Knutholhand
Oj Hrvatska Mati
http://www.welt.de/kultur/article3533987/Es-waren-die-Roemer-die-Jesus-ermordeten.html
Es waren die Römer, die Jesus ermordeten
(133) Von Gerd Lüdemann 10. April 2009, 09:00 Uhr
Wer war für den Tod Jesu verantwortlich? Die Tendenz, den Juden die Schuld in die Schuhe zu schieben, basiert vor allem auf den Passionsgeschichten der Evangelien. Doch dem widersprechen andere Quellen. Sie belegen: Jesu Exekution war ein Justizmord, ausgeführt allein durch die römische Staatsmacht.
Foto: akg
Noch immer hält sich die These, dass das jüdische Volk für den Tod Jesu verantwortlich sei. Sie ist historisch jedoch nicht begründet
Die Anklage, das jüdische Volk habe Gott ermordet, entstammt frühchristlicher Tradition. Sie ist zuerst nachweisbar bei Bischof Melito von Sardes Mitte des 2. Jahrhunderts ("Gott ist getötet worden, der König Israels beseitigt worden von Israels Hand") und gehört seitdem zum festen Arsenal christlicher Judenfeindschaft.
Erst das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils "über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen" nahm die im Vorwurf des Gottesmordes implizierte These der jüdischen Kollektivschuld zurück, hielt aber weiter an der belastenden Aussage fest, die jüdischen Obrigkeiten hätten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen.
Der Inhalt der vier neutestamentlichen Evangelien bestätigt die Auffassung, dass die jüdische Führung den Tod Christi verlangt hat. Indes lassen bereits Eigenart und geschichtlicher Kontext der Evangelien Skepsis gegenüber der These aufkommen.
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Die Evangelien (deren unbekannte Verfasser in diesem Text bei ihren traditionellen Namen genannt werden) werben zunächst für den Glauben an den Gottessohn Jesus Christus und sind erst in zweiter Linie historische Berichte. Hinsichtlich ihres literarischen Verhältnisses zueinander gilt die Faustregel: Matthäus, Lukas und in einem geringeren Maße Johannes benutzen das Markusevangelium.
Die Leidensgeschichte des Markus wird vorbereitet durch drei Leidensweissagungen Jesu, die das Evangelium geradezu strukturieren. Ihr antijüdischer Inhalt: Jesus zieht nach Jerusalem, um von den Oberen der Juden zu Tode gebracht zu werden.
Angesichts dessen ist es nicht mehr verwunderlich, dass später alle Hohenpriester, Ältesten und Schriftgelehrten Jesus zum Tode verurteilen und ihn Pilatus ausliefern. Dieser will Jesus losgeben, weil er "erkannte, dass ihn die Hohenpriester aus Neid überstellt hatten". Sein Ansinnen wird dann aber von den jüdischen Führern verhindert. Pilatus kann sich ihnen gegenüber nicht durchsetzen.
Die Tendenz, den Juden die Schuld am Tode Jesu in die Schuhe zu schieben, nimmt in den Passionsgeschichten der anderen drei Evangelien noch zu. Die Zielsetzung des Matthäus ist aus folgenden Ergänzungen zum Markus-Text zu erkennen:
a) Die Frau des Pilatus lässt ihrem Mann ausrichten: "Nichts soll es geben zwischen dir und jenem Gerechten; denn ich habe heute vieles erlitten im Traum um seinetwillen." Eine römische Frau wird zur Unschuldszeugin, während das jüdische Volk, angestachelt von seinen Führern, den Tod Jesu fordert und Schuld auf sich lädt.
b) Als Pilatus erkennt, dass das jüdische Volk die Kreuzigung Jesu verlangt, nimmt er, so Matthäus, Wasser, wäscht sich vor dem Volk die Hände und sagt: "Ich bin unschuldig an diesem Blut; seht ihr zu!" Pilatus bekräftigt demnach das Urteil seiner Frau: Jesus ist als Gerechter unschuldig.
c) Der erste Evangelist lässt das jüdische Volk im Rahmen des Prozesses Jesu sogar sagen: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder", nämlich - so hat man zu ergänzen - wenn er unschuldig ist. Für Matthäus, der an der Unschuld Jesu natürlich keinen Zweifel hat, heißt das: Die jüdischen Ankläger haben die blutige Strafe, die sie für den Tod Jesu tragen müssen, selber heraufbeschworen. Dem entspricht, dass Matthäus, ebenso wie Markus und Lukas, in der Ablehnung Jesu den Grund für die spätere Zerstörung Jerusalems durch die Römer sieht.
Lukas folgt Markus
Lukas folgt im Bericht von der Verhandlung vor Pilatus zumeist dem Text des Markus, fügt aber den Vorwurf der Juden hinzu, dass Jesus "unser Volk aufhetzt und verbietet, dem Kaiser Steuern zu geben". Da die Leser wissen, dass Jesus ausdrücklich die Zahlung von Steuern bejaht hatte ("gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist"), erkennen sie: Jesu Gegner lügen.
Das jüdische Vorgehen gegen Jesus ist daher in einer üblen Verleumdung begründet, auf die Pilatus aber nicht hereinfällt. Die Judenfeindschaft des Lukas erreicht darin einen Höhepunkt, dass in seinem Evangelium Juden - und nicht Römer - Jesus hinrichten. Dies geschieht durch literarische Manipulation der Markus-Vorlage, so dass Pilatus im revidierten Text Jesus dem Willen der Juden übergibt.
Johannes steigert die Schuld der Juden am Tode Jesu weiter. An die Stelle des Verhörs vor dem Hohen Rat setzt er eine kurze Befragung durch den Hohenpriester und berichtet dann ausführlich von dem Prozess vor Pilatus. An ihm sind die Juden beteiligt. Pilatus betont ihnen gegenüber mehrfach, keine Schuld an Jesus zu finden, und versucht bis zum Schluss, ihn freizulassen.
Schließlich drohen die Juden ihm und spielen ihren letzten Trumpf aus, indem sie ihn der Illoyalität gegenüber dem Kaiser bezichtigen. Um Jesus loszuwerden, schrecken die Hohenpriester nicht einmal davor zurück, den messianischen Anspruch des Volkes preiszugeben. Sie unterwerfen sich dem heidnischen Kaiser ("wir haben keinen König außer dem Kaiser"). Erst jetzt gibt sich Pilatus geschlagen.
Angesichts des quellenkritischen Verhältnisses der neutestamentlichen Evangelien zueinander ist für die historische Frage ausschließlich die Leidensgeschichte des Markus relevant. Die anderen drei Evangelisten schreiben, jeder auf seine Weise, das älteste Evangelium fort; sie belasten die Juden immer stärker und sie entlasten Pilatus.
Der Markus-Bericht über die Verurteilung Jesu vor dem Hohen Rat orientiert sich Stück für Stück am Verhör vor Pilatus. Die beste Erklärung für diesen Befund ist die, dass die Szene vor dem Hohen Rat auf der Grundlage eines Berichts von der Vernehmung vor Pilatus komponiert wurde. Das heißt zugleich, dass sie als Quelle entfällt.
Innerhalb des Verhörs vor Pilatus ist die Barabbas-Szene mit der Angabe, dass Pilatus den Juden zum Passahfest einen Gefangenen ihrer Wahl freilassen will, reine Erfindung; ein solcher Usus der Einzelbegnadigung durch den Statthalter war unbekannt. Das Zwischenspiel dient überdies dazu, die Schuld der Juden noch zu vergrößern, denn sie wählen die Freilassung des Verbrechers Barabbas und ziehen ihn dem unschuldigen Jesus vor.
Markus zeichnet den Statthalter Pilatus als einsichtsvollen Menschen, der die jüdischen Oberen durchschaut und die Unschuld Jesu erkennt. Zum anderen beschreibt der älteste Evangelist ihn als Schwächling, der den Forderungen der Juden nachgibt.
Indes enthalten profane Quellen des 1. Jahrhunderts glaubwürdige Informationen, die das Porträt des Markus widerlegen: Unter Pilatus seien "Bestechlichkeit, Gewalttaten, Räubereien, Misshandlungen, Kränkungen, fortwährende Hinrichtungen ohne Urteilsspruch, endlose und unerträgliche Grausamkeiten" vorgekommen, berichtet der jüdische Philosoph Philo.
Und den jüdischen Protest gegen den Missbrauch des Tempelschatzes für den Bau einer Wasserleitung weiß Pilatus mit brutaler Gewalt zu unterdrücken - so der jüdische Historiker Josephus. Es passt zu dem Bild eines grausamen römischen Beamten, dass Pilatus auch eine große Menge von Galiläern niedermachen ließ, als diese ihre Opfer im Jerusalemer Tempel darbrachten.
Der Umfang dessen, was wir in der Passionserzählung als Tatsachen zu erkennen vermögen, ist verschwindend gering - und trotzdem beachtlich. Negativ: Eine direkte jüdische Beteiligung am Verfahren gegen Jesus scheidet aus, die Verhandlung vor dem Hohen Rat hat ja nicht stattgefunden. Aussagen eines indirekten jüdischen Anteils an der Exekution unterliegen dem Verdacht, frühchristlicher Judenfeindschaft zu entspringen; diese prägt das älteste Evangelium von Anfang an.
Positiv: Jesus wurde in Jerusalem gekreuzigt. Bereits mehr als zwei Jahrzehnte vor der Abfassung des Markusevangeliums spricht der Apostel Paulus, der in den Dreißigerjahren im christlichen Glauben unterwiesen wurde, wiederholt von Jesus, dem Gekreuzigten.
Da die Kreuzigung eine römische Strafe war, können wir schlussfolgern: Die Römer haben Jesus den Prozess gemacht und hingerichtet. Der Grund für das Einschreiten gegen ihn stand auf der Kreuzesinschrift. Jesus starb, weil die Römer ihn irrtümlich für den "König der Juden" hielten. Dieser Titel ist aus römischer Perspektive formuliert und deswegen geschichtlich.
Die christliche Kirche muss - belehrt durch die historische Kritik der biblischen Passionsgeschichte - auch die Beschuldigung zurücknehmen, dass die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen hätten. Jesu Exekution war ein Justizmord, ausgeführt einzig und allein durch die römische Staatsmacht. Ohne diesen Mord hätte es die mächtigste Weltreligion nicht gegeben.
Gerd Lüdemann ist Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an der Universität Göttingen. Zuletzt erschien von ihm: "Der erfundene Jesus. Unechte Jesusworte im Neuen Testament" (zu Klampen).
Es waren die Römer, die Jesus ermordeten
(133) Von Gerd Lüdemann 10. April 2009, 09:00 Uhr
Wer war für den Tod Jesu verantwortlich? Die Tendenz, den Juden die Schuld in die Schuhe zu schieben, basiert vor allem auf den Passionsgeschichten der Evangelien. Doch dem widersprechen andere Quellen. Sie belegen: Jesu Exekution war ein Justizmord, ausgeführt allein durch die römische Staatsmacht.
Foto: akg
Noch immer hält sich die These, dass das jüdische Volk für den Tod Jesu verantwortlich sei. Sie ist historisch jedoch nicht begründet
Die Anklage, das jüdische Volk habe Gott ermordet, entstammt frühchristlicher Tradition. Sie ist zuerst nachweisbar bei Bischof Melito von Sardes Mitte des 2. Jahrhunderts ("Gott ist getötet worden, der König Israels beseitigt worden von Israels Hand") und gehört seitdem zum festen Arsenal christlicher Judenfeindschaft.
Erst das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils "über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen" nahm die im Vorwurf des Gottesmordes implizierte These der jüdischen Kollektivschuld zurück, hielt aber weiter an der belastenden Aussage fest, die jüdischen Obrigkeiten hätten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen.
Der Inhalt der vier neutestamentlichen Evangelien bestätigt die Auffassung, dass die jüdische Führung den Tod Christi verlangt hat. Indes lassen bereits Eigenart und geschichtlicher Kontext der Evangelien Skepsis gegenüber der These aufkommen.
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Die Evangelien (deren unbekannte Verfasser in diesem Text bei ihren traditionellen Namen genannt werden) werben zunächst für den Glauben an den Gottessohn Jesus Christus und sind erst in zweiter Linie historische Berichte. Hinsichtlich ihres literarischen Verhältnisses zueinander gilt die Faustregel: Matthäus, Lukas und in einem geringeren Maße Johannes benutzen das Markusevangelium.
Die Leidensgeschichte des Markus wird vorbereitet durch drei Leidensweissagungen Jesu, die das Evangelium geradezu strukturieren. Ihr antijüdischer Inhalt: Jesus zieht nach Jerusalem, um von den Oberen der Juden zu Tode gebracht zu werden.
Angesichts dessen ist es nicht mehr verwunderlich, dass später alle Hohenpriester, Ältesten und Schriftgelehrten Jesus zum Tode verurteilen und ihn Pilatus ausliefern. Dieser will Jesus losgeben, weil er "erkannte, dass ihn die Hohenpriester aus Neid überstellt hatten". Sein Ansinnen wird dann aber von den jüdischen Führern verhindert. Pilatus kann sich ihnen gegenüber nicht durchsetzen.
Die Tendenz, den Juden die Schuld am Tode Jesu in die Schuhe zu schieben, nimmt in den Passionsgeschichten der anderen drei Evangelien noch zu. Die Zielsetzung des Matthäus ist aus folgenden Ergänzungen zum Markus-Text zu erkennen:
a) Die Frau des Pilatus lässt ihrem Mann ausrichten: "Nichts soll es geben zwischen dir und jenem Gerechten; denn ich habe heute vieles erlitten im Traum um seinetwillen." Eine römische Frau wird zur Unschuldszeugin, während das jüdische Volk, angestachelt von seinen Führern, den Tod Jesu fordert und Schuld auf sich lädt.
b) Als Pilatus erkennt, dass das jüdische Volk die Kreuzigung Jesu verlangt, nimmt er, so Matthäus, Wasser, wäscht sich vor dem Volk die Hände und sagt: "Ich bin unschuldig an diesem Blut; seht ihr zu!" Pilatus bekräftigt demnach das Urteil seiner Frau: Jesus ist als Gerechter unschuldig.
c) Der erste Evangelist lässt das jüdische Volk im Rahmen des Prozesses Jesu sogar sagen: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder", nämlich - so hat man zu ergänzen - wenn er unschuldig ist. Für Matthäus, der an der Unschuld Jesu natürlich keinen Zweifel hat, heißt das: Die jüdischen Ankläger haben die blutige Strafe, die sie für den Tod Jesu tragen müssen, selber heraufbeschworen. Dem entspricht, dass Matthäus, ebenso wie Markus und Lukas, in der Ablehnung Jesu den Grund für die spätere Zerstörung Jerusalems durch die Römer sieht.
Lukas folgt Markus
Lukas folgt im Bericht von der Verhandlung vor Pilatus zumeist dem Text des Markus, fügt aber den Vorwurf der Juden hinzu, dass Jesus "unser Volk aufhetzt und verbietet, dem Kaiser Steuern zu geben". Da die Leser wissen, dass Jesus ausdrücklich die Zahlung von Steuern bejaht hatte ("gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist"), erkennen sie: Jesu Gegner lügen.
Das jüdische Vorgehen gegen Jesus ist daher in einer üblen Verleumdung begründet, auf die Pilatus aber nicht hereinfällt. Die Judenfeindschaft des Lukas erreicht darin einen Höhepunkt, dass in seinem Evangelium Juden - und nicht Römer - Jesus hinrichten. Dies geschieht durch literarische Manipulation der Markus-Vorlage, so dass Pilatus im revidierten Text Jesus dem Willen der Juden übergibt.
Johannes steigert die Schuld der Juden am Tode Jesu weiter. An die Stelle des Verhörs vor dem Hohen Rat setzt er eine kurze Befragung durch den Hohenpriester und berichtet dann ausführlich von dem Prozess vor Pilatus. An ihm sind die Juden beteiligt. Pilatus betont ihnen gegenüber mehrfach, keine Schuld an Jesus zu finden, und versucht bis zum Schluss, ihn freizulassen.
Schließlich drohen die Juden ihm und spielen ihren letzten Trumpf aus, indem sie ihn der Illoyalität gegenüber dem Kaiser bezichtigen. Um Jesus loszuwerden, schrecken die Hohenpriester nicht einmal davor zurück, den messianischen Anspruch des Volkes preiszugeben. Sie unterwerfen sich dem heidnischen Kaiser ("wir haben keinen König außer dem Kaiser"). Erst jetzt gibt sich Pilatus geschlagen.
Angesichts des quellenkritischen Verhältnisses der neutestamentlichen Evangelien zueinander ist für die historische Frage ausschließlich die Leidensgeschichte des Markus relevant. Die anderen drei Evangelisten schreiben, jeder auf seine Weise, das älteste Evangelium fort; sie belasten die Juden immer stärker und sie entlasten Pilatus.
Der Markus-Bericht über die Verurteilung Jesu vor dem Hohen Rat orientiert sich Stück für Stück am Verhör vor Pilatus. Die beste Erklärung für diesen Befund ist die, dass die Szene vor dem Hohen Rat auf der Grundlage eines Berichts von der Vernehmung vor Pilatus komponiert wurde. Das heißt zugleich, dass sie als Quelle entfällt.
Innerhalb des Verhörs vor Pilatus ist die Barabbas-Szene mit der Angabe, dass Pilatus den Juden zum Passahfest einen Gefangenen ihrer Wahl freilassen will, reine Erfindung; ein solcher Usus der Einzelbegnadigung durch den Statthalter war unbekannt. Das Zwischenspiel dient überdies dazu, die Schuld der Juden noch zu vergrößern, denn sie wählen die Freilassung des Verbrechers Barabbas und ziehen ihn dem unschuldigen Jesus vor.
Markus zeichnet den Statthalter Pilatus als einsichtsvollen Menschen, der die jüdischen Oberen durchschaut und die Unschuld Jesu erkennt. Zum anderen beschreibt der älteste Evangelist ihn als Schwächling, der den Forderungen der Juden nachgibt.
Indes enthalten profane Quellen des 1. Jahrhunderts glaubwürdige Informationen, die das Porträt des Markus widerlegen: Unter Pilatus seien "Bestechlichkeit, Gewalttaten, Räubereien, Misshandlungen, Kränkungen, fortwährende Hinrichtungen ohne Urteilsspruch, endlose und unerträgliche Grausamkeiten" vorgekommen, berichtet der jüdische Philosoph Philo.
Und den jüdischen Protest gegen den Missbrauch des Tempelschatzes für den Bau einer Wasserleitung weiß Pilatus mit brutaler Gewalt zu unterdrücken - so der jüdische Historiker Josephus. Es passt zu dem Bild eines grausamen römischen Beamten, dass Pilatus auch eine große Menge von Galiläern niedermachen ließ, als diese ihre Opfer im Jerusalemer Tempel darbrachten.
Der Umfang dessen, was wir in der Passionserzählung als Tatsachen zu erkennen vermögen, ist verschwindend gering - und trotzdem beachtlich. Negativ: Eine direkte jüdische Beteiligung am Verfahren gegen Jesus scheidet aus, die Verhandlung vor dem Hohen Rat hat ja nicht stattgefunden. Aussagen eines indirekten jüdischen Anteils an der Exekution unterliegen dem Verdacht, frühchristlicher Judenfeindschaft zu entspringen; diese prägt das älteste Evangelium von Anfang an.
Positiv: Jesus wurde in Jerusalem gekreuzigt. Bereits mehr als zwei Jahrzehnte vor der Abfassung des Markusevangeliums spricht der Apostel Paulus, der in den Dreißigerjahren im christlichen Glauben unterwiesen wurde, wiederholt von Jesus, dem Gekreuzigten.
Da die Kreuzigung eine römische Strafe war, können wir schlussfolgern: Die Römer haben Jesus den Prozess gemacht und hingerichtet. Der Grund für das Einschreiten gegen ihn stand auf der Kreuzesinschrift. Jesus starb, weil die Römer ihn irrtümlich für den "König der Juden" hielten. Dieser Titel ist aus römischer Perspektive formuliert und deswegen geschichtlich.
Die christliche Kirche muss - belehrt durch die historische Kritik der biblischen Passionsgeschichte - auch die Beschuldigung zurücknehmen, dass die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen hätten. Jesu Exekution war ein Justizmord, ausgeführt einzig und allein durch die römische Staatsmacht. Ohne diesen Mord hätte es die mächtigste Weltreligion nicht gegeben.
Gerd Lüdemann ist Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an der Universität Göttingen. Zuletzt erschien von ihm: "Der erfundene Jesus. Unechte Jesusworte im Neuen Testament" (zu Klampen).