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Prizren
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[h2]Warum Jugendliche vom Balkan gewalttätiger sind[/h2]
Der albanische Botschafter, Mehmet Elezi, erklärt die Ursache für Gewalt bei Balkan-Jugendlichen in der Schweiz. Und warum die Muslime in seiner Heimat alle Schnaps trinken.
«Die albanische Variante des Islam ist extrem liberal. Jeder trinkt zum Beispiel Schnaps», sagt Mehmet Elezi, Albanischer Botschafter in der Schweiz.
Herr Botschafter, Albanien ist ein europäisches und mehrheitlich moderat muslimisches Land: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Debatte um ein Burka-Verbot verfolgen, die auch die Schweiz erfasst hat?
Mehmet Elezi: In Albanien gibt es hauptsächlich Moslems, Katholiken und Orthodoxe. Die albanische Variante des Islam ist extrem liberal. Jeder trinkt zum Beispiel Schnaps. Und man findet keine Frau, welche eine Burka trägt – auch nicht, als Albanien in der Zwischenkriegszeit ein Königreich war. Ich wusste als Kind nicht einmal, was das ist. Ich bin Muslim und meine Frau ist christlich-orthodox. Im Strassenbild kann man rein nach der äusseren Erscheinung eine moslemische Frau nicht von einer katholischen oder orthodoxen unterscheiden.
Aber ein Verbot gibt es nicht?
Nein, das braucht es bei uns nicht. Natürlich gibt es je nach Gegend traditionelle Bekleidungen mit Kopftuch, aber das hat mit Religion nichts zu tun.
Viele Albaner arbeiten in Griechenland. Wie wirkt sich der rigorose Sparkurs auf sie aus?
In einer Krise sind die Immigranten immer die Ersten, die leiden. Darunter gibt es solche ohne Papiere oder ohne Qualifikationen. Für die Albaner in Griechenland ist es eine schwere Zeit, wie es für alle Griechen natürlich eine äusserst heikle Phase ist.
Vor 20 Jahren fiel in Albanien die kommunistische Diktatur. Im Frühling 1990 gab es Massenproteste und eine Massenflucht, wie erlebten Sie jene Zeit?
Das war für Albanien eine wahrhaft historische Zäsur. Wir lebten in einer schrecklichen, einer absolut schrecklichen Diktatur. Wir waren total isoliert in der Welt.
Welche Bilanz ziehen Sie heute?
Albanien ist ein demokratisches Land. Wir sind Mitglied der Nato, und wir haben letztes Jahr das Gesuch für den Status des Kandidatenlandes zum Beitritt in die EU eingereicht. Wir hoffen, dass bis Ende des Jahres die Visumpflicht für die Schengenländer fällt. Natürlich haben wir all jene Probleme, die der Übergang von der Diktatur zur Demokratie mit sich bringt. Ich glaube, dass die Albaner, jene in Kosovo und in Mazedonien mit eingeschlossen, das prowestlichste Volk des Balkans sind. Es gab nie antiwestliche Demonstrationen, Proteste gegen Europa oder die USA. Rund 86 Prozent der Bevölkerung befürworten einen EU-Beitritt.
Albanien und Kosovo sind klar albanisch dominiert, und Mazedonien hat eine starke albanische Minderheit: Was verbindet die drei Staaten, und was trennt sie?
Wir sind eine Nation, haben dieselbe Sprache und Geschichte. Das Trennende ist, dass wir während vieler Jahrzehnte aus Gründen, die durchaus nicht von uns abhingen, voneinander isoliert waren.
Sie haben 1994 in Tirana das Institut für Internationale und Strategische Studien gegründet. Welche Perspektive sehen Sie für diese drei Länder?
Der Weg, den alle drei Staaten beschreiten müssen, heisst: Demokratisierung, kombiniert mit wirtschaftlicher Prosperität, und europäische Integration. Und im vereinigten Europa spielen Grenzen keine wichtige Rolle mehr.
In der Schweiz sehen manche Politiker und Medien die Jugendgewalt und Verkehrsdelikte als Teil eines Balkan-Jugendproblems. Wie nehmen Sie den Zusammenprall der Kulturen wahr?
Ich habe lange genug als Journalist gearbeitet, um zu wissen, dass die Medien übertreiben, ja, dass es zu ihrer Natur gehört, zu übertreiben. Das ist kein Zusammenprall der Kulturen. Es handelt sich um einzelne Leute, die nicht die albanische Kultur repräsentieren. Es mangelt ihnen an Bildung. Man darf nicht vergessen, dass viele Kosovo-Albaner zum ersten Mal hierher kamen, um zum Beispiel auf dem Bau zu arbeiten. Und sie waren nicht gebildet, weil das Regime in Belgrad kein Interesse an guten Schulen für Albaner hatte.Dieses Phänomen hat die Schweiz vor ein paar Jahrzehnten übrigens auch mit den Immigranten aus Italien erlebt.
Das ist also eine Frage der Zeit?
Genau. Der Botschafter von Griechenland hat mir einmal mit einer schönen Geschichte Hoffnung gemacht: In einer Genfer Klinik gibt es einen Chefarzt mit griechischen Wurzeln. Dessen Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Griechenland nach Genf und arbeiteten in demselben Spital in der Putzequipe. Und genau das wird auch mit den Albaner geschehen.
Die Fussballer Xherdan Shaqiri und Valon Behrami haben kosovarische Wurzeln und werden für die Schweiz wohl an der WM in Südafrika mit dabei sein. Freut Sie das?
Das ist eine gute Sache. Eben gerade auch für ein anderes Bild des Albaners. Es gibt in der Schweiz rund 200000 Albaner aus Kosovo. Sie sind in ihrer Mehrheit gut integriert. Die Schweiz hat sich immer für Kosovo und für dessen Unabhängigkeit engagiert und setzt sich jetzt auch für dessen Entwicklung ein. Ich rate meinen Landsleuten hier in der Schweiz immer, sie sollen sich so gut wie möglich in der schweizerischen Gesellschaft integrieren, von deren Werten profitieren, indem sie auch ihre eigenen nationalen albanischen Werte bewahren, weil diese auch europäische Werte sind. Alle Albaner sind der Schweiz sehr dankbar.
Wie war das, im Albanien von Alleinherrscher Enver Hodscha als Journalist zu arbeiten?
Ich war Journalist in einer Diktatur, und das war ausserordentlich schwierig. Ein einziges Wort konnte dir das Genick brechen. Und nicht nur dir, sondern der ganzen Familie. Es war ein schwerer Job, man musste stets aufmerksam und auf der Hut sein. Wohl deshalb habe ich fast alle meine Bücher nach dem Ende der Diktatur geschrieben.
Sie haben im Alleingang ein beeindruckend umfangreiches Wörterbuch erarbeitet. Ihr albanischer «Larousse» umfasst rund 41000 Stichwörter. Was findet man darin?
Vor allem Wörter aus der Umgangssprache, die man im ähnlich umfangreichen offiziellen Wörterbuch der Albanischen Akademie der Wissenschaften vergeblich sucht. Ich habe die Bedeutung der Wörter nicht abstrakt beschrieben, sondern sie mit Beispielen aus der albanischen Literatur, aus der Folklore oder mit populären Sprichwörtern und Liedern illustriert. Zudem liefere ich auch etymologische Erklärungen.
Elina Duni macht von Bern aus Karriere als Musikerin, ihre Mutter Bessa Myftiu in Genf als Schriftstellerin. Es gibt hier zulande bekannte Namen mit albanischen Wurzeln. Sind das die wahren Botschafter des Volkes und haben sie ein Echo in der Heimat?
Elina Duni ist eine bewundernswerte Sängerin. Sie hat etwas Interessantes realisiert: Sie verbindet traditionelles albanisches Liedgut mit dem Jazz, der in Albanien keine Tradition hat. Natürlich kennt man sie in Albanien, es gibt viel Sängerinnen, aber sicher gehört sie zu den besten.
Der albanische Botschafter, Mehmet Elezi, erklärt die Ursache für Gewalt bei Balkan-Jugendlichen in der Schweiz. Und warum die Muslime in seiner Heimat alle Schnaps trinken.
«Die albanische Variante des Islam ist extrem liberal. Jeder trinkt zum Beispiel Schnaps», sagt Mehmet Elezi, Albanischer Botschafter in der Schweiz.
Herr Botschafter, Albanien ist ein europäisches und mehrheitlich moderat muslimisches Land: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Debatte um ein Burka-Verbot verfolgen, die auch die Schweiz erfasst hat?
Mehmet Elezi: In Albanien gibt es hauptsächlich Moslems, Katholiken und Orthodoxe. Die albanische Variante des Islam ist extrem liberal. Jeder trinkt zum Beispiel Schnaps. Und man findet keine Frau, welche eine Burka trägt – auch nicht, als Albanien in der Zwischenkriegszeit ein Königreich war. Ich wusste als Kind nicht einmal, was das ist. Ich bin Muslim und meine Frau ist christlich-orthodox. Im Strassenbild kann man rein nach der äusseren Erscheinung eine moslemische Frau nicht von einer katholischen oder orthodoxen unterscheiden.
Aber ein Verbot gibt es nicht?
Nein, das braucht es bei uns nicht. Natürlich gibt es je nach Gegend traditionelle Bekleidungen mit Kopftuch, aber das hat mit Religion nichts zu tun.
Viele Albaner arbeiten in Griechenland. Wie wirkt sich der rigorose Sparkurs auf sie aus?
In einer Krise sind die Immigranten immer die Ersten, die leiden. Darunter gibt es solche ohne Papiere oder ohne Qualifikationen. Für die Albaner in Griechenland ist es eine schwere Zeit, wie es für alle Griechen natürlich eine äusserst heikle Phase ist.
Vor 20 Jahren fiel in Albanien die kommunistische Diktatur. Im Frühling 1990 gab es Massenproteste und eine Massenflucht, wie erlebten Sie jene Zeit?
Das war für Albanien eine wahrhaft historische Zäsur. Wir lebten in einer schrecklichen, einer absolut schrecklichen Diktatur. Wir waren total isoliert in der Welt.
Welche Bilanz ziehen Sie heute?
Albanien ist ein demokratisches Land. Wir sind Mitglied der Nato, und wir haben letztes Jahr das Gesuch für den Status des Kandidatenlandes zum Beitritt in die EU eingereicht. Wir hoffen, dass bis Ende des Jahres die Visumpflicht für die Schengenländer fällt. Natürlich haben wir all jene Probleme, die der Übergang von der Diktatur zur Demokratie mit sich bringt. Ich glaube, dass die Albaner, jene in Kosovo und in Mazedonien mit eingeschlossen, das prowestlichste Volk des Balkans sind. Es gab nie antiwestliche Demonstrationen, Proteste gegen Europa oder die USA. Rund 86 Prozent der Bevölkerung befürworten einen EU-Beitritt.
Albanien und Kosovo sind klar albanisch dominiert, und Mazedonien hat eine starke albanische Minderheit: Was verbindet die drei Staaten, und was trennt sie?
Wir sind eine Nation, haben dieselbe Sprache und Geschichte. Das Trennende ist, dass wir während vieler Jahrzehnte aus Gründen, die durchaus nicht von uns abhingen, voneinander isoliert waren.
Sie haben 1994 in Tirana das Institut für Internationale und Strategische Studien gegründet. Welche Perspektive sehen Sie für diese drei Länder?
Der Weg, den alle drei Staaten beschreiten müssen, heisst: Demokratisierung, kombiniert mit wirtschaftlicher Prosperität, und europäische Integration. Und im vereinigten Europa spielen Grenzen keine wichtige Rolle mehr.
In der Schweiz sehen manche Politiker und Medien die Jugendgewalt und Verkehrsdelikte als Teil eines Balkan-Jugendproblems. Wie nehmen Sie den Zusammenprall der Kulturen wahr?
Ich habe lange genug als Journalist gearbeitet, um zu wissen, dass die Medien übertreiben, ja, dass es zu ihrer Natur gehört, zu übertreiben. Das ist kein Zusammenprall der Kulturen. Es handelt sich um einzelne Leute, die nicht die albanische Kultur repräsentieren. Es mangelt ihnen an Bildung. Man darf nicht vergessen, dass viele Kosovo-Albaner zum ersten Mal hierher kamen, um zum Beispiel auf dem Bau zu arbeiten. Und sie waren nicht gebildet, weil das Regime in Belgrad kein Interesse an guten Schulen für Albaner hatte.Dieses Phänomen hat die Schweiz vor ein paar Jahrzehnten übrigens auch mit den Immigranten aus Italien erlebt.
Das ist also eine Frage der Zeit?
Genau. Der Botschafter von Griechenland hat mir einmal mit einer schönen Geschichte Hoffnung gemacht: In einer Genfer Klinik gibt es einen Chefarzt mit griechischen Wurzeln. Dessen Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Griechenland nach Genf und arbeiteten in demselben Spital in der Putzequipe. Und genau das wird auch mit den Albaner geschehen.
Die Fussballer Xherdan Shaqiri und Valon Behrami haben kosovarische Wurzeln und werden für die Schweiz wohl an der WM in Südafrika mit dabei sein. Freut Sie das?
Das ist eine gute Sache. Eben gerade auch für ein anderes Bild des Albaners. Es gibt in der Schweiz rund 200000 Albaner aus Kosovo. Sie sind in ihrer Mehrheit gut integriert. Die Schweiz hat sich immer für Kosovo und für dessen Unabhängigkeit engagiert und setzt sich jetzt auch für dessen Entwicklung ein. Ich rate meinen Landsleuten hier in der Schweiz immer, sie sollen sich so gut wie möglich in der schweizerischen Gesellschaft integrieren, von deren Werten profitieren, indem sie auch ihre eigenen nationalen albanischen Werte bewahren, weil diese auch europäische Werte sind. Alle Albaner sind der Schweiz sehr dankbar.
Wie war das, im Albanien von Alleinherrscher Enver Hodscha als Journalist zu arbeiten?
Ich war Journalist in einer Diktatur, und das war ausserordentlich schwierig. Ein einziges Wort konnte dir das Genick brechen. Und nicht nur dir, sondern der ganzen Familie. Es war ein schwerer Job, man musste stets aufmerksam und auf der Hut sein. Wohl deshalb habe ich fast alle meine Bücher nach dem Ende der Diktatur geschrieben.
Sie haben im Alleingang ein beeindruckend umfangreiches Wörterbuch erarbeitet. Ihr albanischer «Larousse» umfasst rund 41000 Stichwörter. Was findet man darin?
Vor allem Wörter aus der Umgangssprache, die man im ähnlich umfangreichen offiziellen Wörterbuch der Albanischen Akademie der Wissenschaften vergeblich sucht. Ich habe die Bedeutung der Wörter nicht abstrakt beschrieben, sondern sie mit Beispielen aus der albanischen Literatur, aus der Folklore oder mit populären Sprichwörtern und Liedern illustriert. Zudem liefere ich auch etymologische Erklärungen.
Elina Duni macht von Bern aus Karriere als Musikerin, ihre Mutter Bessa Myftiu in Genf als Schriftstellerin. Es gibt hier zulande bekannte Namen mit albanischen Wurzeln. Sind das die wahren Botschafter des Volkes und haben sie ein Echo in der Heimat?
Elina Duni ist eine bewundernswerte Sängerin. Sie hat etwas Interessantes realisiert: Sie verbindet traditionelles albanisches Liedgut mit dem Jazz, der in Albanien keine Tradition hat. Natürlich kennt man sie in Albanien, es gibt viel Sängerinnen, aber sicher gehört sie zu den besten.