Zurich
Der Lustmolch
Jeder zweite Vorarlberger wäre lieber Schweizer
Vor 90 Jahren wäre die Schweiz beinahe ein Stück grösser geworden: Vorarlberg wollte der Eidgenossenschaft beitreten. Dass es nicht dazu kam, wird heute noch in weiten Kreisen bedauert.
Die Hälfte der Vorarlberger wäre laut einer ORF-Umfrage lieber Schweizer als Österreicher. Die Befragung erfolgte im Vorfeld der Ausstellung «Kanton Übrig», die am Donnerstag den Medien präsentiert wurde und mit der das Vorarlberger Landesmuseum an die Anschlussbewegung vor 90 Jahren erinnert.
Späte österreichische Identitätsfindung
Das Ergebnis der aktuellen Radio-Umfrage erklärt Ausstellungsmacher Stefan Graf mit dem «Polit-Frust» vor der kürzlichen Bundeswahl. Das Resultat sei aber trotzdem eine Überraschung und hänge wahrscheinlich auch mit der späten österreichischen Identitätsfindung zusammen, die aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg datiere. Nach dem Ersten Weltkrieg seien - ausser in Vorarlberg und Tirol - die politischen Bestrebungen auf einen Zusammenschluss mit Deutschland ausgerichtet gewesen, sagt der Historiker. Die Erfahrung, dass diese Politik mit dem 1938 erfolgten Anschluss an Nazi-Deutschland im Desaster geendet habe, wirke offenbar noch nach. Die angrenzende Schweiz sei in diesem Kontext weiterhin das leuchtende Vorbild für wirtschaftlichen Erfolg, Stabilität und Frieden.
Anschluss-Bewegung
Die 1918 vom Lustenauer Volksschullehrer Ferdinand Riedmann ins Leben gerufene Anschluss-Bewegung war die Vorarlberger Abwehrreaktion gegen Deutsch-Österreich. An der mit über 40 000 Stimmen erwirkten Volksabstimmung vom 11. Mai 1919 sprachen sich 82 Prozent der Vorarlberger für den Beitritt zur Eidgenossenschaft aus.
In der Schweiz stellte sich der damalige Bündner Bundesrat Felix-Luis Calonder an die Spitze der Anschluss-Befürworter. Er sah in den Vorarlberger Alpenpässen eine Aufwertung der Schweiz als Transitland. Nachdem jedoch im Friedensvertrag von Saint Germain von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges die territoriale Unveränderbarkeit von Rumpf-Österreich festgeschrieben worden war, musste Calonder im Dezember 1919 als «Prügelknabe der internationalen Politik» zurücktreten.
Abtretung des Tessins
Wien, Berlin und Rom hatten auf die «expansionistische Schweizer Aussenpolitik» geharnischt reagiert. Italien forderte gar als Kompensation für einen Beitritt Vorarlbergs zur Schweiz die Abtretung des Tessins. Nach dem Anschluss-Fiasko verspottete das in der Zwischenkriegszeit mehrheitlich grossdeutsch gesinnte Österreich Vorarlberg als «Kanton Übrig».
«Zu Unrecht in Vergessenheit geraten»
Der Chefredaktor der früheren Bündner Zeitung, Daniel Witzig, vertritt in seiner 1974 verfassten Dissertation «Die Vorarlberger Frage» die These, dass die Aufnahme Vorarlbergs vor allem an der öffentlichen Meinung in der Schweiz gescheitert sei. Der Historiker und Chefredaktor des «Nebelspalters», Marco Ratschiller, der aus dem Archiv der Satire-Zeitschrift Karikaturen für die Ausstellung beisteuerte und für den Katalog einen Beitrag schrieb, sagt: «Diese kurze Episode in der neuen Schweizer Geschichte ist hoch brisant und zu Unrecht heute in unserem Land in Vergessenheit geraten.» Und der am Liechtenstein-Institut in Bendern (FL) forschende Schweizer Geschichtswissenschaftler Peter Geiger ist überzeugt: «Mit dem Anschluss Vorarlbergs hätte sich die Schweiz als Alpentransitland noch besser positioniert. Im Nachhinein hätte Hitler aber diese Angliederung wahrscheinlich nicht einfach so geschluckt und einen Grund für den Angriff auf die Schweiz gehabt.»
Skeptische Romands
Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass auch die Lateinische Schweiz, also die Romandie und das Tessin, grosse Vorbehalte gegen einen Beitritt Vorarlbergs zur Eidgenossenschaft hegte. Ein Anschluss der deutschsprachigen Vorarlberger hätte die Dominanz des Deutschen in der Schweiz noch verstärkt.
(AP/dhr)
Quelle:
20minuten.ch - Jeder zweite Vorarlberger wäre lieber Schweizer - Kreuz und Quer
Weitere Links:
Jeder zweite Vorarlberger wäre lieber Schweizer - News Ausland: Europa - bazonline.ch
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Vor 90 Jahren wäre die Schweiz beinahe ein Stück grösser geworden: Vorarlberg wollte der Eidgenossenschaft beitreten. Dass es nicht dazu kam, wird heute noch in weiten Kreisen bedauert.
Die Hälfte der Vorarlberger wäre laut einer ORF-Umfrage lieber Schweizer als Österreicher. Die Befragung erfolgte im Vorfeld der Ausstellung «Kanton Übrig», die am Donnerstag den Medien präsentiert wurde und mit der das Vorarlberger Landesmuseum an die Anschlussbewegung vor 90 Jahren erinnert.
Späte österreichische Identitätsfindung
Das Ergebnis der aktuellen Radio-Umfrage erklärt Ausstellungsmacher Stefan Graf mit dem «Polit-Frust» vor der kürzlichen Bundeswahl. Das Resultat sei aber trotzdem eine Überraschung und hänge wahrscheinlich auch mit der späten österreichischen Identitätsfindung zusammen, die aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg datiere. Nach dem Ersten Weltkrieg seien - ausser in Vorarlberg und Tirol - die politischen Bestrebungen auf einen Zusammenschluss mit Deutschland ausgerichtet gewesen, sagt der Historiker. Die Erfahrung, dass diese Politik mit dem 1938 erfolgten Anschluss an Nazi-Deutschland im Desaster geendet habe, wirke offenbar noch nach. Die angrenzende Schweiz sei in diesem Kontext weiterhin das leuchtende Vorbild für wirtschaftlichen Erfolg, Stabilität und Frieden.
Anschluss-Bewegung
Die 1918 vom Lustenauer Volksschullehrer Ferdinand Riedmann ins Leben gerufene Anschluss-Bewegung war die Vorarlberger Abwehrreaktion gegen Deutsch-Österreich. An der mit über 40 000 Stimmen erwirkten Volksabstimmung vom 11. Mai 1919 sprachen sich 82 Prozent der Vorarlberger für den Beitritt zur Eidgenossenschaft aus.
In der Schweiz stellte sich der damalige Bündner Bundesrat Felix-Luis Calonder an die Spitze der Anschluss-Befürworter. Er sah in den Vorarlberger Alpenpässen eine Aufwertung der Schweiz als Transitland. Nachdem jedoch im Friedensvertrag von Saint Germain von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges die territoriale Unveränderbarkeit von Rumpf-Österreich festgeschrieben worden war, musste Calonder im Dezember 1919 als «Prügelknabe der internationalen Politik» zurücktreten.
Abtretung des Tessins
Wien, Berlin und Rom hatten auf die «expansionistische Schweizer Aussenpolitik» geharnischt reagiert. Italien forderte gar als Kompensation für einen Beitritt Vorarlbergs zur Schweiz die Abtretung des Tessins. Nach dem Anschluss-Fiasko verspottete das in der Zwischenkriegszeit mehrheitlich grossdeutsch gesinnte Österreich Vorarlberg als «Kanton Übrig».
«Zu Unrecht in Vergessenheit geraten»
Der Chefredaktor der früheren Bündner Zeitung, Daniel Witzig, vertritt in seiner 1974 verfassten Dissertation «Die Vorarlberger Frage» die These, dass die Aufnahme Vorarlbergs vor allem an der öffentlichen Meinung in der Schweiz gescheitert sei. Der Historiker und Chefredaktor des «Nebelspalters», Marco Ratschiller, der aus dem Archiv der Satire-Zeitschrift Karikaturen für die Ausstellung beisteuerte und für den Katalog einen Beitrag schrieb, sagt: «Diese kurze Episode in der neuen Schweizer Geschichte ist hoch brisant und zu Unrecht heute in unserem Land in Vergessenheit geraten.» Und der am Liechtenstein-Institut in Bendern (FL) forschende Schweizer Geschichtswissenschaftler Peter Geiger ist überzeugt: «Mit dem Anschluss Vorarlbergs hätte sich die Schweiz als Alpentransitland noch besser positioniert. Im Nachhinein hätte Hitler aber diese Angliederung wahrscheinlich nicht einfach so geschluckt und einen Grund für den Angriff auf die Schweiz gehabt.»
Skeptische Romands
Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass auch die Lateinische Schweiz, also die Romandie und das Tessin, grosse Vorbehalte gegen einen Beitritt Vorarlbergs zur Eidgenossenschaft hegte. Ein Anschluss der deutschsprachigen Vorarlberger hätte die Dominanz des Deutschen in der Schweiz noch verstärkt.
(AP/dhr)
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20minuten.ch - Jeder zweite Vorarlberger wäre lieber Schweizer - Kreuz und Quer
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