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Ein lehrreiches Buch über die Geschichte des jüngsten Staates / Von Michael Martens
Unabsichtlich haben Ausländer bei der Bewertung der Krise und des Krieges um das Kosovo zumindest sprachlich oft das Raster albanischer oder serbischer Nationalisten übernommen - und damit die Mär von dem uralten ethnischen Hass auf dem Amselfeld. Der Historiker Oliver Jens Schmitt hat sich diese Perspektive in seinem Buch über die Geschichte des Kosovos nicht aufzwingen lassen. Er hat nicht allein Sprache und Nation in den Vordergrund seiner Untersuchung gestellt, da diese als Wahrnehmungskategorien in jüngerer Zeit zwar dominant, in früheren Jahrhunderten jedoch nachrangig waren. Schmitt zeigt auch, dass viele Entwicklungen sich mit einem Blick auf die heutige Grenzziehung nicht erfassen lassen, da es das Kosovo, das am Dienstag vor einem Jahr seine Unabhängigkeit von Serbien proklamierte, in den derzeit gültigen Grenzen erst seit wenigen Jahrzehnten gibt. "Albaner wie Serben", schreibt Schmitt, "gehen heute von einem Geschichtsbild aus, das der jeweils eigenen Gruppe Statik (Kontinuität und Autochthonität) zuweist, der anderen aber Bewegung (Einwanderung und daher ein geringeres ,historisches Recht')."
Durch einen umsichtigen Blick auf die gesamte Region weist Schmitt nach, dass weder die eine noch die andere Deutung zutrifft. Das wird ihn nicht beliebt machen bei jenen Nationalisten, die dem merkwürdigen Glauben an die Unverrückbarkeit von Staatsgrenzen und die Unvergänglichkeit von Völkern anhängen. Aber seinem Buch verleiht es Überzeugungskraft.
Die Gebiete, die heute zum Kosovo gehören, waren seit der Antike Teil des römischen, des byzantinischen und dann des Osmanischen Imperiums. Nur im Mittelalter und dann nochmals für den jüngsten Bruchteil seiner Geschichte von 1912 bis 2008 gehörte das Gebiet südslawischen Reichen oder Staaten unterschiedlicher Bedeutung an. Unbestritten ist, dass die mittelalterlichen serbischen Herrscher den westlichen Gebieten des Kosovos durch eine Fülle von Sakralbauten eine Prägung als Kulturlandschaft verliehen haben, die bis heute wirksam ist.
Lesenswert ist Schmitts Buch zudem, weil viele der darin beschriebenen Entwicklungen mitten in den gegenwärtigen Alltag des Kosovos hineinragen und so ein Ausblick darauf möglich wird, was dieser Staat wird leisten müssen, um bestehen zu können. Zu nennen ist unter anderem die Überwindung der Staatsferne der Kosovo-Albaner, die sich auch aus der geringen Herrschaftsdichte des Osmanischen Reiches speist, das zwar erobern, die Eroberungen aber in der Jahrhunderte währenden Phase seines Niedergangs nicht mehr gut verwalten konnte. Aus dem gescheiterten Herrschaftsanspruch der Serben ließe sich ebenfalls lernen - die Nachfolger der Osmanen als Herren über das Amselfeld konnten das Gebiet nach 1912 nämlich kaum besser regieren. Es mangelte ihnen unter anderem an fähigen Staatsdienern, die bereit waren, in die unterentwickelte Provinz zu gehen: "Während gute Beamte es vorzogen, in Kernserbien zu bleiben, gelangten zahlreiche Abenteurer sowie Kriminelle aus der Belgrader Unterwelt in hohe Verwaltungsämter", so Schmitt.
Bei aller Vorsicht vor Verallgemeinerungen darf man sich an die Gegenwart erinnert fühlen: Es gibt bei den internationalen Missionen im Kosovo (EU, UN, OSZE etc.) hervorragende Leute, aber oft sind es eben unterhalb der Führungsetagen nicht die besten Kräfte, die dazu bereit sind, sich für mehrere Jahre den Zumutungen eines Lebens in Prishtina auszusetzen. Viele lockt allein das hohe Gehalt, in ihren Heimatländern unerwünschte Schwadroneure oder Faulenzer sind nicht selten. Vor allem im leistungsfernen UN-Apparat konnten sie gut unterkommen.
Deutlich wird, dass enorme Investitionen in die Bildungspolitik nötig sind, damit im Kosovo eine starke einheimische Elite entstehen kann. Die Gründung der allenfalls mediokren Universität von Prishtina in der Spätphase der Ära Tito hat nach Schmitts Ansicht bisher nämlich vor allem ein "zahlenstarkes, schlecht ausgebildetes akademisches Proletariat" geschaffen, das "sich nicht bereit zeigte, andere als Büroarbeiten zu übernehmen".
Tatsächlich gibt es in Prishtina heute viele Politologen, Soziologen, Historiker und Anglisten, an Facharbeitern und Ingenieuren herrscht Mangel. Hinzu kam und kommt die wirtschaftliche und soziale Herausforderung durch das zwar sinkende, aber nach europäischen Maßstäben noch immer einmalig hohe Bevölkerungswachstum.
Belgrad hatte die Albaner zunächst systematisch von höheren Bildungseinrichtungen ferngehalten und so ihre hohe Geburtenrate noch gefördert. Abhilfe sollte ein Abkommen zwischen Belgrad und Ankara aus dem Jahre 1938 schaffen, das die Aussiedlung von 40000 muslimischen Familien aus dem Kosovo in die Türkei vorsah. Im Zusammenspiel mit der ohnehin energisch betriebenen Ansiedlung serbischer Neusiedler hätte das die Bevölkerungszusammensetzung im Kosovo tatsächlich zugunsten der Serben wenden können. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vereitelte diese bilaterale Massenvertreibung.
In Titos Jugoslawien erreichte die Geburtenrate der Kosovo-Albaner durch die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und die Verringerung der Säuglingssterblichkeit einen neuen Höhepunkt. Wirtschaftlich war das Spiel für Serbien in diesen Jahrzehnten längst verloren. Zwar wurde zwischen 1974 und 1984 die Zahl der Arbeitsplätze in den unprofitablen Staatsbetrieben stark erhöht, doch wurde dies durch das noch stärkere Bevölkerungswachstum aufgehoben. Die Herrschaft Serbiens über das Kosovo, das wird in der Rückschau deutlich, war schon zu diesem Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt, das Slobodan Milosevic dann endgültig herbeiführte.
Oliver Jens Schmitt: "Kosovo - Kurze Geschichte einer zentralbalkanischen Landschaft". Böhlau Verlag, Wien 2008. 393 Seiten, 24,90 Euro.
: Herrscher und Beherrschte im Kosovo - Politik - Feuilleton - FAZ.NET
Unabsichtlich haben Ausländer bei der Bewertung der Krise und des Krieges um das Kosovo zumindest sprachlich oft das Raster albanischer oder serbischer Nationalisten übernommen - und damit die Mär von dem uralten ethnischen Hass auf dem Amselfeld. Der Historiker Oliver Jens Schmitt hat sich diese Perspektive in seinem Buch über die Geschichte des Kosovos nicht aufzwingen lassen. Er hat nicht allein Sprache und Nation in den Vordergrund seiner Untersuchung gestellt, da diese als Wahrnehmungskategorien in jüngerer Zeit zwar dominant, in früheren Jahrhunderten jedoch nachrangig waren. Schmitt zeigt auch, dass viele Entwicklungen sich mit einem Blick auf die heutige Grenzziehung nicht erfassen lassen, da es das Kosovo, das am Dienstag vor einem Jahr seine Unabhängigkeit von Serbien proklamierte, in den derzeit gültigen Grenzen erst seit wenigen Jahrzehnten gibt. "Albaner wie Serben", schreibt Schmitt, "gehen heute von einem Geschichtsbild aus, das der jeweils eigenen Gruppe Statik (Kontinuität und Autochthonität) zuweist, der anderen aber Bewegung (Einwanderung und daher ein geringeres ,historisches Recht')."
Durch einen umsichtigen Blick auf die gesamte Region weist Schmitt nach, dass weder die eine noch die andere Deutung zutrifft. Das wird ihn nicht beliebt machen bei jenen Nationalisten, die dem merkwürdigen Glauben an die Unverrückbarkeit von Staatsgrenzen und die Unvergänglichkeit von Völkern anhängen. Aber seinem Buch verleiht es Überzeugungskraft.
Die Gebiete, die heute zum Kosovo gehören, waren seit der Antike Teil des römischen, des byzantinischen und dann des Osmanischen Imperiums. Nur im Mittelalter und dann nochmals für den jüngsten Bruchteil seiner Geschichte von 1912 bis 2008 gehörte das Gebiet südslawischen Reichen oder Staaten unterschiedlicher Bedeutung an. Unbestritten ist, dass die mittelalterlichen serbischen Herrscher den westlichen Gebieten des Kosovos durch eine Fülle von Sakralbauten eine Prägung als Kulturlandschaft verliehen haben, die bis heute wirksam ist.
Lesenswert ist Schmitts Buch zudem, weil viele der darin beschriebenen Entwicklungen mitten in den gegenwärtigen Alltag des Kosovos hineinragen und so ein Ausblick darauf möglich wird, was dieser Staat wird leisten müssen, um bestehen zu können. Zu nennen ist unter anderem die Überwindung der Staatsferne der Kosovo-Albaner, die sich auch aus der geringen Herrschaftsdichte des Osmanischen Reiches speist, das zwar erobern, die Eroberungen aber in der Jahrhunderte währenden Phase seines Niedergangs nicht mehr gut verwalten konnte. Aus dem gescheiterten Herrschaftsanspruch der Serben ließe sich ebenfalls lernen - die Nachfolger der Osmanen als Herren über das Amselfeld konnten das Gebiet nach 1912 nämlich kaum besser regieren. Es mangelte ihnen unter anderem an fähigen Staatsdienern, die bereit waren, in die unterentwickelte Provinz zu gehen: "Während gute Beamte es vorzogen, in Kernserbien zu bleiben, gelangten zahlreiche Abenteurer sowie Kriminelle aus der Belgrader Unterwelt in hohe Verwaltungsämter", so Schmitt.
Bei aller Vorsicht vor Verallgemeinerungen darf man sich an die Gegenwart erinnert fühlen: Es gibt bei den internationalen Missionen im Kosovo (EU, UN, OSZE etc.) hervorragende Leute, aber oft sind es eben unterhalb der Führungsetagen nicht die besten Kräfte, die dazu bereit sind, sich für mehrere Jahre den Zumutungen eines Lebens in Prishtina auszusetzen. Viele lockt allein das hohe Gehalt, in ihren Heimatländern unerwünschte Schwadroneure oder Faulenzer sind nicht selten. Vor allem im leistungsfernen UN-Apparat konnten sie gut unterkommen.
Deutlich wird, dass enorme Investitionen in die Bildungspolitik nötig sind, damit im Kosovo eine starke einheimische Elite entstehen kann. Die Gründung der allenfalls mediokren Universität von Prishtina in der Spätphase der Ära Tito hat nach Schmitts Ansicht bisher nämlich vor allem ein "zahlenstarkes, schlecht ausgebildetes akademisches Proletariat" geschaffen, das "sich nicht bereit zeigte, andere als Büroarbeiten zu übernehmen".
Tatsächlich gibt es in Prishtina heute viele Politologen, Soziologen, Historiker und Anglisten, an Facharbeitern und Ingenieuren herrscht Mangel. Hinzu kam und kommt die wirtschaftliche und soziale Herausforderung durch das zwar sinkende, aber nach europäischen Maßstäben noch immer einmalig hohe Bevölkerungswachstum.
Belgrad hatte die Albaner zunächst systematisch von höheren Bildungseinrichtungen ferngehalten und so ihre hohe Geburtenrate noch gefördert. Abhilfe sollte ein Abkommen zwischen Belgrad und Ankara aus dem Jahre 1938 schaffen, das die Aussiedlung von 40000 muslimischen Familien aus dem Kosovo in die Türkei vorsah. Im Zusammenspiel mit der ohnehin energisch betriebenen Ansiedlung serbischer Neusiedler hätte das die Bevölkerungszusammensetzung im Kosovo tatsächlich zugunsten der Serben wenden können. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vereitelte diese bilaterale Massenvertreibung.
In Titos Jugoslawien erreichte die Geburtenrate der Kosovo-Albaner durch die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und die Verringerung der Säuglingssterblichkeit einen neuen Höhepunkt. Wirtschaftlich war das Spiel für Serbien in diesen Jahrzehnten längst verloren. Zwar wurde zwischen 1974 und 1984 die Zahl der Arbeitsplätze in den unprofitablen Staatsbetrieben stark erhöht, doch wurde dies durch das noch stärkere Bevölkerungswachstum aufgehoben. Die Herrschaft Serbiens über das Kosovo, das wird in der Rückschau deutlich, war schon zu diesem Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt, das Slobodan Milosevic dann endgültig herbeiführte.
Oliver Jens Schmitt: "Kosovo - Kurze Geschichte einer zentralbalkanischen Landschaft". Böhlau Verlag, Wien 2008. 393 Seiten, 24,90 Euro.
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