antrag von Karadzic Dokumente herausgeben, die der Angeklagte für seine Verteidigung als wichtig ansieht.
Karadzic, der schon vor 15 Jahren wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstößen gegen das Kriegsrecht anklagt und erst im Sommer 2008 gefasst worden ist, ist damit in die Offensive gegangen. Anfang März nannte er die Haager Anklagebehörde eine „Disziplinarkommission der Nato“. Das Gericht bezeichnet er als „Schande für die internationale Staatengemeinschaft“. Schon früh hatte er gesagt, ihm sei 1996 von den Amerikanern zugesichert worden, falls er untertauche, werde ihm später nichts geschehen. Unwahrscheinlich ist das nicht, es ist nur schwer von einem Gericht zu berücksichtigen, das zwar vom UN-Sicherheitsrat geschaffen wurde, sich aber im Kern als unabhängig erweisen hat.
[h3]Deutschland wehrt sich[/h3]
Karadzic und seine Verteidiger verlangen nun von der Bundesregierung, acht Kategorien von Dokumenten vorzulegen: Es geht um Berichte und Memoranden, Korrespondenzen, um Informationen des Bundesnachrichtendienstes mit Blick etwa auf Waffenlieferungen nach Bosnien 1995, insbesondere nach Srebrenica. Ferner verlangt der Angeklagte sämtliche Informationen über ein Treffen von Nato-Verteidigungsministern in Key West in Florida im selben Jahr; auch hier soll es um Waffenlieferungen nach Bosnien gegangen sein. Zudem geht es Karadzic um die „Infiltration“ von EU- und UN-Missionen durch den BND; hier fordert er Unterlagen einer Untersuchung der Parlamentarischen Kontrollkommission. Und schließlich begehrt der Angeklagte sämtliche Unterlagen über seine Aussagen zum Massaker von Srebrenica 1995.
Deutschland wehrt sich gegen den Antrag: Keines der Dokumente, die Waffentransporte nach Bosnien beträfen, habe irgendeine Bedeutung für die Anklagepunkte und für das, was Karadzic beweisen wollen. Die Bundesregierung beruft sich auf die nationalen Sicherheitsinteressen Deutschlands, so weit es um Dokumente von Geheimdiensten geht, sowie auf die Rechte anderer betroffener Staaten.
Doch die deutsche Abwehrstrategie war bisher nur bedingt erfolgreich. Die Kammer unter Vorsitz des südkoreanischen Richters O-Gon Kwon mit dem Briten Howard Morrison und Melville Baird aus Trinidad und Tobago hält es für plausibel, dass Karadzic die Dokumente benötigen könnte - um etwa auch für die Richter die Frage zu klären, inwieweit die Bewohner von Srebrenica seinerzeit bewaffnet waren. Stehen dem deutsche Geheimhaltungsinteressen entgegen? Das UN-Tribunal verweist darauf, dass sich ein Staat keineswegs pauschal auf die nationale Sicherheit berufen könne, um Unterlagen zurückzuhalten und die Zusammenarbeit mit dem Gericht zu verweigern. Es gebe kein „Blanko-Recht“. Andernfalls wäre der Zweck des Gerichts gefährdet.
Die Kammer entschied mit Mehrheit - der Vorsitzende Kwon gab ein Sondervotum an -, dass Deutschland nach den von Karadzic verlangten Dokumenten mit Blick auf Waffentransporte suchen und sie dem Angeklagten aushändigen muss. Die Bundesregierung muss ferner der Kammer bis zum 8. Juni anzeigen, welche Dokumente von nationalen Sicherheitsinteressen oder den Interessen anderer Staaten betroffen sein könnten. So weit notwendig, könnte Berlin dann immer noch Schutzmaßnahmen ergreifen und gegen die Verwendung konkreter Unterlagen im Verfahren Einwände erheben.
In Berlin wird derweil an dem Rechtsmittel gegen die Entscheidung gearbeitet. Man will mit dem Tribunal zusammenarbeiten, hält aber die Anträge Karadzics zur Wahrheitsfindung im Prozess für ungeeignet. Beobachter in Den Haag freilich weisen auch auf die historische Wahrheit hin, die in Den Haag herausgefunden werden solle. Das jedoch hat schon den Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Milosevic so in die Länge gezogen, dass dieser in Haft starb. Jedenfalls zeigt die Haager Entscheidung zugunsten Karadzics, dass sich die Richter bemühen, gerade nicht als Büttel jener Staaten zu erscheinen, die seinerzeit Krieg gegen Jugoslawien führten.