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Gebrauchte Herzschrittmacher

Grizzly

Problembär
Als ich den Artikel gelesen hab, dachte ich erst: Naja. Andererseits, wenn's den Leuten hilft, und wenn keine Geschäfte damit gemacht werden ... Ich befürchte allerdings letzteres.
Grizzly.


Sie sind zu teuer, um sie nach einmaligem Gebrauch wegzuwerfen. Viele Medizingeräte sind zwar als Einmalartikel deklariert, arbeiten aber nach Reinigung und Sterilisation genauso zuverlässig wie fabrikneue Modelle. Viele Herzschrittmacher liefern nun Stromimpulse für Menschen in Entwicklungsländern.

Unter der Erde bleiben oft nicht nur Goldzähne und Ehering, sondern in vielen Fällen auch eine teure Hightech-Ausstattung im Körper des Verstorbenen. Nicht selten hat der implantierte Herzschrittmacher erst wenige Monate seinen Dienst getan, bevor er mitbeerdigt wurde. Nicht selten läuft er danach noch etliche Jahre weiter. Wer es vorzieht, eingeäschert zu werden, dessen technische Herz-Hilfe wird meist aufgrund der Explosionsgefahr vorher explantiert – und wandert auf den Abfall – zumindest in neun von zehn Fällen.

Gerade hatte die schottische Kardiologin Melissa Walton-Shirley einer Patientin einen sehr teuren Schrittmacher eingesetzt, als die Dame nur wenige Tage später starb. Wäre es nicht vielleicht auch im Sinne der Verstorbenen, das Gerät zu entnehmen und jemandem zugute kommen zu lassen, der darauf angewiesen ist, sich aber diese teure Medizintechnik nicht leisten kann? Als Walton-Shirley ihre Idee bei einem Kongress der amerikanischen Herzgesellschaft vorstellte, wurde das Thema gar nicht weiter diskutiert. Zu heikel erschien den meisten wohl die Idee, ein Gebrauchtgerät an das Herz ihres Patienten anzuschließen. Dagegen befürworten, entsprechend amerikanischer Umfragen, fast neunzig Prozent der Träger von Schrittmachern die Idee, ihr Gerät nach ihrem Tod weiterzugeben.
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In Europa war eine Medizin mit „Second-Heart“-Geräten noch vor wenigen Jahren üblich. So veröffentlichte Cecilia Linde vom Stockholmer Karolinska Hospital 1998 eine retrospektive Studie über durchschnittlich zweieinhalb Jahre über Patienten mit neuen im Vergleich zu gebrauchten Geräten. Bei den jeweils hundert Patienten kam es bei den Gebrauchtgeräten zu drei Infektionen, bei den neuen dagegen zu sieben.

Hoffnung für Menschen in Entwicklungsländern

In den USA verbietet die Gesundheitsbehörde FDA den Zweitgebrauch von Herzschrittmachern und auch in Deutschland ist die Wiederverwendung den meisten Kardiologen fremd. Inzwischen gibt es jedoch einige – meist amerikanische – Initiativen, die sich darum bemühen, dass Schrittmacher, die noch über mindestens 70 Prozent Batterielaufzeit verfügen, in unterentwickelte Länder wie Indien, Kuba oder die Philippinen wandern. Rund 9.000 Geräte hat etwa eine Initiative der Universität Michigan in den letzten Jahren eingesammelt, auch wenn der Bedarf wesentlich größer ist. Auch hier sind die Berichte durchwegs positiv.

Infektionsrate nicht höher als bei Neuware

Vor zwei Jahren erschien in der Fachzeitschrift „Circulation: Arrhythmia and Electrophysiology“ eine Übersicht über 18 Studien zur Wiederverwendung von Herzschrittmachern. Bei den zusammengenommen 2.300 Patienten kam es bei knapp zwei Prozent zu Infektionen. Die Rate lag damit in etwa genauso hoch wie bei Neugeräten. Fehlfunktionen traten zwar signifikant öfter beim Zweiteinsatz der Schrittmacher auf, die Häufigkeit lag aber mit 0,7 Prozent immer noch recht niedrig und führte in keinem einzigen Fall zum Tod des Patienten. Auch eine aktuelle Studie in „Circulation“ kommt zu ermutigenden Ergebnissen. Abgesehen von der etwas kürzeren Batterielaufzeit von durchschnittlich sechs Jahren waren Komplikationen im Vergleich zu Neugeräten nicht häufiger.

Diffiziler Reinigungsprozess

Es sind jedoch nicht nur Herzschrittmacher, die eigentlich als „Einmal-Geräte“ konzipiert sind und doch in ihrem zweiten Leben gute Dienste verrichten. Auch implantierbare Kardioverter/Defibrillatoren (ICD) funktionieren in der Regel einwandfrei, wenn die Batterie noch eine genügend lange Laufzeit hergibt. Weitere Einmalprodukte aus der Kardiologie, die Chancen für den Gebrauchtwarenhandel haben, sind Diagnostik- und Ablationskatheter.
Damit etwa Ablationskatheter auch nach der Wiederaufbereitung einwandfrei funktionieren, sind ausgeklügelte Reinigungs- und Sterilisationsprozeduren notwendig. Vanguard, einer der Spezialisten auf diesem Gebiet, beschreibt die Anforderungen: „Die Aufbereitung von Ablationskathetern mit gekühlter Elektrode ist aufgrund des offenen Lumens mit den sehr kleinen endständigen Öffnungen besonders anspruchsvoll. In das validierte Aufbereitungsverfahren ist als Prozessschritt eine Inversspülung, d. h. eine Pulsations-Druckspülung von distal nach proximal über spezielle Adapter, integriert.“ Dabei überwachen Sensoren den Erfolg der Reinigung: „Sollten Abweichungen von den zuvor experimentell ermittelten und somit hinterlegten Spezifikationen auftreten, findet eine automatische Sperrung statt.“

Ablationskatheter zum halben Preis

Rund vier bis fünf Mal lassen sich solche Katheter aufbereiten. Dabei kann sich die Klinik erhebliche Kosten sparen. Gesundheitsökonom Wilfried von Eiff von der Universität Münster macht dabei eine Modellrechnung für gekühlte und ungekühlte Ablationskatheter auf: Angenommen, sieben von zehn Katheter werden aufbereitet, spart sich die Klinik pro gekühltem Katheter rund 700 Euro. Bei 46.000 Ablationen jährlich wären das für ganz Deutschland rund 7 Mio. Euro per annum. Bei den ungekühlten Geräten sind es dementsprechend 740 Euro Ersparnis pro Gerät und 16,7 Mio. Euro insgesamt.
Zwischen 1996 und 2011 verwendete die Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim fast 70.000 gebrauchte Herzkatheter und entsprechendes Zubehör. Heinz-Friedrich Pitschner von der Klinik berichtete vor zwei Jahren über eine Kosteneinsparung von rund 35 Prozent. Sein Fazit zur Sicherheit: „Bislang gab es noch kein einziges Vorkommnis, das auf den Einsatz eines recycelten Medizinprodukts zurückzuführen gewesen wäre.“ Auch eine Studie an der Klinik München-Großhadern mit rund 330.000 wiederaufbereiteten Medizinprodukten im Bereich der Elektrophysiologie ergab im Laufe von 15 Jahren kein erhöhtes Risiko bei Gebrauch und Funktion.

Deutsche und EU-Richtlinien

Bis vor kurzem stand die EU diesem Recycling noch relativ kritisch gegenüber. Von Eiff und andere Experten konnten nun aber die wirtschaftlichen Vorteile eindeutig belegen. Nach einem neuen Regelungsentwurf soll eine generelle Wiederaufbereitung auch von „Einmalprodukten“ möglich sein. Spezialisierte Aufbereiter werden dabei auch bezüglich der Garantieansprüche wie Hersteller betrachtet und unterliegen den gleichen Pflichten beim Qualitätsnachweis. Eine Liste von recyclingfähigen Einmalgeräten ist in Planung.
Eine grobe Übersicht darüber liefern auch Richtlinien zur Reinigung und Sterilisation von medizinischen Gerätschaften, die Robert-Koch-Institut und das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeinsam erarbeitet haben. Problemlos ist demnach zum Beispiel die Wiederherstellung von EKG-Elektroden. Größere Sorgfalt erfordern flexible Endoskope, besonders aufwändig gestaltet sich die Wiederaufbereitung von ERCP-Kathetern.

Problemfall Hepatitisviren

Aber auch wenn spezialisierte Aufbereitungsfirmen wie Vanguard oder Ascamed ausgeklügelte Protokolle erstellt haben, bleiben doch einige Probleme, die nach Meinung von Experten noch nicht gelöst wurden. So ist bisher noch nicht eindeutig klar, ob die entsprechenden Sterilisationsverfahren auch die Übertragung von Hepatitis B und -C Viren verhindern können. Besonders HCV scheint in Blutresten mehrere Monate überleben zu können. Eine entsprechende Langzeitstudie zu Hepatitisinfektionen, die auf wiederaufbereitete Geräte zurückgehen, gibt es jedoch bisher nicht. Schließlich sollte es die Klinik mit der Kosteneinsparung auch nicht übertreiben. Es gibt etliche Einwegprodukte, die zwar günstig sind, aber nicht die ausreichende Qualität für einen zweiten Einsatz haben. Ähnlich kritisch sieht Wilfried von Eiff etwa eine „Do-It-Yourself“-Wiederaufbereitung in der Klinik ohne ausreichend validierte Protokolle.
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Quelle und ganzer Text: Schrittmacher, kaum benutzt, günstig abzugeben - Newsletter: DocCheck News - DocCheck-News - DocCheck News
 
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