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Freunde, Opfer, Gefühle

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Danijel.Danilovic
Sendung für Ex-Jugoslaven
Freunde, Opfer, Gefühle



Von Norbert Mappes-Niediek



Serbische Kriegsgefangene (Bild: Getty Images)


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Als Antonello Satta die ersten Worte in seiner Muttersprache hörte, stutzte er erst einmal. Was wollte der fremde Mann von ihm? Auf Erschrecken folgte ein erstes leises Lächeln – und damit rundete sich eine unglaubliche Geschichte. Die Begegnung auf einer Straße in Cagliari auf Sardinien bewegte nicht nur den Journalisten Sasa Lekovic, der Antonello Satta nach 35 Jahren zum ersten Mal auf Serbisch anredete. Die Geschichte rührte ganz Serbien, Kroatien, Bosnien, Montenegro – nach 18 Jahren der erste Fall, der die zerstrittenen Nationen gemeinsam erschütterte.

"Potraga", Suche, heißt eine Sendung des Belgrader Fernsehsenders B92. Wöchentlich stellt sie Fälle von Vermissten vor, lässt suchende Angehörige zu Wort kommen und hilft alten Freunden, sich nach den Kriegsjahren wieder zu begegnen.

Gefunden werden in dem TV-Magazin und der gleichnamigen Rundfunksendung aber nicht nur "verschwundene" Personen und abgerissene Kontakte, an denen die Länder des untergegangenen Jugoslawien so zahlreich sind. Wiederfinden können die Zuschauer auch verschüttete Emotionen wie Mitleid, Vertrauen, Erschrecken.
"Wer ,Potraga‘ sieht, lernt seine Gesellschaft besser kennen", sagt Sasa Lekovic, der Redakteur der Sendung. Zu den Verschwundenen, so Lekovic, zählen besonders viele ältere Serben aus Kroatien, die 1995 als Flüchtlinge nach Serbien kamen, im chaotischen Nachkriegsland nicht Fuß fassten und irgendwo eine vergessene Existenz führen.
Der Fall des Stadtstreichers von Cagliari hat nicht nur den Serben vor Augen geführt, was in ihrem Land alles möglich ist. Antonello Satta, wie er heute genannt wird, kam als Dragan in einer Roma-Siedlung im serbischen Aleksinac zur Welt. Sieben Jahre war er alt, als ein Mann ihn entführte und nach Italien zum Betteln und Stehlen schickte. Nach Jahren gelang ihm die Flucht und die Heimkehr nach Aleksinac. Aber derselbe Mann entführte ihn ein zweites Mal. Dragan floh wieder, landete irgendwann in Sardinien, lebte dann auf der Straße.
Weil er weder Papiere noch einen Namen hatte, nannten die Behörden in Cagliari den Heimatlosen nach der Via Satta, der Straße, in der er zu übernachten pflegte. Irgendwann erzählte er ihnen Teile seiner Geschichte. Ein italienischer Journalist, der davon Wind bekam, schnappte den Ortsnamen Aleksinac auf und stieß beim Weitersuchen auf "Potraga".
Lekovic zeigte den Roma in Aleksinac ein Bild von "Antonello". Der Ortsvorsteher erkannte ihn wieder. Lekovic flog nach nach Cagliari und fand Antonello. "Er konnte noch serbische Lieder singen und wusste alle Bahnstationen zwischen Aleksinac und Belgrad auswendig", erinnert sich der 50-jährige Journalist, ein Veteran der Kriegsberichterstattung: Einst hatte der Junge mit seinem Vater in Zügen musiziert.
Der Schrecken vieler Roma-Schicksale wird bei "Potraga" konkret. Aber es zittern auch Serben um verschwundene Kroaten und umgekehrt. Die Schicksale ähneln sich, die Sprache ist mehr oder weniger die gleiche – da fällt die Identifizierung leicht. Mindestens 20000 Menschen gelten seit dem Kriegsende in Bosnien und Kroatien 1995 als vermisst.
Besonders ergriffen hat das fünfköpfige Redaktionsteam der Fall eines serbisch-kroatischen Ehepaars aus Mostar in der Herzegowina. Als der Ehemann eines Kriegstages im Jahr 1992 nach Hause kam, war seine Frau mit dem Baby verschwunden. Der Serbe suchte Frau und Tochter in Kroatien, wurde aber an der Grenze von Soldaten abgefangen, verprügelt und zurückgeschickt. "Potraga" machte die Ehefrau und die inzwischen 18-jährige Tochter schließlich in Kroatien ausfindig.
Ein Problem ist die Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden der Nachfolgestaaten. Offiziell arbeitet die Polizei in Serbien, Kroatien, Mazedonien, Bosnien und Montenegro zwar mit "Potraga" zusammen. Statt Informationen zu bekommen, stoßen die Belgrader Reporter aber immer wieder auf Desinteresse und Nachlässigkeit. Anders erklärt sich kaum, dass das "Potraga"-Team schon mehrfach als vermisst Gemeldete aufspürte, die einfach nur in einer anderen Stadt lebten.
Über die Grenzen der ex-jugoslawischen Republiken geht schon gar nichts. Totale Funkstille schließlich herrscht für "Potraga" im Kosovo. Dass die Polizei dort unter internationaler Aufsicht steht, macht es nicht besser. "Da findet sich nie jemand, der zuständig ist."
Besser funktioniert die Zusammenarbeit mit Journalistenkollegen. Entwickelt hat Lekovic, selbst Kroate, seine Sendung in Zagreb. Weil er aber mit B92 einen Produzenten nur in Belgrad fand, zog er im Vorjahr selbst in die serbische Hauptstadt. Inzwischen kann "Potraga" auch in Montenegro und Kroatien und per Satellit im Rest der Welt empfangen werden.

Sendung für Ex-Jugoslaven: Freunde, Opfer, Gefühle | Frankfurter Rundschau - Feuilleton
 
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