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Gemeinsame Geschichte
Ein Balkanhistoriker erfindet eine neue Weltregion. Der Begriff "Kleineurasien" soll dazu dienen, zwei bekannte Regionen, den Nahen Osten und den Balkan zu einer Großregion zusammenzufassen.
Wer von „Kleineurasien“ noch nie etwas gehört hat, braucht sich keiner Wissenslücke zu schämen. Der Begriff ist eine Erfindung des Südosteuropa-Historikers Karl Kaser und dient dazu, zwei bekannte Regionen, den Nahen Osten und den Balkan, zu einer Großregion zusammenzufassen.
Das führt zu überraschenden Einsichten. Die einprägsamen Grenzen zwischen den Religionen, Christentum, Islam und Judentum, verblassen, wenn die Weltgegend rund um Jerusalem, als gemeinsame Wiege aller drei großen Buchreligionen beschrieben wird. Stattdessen treten plötzlich die Konturen untergegangener Reiche wieder deutlich hervor: des osmanischen vor allem, aber auch des byzantinischen.
Gemeinsam hat „Kleineurasien“ auch seinen Abstieg in Bedeutung und Prestige. Die Gegend, in der sich einst die ersten Stadtkulturen entwickelten, wo der Monotheismus, die Demokratie und die Philosophie ihre Anfange nahmen, ist heute Peripherie. Der Blick ruht heute auf der Kultur der modernen Weltstädte, von Schanghai und Singapur über London und Paris bis nach New York und Rio de Janeiro. Keine davon liegt zwischen Donau, Nil und Tigris, den Flüssen, die „Kleineurasien“ markieren. Auch die Megastädte Istanbul und Kairo gehören nicht dazu.
Kaser entwickelt seine Theorie nicht streng argumentativ, sondern erzählt die gemeinsame Geschichte des Balkan und des Nahen Ostens immer neu unter vielen verschiedenen Aspekten. Das hat den Vorteil, dass die wesentlichen Unterschiede zwischen Ländern wie Bosnien, Ägypten und Israel nicht unter den Tisch fallen und auch nicht wegargumentiert werden. Es hat aber den Nachteil, dass man sich als Leser in den vielen Details, Beobachtungen und Einzelanalysen bisweilen zu verlieren droht.
Stramm patriarchalische Organisation der Gesellschaft seit viertausend Jahren
An interessanten Gemeinsamkeiten bleibt allerdings noch genug übrig. Wer einen Bogen von der Geschichte in die Gegenwart schlagen will, wird zum Beispiel aus dem Gegensatz zwischen „tributären“ und „intervenierenden“ Herrschaftssystemen manches lernen: Während Eroberer im Osten von den Unterworfenen nur Tribut verlangten und sich in die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht einmischten, pflegten Eroberer im Westen den Besiegten ihre Sprache, Religion und Kultur aufzuzwingen. Der Gegensatz lässt sich noch heute gut erkennen – in dem eigentümlichen Völkermosaik, aber auch in einem misstrauischen Verhältnis zum Staat, der einem bloß etwas wegnimmt und nie etwas gibt.
Gemeinsam hat „Kleineurasien“ auch die stramm patriarchalische Organisation der Gesellschaft, und das schon seit drei- bis viertausend Jahren. Der Zwang, die wandernden Herden gegen Räuber zu verteidigen, schuf eine enge Verbindung von „Vieh, Männergruppe und Macht“. Wenn es Ausnahmen gibt, dann haben sie auch in der Regel einen ökonomischen Hintergrund. Dass etwa auf den griechischen Inseln auch mutterrechtliche Modelle vorkommen, führt Kaser auf die Schifffahrt zurück. Wo die Männer ständig auf See waren, konnten allein die Frauen für Kontinuität sorgen.
Der Abstieg der Region beginnt nach Kaser schon im Hochmittelalter, Jahrhunderte also nachdem der Islam den Nahen Osten und Jahrhunderte bevor er den Balkan eroberte. Der Rückfall hat offenbar auch, aber nicht nur religiöse Gründe. Während in Christen- und Judenheit die Bibel seit dem Altertum immer wieder übersetzt wurde, galt der Koran in der originalen arabischen Fassung lange als unantastbar. Entsprechend gering waren nach der Erfindung des Buchdrucks die Anreize, sich der neuen Technik zu bedienen.
Gerade als in Westeuropa die Renaissance sich Bahn brach, zog der Sultan ideologisch die Zügel an. Erst 1727 eröffnete ein Ungar in Istanbul die erste Druckerei, und der Koran durfte gar erst 150 Jahre später gedruckt werden. Einen wichtigen Grund für die sehr späte Industrialisierung sieht Kaser allerdings im Mangel an geeigneten Rohstoffen.
Die einfache Darstellung, die vielen interessanten Details, die großen Bögen über zehntausend Jahre und fünftausend Kilometer sowie die gut ausgewählten Illustrationen machen die Lektüre abwechslungsreich und anregend. Was den Lesegenuss aber zuweilen empfindlich trübt, ist das schlampige Lektorat. So viele Fehler und sprachliche Unebenheiten wird man in kaum einem Werk dieser Dimension finden.
Kleineurasien: Gemeinsame Geschichte | Kultur - Frankfurter Rundschau
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Jetzt gehören wir bald nicht mehr zu Europa und sind dann somit auch keine Europäer mehr
Sind wir aus kultureller Hinsicht noch Europäer? Und was ist "europäisch" eigentlich genau,was charakterisiert einen Europäer und Europa?
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Gemeinsame Geschichte
Ein Balkanhistoriker erfindet eine neue Weltregion. Der Begriff "Kleineurasien" soll dazu dienen, zwei bekannte Regionen, den Nahen Osten und den Balkan zu einer Großregion zusammenzufassen.
Wer von „Kleineurasien“ noch nie etwas gehört hat, braucht sich keiner Wissenslücke zu schämen. Der Begriff ist eine Erfindung des Südosteuropa-Historikers Karl Kaser und dient dazu, zwei bekannte Regionen, den Nahen Osten und den Balkan, zu einer Großregion zusammenzufassen.
Das führt zu überraschenden Einsichten. Die einprägsamen Grenzen zwischen den Religionen, Christentum, Islam und Judentum, verblassen, wenn die Weltgegend rund um Jerusalem, als gemeinsame Wiege aller drei großen Buchreligionen beschrieben wird. Stattdessen treten plötzlich die Konturen untergegangener Reiche wieder deutlich hervor: des osmanischen vor allem, aber auch des byzantinischen.
Gemeinsam hat „Kleineurasien“ auch seinen Abstieg in Bedeutung und Prestige. Die Gegend, in der sich einst die ersten Stadtkulturen entwickelten, wo der Monotheismus, die Demokratie und die Philosophie ihre Anfange nahmen, ist heute Peripherie. Der Blick ruht heute auf der Kultur der modernen Weltstädte, von Schanghai und Singapur über London und Paris bis nach New York und Rio de Janeiro. Keine davon liegt zwischen Donau, Nil und Tigris, den Flüssen, die „Kleineurasien“ markieren. Auch die Megastädte Istanbul und Kairo gehören nicht dazu.
Kaser entwickelt seine Theorie nicht streng argumentativ, sondern erzählt die gemeinsame Geschichte des Balkan und des Nahen Ostens immer neu unter vielen verschiedenen Aspekten. Das hat den Vorteil, dass die wesentlichen Unterschiede zwischen Ländern wie Bosnien, Ägypten und Israel nicht unter den Tisch fallen und auch nicht wegargumentiert werden. Es hat aber den Nachteil, dass man sich als Leser in den vielen Details, Beobachtungen und Einzelanalysen bisweilen zu verlieren droht.
Stramm patriarchalische Organisation der Gesellschaft seit viertausend Jahren
An interessanten Gemeinsamkeiten bleibt allerdings noch genug übrig. Wer einen Bogen von der Geschichte in die Gegenwart schlagen will, wird zum Beispiel aus dem Gegensatz zwischen „tributären“ und „intervenierenden“ Herrschaftssystemen manches lernen: Während Eroberer im Osten von den Unterworfenen nur Tribut verlangten und sich in die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht einmischten, pflegten Eroberer im Westen den Besiegten ihre Sprache, Religion und Kultur aufzuzwingen. Der Gegensatz lässt sich noch heute gut erkennen – in dem eigentümlichen Völkermosaik, aber auch in einem misstrauischen Verhältnis zum Staat, der einem bloß etwas wegnimmt und nie etwas gibt.
Gemeinsam hat „Kleineurasien“ auch die stramm patriarchalische Organisation der Gesellschaft, und das schon seit drei- bis viertausend Jahren. Der Zwang, die wandernden Herden gegen Räuber zu verteidigen, schuf eine enge Verbindung von „Vieh, Männergruppe und Macht“. Wenn es Ausnahmen gibt, dann haben sie auch in der Regel einen ökonomischen Hintergrund. Dass etwa auf den griechischen Inseln auch mutterrechtliche Modelle vorkommen, führt Kaser auf die Schifffahrt zurück. Wo die Männer ständig auf See waren, konnten allein die Frauen für Kontinuität sorgen.
Der Abstieg der Region beginnt nach Kaser schon im Hochmittelalter, Jahrhunderte also nachdem der Islam den Nahen Osten und Jahrhunderte bevor er den Balkan eroberte. Der Rückfall hat offenbar auch, aber nicht nur religiöse Gründe. Während in Christen- und Judenheit die Bibel seit dem Altertum immer wieder übersetzt wurde, galt der Koran in der originalen arabischen Fassung lange als unantastbar. Entsprechend gering waren nach der Erfindung des Buchdrucks die Anreize, sich der neuen Technik zu bedienen.
Gerade als in Westeuropa die Renaissance sich Bahn brach, zog der Sultan ideologisch die Zügel an. Erst 1727 eröffnete ein Ungar in Istanbul die erste Druckerei, und der Koran durfte gar erst 150 Jahre später gedruckt werden. Einen wichtigen Grund für die sehr späte Industrialisierung sieht Kaser allerdings im Mangel an geeigneten Rohstoffen.
Die einfache Darstellung, die vielen interessanten Details, die großen Bögen über zehntausend Jahre und fünftausend Kilometer sowie die gut ausgewählten Illustrationen machen die Lektüre abwechslungsreich und anregend. Was den Lesegenuss aber zuweilen empfindlich trübt, ist das schlampige Lektorat. So viele Fehler und sprachliche Unebenheiten wird man in kaum einem Werk dieser Dimension finden.
Kleineurasien: Gemeinsame Geschichte | Kultur - Frankfurter Rundschau
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Jetzt gehören wir bald nicht mehr zu Europa und sind dann somit auch keine Europäer mehr
Sind wir aus kultureller Hinsicht noch Europäer? Und was ist "europäisch" eigentlich genau,was charakterisiert einen Europäer und Europa?
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