Für die im April 1990 ausgeschriebenen freien Wahlen zum alten Dreikammern- Parlament registrierten sich über 30 Parteien, darunter auch mehrere lokale Parteien und Parteien für Serben, Albaner, Roma, Ungarn und Muslime. Sieben bürgerlich- demokratische Parteien unter der Führung von Mika Tripalo und Savka Dabcevic-Kucar, einem Protagonisten des "Kroatischen Frühlings", schlossen sich zu einer libera-len "Koalition der nationalen Verständigung" (Koalicija narodnog spozuma) zusammen. Sie stellte während der Wahlkampagne neben dem "Linksblock" der SKH-SDP und dem nationalen Sammelbecken der HDZ einen der großen Blöcke
Parallel zu der Liberalisierung kam es durch die nun mögliche freie Meinungsäußerung und die starke mediale Präsenz aller Parteien im Fernsehen und in den Zeitungen zu einer starken Politisierung und Mobilisierung der Gesellschaft.
Ein „anderer Typus von Intellektuellen“ betrat die Öffentlichkeit. Emigranten und politisch Verfolgte, häufig Schriftsteller prägten mit ihren Einzelschicksalen und Aufdeckungen über die Verbrechen der kommunistischen Diktatur stärk das geistige Klima der Wendezeit. Direktübertragungen des restlos zerstrittenen Zentralkomitees und Berichte über die Säuberungen verstärkten die weit verbreitete Frustration. Der Ruf nach stärkeren politischen Persönlichkeiten, die eher innerhalb der nichtkommunistischen Opposition zu finden waren, wurde lauter.
Alle größeren Gruppierungen setzten sich im Wahlkampf für einen demokratischen Übergang ihres Landes ein. Die „kroatische Frage“ war und wurde jedoch in den Mittelpunkt gerückt und bestimmte maßgeblich die politischen Diskussionen.
Vorhandene traumatische Erfahrungen mit dem alten System im Anschluss an den „Kroatischen Frühling",
die angebliche Unterdrückung und den kollektiven Faschismusvorwurf durch
die Serben und die wirtschaftliche Ausbeutung durch die Zentrale in Belgrad spielten eine wichtige Rolle.
Mit dem Hauptziel „Wiedergewinnung der kroatischen Souveränität“ setzte sich Tudjman von seinen Hauptkonkurrenten ab.
Er versprach die Gründung eines demokratischen und kapitalistischen Kroatiens auf dem Hintergrund nationalkroatischer und religiöser Werte. Wo sich die beiden anderen Blöcke zur Durchsetzung der kroatischen Interessen noch für eine Restrukturierung Jugoslawiens auf einer weniger zentralisierten Grundlage unter Beibehaltung serbischer Minderheitenrechte einsetzten, machten Tudjman und andere HDZ-Politiker deutlich, dass sich die Herstellung einer kroatischen Staatssouveränität und die Beibehaltung der existierenden jugoslawischen Föderation gegenseitig ausschlossen. Mit dem Wahlslogan „Lasst uns die Zukunft unseres eigenen Kroatiens selbst entscheiden“ führte die HDZ einen von der kroatischen Diaspora finanziell unterstützten kroatozentrischen Wahlkampf, der keinen Zweifel daran ließ, dass im Falle des Wahlgewinns kroatische Serben nur wie eine unter anderen Minderheiten behandelt werden würde, obwohl sie zwölf Prozent der Bevölkerung stellten. Sein Programm der "nationalen Versöhnung" sollte den Graben zwischen den antifaschistischen Partisanen und denen, die mit dem Ustasa-Regime sympathisierten oder den NDH-Staat stützten, überbrücken.
Revisionistische Aussagen zur kroatischen Vergangenheit führten zwar die in Pro- und Antifaschisten gespaltene kroatische Gesellschaft inklusive der Emigranten und ihrer Nachfahren zusammen, öffneten aber gleichzeitig den Weg zu gegenseitiger Missgunst zwischen der serbischen und kroatischen Bevölkerung Kroatiens und zu einer neuen ethnischen Spaltung.
Ungeachtet eines offensiven Nationalismus gelang es Tudjman mehr als den anderen
neu gegründeten Parteien mit seinem Programm der "nationalen Versöhnung" (pomirba) frühzeitig, Kontakte zu den Reformkommunisten und anderen Mitgliedern der kommunistischen Partei zu knüpfen, die entweder der Einparteienherrschaft oder dem serbi-schen Nationalismus entgegentreten wollten. So wird geschätzt, dass von Ende 1989 bis Juni 1990 27 000 Mitglieder der SKH-SDP zur HDZ wechselten.
Den polarisierenden Charakter des Wahlkampfes und die Benutzung ethno nationalistischer Appelle durch verschiedene Parteiführer und die Medien zeigen zwei im Dezember 1989 und im April 1990 durchgeführte Umfragen. Ließen sich vor der Lega-lisierung des Mehrparteienwettbewerbs kann nationale Spannungen belegen, fühlten sich unmittelbar vor der Wahl eine knappe Hälfte der serbischen Bürger Kroatiens, noch mehr in der vornehmlich von Serben bevölkerten Krajina, dem Zentrum des ser-bischen Nationalismus, von der Republikmehrheit der Kroaten diskriminiert Das Wahlergebnis spiegelte die durch Massenversammlungen emotionalisierte und mobilisierte Bevölkerung. Das zuvor von den Kommunisten zur "Installierung einer stabilen Regierung" eingeführte absolute personalisierte Mehrheitswahlrecht gab den kleineren Parteien keine Chance. Es sicherte der HDZ mit 42 Prozent der Stimmen und 205 der insgesamt 356 Sitze eine klare absolute Mehrheit in allen drei Kammern des Parlaments. Als stärkste Oppositionspartei konnten die Reformkommunisten trotz 35 Prozent der Stimmen nnur 29 Prozent der Sitze für sich beanspruchen. Die "Koalition der Verständigung" erhielt 50 Sitze, die Serbische Demokratische Parte fünf.
2.3 Der Weg in Unabhängigkeit und Krieg
Einen Monat nach der Wahl wurde am 30. Mai Franjo Tudjman mit 281 von 331 abgegebenen
Stimmen zum Präsidenten der Republik gewählt. Auch wenn die HDZ nicht einmal die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht hatte, versuchte sie, die Wahlen als ein "Plebiszit des kroatischen Volkes" darzustellen.
Ungeachtet der steigenden Ängste auf Seiten der serbische Bevölkerung, die sich ihres Einflusses auf die politischen lnstitutionen beraubt sah, benutzte Tudjman und die Regierungsmehrheit die legitimierte Autorität innerhalb eines Jahres zu einer Politik der "Staatsbildung mit Mitteln der Schocktherapie“.
Schon in den ersten Konzepten zur neuen Verfassung lag der Präambel ein ethnisches, Nationalverständnis zugrunde, das die Serben Zur Minderheit degradierte. Die interethnischen Spannungen verhärteten sich nachhaltig. Entlassungen von Serben ohne die Frage der Qualifikation zu einer "entsprechend der Bevölkerung zusammengesetzten Elite" bei Polizei, Justiz, Medien und im Bildungswesen trugen bei den Serben ebenso zu einer weiteren Verunsicherung bei wIe der verlohrene Einfluss auf der höchsten Entscheidungsebene der Republik.
Anmerkung
In den ersten 6 Monaten nach der Machtübernahme schon 280 Personen des Justizsystems, ersetzt (darunter, 14 Präsidenten von Bezirksgerichten, 78 Präsidenten kommunaler Gerichte, die Präsidenten des kroatischen Wirtschaftsgerichts und des Verwaltungsgericht, 13 Bezirkstaatsanwälte und Staatsanwälte von Kommunen). Damit wurden ethnische und politische Ziele erreicht, das ein großer Teil der Arbeit suchenden neuen HDZ-Elite aus Dissidentenkreisen kam. Vgl. Cohen 1997, S. 87
Parallel dazu begann Kroatien im Rahmen seines Konföderationsplans aus seinen Territorialstreitkräften eine Armee aufzubauen und wollte den einheitlichen Oberbefehl der Bundesebene abschaffen. Vom Milosevic-Regime unterstützt gründete sich ein "Serbischer Nationalrat" in der Krajina, der die Souveränität des serbischen Volkes in Kroatien proklamierte. In einem "illegal und prozedunl anfechtbaren Plebiszit“ spricht sich eine große Mehrheit der dortigen Bevölkerung füI die Autonomie der Krajina aus. Mit der sogenannten "Baumstamm-Revolution" im August 1990 begann die Desintegration Kroatiens in zwei Jurisdiktionen, die eine der kroatischen Autorität unterstellt, die andere unter Kontrolle der rebellischen Serben. Es war auch der Beginn einer T Teilung, der den Prozess der kroatischen Staatsbildung und der demokratischen Entwicklung maßgeblich verkompliziert hat.
Auch wenn es abzusehen war, dass der "Serbische Autonome Bezirk der Krajina" seitens der serbischen Republik unterstützt werden würde"', setzte Tudjman und die HDZ die nationalstaatliche Politik der Loslösung von Jugoslawien fort.
Die am 21. Dezember 1990 verabschiedete Verfassung führte offiziell die Demokratie und das Mehrparteinsystem ein. Gleichzeitig legte sie den staatsrechtlichen Status Kroatiens durch die Höherstellung des Landesrechts vor Bundesrecht unabhängig von Jugoslawien fest, wodurch der bisherige Jugoslawische Rechtsschutz für die Serben entfiel Die serbische Bevölkerung Kroatiens verlor ihren Status als staatstragende Nation, e!n neues Staatswappen und eine neue Nationalhymne wurden eingeführt. Die lateinische Schrift wurde als offizielles Alphabet der Republik anerkannt. Die historische Legitimation des "Nationalrats der kroatischen Nation und als Staat anderer Völker und Minderheiten der symbolischen Präambel verdrängte die eigentlich legal bindenden Gleichheitsrechte des operativen Textes (Art. 3) und unterstützte im politischen Umfeld von 1990 -1991 einen "konstitutionellen Nationalismus", der die Mitglieder einer Ethnie gegenüber anderen Einwohnern privilegierte
Am 21. juni proklamierte das Parlament in Zagreb nach einem im Mai 1991 durchgeführten Referendum einstimmig die „Souveränität und Selbständigkeit der Republik Kroatien“
Das bedeutete sowohl die offizielle Sezession aus dem Jugoslawischen Staatenverband, als auch den Herrschaftsanspruch über das gesamte Territorium der früheren Republik Kroatien und die Umwandlung der Republickgrenzen zu Staatsgrenzen.
Nach den Kriegshandlungen der JVA in Slowenien werden Anfang Juli auf Duck Westeuropas für drei Monate weitere Schritte zur Selbstständigkeit aufgeschoben. Bis zum Moratorium am 3. Oktober haben die Jugoslawische Volksarmee und die serbischen Milizen rund 39 Prozent des kroatischen Territoriums unter ihre Kontrolle gebracht. Kroatien erklärte erneut seine Unabhängigkeit, Über 10 000 Tote hinterließen jedoch eine tiefe Wunde in der kroatischen Psyche und beeinflussten maßgeblich die zukünftige Haltung gegenüber der serbischen Minderheit. Viele der Hunderttausenden von kroatischen Flüchtlingen aus der Krajina und angrenzenden Gebieten suchten nach Vergeltung Nach der diplomatischen. Anerkennung Kroatiens durch Deutschland im Dezember und durch die anderen EG-Staaten am 15. Januar schien das primäre Ziel kroatischer Politik erreicht.
Magisterarbeit: Nationalstaatsbildung und Demokratisierung in Kroatien - Textauszuege