TigerS
Kosovo-Thailänder
Ewiger Balkan
Von Jörg Hafkemeyer
"Montenegro": Das ist der Titel des vor zehn Jahren erschienen Buches von Starling Lawrence, einem amerikanischen Autor. Es beginnt im Februar des Jahres 1908. Der junge Engländer Auberon Harwell lernt im unzugänglichen Grenzland zu Serbien den Freiheitskämpfer Daniel Pekocevic und dessen Familie kennen.
Wird in dessen Geschicke verwickelt. Hilft aus Liebe zu seiner Frau Sofia, deren Sohn zur Flucht aus dem Teufelskreis der Gewalt. Es ist die Geschichte europäischer Geheimdiplomatie vor dem ersten Weltkrieg, der auf dem Balkan ausbrach. Es ist die Geschichte leidenschaftlicher, stolzer, ignoranter Menschen in einer wilden, gefahrvollen Gebirgslandschaft mit blutigen Fehden. Einhundert Jahre ist das her.
Das Grenzland hat sich nicht verändert. Es ist unübersichtlich, wild und gefährlich. Es ist atemberaubend schön. Montenegro, Albanien, der Kosovo und Mazedonien stoßen hier auf einander. 1200 Meter hoch ist das Gebirge. Schroff. Kahl. Mit steil abfallenden Hängen. Die schneebedeckten Gipfel funkeln in der Sonne. Die wenigen Menschen scheinen sich im Gestein fest zu krallen. Generation für Generation seit sieben Jahrhunderten Krieg, Tod, Vertreibung. Jeder ist Täter und jeder ist Opfer. Bis heute. Das macht es so schwierig.
Die hervorragendste Eigenschaft der vielen Völker auf dem Balkan war immer: Sie konnten sich nicht entschuldigen. Nicht verzeihen. Nicht akzeptieren. Nicht verlieren. Es sind die stolzen, leidenschaftlichen, ignoranten Menschen, die Starling Lawrence in seinem Buch beschreibt. Menschen, die fortwährend in Gefahr leben. Anderen gefährlich werden. Das gilt für die Serben wie für die Albaner. Das gilt für die Kroaten, Montenegriner wie für die Mazedonier und Slowenen. Nun sollen sie damit aufhören. Das fällt ihnen schwer. Zumal sie dazu gezwungen werden. Vom übrigen Europa. Notfalls mit Gewalt. Aber auch mit Anreizen. Hoffentlich auch mit Verständnis und mit Geduld. Vor allem mit Belgrad und Serbien. Auch mit Pristina und dem Kosovo.
Eine der großen Reden über Europa wurde von einem Inder gehalten. Einem liberalen Aristokraten, sicher, mit sozialistischen Neigungen. Jemand der Jugoslawien kannte - mit Josip Brosz Tito befreundet war: Jarwaharlal Pandit Nehru. Es ist der 14. Juni 1956. Der Petersberg bei Bonn. Jarwaharlal Nehru spricht: "…Wir wissen ja alle, dass Länder, die sich gut kennen und Nachbarn sind, sehr bitter gegeneinander empfinden können und gegeneinander kämpfen. Und je mehr sie sich kennen, desto weniger können sie sich leiden. Und da kommen wir schon…..zu gewissen moralischen Kriterien, moralischen Vorstellungen. Wenn wir immer nur in politischen Worten oder in wirtschaftlichen Ausdrücken reden, dann können wir die Welt, so wie sie heute ist, nicht erfassen."
Nehru hatte Recht. Gut 50 Jahre später trifft das noch immer zu. Zivilgesellschaften können auf dem Balkan nicht angeordnet, befohlen, sie müssen entwickelt werden. In Slowenien geht das voran. In Kroatien bei allen Schwierigkeiten ebenfalls. Dann beginnen die Probleme. In Bosnien, in Serbien, in Mazedonien, in Montenegro, im Kosovo. Vor allem der und Serbien haben sich politisch mächtig verhakt. Obwohl sie soviel gemeinsam haben - ihren Nationalismus, ihren Stolz, ihre Ablehnung einer multiethnischen Gesellschaft, ihren Rassismus, ihre Korruption, ihre Kriegsverbrechen - eines trennt sie: Sie kennen sich zu gut.
Die Albaner im Kosovo wollen ihre Unabhängigkeit von Belgrad. Die Regierung dort will das nicht. Der Loslösung von Montenegro hat sie zugestimmt. Das hat mit Serbien gegen die Kosovo-Albaner gekämpft. Denen widersetzt sich Belgrad. Das macht die Übergangsregierung in Prizstina wild. Wenn sie aber doch ihre Souveränität erhalten sollten, wollen das die Menschen in der Serbenrepublik in Bosnien auch. Deren Regierung hat sich gerade wegen der von Serben an Nicht-Serben verübten Kriegsverbrechen während des Bosnien-Krieges zwischen 1992 und 1995 entschuldigt. Vor allem für den Mord an 8000 muslimischen Männern in Srebrenica im Sommer 1995. Eine Entschuldigung. In Jahrhunderten hat es das auf dem Balkan in dieser Form zum ersten Mal gegeben. Das macht Hoffnung. Vielleicht gelingt das den Serben in Belgrad, den Albanern in Prizstina auch. Zu akzeptieren, dem Anderen Leid zugefügt zu haben. Eben nicht nach Schuld zu suchen.
Es gibt solche Menschen, die diesen Versuch unternehmen wollen. Zum Beispiel der Imam von Prizren im Kosovo, Ali Vesaj. Natürlich will er, dass seine Provinz unabhängig wird. Aber fast noch mehr will er, dass der Hass, der Rassismus, die Ignoranz, fast hätte er gesagt, vernichtet, nein, überwunden werden. Bei allen Zerfallserscheinungen, die er kennt. Es gibt ja nicht nur Jugoslawien nicht mehr, dessen letzter Präsident Mesic heute wieder Präsident ist: Von Kroatien. Von ihm soll der Satz stammen: "Ich denke, ich habe meine Aufgabe erfüllt. Jugoslawien gibt es nicht mehr."
Stattdessen kleine Länder, die Fremde nur als Touristen dulden. Mit eigenen Fahnen. Mit eigener Hymne. Mit eigenen Helden und Denkmälern. Mit eigener Sprache. Und das, was einst die jugoslawische Hochsprache war, verschwindet auch. In Zagreb hieß sie Kroatoserbisch. In Belgrad Serbokroatisch. Unterdessen gibt es auch Bosnisch. Auch die drei Sprachen haben, wie die Menschen, viel gemeinsam. Genutzt wird das nicht. Die drei kleinen Staaten bestehen auf ihren Eigenheiten. Und auf Übersetzungen. Demnächst wird Montenegrinisch als offizielle Sprache hinzukommen. Nur, um nicht Serbisch zu sprechen. Was ohnehin fast jeder in der winzigen Republik tut.
"Je mehr sie sich kennen, desto weniger können sie sich leiden", erklärte Nehru 1956 in seiner Petersberger Rede. Er kann nur den Balkan gemeint haben.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/602956/
Von Jörg Hafkemeyer
"Montenegro": Das ist der Titel des vor zehn Jahren erschienen Buches von Starling Lawrence, einem amerikanischen Autor. Es beginnt im Februar des Jahres 1908. Der junge Engländer Auberon Harwell lernt im unzugänglichen Grenzland zu Serbien den Freiheitskämpfer Daniel Pekocevic und dessen Familie kennen.
Wird in dessen Geschicke verwickelt. Hilft aus Liebe zu seiner Frau Sofia, deren Sohn zur Flucht aus dem Teufelskreis der Gewalt. Es ist die Geschichte europäischer Geheimdiplomatie vor dem ersten Weltkrieg, der auf dem Balkan ausbrach. Es ist die Geschichte leidenschaftlicher, stolzer, ignoranter Menschen in einer wilden, gefahrvollen Gebirgslandschaft mit blutigen Fehden. Einhundert Jahre ist das her.
Das Grenzland hat sich nicht verändert. Es ist unübersichtlich, wild und gefährlich. Es ist atemberaubend schön. Montenegro, Albanien, der Kosovo und Mazedonien stoßen hier auf einander. 1200 Meter hoch ist das Gebirge. Schroff. Kahl. Mit steil abfallenden Hängen. Die schneebedeckten Gipfel funkeln in der Sonne. Die wenigen Menschen scheinen sich im Gestein fest zu krallen. Generation für Generation seit sieben Jahrhunderten Krieg, Tod, Vertreibung. Jeder ist Täter und jeder ist Opfer. Bis heute. Das macht es so schwierig.
Die hervorragendste Eigenschaft der vielen Völker auf dem Balkan war immer: Sie konnten sich nicht entschuldigen. Nicht verzeihen. Nicht akzeptieren. Nicht verlieren. Es sind die stolzen, leidenschaftlichen, ignoranten Menschen, die Starling Lawrence in seinem Buch beschreibt. Menschen, die fortwährend in Gefahr leben. Anderen gefährlich werden. Das gilt für die Serben wie für die Albaner. Das gilt für die Kroaten, Montenegriner wie für die Mazedonier und Slowenen. Nun sollen sie damit aufhören. Das fällt ihnen schwer. Zumal sie dazu gezwungen werden. Vom übrigen Europa. Notfalls mit Gewalt. Aber auch mit Anreizen. Hoffentlich auch mit Verständnis und mit Geduld. Vor allem mit Belgrad und Serbien. Auch mit Pristina und dem Kosovo.
Eine der großen Reden über Europa wurde von einem Inder gehalten. Einem liberalen Aristokraten, sicher, mit sozialistischen Neigungen. Jemand der Jugoslawien kannte - mit Josip Brosz Tito befreundet war: Jarwaharlal Pandit Nehru. Es ist der 14. Juni 1956. Der Petersberg bei Bonn. Jarwaharlal Nehru spricht: "…Wir wissen ja alle, dass Länder, die sich gut kennen und Nachbarn sind, sehr bitter gegeneinander empfinden können und gegeneinander kämpfen. Und je mehr sie sich kennen, desto weniger können sie sich leiden. Und da kommen wir schon…..zu gewissen moralischen Kriterien, moralischen Vorstellungen. Wenn wir immer nur in politischen Worten oder in wirtschaftlichen Ausdrücken reden, dann können wir die Welt, so wie sie heute ist, nicht erfassen."
Nehru hatte Recht. Gut 50 Jahre später trifft das noch immer zu. Zivilgesellschaften können auf dem Balkan nicht angeordnet, befohlen, sie müssen entwickelt werden. In Slowenien geht das voran. In Kroatien bei allen Schwierigkeiten ebenfalls. Dann beginnen die Probleme. In Bosnien, in Serbien, in Mazedonien, in Montenegro, im Kosovo. Vor allem der und Serbien haben sich politisch mächtig verhakt. Obwohl sie soviel gemeinsam haben - ihren Nationalismus, ihren Stolz, ihre Ablehnung einer multiethnischen Gesellschaft, ihren Rassismus, ihre Korruption, ihre Kriegsverbrechen - eines trennt sie: Sie kennen sich zu gut.
Die Albaner im Kosovo wollen ihre Unabhängigkeit von Belgrad. Die Regierung dort will das nicht. Der Loslösung von Montenegro hat sie zugestimmt. Das hat mit Serbien gegen die Kosovo-Albaner gekämpft. Denen widersetzt sich Belgrad. Das macht die Übergangsregierung in Prizstina wild. Wenn sie aber doch ihre Souveränität erhalten sollten, wollen das die Menschen in der Serbenrepublik in Bosnien auch. Deren Regierung hat sich gerade wegen der von Serben an Nicht-Serben verübten Kriegsverbrechen während des Bosnien-Krieges zwischen 1992 und 1995 entschuldigt. Vor allem für den Mord an 8000 muslimischen Männern in Srebrenica im Sommer 1995. Eine Entschuldigung. In Jahrhunderten hat es das auf dem Balkan in dieser Form zum ersten Mal gegeben. Das macht Hoffnung. Vielleicht gelingt das den Serben in Belgrad, den Albanern in Prizstina auch. Zu akzeptieren, dem Anderen Leid zugefügt zu haben. Eben nicht nach Schuld zu suchen.
Es gibt solche Menschen, die diesen Versuch unternehmen wollen. Zum Beispiel der Imam von Prizren im Kosovo, Ali Vesaj. Natürlich will er, dass seine Provinz unabhängig wird. Aber fast noch mehr will er, dass der Hass, der Rassismus, die Ignoranz, fast hätte er gesagt, vernichtet, nein, überwunden werden. Bei allen Zerfallserscheinungen, die er kennt. Es gibt ja nicht nur Jugoslawien nicht mehr, dessen letzter Präsident Mesic heute wieder Präsident ist: Von Kroatien. Von ihm soll der Satz stammen: "Ich denke, ich habe meine Aufgabe erfüllt. Jugoslawien gibt es nicht mehr."
Stattdessen kleine Länder, die Fremde nur als Touristen dulden. Mit eigenen Fahnen. Mit eigener Hymne. Mit eigenen Helden und Denkmälern. Mit eigener Sprache. Und das, was einst die jugoslawische Hochsprache war, verschwindet auch. In Zagreb hieß sie Kroatoserbisch. In Belgrad Serbokroatisch. Unterdessen gibt es auch Bosnisch. Auch die drei Sprachen haben, wie die Menschen, viel gemeinsam. Genutzt wird das nicht. Die drei kleinen Staaten bestehen auf ihren Eigenheiten. Und auf Übersetzungen. Demnächst wird Montenegrinisch als offizielle Sprache hinzukommen. Nur, um nicht Serbisch zu sprechen. Was ohnehin fast jeder in der winzigen Republik tut.
"Je mehr sie sich kennen, desto weniger können sie sich leiden", erklärte Nehru 1956 in seiner Petersberger Rede. Er kann nur den Balkan gemeint haben.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/602956/