Aktuelles
  • Herzlich Willkommen im Balkanforum
    Sind Sie neu hier? Dann werden Sie Mitglied in unserer Community.
    Bitte hier registrieren

Graphic Novel "Sarajevo"

Habe ich gerade beim Stöbern entdeckt. Vielleicht ist es für den ein oder anderen interessant. Ich habe die Bilder gleich mit rein kopiert.

Graphic Novel "Sarajevo": Die Grauzonen des Grauens


Von Moritz Piehler

Joe Sacco/ edition moderne

Mit "Sarajevo" legt US-Zeichner Joe Sacco eine weitere seiner legendären Graphic-Novel-Reportagen vor - diesmal zum Balkankrieg. Sie handelt von Randfiguren und Kriegsgewinnlern in der belagerten Stadt und wirkt auch heute noch aktuell.

image-853056-galleryV9-bkgh.jpg

image-853055-galleryV9-wtzi.jpg

image-853054-galleryV9-ckjo.jpg

image-853047-galleryV9-hbot.jpg

image-853039-galleryV9-hgjd.jpg

image-853025-galleryV9-cvsy.jpg



Der kleine Amerikaner mit der runden Brille gilt zu Recht als einer der Vorreiter des gezeichneten Reportagejournalismus. Joe Saccos Langzeitrecherche "Bosnien", für die er während des Balkankriegs immer wieder in die umzingelte Stadt Gorazde gereist war, gab den Menschen dort ein über die Tagesberichterstattung hinausgehendes Gesicht.

Nun liegt sein neuer Band auf Deutsch vor, der in der hiesigen Ausgabe "Sarajevo" heißt - im Original allerdings passender: "Fixer". Sacco beleuchtet darin die Grauzone des Kriegsgeschäfts, in dem Journalisten sich auf sogenannte Fixer verlassen, die sie mit spannenden Gesprächspartnern in Kontakt bringen, Fahrten an die Front organisieren, Übersetzer und Leibwächter in einem sind.

Neven, der serbische Fixer, den Sacco immer wieder getroffen hat und den er in "Sarajevo" stellvertretend porträtiert, war selbst mehrfach als Soldat im Einsatz. Nun verdient er sein Geld, indem er in Sarajevos Hotellobbys auf Journalisten aus aller Welt wartet, um sie für ein paar hundert Mark mit spektakulären Geschichten und Aufnahmen zu versorgen. Dabei verschwimmen Legenden und Wahrheiten zu einer undurchsichtigen Variante des komplizierten Konflikts.


Fiebrige Rauschszenen der Partys und Bars


In einem Krieg, der von medialer Überaufgeregtheit, politisch kalkulierter Verschleierungstaktik, ungeahnten und oft ungeahndeten Brutalitäten geprägt war, hatten die Fixer großen Einfluss darauf, wie und vor allem was in den internationalen Medien berichtet wurde. Die Diskrepanz zwischen totaler Abhängigkeit von zwielichtigen Kriegsprofiteuren und journalistischer Sorgfalt zeichnet Sacco mit der ihm eigenen Skepsis auf.


Im typischen Crumb-esken Strich stolpert die Figur Sacco durch die Erzählungen der Kriegsveteranen; sie mögen erfunden oder aufgebauscht sein, können aber genauso gut der Wahrheit entsprechen. Letztlich gelingt es Neven bei jedem Treffen, dem wissensdurstigen Zeichner im Austausch für eine Geschichte oder einen Kontakt ein bisschen Geld zu entlocken. Dazwischen bewegen sich die Protagonisten durch die fiebrigen Rauschszenen der Partys und Bars in der belagerten Stadt.
Als Kontrast stellt Sacco dem immer wieder in der Retrospektive entstandene Hintergrundinformationen gegenüber, ordnet so Figuren und Geschehnisse des Krieges für den Leser ein. Unter anderem zeichnet er seitenweise Auszüge aus Aussagen von Soldaten, die an Massakern beteiligt waren. Wie schon in "Bosnien" erspart Sacco seinen Lesern dabei die brutalen Details dieses Krieges nicht.


Sacco macht aus seinem Unwissen keinen Hehl





Das ist auch in Schwarz-Weiß und gezeichneter Form keine leichte Kost, zumal Sacco nie der Versuchung erliegt, die Reportage in ein Action-Comic zu verwandeln. Ihn unterscheidet von seinen schreibenden und filmenden Kollegen nicht nur die langatmigere Recherche, sondern auch, dass er aus dem eigenen Unwissen und den Grauzonen seiner Quellen keinen Hehl macht.

Zwei angehängte Kurzreportagen, die bereits veröffentlicht waren, runden die Erzählung vom Randgeschehen eines Krieges ab. Sie handeln vom traurigen Künstler Soba, den der Krieg zum Popstar macht und von einer absurden Fahrt mit zwei US-Reportern, um Karadzic am Weihnachtsabend zu interviewen.


In Zeiten hektischer Kriegsberichterstattung aus der ganzen Welt ist "Sarajevo" auch ein mahnendes Beispiel, Arbeitsweise und Informationen von Krisenjournalisten kritisch zu hinterfragen. Sacco beweist mit seiner Arbeit einmal mehr seine Qualitäten als herausragender Reportagezeichner. Er erinnert eindrücklich an diesen brutalen Krieg in der Mitte Europas - und an die Versäumnisse der Weltgemeinschaft.


image-853274-hpcpleftcolumn-byby.jpg

Joe Sacco:
Sarajevo

Comic.
Edition Moderne;
176 Seiten; 26 Euro.

"Sarajevo" von Joe Sacco: Graphic Novel zum Balkankrieg - SPIEGEL ONLINE
 
Zurück
Oben