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EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE
Pillen für die Kinder
Von Marian Blasberg
Wie ein israelischer Minister zum Drogenschmuggler wurde
Aus der "Süddeutschen Zeitung"
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Aus der "Süddeutschen Zeitung"
Gonen Segevs neues Zimmer ist ein enger, aufgeräumter Schlauch, 5 Meter lang, 2,50 breit. Es gibt ein Waschbecken neben der Tür, ein Klo, ein Bett mit zwei Etagen und einen Schreibtisch, über dem an einer Pinnwand Bilder seiner Söhne hängen. Gonen Segev weiß, dass dieses Zimmer eine Zelle ist, aber ihm gefällt das Wort nicht.
Segev, 49, ist frisch rasiert an diesem Sommermorgen, er trägt die braune Uniform der Häftlinge von Zelmon, das im Niemandsland am See Genezareth liegt, und sagt noch immer, dass sich alle gegen ihn verschworen hätten, die Staatsanwälte, die Richter und erst recht die Medien. Seit Eichmann, meint er, wurde keiner derart durch den Wolf gedreht. Segev schwört, er habe nicht gewusst, was damals in der Tasche war.
Damals, das ist der 11. April 2004, der Tag, an dem die KLM-Maschine von Amsterdam nach Tel Aviv schon zum Einsteigen bereitstand. Als Segevs Gepäck das Röntgengerät passierte, war auf dem Monitor etwas Auffälliges zu sehen.
Ob sie mal in der Tasche nachschauen dürften, fragten die Kontrolleure, und Segev murmelte, er müsse noch mal ans Gepäckfach, er habe da wohl was vergessen. Dann drehte er sich um und hastete davon - Gonen Segev, ehemals Energieminister unter Jizchak Rabin, jetzt Geschäftsmann.
Die Grenzbeamten wussten, wen sie vor sich hatten, der Mann war ihnen drei Tage vorher schon einmal aufgefallen. Als Segev an jenem Abend des 8. April die Kontrollen hatte passieren wollen, bemerkte einer der Beamten einen flachen Beutel unter Segevs Anzug. Auf die Bitte, ihn zu öffnen, sagte Segev, dass darin Papiere seien, Angelegenheiten des Staates Israel, alles streng geheim. Es kam zu einem Wortgefecht, sie schleppten Segev auf die Wache und fertigten eine Kopie des Diplomatenpasses an. Es schien zunächst, als sei alles korrekt. Erst später, als er bereits fort war, merkten sie, dass Segevs Pass längst abgelaufen war. Aus der Null am Ende der Zahl 2000 hatte jemand eine Sechs gemacht.
Die Sicherheitsbeamten begannen, sich genauer für den Ex-Minister zu interessieren. Anfang der Neunziger war Segev, von Beruf Kinderarzt, von seinem Nachbarn Rafael Eitan, dem Gründer der rechten Zomet-Partei, für die Politik gewonnen worden. Als dessen Kronprinz zog er 1992 in die Knesset ein; jung, dynamisch, eloquent, einer, der lächelnd kundtat, warum die Friedenspolitik Rabins nichts tauge.
Zwei Jahre dauerte es, bis Segev genug von Eitan und dessen Partei hatte. Er verließ die Zomet, gründete die Partei Jiud und siedelte sich etwas weiter links an, was bedeutete, dass er Verhandlungen mit Palästinenserführer Arafat nun nicht mehr völlig ausschloss. Als Rabin Mitte der Neunziger verzweifelt eine Mehrheit für das "Oslo-B"-Abkommen suchte, lief Segevs Partei Jiud ins Regierungslager über. Oslo-B, das hieß mehr Autonomie für Palästina.
Mit 61 zu 59 wurde der Plan in der Knesset angenommen, Segev war wenige Monate zuvor Energieminister geworden. Die Leute glaubten, seine Partei habe sich bestechen lassen, er galt als Wendehals. Nach der nächsten Wahl stieg er bei einer Firma ein, die Kraftwerke in China bauen wollte, reiste um die Welt, machte sich einen Namen und wurde immerhin beim Weltwirtschaftsforum in Davos unter die hundert vielversprechendsten Führungspersönlichkeiten gewählt.
Doch Ende der Neunziger tauchte Segev ab, es hieß, er verkaufe Koriander nach Indonesien und Milchpulver nach Algerien, zuletzt soll er in großem Stil Mobilfunktelefone nach Panama verschifft haben.
Am Tag, an dem Segev zum zweiten Mal am Flughafen auffiel, nahmen zwei Beamte die Verfolgung auf. Sie sahen, wie er an ein Schließfach ging und dort an seiner Tasche rumhantierte. Wie er danach im Duty-Free-Shop einige Pakete M&M's besorgte, sie in die Reisetasche stopfte und dann noch einmal die Sicherheitskontrollen passierte.
Zehn Tage später wurde Gonen Segev festgenommen. Im Schließfach hatten die Polizisten 32.000 Pillen Ecstasy gefunden.
Nach einem knappen Jahr in Untersuchungshaft gestand Segev schließlich, die Pillen ins Schließfach gelegt zu haben, aber ein Drogenkurier sei er trotzdem nicht. Er habe geglaubt, für einen Freund eine Tüte mit Süßigkeiten zu dessen Kindern zu transportieren. Doch während der Kontrolle seien ihm Zweifel gekommen, er habe etwas abseits in die Tasche geschaut, die Ecstasy-Pillen entdeckt, sie ins Schließfach getan und dann M&M's gekauft.
Der Richter ließ sich - wegen des Teilgeständnisses - auf einen Handel ein und verurteilte ihn wegen Drogenschmuggels und Dokumentenfälschung nur zu fünf Jahren Haft.
Die Zeitungen schrieben von dubiosen Waffengeschäften, die Segev ohne Auftrag der Regierung getätigt habe, und von Versuchen, Banken mit gefälschten Schecks zu überlisten. Israel rätselte, wie einer, der ganz oben war, so schnell so tief fallen konnte.
Ein Mitangeklagter, einer der wenigen, der Licht ins Dunkel hätte bringen können, hat in der Haft Selbstmord begangen.
Gonen Segev sitzt in seinem neuen Zimmer und sagt, er würde gern hier in der Erwachsenenbildung arbeiten, aber man lasse ihn nicht, Befehl von oben. Seit Eichmann, sagt er noch mal, wurde keiner derart durch den Wolf gedreht. Dann muss er los, Regale aufräumen im Ausrüstungstrakt, Seife, Waschmittel, Uniformen. Sein neuer Job.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,368577,00.html
Pillen für die Kinder
Von Marian Blasberg
Wie ein israelischer Minister zum Drogenschmuggler wurde
Aus der "Süddeutschen Zeitung"
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Aus der "Süddeutschen Zeitung"
Gonen Segevs neues Zimmer ist ein enger, aufgeräumter Schlauch, 5 Meter lang, 2,50 breit. Es gibt ein Waschbecken neben der Tür, ein Klo, ein Bett mit zwei Etagen und einen Schreibtisch, über dem an einer Pinnwand Bilder seiner Söhne hängen. Gonen Segev weiß, dass dieses Zimmer eine Zelle ist, aber ihm gefällt das Wort nicht.
Segev, 49, ist frisch rasiert an diesem Sommermorgen, er trägt die braune Uniform der Häftlinge von Zelmon, das im Niemandsland am See Genezareth liegt, und sagt noch immer, dass sich alle gegen ihn verschworen hätten, die Staatsanwälte, die Richter und erst recht die Medien. Seit Eichmann, meint er, wurde keiner derart durch den Wolf gedreht. Segev schwört, er habe nicht gewusst, was damals in der Tasche war.
Damals, das ist der 11. April 2004, der Tag, an dem die KLM-Maschine von Amsterdam nach Tel Aviv schon zum Einsteigen bereitstand. Als Segevs Gepäck das Röntgengerät passierte, war auf dem Monitor etwas Auffälliges zu sehen.
Ob sie mal in der Tasche nachschauen dürften, fragten die Kontrolleure, und Segev murmelte, er müsse noch mal ans Gepäckfach, er habe da wohl was vergessen. Dann drehte er sich um und hastete davon - Gonen Segev, ehemals Energieminister unter Jizchak Rabin, jetzt Geschäftsmann.
Die Grenzbeamten wussten, wen sie vor sich hatten, der Mann war ihnen drei Tage vorher schon einmal aufgefallen. Als Segev an jenem Abend des 8. April die Kontrollen hatte passieren wollen, bemerkte einer der Beamten einen flachen Beutel unter Segevs Anzug. Auf die Bitte, ihn zu öffnen, sagte Segev, dass darin Papiere seien, Angelegenheiten des Staates Israel, alles streng geheim. Es kam zu einem Wortgefecht, sie schleppten Segev auf die Wache und fertigten eine Kopie des Diplomatenpasses an. Es schien zunächst, als sei alles korrekt. Erst später, als er bereits fort war, merkten sie, dass Segevs Pass längst abgelaufen war. Aus der Null am Ende der Zahl 2000 hatte jemand eine Sechs gemacht.
Die Sicherheitsbeamten begannen, sich genauer für den Ex-Minister zu interessieren. Anfang der Neunziger war Segev, von Beruf Kinderarzt, von seinem Nachbarn Rafael Eitan, dem Gründer der rechten Zomet-Partei, für die Politik gewonnen worden. Als dessen Kronprinz zog er 1992 in die Knesset ein; jung, dynamisch, eloquent, einer, der lächelnd kundtat, warum die Friedenspolitik Rabins nichts tauge.
Zwei Jahre dauerte es, bis Segev genug von Eitan und dessen Partei hatte. Er verließ die Zomet, gründete die Partei Jiud und siedelte sich etwas weiter links an, was bedeutete, dass er Verhandlungen mit Palästinenserführer Arafat nun nicht mehr völlig ausschloss. Als Rabin Mitte der Neunziger verzweifelt eine Mehrheit für das "Oslo-B"-Abkommen suchte, lief Segevs Partei Jiud ins Regierungslager über. Oslo-B, das hieß mehr Autonomie für Palästina.
Mit 61 zu 59 wurde der Plan in der Knesset angenommen, Segev war wenige Monate zuvor Energieminister geworden. Die Leute glaubten, seine Partei habe sich bestechen lassen, er galt als Wendehals. Nach der nächsten Wahl stieg er bei einer Firma ein, die Kraftwerke in China bauen wollte, reiste um die Welt, machte sich einen Namen und wurde immerhin beim Weltwirtschaftsforum in Davos unter die hundert vielversprechendsten Führungspersönlichkeiten gewählt.
Doch Ende der Neunziger tauchte Segev ab, es hieß, er verkaufe Koriander nach Indonesien und Milchpulver nach Algerien, zuletzt soll er in großem Stil Mobilfunktelefone nach Panama verschifft haben.
Am Tag, an dem Segev zum zweiten Mal am Flughafen auffiel, nahmen zwei Beamte die Verfolgung auf. Sie sahen, wie er an ein Schließfach ging und dort an seiner Tasche rumhantierte. Wie er danach im Duty-Free-Shop einige Pakete M&M's besorgte, sie in die Reisetasche stopfte und dann noch einmal die Sicherheitskontrollen passierte.
Zehn Tage später wurde Gonen Segev festgenommen. Im Schließfach hatten die Polizisten 32.000 Pillen Ecstasy gefunden.
Nach einem knappen Jahr in Untersuchungshaft gestand Segev schließlich, die Pillen ins Schließfach gelegt zu haben, aber ein Drogenkurier sei er trotzdem nicht. Er habe geglaubt, für einen Freund eine Tüte mit Süßigkeiten zu dessen Kindern zu transportieren. Doch während der Kontrolle seien ihm Zweifel gekommen, er habe etwas abseits in die Tasche geschaut, die Ecstasy-Pillen entdeckt, sie ins Schließfach getan und dann M&M's gekauft.
Der Richter ließ sich - wegen des Teilgeständnisses - auf einen Handel ein und verurteilte ihn wegen Drogenschmuggels und Dokumentenfälschung nur zu fünf Jahren Haft.
Die Zeitungen schrieben von dubiosen Waffengeschäften, die Segev ohne Auftrag der Regierung getätigt habe, und von Versuchen, Banken mit gefälschten Schecks zu überlisten. Israel rätselte, wie einer, der ganz oben war, so schnell so tief fallen konnte.
Ein Mitangeklagter, einer der wenigen, der Licht ins Dunkel hätte bringen können, hat in der Haft Selbstmord begangen.
Gonen Segev sitzt in seinem neuen Zimmer und sagt, er würde gern hier in der Erwachsenenbildung arbeiten, aber man lasse ihn nicht, Befehl von oben. Seit Eichmann, sagt er noch mal, wurde keiner derart durch den Wolf gedreht. Dann muss er los, Regale aufräumen im Ausrüstungstrakt, Seife, Waschmittel, Uniformen. Sein neuer Job.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,368577,00.html