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[h=1]Hochexplosive Mischung aus Barbarei und Hightech[/h]Der "arabische Frühling" war fatal. Statt Demokratie entfesselte er brutale Kräfte. Die Gotteskrieger nutzen die Waffen des Westens, um diesen bis aufs Blut zu bekämpfen. Wo nur ist der Reset-Knopf?
Von Henryk M. Broder
Foto: Getty ImagesMit dem Laptop unterm Olivenhain in Gaza. Hamas-Anhänger sammeln sich zu einer Übung. Das Foto ist aus dem Jahr 2006. The times, they are not changingBild teilenBild teilen
Liest man heute die Berichte und Kommentare, die zu Beginn des "arabischen Frühlings", also vor dreieinhalb Jahren, geschrieben wurden, reibt man sich verwundert die Augen. Was war es, das damals in der Luft lag? Hoffnung? Zuversicht? Wunschdenken? Oder eine Prise Crystal Meth?
Plötzlich schien das bis dahin Undenkbare, Unmögliche zum Greifen nah: Demokratie in arabischen und islamischen Ländern, die bis dahin von Despoten und Diktatoren wie Gaddafi und Mubarak regiert wurden. Millionen gingen auf die Straße, Tausende starben für die Idee der Freiheit.
Gaddafi, Mubarak und ein paar weitere Halunken ihrer Art, wurden gestürzt, verjagt oder vor Gericht gestellt, in manchen Ländern fanden Neuwahlen statt, was wie ein Schritt in eine bessere Zukunft anmutete, auch wenn dabei der Teufel mit einem Beelzebub ausgetrieben wurde.
Bei aller Verachtung für Gestalten wie Gaddafi und Mubarak und bei allem Respekt für die Menschen, die ihr Leben geopfert haben, muss man sich inzwischen fragen, ob die arabisch-islamischen Staaten und der Rest der Welt nicht besser dran wären, wenn der "arabische Frühling" ein Traum geblieben wäre.
[h=2]Dumm gelaufen, alles auf Anfang?![/h]Ägypten wird heute, nach einem kurzen Zwischenspiel mit einem frei gewählten Islamisten, wieder wie zu Zeiten von Mubarak und Nasser regiert, von einem starken Mann mit militärischem Hintergrund.
Aus Libyen hört man wenig, aber das Wenige reicht, um die Frage zu rechtfertigen, ob das Ergebnis den Einsatz wert war. In Syrien findet ein Bürgerkrieg statt, der das Ausmaß eines Völkermordes erreicht hat.
Im Irak, der von den Amerikanern "pazifiziert" wurde, fließt das Blut in Strömen, Schiiten und Sunniten massakrieren sich gegenseitig im Namen desselben barmherzigen Gottes. Das "nation building" in Afghanistan drückt sich darin aus, dass der jeweilige Wahlverlierer den Wahlgewinner der Wahlfälschung beschuldigt.
Derweil Präsident Obama unverdrossen von "Erfolgen" spricht und sich den Israelis und Palästinensern als Vermittler anbietet.
[h=2]Roboter in Kampfanzügen: Hamas und Isis[/h]Dumm gelaufen, könnte man sagen und: Alles auf Anfang! Die Interventionisten würden es gerne noch einmal versuchen, diesmal aber richtig!
Die Isolationisten sind dafür, die Dinge laufen zu lassen und nach 10 oder 20 Jahren diejenigen zum Tee zu bitten, die übrig geblieben sind. Beide Seiten machen die Rechnung ohne den Wirt.
Das Tempo und die Richtung der Auseinandersetzung wird nicht von den Strategen in Washington, London oder Berlin bestimmt, sondern von jenen Robotern in Kampfanzügen, die unter den Labels "Hamas" oder "Isis" auftreten.
Man weiß nicht so recht, wer sie sind und woher sie das Geld für ihre schicken Outfits haben, während die Menschen um sie herum darben. Aber man muss zugeben, dass sie erfolgreich agieren.
[h=2]Israel wird mit den Freizeitkriegern in Gaza nicht fertig[/h]Die Hightech-Superpower Israel wird mit den Freizeitkriegern in Gaza nicht fertig; die Kämpfer der Isis bringen eine irakische Provinz nach der anderen unter ihre Kontrolle, während die Amerikaner über "alle Optionen nachdenken", die ihnen nach ihrem Abzug aus dem Irak verblieben sind.
Der Westen, die viel beschworene "Wertegemeinschaft" der Demokraten, hat den Kommunismus und den Faschismus besiegt, ist aber im Begriff, im Kampf gegen die dritte totalitäre Ideologie des 20. Jahrhunderts, den Islamismus, zu scheitern.
Die Situation ist nicht nur "asymmetrisch", sie ist absurd. Denn der Gegner ist nicht überlegen, er ist unterlegen, in jeder Beziehung: intellektuell, militärisch, technisch. Seine Stärke liegt allein in seiner grenzenlosen Brutalität.
Wer Gefangene kreuzigt und köpft und die Hinrichtungen ins Netz stellt, damit die ganze Welt Zeuge wird, dem sind nicht nur die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention wurscht. Der demonstriert auch, was er von denjenigen hält, die über den Einsatz von Drohnen diskutieren, weil diese den Krieg entgrenzen und entmenschlichen.
[h=2]Allahs Krieger lieben den Tod mehr als das Leben[/h]Allahs Krieger, das verkündete Obama Bin Laden, lieben den Tod mehr als das Leben. Und wer bereit ist, sich selbst zu opfern, der würde auch nicht zögern, Drohnen einzusetzen, wenn er welche hätte, was vermutlich nur eine Frage der Zeit ist.
Wir haben es mit einem verstörenden Phänomen zu tun, einer Kombination aus Barbarei und Hightech. Wer die Ordnung und die Herrschaftsverhältnisse wiederherstellen möchte, wie sie zu Zeiten des Propheten, also im 7. Jahrhundert, waren, der sollte anständigerweise sein Ziel mit Feuer und Schwert und zu Pferde verfolgen, nicht aber mithilfe von Funktelefonen, Navigationsgeräten und Laptops von einem mobilen Kommandostand auf der Ladefläche eines Toyota-Pick-ups. Das sind alles Errungenschaften einer Zivilisation, die der Gotteskrieger verachtet.
Er bedient sich der Produkte, ohne darüber nachzudenken, unter welchen Voraussetzungen sie entstanden sind – der Freiheit, zu denken und zu forschen, Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen, die in keiner heiligen Schrift stehen.
Die Barbarei kommt erst durch Hightech zur Vollendung. Islamisten, die Mädchen entführen, um sie zu versklaven und mit ihren Taten im Netz prahlen, wissen genau, was sie tun. Sie schlagen die Moderne mit den Waffen des Fortschritts.
[h=2]Islamisten sind wie unerzogene Kinder[/h]Der Sprecher der Hamas in Gaza, Ismail Haniye, fand auch nichts dabei, seine krebskranke Schwiegermutter in einem israelischen Krankenhaus behandeln zu lassen, das inzwischen in der Reichweite seiner Raketen liegt.
Die meisten Experten sind sich einig. Die arabisch-islamische Welt befindet sich in einem Umbruch, der Jahrzehnte dauern kann. Unfähig, sich selbst zu reformieren, wollen die Islamisten die Welt das Fürchten lehren.
Wie unerzogene Kinder, deren Eltern nicht wissen, wie sie sich gegenüber dem rebellischen Nachwuchs verhalten sollen. Der Rasselbande eine neue Playstation kaufen, um sie zu beschäftigen oder sie so lange vor die Tür setzen, bis sie sich beruhigt hat?
Der niederländische Fußballtrainer Johan Cruyff hat vor einem Spiel gegen einen schwächeren Gegner seine Mannschaft gewarnt. "Die können gegen uns nicht gewinnen, aber wir können gegen sie verlieren."
Das ist alles, worauf es im Umgang mit Gotteskriegern ankommt.