IZMIR ÜBÜL
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Wostok 1 (russ. Восток-1 für Osten-1) war der erste bemannte Weltraumflug. Mit dem sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin gelangte am 12. April 1961 erstmals ein Mensch über die international anerkannte Grenzhöhe von 100 Kilometern. Gagarin startete an Bord eines Wostok-Raumschiffs vom Weltraumbahnhof Tjuratam (dem heutigen Baikonur) aus und landete nach einer vollständigen Erdumkreisung in der Nähe der südwestrussischen Stadt Engels. Der Flug zählt zu den größten Erfolgen des sowjetischen Raumfahrtprogramms und gilt als Meilenstein des Wettlaufs ins All zwischen der UdSSR und den Vereinigten Staaten. Der erste bemannte Orbitalflug der USA, Mercury-Atlas 6, erfolgte 10 Monate später, im Februar 1962.
Offiziell wurde die Mission von der Sowjetunion als Wostok bekannt gegeben (ohne den Zusatz der Zahl 1); um Verwechslungen zu vermeiden, wird der Flug international jedoch meistens als Wostok 1 angegeben.
Es war der dritte Triumph in Folge, und die Sowjetunion jubelte: Nach dem ersten künstlichen Objekt in der Erdumlaufbahn, dem Satelliten „Sputnik“ 1957, und dem ersten Lebewesen, der Hündin „Laika“ an Bord von „Sputnik 2“ war auch der erste Mensch, der ins All startete, ein Russe. Vor 50 Jahren, am 12. April 1961, umrundete der damals 27-jährige Juri Gagarin in 108 Minuten einmal die Erde und landete danach sicher im Südwesten Russlands. Er wurde zum Idol erhoben und mit Konfettiparaden in den meisten Hauptstädten des Ostblocks gefeiert. Fast genau sieben Jahre später kam Gagarin allerdings bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben.
Zum runden Jubiläum hat jetzt das Präsidentenarchiv Russlands, das wohl verschlossenste Archiv der Welt, überraschend mehr als 300 bislang streng geheim gehaltene Dokumente zum sowjetischen Weltraumprogramm und zu Gagarin zugänglich gemacht. Darin sind nicht nur zahlreiche bisher unbekannte Details zum ersten und einzigen Raumflug des ersten Kosmonauten enthalten.
Das wohl wichtigste Dokument befasst sich mit Gagarins Tod, der bislang von zahlreichen Legenden umrankt gewesen ist. So wurde spekuliert, er sei möglicherweise auf Befehl von Staats- und Parteichef Leonid Breschnew „beseitigt“ worden. Oder: Gagarin sei volltrunken abgestürzt. Einer anderen Version zufolge sollen mehrere der gewaltigen Abfangjäger vom Typ Suchoi Su-15 versehentlich in die Nähe von Gagarins kleinem und altem Schulflugzeug Mig-15 gerast sein und den Absturz verursacht haben. Offiziell wurde seinerzeit nur bekannt gegeben, der Tod sei die Folge „einer unglücklichen Verkettung verhängnisvoller Umstände“. Das heizte die Gerüchteküche an.
Der jetzt vollständig freigegebene Untersuchungsbericht vom 4. September 1968 zeichnet ein völlig anderes Bild. Juri Gagarin war anders als von den sowjetischen und allen anderen Ostblock-Zeitungen öffentlich dargestellt kein herausragender Pilot, sondern ganz im Gegenteil weitgehend unerfahren.
Bis zu seiner Nominierung zum Kandidaten für den ersten Start ins All im März 1960 hatte Gagarin insgesamt lediglich 247 Flugstunden absolviert, davon sogar nur 23 unter schwierigen Wetterbedingungen. 1961/62 flog er gar nicht als Pilot, 1963 lediglich neun Stunden und 1964 wieder nicht. Erst ab 1965 saß der erste Kosmonaut wieder regelmäßiger in einem Cockpit, doch niemals mehr als 46 Stunden im Jahr, was nach den sowjetischen Richtlinien nicht genügte, damit er seine Zulassung zum Steuern von Düsenflugzeugen behielt. Das aber war für den Sowjet-Helden Gagarin natürlich kein Problem.
Dennoch brauchte auch Gagarin eine Qualifikation. Um seine Ausbildung, die er 1960 unterbrochen hatte, abzuschließen, sollte er am 27. März 1968 seine Befähigung zum Alleinflug mit Maschinen des Typs Mig-15 erwerben. Also startete er mit dem erfahrenen Kampfpiloten und Ausbilder Wladimir Seregin, der mehr als 4000 Flugstunden Erfahrung hatte, zu einem Prüfungsflug.
Laut dem Bericht der Untersuchungskommission sollte er in einer für Kunstflugmanöver freigehaltenen Zone unter anderem eine Acht mit einer Neigung von 60 bis 70 Grad fliegen, zwei horizontale Rollen, einen Sturzflug mit nachfolgender Kampfkurve, einen Looping und einen halben Looping.
Allerdings war die Vorbereitung ungenügend, wie die Experten nachträglich feststellten. Seregin gab Gagarin keine Anweisungen, wie der Flug durchzuführen sei. Auch der obligatorische Flugplan, der alle Informationen zum Flug enthielt, konnte nicht gefunden werden. Die gewählte Route führte außerdem gefährlich nahe an anderen Trainingsflügen vorbei. Zudem war das Höhenmessradar auf dem Luftwaffenstützpunkt in Tschkalow ausgefallen.
Die Maschine, eine zweisitzige Trainingsversion der Mig-15, war in schlechtem technischen Zustand und zudem mit Außenbordtanks versehen, obwohl diese die Aerodynamik des Flugzeuges stark verschlechterten und deshalb bei geplanten Kunstflugmanövern streng verboten waren. Warum Seregin trotz aller dieser Mängel bei seiner Erfahrung dennoch den Flug nicht absagte, konnte die Kommission nicht ergründen.
„Was dann folgte, kann man ohne Zweifel dem russischen Schlendrian und einer gefährlichen Selbstüberschätzung der beiden Piloten zuschreiben“, urteilen der russische Historiker Sergej Kudryaschow und sein Kollege Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut (DHI) in Moskau. Kudryaschow, ebenfalls Mitarbeiter am renommierten DHI, war im Archiv auf die Unterlagen gestoßen.
Um 10.19 Uhr starteten Seregin und Gagarin, ohne Informationen über das Wetter, denn der Wetterbeobachtungsflug war nur eine Minute zuvor wieder gelandet. Um 10.25 Uhr zeigte sich, dass die Sichtverhältnisse über dem Übungsgelände schlecht waren, weshalb Seregin das Programm von den vorgesehenen 20 Minuten Prüfung auf nur vier Minuten reduzierte. Diesen Teil absolvierte der erste Kosmonat offenbar erfolgreich, denn um 10.29 Uhr meldete er sich beim Tower von Tschkalow, dass er nun zurückfliegen wolle. Kurz darauf bestätigte er, die Erlaubnis dafür erhalten zu haben – dann riss der Kontakt ab.
Die Untersuchung des Wracks zeigte, dass die Mig-15 in einem Winkel von 50 bis 55 Grad in den Boden gebohrt hatte, zudem mit einer leichten Rechtsneigung. Die Geschwindigkeit beim Aufschlag betrug 660 bis 670 Stundenkilometer. Das Höhenruder war deutlich ausgestellt, Seitenruder und Trimmung aber hatte Gagarin nicht betätigt. Die Kommission stellte fest, dass weder der Kosmonaut noch sein Fluglehrer einen Versuch gemacht hatten, sich aus dem Flugzeug zu katapultieren. Sie waren offenbar von irgendetwas vollkommen überrascht worden, was zu ihrem Absturz führte. Die gerichtsmedizinische Untersuchung zeigte keine auffälligen Ergebnisse.
Die Experten schlossen aus ihren Ergebnissen, dass Gagarins Flugzeug bei einem abrupten Manöver in einen kritischen Flugzustand geriet. Weil die Aerodynamik durch die angehängten Zusatztanks reduziert war, gelang dieses Manöver nicht. Wegen der geringen Flughöhe konnten weder der Anfänger noch der Fluglehrer die Maschine abfangen. Weil an der Unglücksstelle die Überreste von Radiosonden gefunden wurden, schlussfolgerte die Untersuchungskommission, dass Gagarins Flugzeug wohl mit einem Wetterballon kollidiert war, dadurch außer Kontrolle geriet und abstürzte.
Drei für die Mängel in Tschkalow verantwortliche Generäle erhielten einen strengen verwies, doch dabei blieb es. Juri Gagarin wurde in einem Staatsakt an der Kremlmauer beigesetzt, wo seine Urne bis heute ruht. Wenig großzügig zeigte sich das sowjetische Politbüro übrigens gegenüber den Hinterbliebenen: Gagarins Frau bekam zwar eine erhebliche Einmalzahlung von 5000 Rubel, seine Eltern je 1000 Rubel. Doch die lebenslange Rente für die Witwe wurde von ursprünglich vorgesehenen 250 Rubel auf 200 Rubel gekürzt.
Sergej Kudryaschow wundert sich: „Ich verstehe nicht, warum diese Unterlagen so lange geheim gehalten wurde. Denn so mussten ja Spekulationen ins Kraut schießen.“ Letztlich sei Gagarins Tod nicht „sowjetuntypisch“ gewesen. Sein deutscher Kollege Matthias Uhl überrascht am meisten, dass der gefeierte Held gemessen an seinen Flugstunden „kaum mehr als ein fortgeschrittener Anfänger gewesen“ sei.
Doodle zum Jubiläum: Juri Gagarin - Vor 50 Jahren flog er als erster Mensch in den Weltraum - Nachrichten Aktuell - WELT ONLINE
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junak!