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Ex-PM von Malaysia: Der Islam isoliert sich selbst

lupo-de-mare

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Nach Indonesien ist Malaysia die grösste Islamische Staat auf der Erde.

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Der Islam isoliert sich selbst
Weil die große Weltreligion sich den modernen Wissenschaften verweigert, gerät die muslimische Welt zunehmend ins Abseits
Von Mahathir bin Mohamad

Es gibt ein beliebtes Kinderspiel, bei dem alle im Kreis sitzen und ein Kind seinem Nachbarn etwas zuflüstert. Dieser gibt die Informationen dann im Flüsterton an das nächste Kind weiter, und das geht so fort, bis sie wieder beim Urheber angekommen ist. Zu diesem Zeitpunkt unterscheidet sich die Botschaft vollkommen von dem, was ursprünglich gesagt worden ist. Etwas Derartiges scheint auch mit dem Islam geschehen zu sein. Der Prophet des Islam, Mohammed, brachte eine - und nur eine - Religion hervor. Heute bestehen viele Unterformen nebeneinander, die alle von sich behaupten, der Islam zu sein. Durch diese unterschiedlichen Interpretationen voneinander entfremdet, spielen die Muslime heute nicht länger jene Rolle in der Welt, die sie einst innehatten.

Das Schisma zwischen Schiiten und Sunniten ist so tief, dass jede Seite die andere als ¸¸Kafirs" verurteilt, als vom Glauben Abgefallene. Die Vorstellung, dass es sich bei der Religion der jeweils anderen Seite nicht um den Islam handelt und dass ihre Anhänger keine Muslime seien, war die Grundlage für mörderische Kriege, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen und noch immer fallen.

Laut dem Koran ist jeder ein Muslim, der bezeugt: ¸¸Es gibt keinen Gott (Allah) außer Allah, und Mohammad ist sein Rasul (Gesandter)." Wenn keine weitere Einschränkung hinzugefügt wird, dann müssten Anhänger dieses Glaubens eigentlich all jene als Muslime betrachten, die sich diesen Grundsatz zu Eigen machen. Aber weil Muslime dazu neigen, weitere Einschränkungen hinzuzufügen, die häufig anderen Quellen entstammen als dem Koran, ist die Einheit dieser Religion zerbrochen.

Das größte Problem jedoch ist möglicherweise die zunehmende Isolierung des islamischen Gelehrtentums - und eines Großteils des islamischen Lebens - vom Rest der modernen Welt. Die Welt lebt in einem Zeitalter, in dem die Menschen über ihren Tellerrand hinausblicken können: Sie hören und sehen, was im Weltraum passiert, und sie klonen Tiere. Viele Entwicklungen der modernen Welt scheinen aber dem Glauben an den Koran zuwiderzulaufen.

Der Grund hierfür ist, dass jene, die den Koran auslegen, nur im Bereich der Religion, in Bezug auf ihre Gesetze und Praktiken ausgebildet und informiert sind - daher sind sie normalerweise nicht im Stande, die heutigen Wunder der Wissenschaften zu verstehen. Die Fatwas (islamische Rechtsgutachten), die sie ausstellen, erscheinen unvernünftig und können von jenen, die wissenschaftlich gebildet sind, nicht ernst genommen werden. So weigerte sich etwa ein religiöser Lehrer, zu glauben, dass ein Mensch auf dem Mond gelandet sei. Andere beharren darauf, dass die Welt erst vor 2000 Jahren geschaffen wurde. Das Alter des Universums und seine in Lichtjahren bemessene Größe - dies sind Dinge, die jenseits des Vorstellungsvermögens ausschließlich religiös geschulter Ulamas liegen. Dieses Versagen ist die Hauptursache für das traurige Schicksal vieler Muslime. Die heutige Unterdrückung, die Tötungen und Erniedrigungen muslimischer Gläubiger rühren daher, dass diese, anders als die Muslime der Vergangenheit, schwach sind. Sie betrachten sich heute als Opfer und kritisieren ihre Unterdrücker. Aber um ihnen Einhalt zu gebieten, müssten sie auf sich selbst schauen und zur Selbstkritik fähig sein. Es ist schließlich sinnlos, von seinen Gegnern zu verlangen, dass sie sich zum Nutzen der Muslime ändern.

In der Vergangenheit war die Gemeinschaft der Muslime stark, weil diese gebildet waren. Das Gebot Mohammeds lautete, zu lesen, aber der Koran schreibt nicht vor, was man lesen sollte. Tatsächlich gab es dereinst keine ¸¸Islamstudien" - Lesen bedeutete also, zu lesen, was immer verfügbar war. Die frühen Muslime lasen die Werke der griechischen Naturwissenschaftler, Mathematiker und Philosophen, und sie studierten die Werke der Perser, Inder und Chinesen. Das Ergebnis war, dass Naturwissenschaften und Mathematik eine enorme Blütezeit erlebten. Muslimische Gelehrte erweiterten diesen Wissenskorpus und entwickelten neue Disziplinen wie die Astronomie, die Geografie und neue Zweige der Mathematik. Sie führten die ¸¸arabischen" Zahlen ein und ermöglichten so einfache und unbegrenzte mathematische Berechnungen. Ungefähr im 15. Jahrhundert jedoch begannen die Gelehrten innerhalb des Islam, dem naturwissenschaftlichen Studium Einhalt zu gebieten. Sie begannen, sich nur noch mit der Religion zu befassen und beharrten darauf, dass nur jene, welche die Religion - und insbesondere das islamische Recht - studierten, sich Verdienste für das Leben nach dem Tode erwerben. Das Resultat war ein intellektueller Rückschritt genau zu jenem Zeitpunkt, als Europa begann, sich naturwissenschaftliches und mathematisches Wissen zu Eigen zu machen.

Während also die Muslime intellektuell immer rückständiger wurden, begannen die Europäer ihre Renaissance und bahnten sich den Weg zu einer Moderne, die es ihnen letztlich erlaubt, die Welt zu beherrschen. Im Gegensatz dazu schwächten die Muslime in verhängnisvoller Weise ihre Fähigkeiten, sich selbst zu verteidigen, indem sie das angeblich weltliche Studium der Naturwissenschaften und der Mathematik vernachlässigten oder sogar ablehnten. In dieser Kurzsichtigkeit liegt die Unterlegenheit der Muslime begründet - bis heute. Noch immer verurteilen viele Muslime den Begründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, weil er versuchte, sein Land zu modernisieren. Aber Atatürks Klarsichtigkeit rettete letztlich den Islam in der Türkei und die Türkei für den Islam.

Die Unfähigkeit, die wahre, grundlegende Botschaft des Koran zu begreifen und entsprechend auszulegen, hat den Muslimen Unglück gebracht. Indem sie sich auf die Lektüre religiöser Werke beschränkten und die modernen Wissenschaften vernachlässigten, haben sie die islamische Zivilisation zerstört und sind vom Weg in der Welt abgekommen. Der Koran sagt: ¸¸Allah wird unsere unglücklichen Umstände nicht ändern, sofern wir uns nicht selbst bemühen, sie zu ändern." Viele Muslime ignorieren dies weiterhin und beten stattdessen lediglich zu Allah, auf dass er sie erretten und ihnen ihre verlorene Ehre zurückgeben möge. Aber der Koran ist kein Talisman, den man sich als Schutz gegen das Böse einfach um den Hals hängt. Allah hilft vor allem jenen, die ihren geistigen Horizont erweitern.

Mahathir bin Mohamad war von 1981-2003 Premierminister von Malaysia. Foto: AP Copyright: Project Syndicate, 2005.Aus dem Englischen von Jan Neumann

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.269, Dienstag, den 22. November 2005 , Seite 2
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