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11. September findet ins Kino
von Grigorios Petsos
Was passiert, wenn die Passagiere eines entführten Flugzeug merken, dass sie nichts mehr zu verlieren haben? Das atemlose Action-Drama "Flug 93" zeichnet die sich überschlagenden Ereignisse vom 11. September 2001 im vierten Flugzeug, das sein Anschlagsziel verfehlte, minutiös, aber auch unprätentiös nach.
Der Flug mit der Nummer 93 der United Airlines sollte das Kapitol treffen, das spektakulärste und zugleich empfindlichste Ziel dieser beispiellosen terroristischen Aktion im Spätsommer des Jahres 2001. Nur aufgrund einer normalen Verspätung beim Abflug und dem beherzten Eingreifen der Passagiere konnte eine noch weitreichendere Katastrophe verhindert werden.
Offizielle Version als Vorlage
So die offizielle Version des Abschlussberichts, welcher der Film Schritt für Schritt folgt. Verschwörungstheorien, dass das Flugzeug abgeschossen worden sei, hält Regisseur Paul Greengrass ("Bloody Sunday"; "Die Bourne Verschwörung") für nicht beweisbar. Er beruft sich auf die Telefonate der Passagiere mit ihren Angehörigen und auf die Interviews, die er mit den Angehörigen geführt hat.
Tatsächlich basiert ein guter Teil des Films auf diesen Gesprächen, die heimlich mit Handys oder Bordtelefonen geführt wurden. Aber auch Funk-Mitschnitte aus dem Cockpit geben Hinweise darauf, was an jenem Tag im September über dem Mittelwesten der USA wirklich geschehen sein mag. Die Ereignisse in den zivilen und militärischen Kontrollzentren dagegen sind sehr gut bekannt und konnten nahtlos rekonstruiert werden.
Kein einsamer Held
Der Film wechselt effektvoll zwischen den sich zuspitzenden Vorgängen im Flugzeug und den überforderten militärischen und zivilen Kontrollzentralen. Denn dies ist auch ein Film über den Zusammenbruch eines Systems, das gefangen in seiner eigenen Komplexität, sich letztlich als vollkommen hilflos erwiesen hat.
Ganz bewusst verzichtete Greengrass auf Actionhelden wie Tom Cruise oder Bruce Willis. "Flug 93" ist deshalb alles andere als ein typischer Flugzeugkatastrophenfilm, wie sie in Hollywood seit Jahrzehnten vom Fließband laufen. Kein einsamer Held, der die Entführer mit Karateschlägen entwaffnet und mit seinem Sportflugzeugschein den Jumbo heil runterbringt, wobei ihm anschließend die Stewardess in die Arme sinkt.
Denn in der Realität geht immer alles anders aus, und genau das vermittelt der Film auf eindruckvollste Weise. Greengrass hat nach eigenen Angaben versucht, eine glaubhaft Wahrheit zu verfilmen. Deshalb spielen zum Beispiel auch echte Stewardessen und Piloten mit. Auch manche der Fluglotsen, die an diesem Tag Dienst hatten, wurden für den Dreh engagiert. Der Chef der Bundesflugbehörde Ben Sliney, der am 11. September 2001 seinen neue Arbeitsstelle antrat, spielt sich sogar selbst.
Teamwork und Gruppendynamik
Dazu kommt eine wackelnde Handkamera, ein maßvoller Einsatz der Filmmusik und die fehlende Fokussierung auf Einzelcharaktere. Die Passagiere handeln als Gruppe, fast möchte man sagen, im Teamwork. Auch die Fluglotsen und Militärs in den Kontrollstellen sind nur Teil einer Maschinerie, dessen Rädchen sich plötzlich anders drehen sollen und deshalb verkeilen.
"Flug 93" zeigt auch sehr deutlich, dass die Passagiere nicht das Weiße Haus retten wollten, sondern sich selbst. Der nackte Kampf ums Überleben, das Ergreifen des letzten Strohhalms, das ist zwar auch der Stoff aus dem die Hollywoodträume sind, aber Greengrass inszeniert das Drama in den Wolken als chaotischen, nur wenig koordinierten Widerstand aus Verzweiflung, aus nackter Todesangst.
Die Fratze der Realität
Die Gewalt wird zwar im Schnitt versteckt, aber dennoch in all ihrer Brutalität überdeutlich. Denn der Film ist auch ein Psychothriller, der seinen Schrecken aus dem Kontrast zwischen Normalität und Perversion zieht.
Gerade die nackte, ungeschminkte Realität der Gewalt emotionalisiert den Zuschauer wesentlich eindrucksvoller als ein aufgemotzter Action-Reißer, der den Blick auf die eigentliche Gewalt hinter Hightech-Schnickschnack beschönigt, wenn nicht gar vollkommen verbirgt.
Es sei ein schöner Tag zum Fliegen, wird zu Beginn gesagt, am Ende muss eine supertechnisierte Administration machtlos zusehen, wie auch das vierte Flugzeug einfach so vom Radar verschwindet.
Gedenken an die Opfer
Wenngleich auch Zweifel an der offiziellen Version der US-Regierung geäußert werden dürfen, ja müssen, so tat Greengrass doch gut daran, sich nicht aufs Glatteis des Spekulativen zu begeben. Auch wenn Zeugen eine Explosion im Flugzeug vor dem Absturz gesehen haben wollen und die Verteilung der Trümmer ebenfalls eher auf einen Abschuss denn einen Absturz hinweisen, so war es besser, sich auf eine sehr wahrscheinliche Version zu stützen und nicht verschiedene Lesarten miteinander zu verwursten.
Schließlich wurde "Flug 93" auch zum Gedenken an die Opfer gedreht. Dies ist mit einem hohen Maß an Authentizität gelungen. Ohne das Ansehen der Opfer zu schmälern, aber auch ohne es zum amerikanischen Heldentum hochzustilisieren, sehen wir nur ganz normale Menschen, die überall auf der Welt so gehandelt hätten.
>So ist "Flug 93" ein erfrischend unamerikanischer US-Spielfilm des Briten Paul Greengrass.
Hollywood beendet Phase der Zurückhaltung
Obgleich Viele in den USA die Produktion von "Flug 93" als immer noch zu früh ansehen, hat Hollywood jetzt die auferlegte Selbstbeschränkung aufgegeben und wird mit Oliver Stones "World Trade Center" (Filmstart im August 2006) Nicolas Cage als Feuerwehrmann in die Zwillingstürme schicken.
Neben anderen Produktionen folgt dann 2007 "102 Minutes", eine exakte Rekonstruktion der Ereignisse vom 11. September 2001. Es ist zu erwarten, dass diese Produktionen von der erfolgserprobten üblichen Hollywood-Machart sein werden.
Hier noch paar Bilder des 11/9
von Grigorios Petsos
Was passiert, wenn die Passagiere eines entführten Flugzeug merken, dass sie nichts mehr zu verlieren haben? Das atemlose Action-Drama "Flug 93" zeichnet die sich überschlagenden Ereignisse vom 11. September 2001 im vierten Flugzeug, das sein Anschlagsziel verfehlte, minutiös, aber auch unprätentiös nach.
Der Flug mit der Nummer 93 der United Airlines sollte das Kapitol treffen, das spektakulärste und zugleich empfindlichste Ziel dieser beispiellosen terroristischen Aktion im Spätsommer des Jahres 2001. Nur aufgrund einer normalen Verspätung beim Abflug und dem beherzten Eingreifen der Passagiere konnte eine noch weitreichendere Katastrophe verhindert werden.
Offizielle Version als Vorlage
So die offizielle Version des Abschlussberichts, welcher der Film Schritt für Schritt folgt. Verschwörungstheorien, dass das Flugzeug abgeschossen worden sei, hält Regisseur Paul Greengrass ("Bloody Sunday"; "Die Bourne Verschwörung") für nicht beweisbar. Er beruft sich auf die Telefonate der Passagiere mit ihren Angehörigen und auf die Interviews, die er mit den Angehörigen geführt hat.
Tatsächlich basiert ein guter Teil des Films auf diesen Gesprächen, die heimlich mit Handys oder Bordtelefonen geführt wurden. Aber auch Funk-Mitschnitte aus dem Cockpit geben Hinweise darauf, was an jenem Tag im September über dem Mittelwesten der USA wirklich geschehen sein mag. Die Ereignisse in den zivilen und militärischen Kontrollzentren dagegen sind sehr gut bekannt und konnten nahtlos rekonstruiert werden.
Kein einsamer Held
Der Film wechselt effektvoll zwischen den sich zuspitzenden Vorgängen im Flugzeug und den überforderten militärischen und zivilen Kontrollzentralen. Denn dies ist auch ein Film über den Zusammenbruch eines Systems, das gefangen in seiner eigenen Komplexität, sich letztlich als vollkommen hilflos erwiesen hat.
Ganz bewusst verzichtete Greengrass auf Actionhelden wie Tom Cruise oder Bruce Willis. "Flug 93" ist deshalb alles andere als ein typischer Flugzeugkatastrophenfilm, wie sie in Hollywood seit Jahrzehnten vom Fließband laufen. Kein einsamer Held, der die Entführer mit Karateschlägen entwaffnet und mit seinem Sportflugzeugschein den Jumbo heil runterbringt, wobei ihm anschließend die Stewardess in die Arme sinkt.
Denn in der Realität geht immer alles anders aus, und genau das vermittelt der Film auf eindruckvollste Weise. Greengrass hat nach eigenen Angaben versucht, eine glaubhaft Wahrheit zu verfilmen. Deshalb spielen zum Beispiel auch echte Stewardessen und Piloten mit. Auch manche der Fluglotsen, die an diesem Tag Dienst hatten, wurden für den Dreh engagiert. Der Chef der Bundesflugbehörde Ben Sliney, der am 11. September 2001 seinen neue Arbeitsstelle antrat, spielt sich sogar selbst.
Teamwork und Gruppendynamik
Dazu kommt eine wackelnde Handkamera, ein maßvoller Einsatz der Filmmusik und die fehlende Fokussierung auf Einzelcharaktere. Die Passagiere handeln als Gruppe, fast möchte man sagen, im Teamwork. Auch die Fluglotsen und Militärs in den Kontrollstellen sind nur Teil einer Maschinerie, dessen Rädchen sich plötzlich anders drehen sollen und deshalb verkeilen.
"Flug 93" zeigt auch sehr deutlich, dass die Passagiere nicht das Weiße Haus retten wollten, sondern sich selbst. Der nackte Kampf ums Überleben, das Ergreifen des letzten Strohhalms, das ist zwar auch der Stoff aus dem die Hollywoodträume sind, aber Greengrass inszeniert das Drama in den Wolken als chaotischen, nur wenig koordinierten Widerstand aus Verzweiflung, aus nackter Todesangst.
Die Fratze der Realität
Die Gewalt wird zwar im Schnitt versteckt, aber dennoch in all ihrer Brutalität überdeutlich. Denn der Film ist auch ein Psychothriller, der seinen Schrecken aus dem Kontrast zwischen Normalität und Perversion zieht.
Gerade die nackte, ungeschminkte Realität der Gewalt emotionalisiert den Zuschauer wesentlich eindrucksvoller als ein aufgemotzter Action-Reißer, der den Blick auf die eigentliche Gewalt hinter Hightech-Schnickschnack beschönigt, wenn nicht gar vollkommen verbirgt.
Es sei ein schöner Tag zum Fliegen, wird zu Beginn gesagt, am Ende muss eine supertechnisierte Administration machtlos zusehen, wie auch das vierte Flugzeug einfach so vom Radar verschwindet.
Gedenken an die Opfer
Wenngleich auch Zweifel an der offiziellen Version der US-Regierung geäußert werden dürfen, ja müssen, so tat Greengrass doch gut daran, sich nicht aufs Glatteis des Spekulativen zu begeben. Auch wenn Zeugen eine Explosion im Flugzeug vor dem Absturz gesehen haben wollen und die Verteilung der Trümmer ebenfalls eher auf einen Abschuss denn einen Absturz hinweisen, so war es besser, sich auf eine sehr wahrscheinliche Version zu stützen und nicht verschiedene Lesarten miteinander zu verwursten.
Schließlich wurde "Flug 93" auch zum Gedenken an die Opfer gedreht. Dies ist mit einem hohen Maß an Authentizität gelungen. Ohne das Ansehen der Opfer zu schmälern, aber auch ohne es zum amerikanischen Heldentum hochzustilisieren, sehen wir nur ganz normale Menschen, die überall auf der Welt so gehandelt hätten.
>So ist "Flug 93" ein erfrischend unamerikanischer US-Spielfilm des Briten Paul Greengrass.
Hollywood beendet Phase der Zurückhaltung
Obgleich Viele in den USA die Produktion von "Flug 93" als immer noch zu früh ansehen, hat Hollywood jetzt die auferlegte Selbstbeschränkung aufgegeben und wird mit Oliver Stones "World Trade Center" (Filmstart im August 2006) Nicolas Cage als Feuerwehrmann in die Zwillingstürme schicken.
Neben anderen Produktionen folgt dann 2007 "102 Minutes", eine exakte Rekonstruktion der Ereignisse vom 11. September 2001. Es ist zu erwarten, dass diese Produktionen von der erfolgserprobten üblichen Hollywood-Machart sein werden.
Hier noch paar Bilder des 11/9